Kommentar: Tiefere und flachere Löcher in diesem Sommer
So ein richtiges Sommerlochthema hat sich dieses Jahr noch nicht herauskristallisiert und wird sich wohl nicht mehr. Denn die Zahl der noch verbleibenden und dieser Jahreszeit zuzurechnenden wärmeren Monate wird langsam immer überschaubarer. Was hätte dazu auch getaugt? Schließlich halten die gesundheitlichen Risiken und die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise die Welt dermaßen stark in Atem, dass ohnehin nur sehr wenig geeignet wäre, noch mehr mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zumal die Pandemie bei alldem die Auto- und Reifenbranche natürlich nicht verschont hat.
Das spiegelt nicht zuletzt eine Statistik zu den im ersten Halbjahr auf den Webseiten der NEUE REIFENZEITUNG veröffentlichten Beiträgen wider: Bei vielen davon ging es in irgendeiner Form um die Auswirkungen des Virus bzw. von COVID-19 auf das Geschäft mit Reifen und Rädern. Schließlich hat der zum Schutz vor Ansteckung verordnete sogenannte Lockdown mit seinen Kontaktbeschränkungen nicht nur das Mobilitätsverhalten, sondern vor allem auch den Absatz von neuen Fahrzeugen und nicht zuletzt Bereifungen massiv beeinflusst.
In den ersten sechs Monaten sind in Europa insgesamt genauso wie in Deutschland für sich genommen jeweils etwa ein Fünftel weniger Reifen im Ersatzmarkt verkauft worden als im selben Zeitraum 2019. In der Erstausrüstung sieht es nicht besser aus, hat beispielsweise etwa Michelin bei der Veröffentlichung seines Halbjahresergebnisses bezüglich der weltweiten Lieferungen an die Fahrzeughersteller doch von Rückgängen um sogar 34 Prozent im Consumer-Segment (Pkw-, SUV-/4×4- und Llkw-Reifen) bzw. immerhin noch 15 Prozent (Lkw-Reifen) berichtet.
Das sind schon als relativ tief zu bezeichnende Löcher, aus denen sich die Reifen- bzw. die Automotive-Branche insgesamt erst einmal wieder wird „herausbuddeln“ müssen. Dass Autohandel und Kfz-Werkstätten die bisher aufgelaufenen Rückstände dieses Jahr wieder aufholen können, hält zumindest der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e.V. (ZDK) für ausgeschlossen. Dort rechnet man aus Gesamtjahressicht mit rund 780.000 weniger Pkw-Neuzulassungen, wobei dies einem Minus von knapp 22 Prozent entspräche und den Markt auf das Niveau von 2,8 Millionen Einheiten wie zuletzt 1986 in der alten Bundesrepublik zurückwerfen würde.
Obwohl Kfz-Servicebetriebe während der Lockdown-Phase überwiegend geöffnet hatten, sei das Werkstattgeschäft durch die allgemeine Verunsicherung in der Bevölkerung nicht unbeeinflusst geblieben. Die Auslastung der Betriebe ist demnach im März um zehn und im April sogar um 18 Prozentpunkte gesunken, berichtet der ZDK. Bezogen auf die ersten sechs Monaten soll der Rückgang sechs Prozentpunkte betragen haben bei einer durchschnittlichen Auslastung von 77 Prozent. Zwar werde sich Werkstattgeschäft in der zweiten Jahreshälfte weiter normalisieren, dennoch aber wohl das Vorjahresniveau nicht mehr erreichen, ist man aufseiten des Kfz-Gewerbes sicher.
Genauso ist die European Tyre and Rubber Manufacturers’ Association (ETRMA) überzeugt, dass die Erholung des Reifengeschäftes in Europa und analog dazu vermutlich auch hierzulande „noch in weiter Ferne” liegt. Als wären derlei Negativnachrichten nicht schon deprimierend genug, gibt es mitunter doch immer noch wen, der parallel zu den Versuchen, sich aus einem Loch wieder in Richtung der Oberfläche zu recken in die entgegengesetzte Richtung gräbt. Gemeint ist im konkreten Fall ein auf den Webseiten der Zeitung Die Welt erschienener Beitrag in Sachen des kontrovers diskutierten Themas Reifenabrieb/Feinstaub, ist da doch von einer „Umweltkatastrophe von gewaltigen Dimensionen“ die Rede.
Aufbauend auf einer Veröffentlichung schon Ende 2019 durch die Schweizer Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) wird da einerseits aus dem Reifenabrieb herrührendes Mikrogummi gebrandmarkt als „Mitverursacher von Feinstaub“, der als gesundheitsschädlich eingestuft wird. Wie Mikrogummi eigentlich Feinstaub erzeugen können soll, wird dabei zwar nicht erklärt. Aber zu vermuten ist wohl ohnehin eher, dass Mikrogummi mit Feinstaub gleichgesetzt wird. Dabei sind Reifen- und Straßenabriebspartikel zumindest laut Continental so groß und schwer, dass sie zu Boden sinken anders als kleinere lungengängige Feinstaubteilchen aus anderen Quellen.
Andererseits wird in besagtem Welt-Beitrag die in der originalen Empa-Veröffentlichung enthaltene Aussage von Dr. Christoph Hüglin aus der Abteilung Luftfremdstoffe/Umwelttechnik der Schweizer Forschungsanstalt nicht wiedergegeben, wonach der Anteil von Reifenabrieb am eingeatmeten Feinstaub „auch an verkehrsnahen Standorten im tiefen einstelligen Prozentbereich“ liege und die Auswirkungen dessen auf den Menschen gering seien. Allerdings räumt der Autor des Onlinezeitungsberichtes selbst ein, dass Studien aktuell noch nicht umfassend beziffern könnten, wie schädlich Mikrogummi und Mikroplastik für Umwelt und menschliche Gesundheit seien.
Spätestens an dieser Stelle wird dann klar, dass das Ganze eher die Züge eines Versuches trägt, hier vielleicht doch irgendwie ein Sommerloch auszuheben. Dieses erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als ziemlich flach. Schließlich bleibt nach Faktenlage letztlich wohl nicht ganz so viel übrig von der behaupteten „Umweltkatastrophe“ durch Reifenabrieb. Zum Glück, möchte man sagen, hat die Reifen- und Automobilbranche doch so schon mit genug Gegenwind zu kämpfen nicht nur angesichts der derzeitigen Marktlage, sondern ebenso mit Blick darauf, dass der Individualverkehr – Stichwörter sind hier neben Feinstaub noch Kohlendioxid oder Stickstoffdioxid – immer öfter quasi als Umwelt-/Klimakiller Nummer eins angesehen wird. christian.marx@reifenpresse.de
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