Suche nach Führungsstärke: Conti-Vorstand sucht Schuld auf mittlerer Führungsebene

Mit langweiligen Allerweltsgeschichten ist kein Hund hinter dem Ofen hervorzulocken. Fantasie, Begeisterung, Schwärmerei, Hochspannung, Emotionen machen aus Massenwaren hochwertige Güter, nach denen man trotz höheren Preises nicht selten giert.

Damit es auf dem Weg zum „Mehrwert“ nicht holprig wird, brauchen auch Börse und Aktiengesellschaften eine gute Story. So versorgt eine vielköpfige Abteilung Investor Relations die Finanzwelt mittels Roadshows und unzähliger Power-Point-Präsentationen mit möglichst spannenden Storys, die Groß- wie Kleinanleger aus dem Knick kommen lassen, sie sollen an das gepriesene Potenzial der Aktie glauben. Allein der Glaube führte vor einigen Monaten noch kurzfristig zu einem Hoch der Continental-Aktie bei 250 Euro und damit zu einem Börsenwert von rund 50 Milliarden Euro. Auf dem Papier. Mit dem auf inzwischen gut 150 Euro abgestürzten Kurs sind es im dritten Quartal 2018 nun gerade noch 30 Milliarden Euro. Satte 20 Milliarden Euro haben sich in Luft aufgelöst, aber der Konzern ist immer noch derselbe. Er wird nunmehr eigenen Angaben zufolge den Jahresumsatz um eine Milliarde verfehlen auf 45 Milliarden Euro, soll aber vor Steuern und Zinsen 2018 statt circa 4,6 Milliarden nunmehr circa 4,1 Milliarden und damit 500 Millionen Euro weniger verdienen als geplant. Und deshalb gleich 20 Milliarden weniger Börsenwert?

Das ist am ehesten erklärbar, wenn man den bis dahin als begnadet eingestuften „Storytellers“ einfach mal Totalversagen unterstellt, denn die sogenannte Finanzwelt glaubt derzeit hinsichtlich Conti nur Fakten und keine Erzählungen, und das führt zur „Vernichtung“ des Börsenkapitals in zweistelliger Milliardenhöhe. Nun erwartet Aufsichtsratschef Prof. Dr. Wolfgang Reitzle angeblich eine Aufholjagd, ein Aktienkurs unter 200 Euro bis zum Jahresende 2018 (!) gelte als inakzeptabel, schreibt die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). Ist das nicht herrlich. Der Aufsichtsrat will somit binnen weniger Wochen mal eben einen Börsenwert von zehn Milliarden Euro hergezaubert sehen. Respekt. Warum auch nicht, wer binnen sechs Monaten 20 Milliarden Euro „vernichten“ kann, wird doch wohl in der Lage sein, in drei Monaten zehn Milliarden Euro „Mehrwert“ zu schaffen. Wie das funktionieren soll? Richtig! Mit einer Story, einer schönen Börsenstory. So hat der Vorstand – natürlich – längst Maßnahmen ergriffen, nur wirken diese – ist ja verständlich – in der Kürze der Zeit noch nicht voll. Und in einem, wie die HAZ es nennt, Brandbrief der Konzernführung an 400 Führungskräfte steht ja schließlich, es solle nun Schluss mit lustig sein.

Die Gefahrenlage habe man voll im Griff, alle notwendigen Maßnahmen getroffen, es wird durchgegriffen, hier und jetzt. Personelle Änderungen im Management, ausgeweitete Programme zur nachhaltigen Sicherung von Wertschaffung und profitablem Wachstum. Der Vorstand macht Druck. Nicht unwahrscheinlich, dass er unter massivem Druck des Aufsichtsrates steht. Und Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann, in den Medien schon ausgiebig und krass als listige wie gierige Witwe tituliert, könnte auch bald böse werden. Ist der Brandbrief an die Führungsmanager als verheißungsvoller Auftakt für eine glaubwürdige Superstory zu sehen, die Investoren Tausende, Hunderttausende, Millionen, ja Milliarden Euro in freudiger Erregung nur so aus der Jacke springen lässt, um große Summen in Conti-Aktien einzutauschen? Oder liest es sich eher als Bekenntnis der Führungsebene, man wisse nicht so recht, was man wolle, aber das auf jeden Fall dringend.

Was führte zum Vertrauensverlust? Frühzeitig im Jahr hat der Reifenbereich Erwartungen und Ziele reduziert, hauptsächlich aus Gründen, die von einem Unternehmen nicht zu beeinflussen sind. Der Reifenbereich war, schon bevor Dr. Elmar Degenhart als Vorstandsvorsitzender und die Familie Schaeffler an Bord kamen, der große Gewinnbringer, die Cashcow! Teils unverschämt hohe EBIT-Margen, kontinuierlich über ein Jahrzehnt hinweg. Nun gibt es eine Delle, aber dennoch bleibt der Reifenbereich auf Wachstumspfaden und schafft auch in diesem Jahr mit leicht reduzierten EBIT-Margen Resultate, von denen die Wettbewerber träumen dürfen. Im Reifenbereich ist Conti weltweit absolute Spitze. Der Aktienkurs brach erst aufgrund einer neuerlichen „Gewinnwarnung“ vom 22. August ein, vermutlich sogar weniger wegen der Botschaft als solcher, sondern weil Conti bei Vorlage der Halbjahreszahlen am 2. August den Ausblick auf das Gesamtjahr ausdrücklich bestätigte und ein saisonal bedingtes schönes drittes und sehr starkes viertes Quartal voraussah.

Conti segelte somit vermeintlich weiter auf der Erfolgswelle: Trump und seine Zölle, seine Drohungen, Zölle für Autos massiv anzuheben, wirtschaftliche Schwierigkeiten auf dem Riesenmarkt China, ein Embargotheater um Russland und den Iran, der wirtschaftliche Niedergang der Türkei, Daimlers Gewinnwarnung und das lang und immer noch anhaltende Dieseltheater bei Volkswagen – nichts bringt den Konzern aus der Spur. Und dann 20 Tage später ein Knall namens Gewinnwarnung. Der unmittelbar darauf einsetzende rasante Kurseinbruch zeigt, dass und wie einer Börsenstory schlagartig wie einem Ballon die Luft ausgehen kann. Investoren werden sich länger als nur drei Tage bei Conti-Aussagen fragen, von welchem Haltbarkeitsdatum ausgegangen werden kann oder ob das Controlling im Argen liegt. Vertrauen müssen somit Vorstand und Aufsichtsrat zurückgewinnen, weniger Teile einer im Brandbrief gescholtenen mittleren Managementebene.

In diesem Brandbrief heißt es, die Lage sei derzeit sehr ernst, die alarmierenden Signale hinsichtlich eines Vertrauensverlustes bei den Investoren seien verstanden worden, und dann wird der „Schwarze Peter“ Managern zugeschoben, die nicht hielten, was sie versprochen hätten und – welch böse Buben und Mädels – die auch ihre Zukunft nicht selbst gestalten, sondern dies den Wettbewerbern in ihren Märkten überlassen würden. So? Nicht gehalten, was versprochen wurde? Ein Businessplan gibt, so wie ein Fahrplan, Auskunft über etwaige Verspätungen, sagt aber oft noch gar nichts über die wahren Gründe. Das scheint vorliegend auch entbehrlich geworden zu sein, versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen. Erst recht nicht zum wiederholten Mal. Auf die Idee, dass Ziele einfach zu ehrgeizig und zu anspruchsvoll gesetzt sind, kommt man kaum noch. Manager auf untergeordneten Ebenen schweigen lieber, als sich von ihren Bossen an die Wand stellen zu lassen und ihren Job zu riskieren. Wohin das führen kann, sieht man an der Deutschen Bank. Josef Ackermann trieb seine Leute zu einer Kapitalverzinsung von 25 Prozent. Das war zwar ohne Sinn und Zweck und auch ohne Verstand, aber Ackermann behauptet bis heute, alles schon richtig gemacht zu haben. So könnte der Spruch „Operation gelungen, Patient tot“ auch interpretiert werden.

Wonach strebt der Continental-Vorstand eigentlich? Wozu alles Geschrei um den Aktienkurs von gestern, heute und morgen? Ob die Aktie bei 160 oder 200 Euro steht, ist für den Konzern ohne viel Belang. Der langfristig oder gar auf Dauer engagierte Ankeraktionär Schaeffler ist aber interessiert an Dividende, und die hat wenig mit dem Tageskurs zu tun. Müsste die Dividende nun von zuletzt 4,50 Euro um einen Euro gesenkt werden, fehlten den Schaefflers sofort unwiederbringlich rund 94 Millionen Euro. Da müsste man nicht listig oder gierig sein, einen solchen Schmerz nachempfinden zu können. Um eine etwaig drohende feindliche Übernahme kann es auch nicht gehen angesichts des Aktionärskreises. Verloren haben „nur“ Aktionäre, die nach der Talfahrt verkauften oder verkaufen mussten zu 155 Euro statt für zuvor vielleicht 200 Euro und Verluste damit realisierten. Als Exaktionäre haben sie nichts mehr mit dem Konzern und dieser nichts mehr mit ihnen zu tun. Der Brandbrief und das damit einhergehende Spektakel inklusive der Brüskierung oder Demotivierung der Führungsmanager unterhalb der Vorstandsebene schafft keinen Nutzen, wohl Ärger und damit Schaden. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass Briefe eines Vorstands an den Führungskreis unverzüglich bei der Presse landen und von dieser landauf und landab zitiert werden.

Steht der Vorstand unter starkem Druck seines Aufsichtsrates? Belegt ist das nicht, unmöglich nicht, eher wahrscheinlich. Als Professor Reitzle, ehemaliger Vorstands- und heutiger Aufsichtsratschef der Linde AG, sich erste Gedanken über die geplante Fusion mit Praxair machte, spielte der Linde-Aktienkurs, damit der Börsenwert, eine zentrale Rolle. Solche Ereignisse stehen aber bei Conti nicht an. Und ob Reitzle zum Jahresende einen Kurs der Conti-Aktie unterhalb von 200 Euro für inakzeptabel hält, ist für die deutsche Wirtschaft und Volkswirtschaft im Grunde so wichtig wie der eine in China umfallende Sack Reis. Kurse reagieren selten auf Fingerschnipp. Negative Folgen ergeben sich jedoch für die Gremien Vorstand und Aufsichtsrat, wenn Aktienoptionen eine Rolle spielen sollten. Dann mag es im Karton rauschen oder zu einem Bonanza in beiden Führungsgremien führen, wenn die 200-Euro-Marke überschritten werden kann. Solche Optionen vernebeln leicht Gehirne und können das Eingangstor für Selbstbedienungsläden werden. Wer fünf Millionen Euro jährlich für sein segensreiches Tun kassiert, realisiert nicht mehr, dass er lediglich etwas bekommen hat, was aber kein einzelner Mensch verdienen kann, wenn man mal Gründer mit teils ausgezeichnet umgesetzten Geschäftsideen ausnimmt. Ohne eine Sekretärin, die den Herrn Direktor terminlich „eng durchtaktet“, ohne Assistentinnen und Assistenten, ohne vielköpfigen Stab sind auch ganz schlaue Köpfe nichts.

Noch einmal zurück zum Brandbrief. Hat er sein Ziel erreicht und die Belegschaft aufgerüttelt und motiviert, die berühmte Extrameile in diesen Wochen und Monaten zu rennen? Wer wie ich mit nur wenigen Leuten bisher sprechen konnte, hat noch kein absolut klares Bild, weiß aber, dass ein Motivationsschub damit nicht ausgelöst wurde. Zählte ich zur Conti-Belegschaft, wüsste ich nun umso besser, dass bei uns mehr im Argen liegt als die lahme Ente Powertrain, die wir unbedingt an die Börse und damit loswerden müssen. Aus reiner Neugier wüsste ich zu gern, warum unser Vorstand die Contenance zu verlieren scheint. Kollegen, die sich zwar vergeblich um Einhaltung von Zielen bemühen und ihr Bestes dabei geben, vorzuwerfen die Zukunftsgestaltung den Wettbewerbern in ihren Märkten zu überlassen und Vertrauenskapital rasend schnell zu verspielen, all das würde mich als Continentäler eher ärgerlicher als engagierter machen. Es ist doch nicht so, dass die vielen Kollegen aus dem 400-köpfigen Führungskreis ein wenig deppert sind und die ausgeschlafenen Großstadtjungs (sorry, auch Großstadtmädels) an der Vahrenwalder Straße residieren. Dass mit dem Brandbrief der besonderen Art der Pfad zur Wiedergewinnung verlorenen Vertrauens noch nicht beschritten worden ist, zeigt sich unter anderem an einem kurzen und treffenden Kommentar von Jens Heitmann in der HAZ. Er sieht darin „eine auffallend unangemessene Tonlage“ und meint, wenn länger bekannte Probleme ungelöst blieben, fehle es offenbar an der nötigen Kontrolle – und zwar durch den Vorstand.

Dem kann ich nichts entgegenhalten, aber anmerken, dass ein Vorstand auch immer für strategische Weichenstellungen zuständig und verantwortlich ist. Das würde dann auch diese als „klare Ansage“ beschriebene Botschaft des Vorstands, zitiert in der HAZ und anderen Zeitungen, in einem anderen Licht erscheinen lassen: „Auf diesem Gleis fahren wir keinen Meter weiter. Dieser Zug stoppt hier und jetzt.“ Doch so dürfte es die oberste Führungsebene eben nicht gemeint haben. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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