Feinstaub/Fahrverbote: Reifen wird Informant über UTQG-Labeling und RFID
Aus dem Straßenverkehr resultierende Kohlen-, vor allem aber Stickstoffdioxidemissionen genauso wie Feinstaub und Mikroplastik sind Themen, welche die Automobilbranche in jüngerer Vergangenheit zunehmend beschäftigen. Denn das Überschreiten des EU-weit geltenden Grenzwertes von im Jahresmittel 40 µg/m³ Stickstoffdioxid hat schließlich schon so mancher deutschen Großstadt – „Dieselgate“ lässt grüßen – Fahrverbotszonen für Selbstzünder eingebracht. Und selbst wenn die Meinungen über dessen Beitrag zur Feinstaub-/Mikroplastikbelastung der Umwelt auseinandergehen, so rückt doch auch immer öfter der unvermeidbare Abrieb von Fahrzeugbereifungen ins Fadenkreuz.
Die bei entsprechenden Diskussionen vorgetragenen Argumente scheinen bei den politischen Entscheidungsträgern verfangen zu haben. Im Zuge der auf europäischer Ebene bereits angeschobenen Überarbeitung des EU-Reifenlabels verwundert von diesem Hintergrund nicht, dass es nach der NEUE REIFENZEITUNG vorliegenden Informationen abgesehen von der bisherigen Kategorisierung in Sachen Kraftstoffeffizienz, Nassbremseigenschafen und Vorbeifahrgeräusch über die zusätzlich angedachten Hinweise zur Eignung auf Schnee und Eis hinaus nun außerdem noch um Angaben zur Laufleistung bzw. zum Abriebsverhalten der Reifen ergänzt werden soll. Zumal dies laut der European Tyre and Rubber Manufacturers’ Association (ETRMA) ja ohnehin bereits angedacht war.
Nur geht das alles jetzt wohl viel schneller als bislang gedacht. Da angesichts des geplanten Inkrafttretens des neuen Reifenlabels schon Anfang des nächsten Jahres die Zeit drängt, hat man sich – auch um das „Rad nicht neu erfinden“ zu müssen – bei alldem auf in der Branche bereits mehr oder weniger Etabliertes besonnen: das Uniform Tire Quality Grading (UTQG). Es ist bislang zwar eher nur im US-Markt und dort nur für Pkw-Sommer- und -Ganzjahresreifen bekannt. Doch aufbauend auf der UTQG-Kategorie Treadwear (Abrieb/Abnutzung) soll sich zukünftig dann eben auch bei im europäischen Markt angebotenen Reifen eine entsprechende Angabe auf dem neuen Reifenlabel finden.
Erste Entwürfe, wie das Ganze dann aussehen könnte, liegen dieser Fachzeitschrift bereits vor. Vorgesehen ist offenbar, dass nach dem 1. April 2020 produzierte Reifen je nach Typ wenigstens eine 300er- bzw. sogar 400er-Einstufung in der UTQG-Abriebskategorie vorweisen müssen, wobei ein höherer Wert theoretisch einer besseren Laufleistung entspricht. Wie viele Kilometer sich letztlich wirklich mit einem Reifen abspulen lassen, hängt letztlich jedoch von einer ganze Reihe Faktoren – allen voran der Fahrstil, aber nicht zuletzt Dingen wie Fahrbahnbedingungen, Einsatztemperatur etc. – ab, die außerhalb des Einflussbereiches seines Herstellers liegen.
Bei dem Treadwear-Wert des UTQG-Ratings handelt es sich außerdem nicht um eine absolute Kennziffer, sondern um eine Relativangabe. Soll heißen: Zur Einstufung werden Kandidaten im Vergleich zu einem Bezugsreifen im Konvoi 7.200 Meilen (rund 11.600 Kilometer) auf öffentlichen Straßen gefahren und dabei die Profilabnutzung dokumentiert. Basierend auf den dabei gezeigten Leistungen verglichen mit den Normreifen, die erst Goodyear (1974-1984) und später Uniroyal (1984-1991) lieferten sowie danach seither gemäß Spezifikationen der ASTM (American Society of Testing and Materials) zum Einsatz kommen, erfolgt dann die Einstufung.
Wie schon die bisherigen Reifenlabeleinstufungen werden insofern Angaben zum Abriebsverhalten ebenfalls von der Industrie selbst geliefert. Für sie dürfte der von der EU gewählte Ansatz den Charme besitzen, dass man mit den entsprechenden UTQG-Tests bereits bestens vertraut ist, wenn auch Winterreifen oder auch Llkw- und Lkw-Reifen in den USA von dem Prozedere ausgenommen sind. Doch selbst wenn es sich quasi um eine Selbstzertifizierung handelt, geht das hinter dem Ganzen stehende Konzept noch einen Schritt weiter. Zumal zukünftig die Labelangaben nicht nur als Aufkleber auf den Reifen im Verkaufsraum oder in den Verkaufsunterlagen zu finden sein sollen, sondern die Daten zudem auf in Reifen einvulkanisierten RFID-Chips abgelegt werden müssen.
Das Kürzel RFID steht bekanntlich für Radio Frequency Identification, und die sich dahinter verbergende Technologie ermöglicht, gespeicherte Informationen von außen kontaktlos auszulesen. Im Motorsport genauso wie bei Lkw- und Busreifen kommt diese Technik bei vielen Herstellern bereits zum Einsatz, und Kumho verwendet sie eigenen Worten zufolge auch schon bei allen seinen Reifen. Dabei ging es bisher freilich nicht die um die Labelinginformationen. Das soll sich nach den Vorstellungen der Politik im Zuge der Einführung des neuen EU-Reifenlabels nun allerdings bald ändern.
Da drängt sich natürlich unmittelbar die Frage nach dem Warum auf. Denn die Auslesemöglichkeit der Labeldaten aus einem RFID-Chip birgt zunächst einmal nicht gerade einen sonderlich großen Vorteil. Erst vor dem Hintergrund der Feinstaubdiskussion und der Rolle, die Reifenabrieb in diesem Zusammenhang vermeintlich spielt, erschließt sich ein möglicher Sinn hinter alldem. Denn um Anwohner besonders mit Feinstaub belasteter Straßenabschnitte zu schützen, sollen entsprechende Bereiche zukünftig für solche Fahrzeuge gesperrt werden, an denen Reifen mit einem (zu) hohen Abrieb montiert sind.
Um dies zu erkennen, werden die auf den RFID-Chips gespeicherten Daten beim Einfahren in entsprechende Bereiche erfasst, um dann eben Bußgelder verhängen zu können. Für Sommer-/Ganzjahresreifen schwebt dem Gesetzgeber dabei ein unterer UTQG-Grenzwert von 400 vor. Winterreifen bekommen einen Bonus, zumal sich Grip und Treadwear umgekehrt proportional zueinander verhalten: Je höher letztere Größe und damit die theoretische Laufleistung eines Reifens ist, desto geringer ist der Reibkoeffizient bzw. die Haftung. Daher müssen Winterreifen nach derzeitigem Stand der Entwurfsplanung „nur“ wenigstens einen 300er-Wert in Sachen Treadwear schaffen.
Torlösungen, die beim Durchfahren die von den RFID-Reifen gefunkten Daten erfassen, sind bei Nutzfahrzeugflotten und im Motorsport bereits im Einsatz. Nun noch zusätzlich Reifenlabel- und dabei vor allem die Abriebsangaben auszulesen, sollte technisch das geringste Problem darstellen. Um Zuwiderhandlungen gegen Einfahrverbote zu ahnden, könnte die Polizei Übeltäter direkt nach Passieren eines Tores stoppen, was aber wohl als zu (personal-)aufwendig nicht infrage kommt. Ein Ansatz, bei dem die RFID-Auslesung mit einer Kamera und anschließender Nummerschilderkennung kombiniert wird wie bei gewöhnlichen sogenannten „Blitzern“ üblich, dürfte da schon eher Mittel der Wahl sein.
Ob sich die jüngste, kurzfristige Erweiterung des Reifenlabels allerdings wirklich so schnell wird umsetzen lassen, muss sich erst noch zeigen. Schließlich mahlen die Mühlen der Bürokratie ja bekanntlich eher langsam. Und wer weiß, ob sich nicht massiver Widerspruch mit Blick auf den Datenschutz regt, wenn ständig Reifendaten beim Befahren bestimmter Streckenabschnitte ausgelesen werden. Damit basierend darauf nicht womöglich Bewegungsprofile erstellt werden können, muss auf jeden Fall gewährleistet sein, dass eine Zuordnung zu bestimmten Kennzeichen nur bei tatsächlichen Zuwiderhandlungen gegen die Einfahrverbote erfolgt und ansonsten sämtliche Daten unmittelbar wieder gelöscht werden. Die NEUE REIFENZEITUNG wird also ganz sicher weiter berichten in dieser Sache. christian.marx@reifenpresse.de
April, April
Herzliche Grüße