Wachablösung im Conti-Konzern – Degenharts langer Weg zum Rücktritt
Mit Dr. Elmar Degenhart hatte Elisabeth Schaeffler einen Mann aus ihren eigenen Reihen als Vorstandschef nach Hannover beordert. Der Mann ihres Vertrauens war zuvor schon einmal kurze Zeit in einer Führungsposition bei Conti-Teves gewesen, galt aber – jedenfalls in Wennemers Augen, wenn man ein Spiegel-Interview entsprechend interpretiert – als Verwalter, nicht als Unternehmer und war von Manfred Wennemer hinauskomplimentiert worden. Fünf Jahre später, nach nicht weniger als drei schnellen und kurzen Zwischenstationen bei Bosch, Recaro Keiper und Schaeffler Automotive, fand sich der einst als ungeeignet erschienene promovierte Diplom-Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik sodann im CEO-Sessel des Conti-Konzerns wieder. Den Vorsitz im Aufsichtsrat übernahm Prof. Dr. Wolfgang Reitzle, auch auf dringende Bitten von Elisabeth Schaeffler hin. Heute hört man gelegentlich, die neuen Herren hätten einen Sanierungsfall auf Vordermann bringen müssen; doch das ist Unfug. Weil die bis dahin ertragsstarke Schaeffler-Gruppe sich selbst durch das waghalsige Manöver der feindlichen Übernahme zu einem Sanierungsfall am Rande des Ruins manövriert hatte, war Continental zu deren Spielball geworden.
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Wennemer (als Vorstandsvorsitzender) und Dr. Hubertus von Grünberg (als Aufsichtsratsvorsitzender) hatten ihre Posten geräumt, weil sie nicht zum Erfüllungsgehilfen eines Großaktionärs werden wollten, erst recht keinem ums Überleben kämpfenden. Der kurzzeitige Konzernchef Dr. Karl-Thomas Neumann hatte sich noch Forderungen der Schaefflers widersetzt. Genau das führte zur Ablösung durch Degenhart, der nicht als „sperrig“ galt und den Schaeffler-Interessen nicht im Wege zu stehen hatte. Zwar galt es, die Interessen des Continental-Konzerns zu wahren, dabei aber nie aus den Augen zu verlieren, welches Handeln nachteilig für den Großaktionär sein könnte.
Mit Elmar Degenhart feierte Continental über die Jahre hinweg gute Ergebnisse, vorrangig getrieben von der „Gummibude“. Alles lief gut, bis im September 2018 ein sogenannter Brandbrief versandt wurde, der im Rückblick den Anfang von seinem Ende als Konzernchef markierte. In der Öffentlichkeit kam dieser Brief schon wegen seiner „Tonalität“ nicht als Motivationstreiber an, eher als Armutszeugnis für den Vorstand. Hierum ging es: Erklärtermaßen performten sechs von 27 Business Units nicht so recht – und zwar wiederholt schon nicht. Konzediert wurde im Brief selbst, wegen zunehmender Komplexität seien viele Dinge einfach „unvorhersagbarer“ geworden. Wenn dies aber alles bekannt ist, warum findet das in den Prognosen des Konzerns keinen Niederschlag?
Warum muss man ehrgeizige Ziele wie „EBIT-Marge mehr als zehn Prozent“ kommunizieren und damit – erklärtermaßen mit dem Wissen, dass vieles „unvorhersagbarer“ geworden und diese wenigen Business Units schon „wiederholt“ die Ziele nicht erreicht hatten – das Risiko einer Gewinnwarnung eingehen? Folge: Absturz des Aktienkurses von rund 200 auf 150 Euro. Mit 46 Milliarden wurde das Jahresziel um eine Milliarde verfehlt, und die EBIT-Marge fiel von „mehr als zehn Prozent“ auf „mehr als neun Prozent“. Der Rückgang des Aktienkurses von rund 200 Euro auf nunmehr für ihn inakzeptable 150 Euro soll Reitzle so massiv verärgert haben, dass er eine Rückkehr zum Kurs 200 Euro bis Jahresende 2018 als Ziel ausgegeben habe, schrieb jedenfalls die Hannoversche Allgemeine Zeitung.
Ende der Laschheit, jetzt wird durchgegriffen. In gestelzter Form jammert der Vorstand im schon erwähnten Brandbrief den „sehr geehrten Senior Executives“ vor, „Kapital wurde verspielt“ und bei den Investoren „erheblich an Vertrauenskapital verloren“. Die „Stakeholder äußern Zweifel an unserer operativen Leistungsfähigkeit, unserem Kostenbewusstsein und unserer Fähigkeit, zuverlässige Prognosen zu stellen“, um mit dieser Feststellung zu schließen: „Vertrauen muss man zu Fuß erwerben, aber es flieht zu Pferde.“ Für Letzteres wären anderenorts fünf Euro fürs Phrasenschwein fällig.
Dieser Brief lässt tief blicken. Hier wird ein Konzern dargestellt, als stehe die nächste Krise unmittelbar bevor oder man befinde sich in rauer See. Tatsächlich handelt es sich um einen Konzern, der auf „eine Marge von mehr als neun Prozent Gewinn vor Steuern und Zinsen“ zumarschiert. Die Shareholder (und deren Vertreter, also die Arbeitgeberseite im Aufsichtsrat) mögen sauer sein, allen voran die Schaefflers. Aber die Stakeholder, Lieferanten, Kunden, Banken, Belegschaften etc. bringen sich doch nicht um, wenn sich der Gewinn vor Steuern um satte 500 Millionen Euro auf dann immer noch herausragende 4,1 Milliarden Euro reduziert. Auch so kann man ein Vorzeigeunternehmen als Sanierungsfall beschreiben.
Es entstand das beschleichende Gefühl, der Brief sei eigentlich gar nicht für die „Sehr geehrten Senior Executives“ gedacht, sondern zur Beschwichtigung einiger ärgerlich gewordener Herren oder Damen des Aufsichtsrates sowie des Großaktionärs in Umlauf geraten war; demzufolge Degenhart und Kollegen mächtig in die Senkel gestellt worden waren und dies nun weitergaben. Wie immer dieser Brief bewertet werden sollte, er stärkte das Ansehen in den Vorstand nicht. Intern schien das offenbar anders, denn der Vertrag für den CEO Degenhart wurde vorzeitig verlängert – und zwar für ganze fünf Jahre. So bildet sich dann Vertrauen!
Das jüngste Debakel ereignete sich mit der Bekanntgabe der Schließung des Aachener Reifenwerkes. Das hätte man, so wurde Aufsichtsratschef Reitzle zitiert, sicher besser machen können. Tatsächlich ist dieses Debakel mehr als nur peinlich sowohl für den CEO wie auch den Aufsichtsratsvorsitzenden selbst zu bewerten. Da werden doch immer Firmengrundsätze, Basics, Corporate Governance beschworen und in tollen Broschüren verewigt. Schließlich will ein Konzern ja auch als „Good Corporate Citizen“ gelten. Alles gut, schön und wertvoll, wenn es denn vorgelebt würde.
Dabei ist die beschlossene Schließung des Reifenwerkes Aachen nachvollziehbar, vielleicht gar alternativlos und damit sogar gut erklärbar. Das Werk liegt eingeengt in der Stadt, Ausweitungsmöglichkeiten sind nicht gegeben, allein schon aus Platzgründen hat es nie eine Tandemmischanlage gegeben, die aus Kostengründen heutzutage als unerlässlich gilt. Wenn Produktionskapazitäten anzupassen sind und wenn man dann alle europäischen Werke unter eine Lupe legt, erscheint Aachen als am wenigsten wettbewerbsfähig im Vergleich mit allen anderen Reifenfabriken. So sind die Fakten. Leider war die Art und Weise der Abwicklung von Arroganz oder Naivität getragen. 1.800 Arbeitnehmer verlieren im kommenden Jahr ihren Job. So versetzt man ein paar Tausend Familien in Existenzfieber. Diese haben, nach eigenen Angaben, von der beschlossenen Prüfung „per Aushang“ oder auch durch die Medien erfahren, aus der Konzernzentrale habe sich niemand blicken lassen. Völlig unvorbereitet gab sich der Ministerpräsident, der die Art und Weise der Kommunikation als für die Landesregierung völlig inakzeptabel kritisiert, die mit Unternehmenskultur und Partnerschaft nichts zu tun habe. Auch der Aachener Bürgermeister wusste nichts.
Eine bessere Kommunikation hätte am Resultat der Schließung nichts ändern können. Aber es wäre gerade in solchen Notlagen wichtiger denn je, sich zu stellen, die beschlossenen Maßnahmen zu erklären und zu verteidigen, die betroffene Belegschaft ernst zu nehmen. So aber fühlen sich Männer und Frauen, die ihr Bestes über viele Jahre für Conti gegeben haben, per Fingerschnipp auf die Straße gesetzt. Hier ist über 1.800 Beschäftigte und deren Familien entschieden worden. Man habe sich, heißt es in einer schriftlichen Bekanntmachung, die Entscheidung im Vorstand und Aufsichtsrat nicht leicht gemacht. Das ist doch nur ein Griff ins Formularheftchen mit allen denkbaren Textbausteinen. So etwas kann jeder Schönwetterpilot zu Papier bringen. Wäre es nicht Aufgabe des Konzernchefs gewesen, mindestens aber der Arbeitsdirektorin, sich einer Diskussion vor Ort zu stellen und bedeutende Stakeholder zu informieren? Selbst wenn es wehtut, unangenehm, aber notwendig ist? Die beste Kommunikationsabteilung kann nichts ausrichten, wenn sich aus der Konzernzentrale kein Verantwortlicher den Fragen und Diskussionen enttäuschter Menschen stellt, denen persönlich gar nichts vorzuwerfen ist. Diese Art und Weise der Trennungsverkündung ist vergleichbar mit der Trennung von einem Partner per SMS.
Ob Elmar Degenhart seiner Ablösung zuvorgekommen ist, ob es der beste Weg der Gesichtswahrung ist oder ob gesundheitliche Gründe tatsächlich eine Rolle für seine Rücktrittsentscheidung gespielt haben, lässt sich nicht beurteilen, Spekulation zwecklos. Ob seine Ablösung, ob sein Rücktritt richtig oder falsch ist, wer will sich ein Urteil anmaßen?
Wer weiß einzuordnen, wo der Continental-Konzern heute steht und wo er nach seinem Umbau stehen soll? Man liest und hört vom „Strukturwandel“ und „Strukturmaßnahmen“ und sieht sich mit Floskeln wie „die wesentlichen Weichen für den Transformationsprozess sind gestellt“ konfrontiert. Aber warum der Konzern in Zukunft auf eine hoffentlich erfolgreiche Holdingstruktur setzt, bleibt unklar. Liegt eine solche im besten Interesse des Continental-Konzerns, sind allein oder überwiegend Interessen des Großaktionärs maßgebend gewesen oder ist es eine Kombination aus beiden Interessenslagen? Soll damit allein ein Teilrückzug des Großaktionärs aus bestimmten Bereichen ermöglicht werden oder geht es schon mittelfristig um ein Filetieren des heutigen Continental-Konzerns? Antworten? Nein! Phrasen? Ja: Man werde aus diesem Umwälzungsprozess gestärkt hervorgehen, fehlt schon mal nicht. Es bleibt spannend.
Des einen Freud, des anderen Leid. Kaum rauscht der Degenhart-Abgang durch die Presse und feiert die seinen potenziellen Nachfolger Nikolai Setzer, schon springt der Aktienkurs um glatte zehn Prozent in die Höhe. Das bleibt hängen. Tatsächlich hat heute ein deutsches Unternehmen die Zulassung für seinen Corona-Impfstoff beantragt und damit einen Höhenrausch an den Börsen ausgelöst. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de
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