Kommentar: Gewusst wie
Dass Reifenservice anbietende Kfz-Betriebe nicht allzu viel von Ganzjahresreifen halten, ist genauso bekannt wie verständlich. Denn selbst wenn Erhebungen meist einen Anteil in der Größenordnung von rund einem Drittel der Autofahrer ergeben, der die saisonale Umrüstung von Sommer- auf Winterbereifung oder umgekehrt in Eigenregie erledigt, so greift dennoch eine erkleckliche Zahl dafür auf die Dienstleistungen einer Werkstatt bzw. des Reifenhandels zurück: Eine entsprechende Studie der Deutsche Tamoil GmbH hat diesbezüglich beispielsweise einen Wert von gut 50 Prozent mit Blick auf die umrüstenden Autofahrer ausgewiesen. Mit einer steigenden Marktverbreitung von Ganzjahresreifen sind in den Betrieben insofern unweigerlich Umsatzeinbußen durch weniger Dienstleistungsaufträge (Umstecken/Einlagerung) verbunden. Vor diesem Hintergrund ist nicht zuletzt die Devise des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) nachvollziehbar, mittels der Verbrauchern „Sommerreifen im Sommer – Winterreifen im Winter“ ans Herz gelegt werden.
Gleich mehrere verschiedene Argumente wurden und werden dafür meist zur Unterstützung dieser Maßgabe bemüht. Dazu zählt unter anderem der Kostenaspekt: Ganzjahresreifen seien in der Anschaffung teurer, würden aufgrund eines höheren Rollwiderstandes einen steigenden Kraftstoffverbrauch und damit entsprechende Mehrausgaben nach sich ziehen und müssten wegen eines größeren Verschleißes früher ersetzt werden. Selbst wenn all dies im Grunde genommen ja Aspekte wären, die Reifenvermarktern eigentlich eher in Hände spielen und ihnen ein Mehr an Umsatz einbringen würden: Früher mag all das auf Allwetterreifen möglicherweise zugetroffen haben, aber schon vor gut drei Jahren hat eine Analyse der NEUE REIFENZEITUNG gezeigt, dass entsprechende Modelle jüngerer Generationen in Sachen Rollwiderstand und Laufleistung saisonale Spezialisten teils sogar in den Schatten stellen können und auch beim Preis nicht immer den Vergleich scheuen müssen.
Darüber gilt es jedoch nicht den viel wichtigeren Sicherheitsaspekt zu vergessen, den mit Blick auf Ganzjahresprofile auch der BRV zuallererst in den Vordergrund rückt. Genauso ist es bei einer von Reifen Stiebling gestarteten Kampagne: Die richtet sich gegen eine vermeintlich mit ihrer steigenden Verbreitung zunehmend einhergehende „Egal-Haltung“ der Verbraucher beim Thema Reifen. „Verkürzen Sie den Bremsweg, nicht Ihr Leben“ ist die im Rahmen dessen verbreitete Botschaft. „In jeder Jahreszeit früh genug zum Stehen kommen: Mit Sommer- und Winterreifen von Reifen Stiebling“, wie noch ergänzt wird samt grafischer Darstellung eines deutlich längeren Bremsweges für Allwetterreifen im Vergleich zu den von dem Reifenfachhandelsunternehmen im Gegensatz dazu augenscheinlich empfohlenen „guten“ saisonalen Spezialisten. Zumal diese gerade in Extremsituationen wie etwa einer Vollbremsung ihre – so Geschäftsführer Christian Stiebling – „wahren Qualitäten“ unter Beweis stellen könnten.
Quasi als Beleg dafür wird in diesem Zusammenhang auf Bremswegvergleiche des ADAC zwischen den verschiedenen Gattungen im Zuge seines letztjährigen Ganzjahresreifentests verwiesen. Dabei wurden für die als jeweils „gut“ bezeichneten Vertreter aus dem Sommer- und Winterreifensegment zumeist die kürzeren Bremswege auf trockener, nasser, verschneiter und eisglatter Fahrbahn gemessen als für die für den ganzjährigen Einsatz ausgelegten Profile. Leider hält sich der Automobilklub auch auf Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG mit konkreteren Details dazu zurück, welche Modelle sich hinter dem mitgetesteten „guten Sommerreifen“ sowie dem „guten Winterreifen“ verbergen. Mehr als dass es sich im ersten Fall um ein Premiumfabrikat gehandelt haben soll, das bei einem früheren Sommerreifentest des Klubs gut abgeschnitten habe, und im zweiten um ein „sehr ausgewogenes Zweitlinienfabrikat eines europäischen Herstellers“, haben sich die Tester nicht entlocken lassen.
Als ob es nicht durchaus eine Rolle spielen könnte, Reifen welcher Qualitäts- bzw. Preissegmente man gegeneinander antreten lässt. „Es ist eben nicht egal, ob ich mich für die saisonalen Spezialisten eines Premiumherstellers oder für Low-Budget-Produkte entscheide, die bei jeder Witterung ganzjährig gefahren werden sollen“, wirft Alexander Stiebling, ebenfalls Geschäftsführer bei dem Herner Reifenfachhandelsunternehmen, im selben Atemzug mehr oder weniger genauso Äpfel und Birnen in ein und denselben Topf. So könnte schnell der Eindruck entstehen, die saisonalen Spezialisten seien immer tendenziell eher premium und die Ganzjahresreifen zählten vorwiegend zum Low-Budget-Segment, selbst wenn es wahrscheinlich so nicht gemeint sein dürfte. Denn sogar im Portfolio solcher der sogenannten Premiumhersteller, die sich wie Bridgestone, Conti, Michelin und Pirelli lange gegen den Trend gestemmt haben, finden sich nun schon seit mittlerweile einigen Jahren samt und sonders auch Allwetterreifen.
Andersherum gibt es zudem immer wieder Reifen, die man zwar nicht unbedingt mit premium in Verbindung bringen würde, die mitunter aber doch in einzelnen Testkriterien höherpreisigere Konkurrenten hinter sich lassen können. Das Abschneiden bestimmter Kandidaten in einzelnen Disziplinen noch dazu eines einzigen Tests, bei dem ADAC noch nicht einmal Ross und Reiter im Detail nennen möchte, taugt insofern als Basis für eine Breitseite gegen Ganzjahresreifen im Allgemeinen wohl eher weniger. Interessanterweise hat vor Kurzem beispielsweise das slowakische Magazin Autozurnál sowohl Winter- als auch Ganzjahresreifen in ein und derselben Größe (205/55 R16) auf identischem Fahrzeug (Skoda Scala) getestet, wobei Goodyears Winterreifenmodell „Ultra Grip 9+“ in beiden Fällen als Referenz diente. Beim Schneebremsen (aus 50 km/h runter auf null) konnte zwar kein anderer Reifen ihm das Wasser reichen, aber beim Nass- und Trockenbremsen (jeweils aus 100 km/h runter auf null) waren Ganzjahresreifen eben gerade nicht durchgängig die Verlierer gegenüber den Winterreifen.
Im Gegenteil erwiesen sich auf trockenem Asphalt die Allwetterprofile Bridgestone „WeatherControl A005“ und Michelin „CrossClimate+“ nicht nur gegenüber der Referenz, sondern auch gegenüber weiteren Winterreifen überlegen. Vergleicht man nun etwa besagten Bridgestone-Reifen mit Dunlops „Winter Sport 5“ als dem hinsichtlich Trockenbremsen im Autozurnál-Test schlechtesten dem Premiumsegment zuzurechnenden Winterreifen, dann liegen zwischen beiden ziemlich genau zwischen 16 und 17 Prozentpunkte Leistungsunterschied in dieser einen Disziplin. Absolut entspricht dies laut Messprotokoll einer Differenz von rund acht Metern. Auf nasser Fahrbahn konnte zwar Bridgestones „Blizzak LM005“ mit dem kürzesten Bremsweg aufwarten, doch gleich dahinter folgen dann gleich vier Ganzjahresreifen. Will sagen: Pickte man sich gezielt bestimmte Messwerte der Slowaken heraus, müsste man gemäß der Stiebling-Botschaft „Verkürzen Sie den Bremsweg, nicht Ihr Leben“ Verbrauchern insofern im Winter doch eigentlich eher zu Ganzjahresreifen raten, oder?
Gleichwohl hat die Aktion der Herner natürlich durchaus ihre Berechtigung. Und das selbst angesichts der Tatsache, dass sich die wohl weit überwiegende Mehrheit der Autofahrer schon lange vor dem Anstieg der Popularität von Ganzjahresreifen kaum sonderlich für das Thema Reifen interessiert hat. Jedenfalls nicht mehr als unbedingt nötig. So sehr einen Zusammenhang dieser latenten „Egal-Haltung“ mit der zunehmenden Verbreitung von bzw. Nachfrage nach Allwetterprofilen herzustellen zu wollen doch ein wenig zu weit hergeholt erscheinen mag, so gut ist es letztendlich prinzipiell dennoch, wenn überhaupt in der breiten Öffentlichkeit über Reifen gesprochen/diskutiert wird. Denn nur so kann auf lange Sicht der Verbraucher für die Thematik sensibilisiert werden. Insofern ist eine provozierende, wenn auch kontroverse Kampagne vielleicht nicht der schlechteste Ansatz. In Herne weiß man jedenfalls ganz offensichtlich, wie man für Aufmerksamkeit sorgt und wie Themen aus dem eigenen Unternehmensumfeld – das zeigen mit schöner Regelmäßigkeit die Top Ten der meistgelesenen Beiträge auf den Webseiten der NEUE REIFENZEITUNG – gepusht werden können. christian.marx@reifenpresse.de
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