Kommentar: Effizienz und/oder Beliebigkeit – Ready? Agile? Go!

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Einen Reifenhersteller zu finden, der wirklich nur eine Marke in seinem Portfolio hat, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst Nokian Tyres oder Pirelli, welche die Existenz ihrer Zweitmarken Nordman bzw. Formula nicht gerade an die große Glocke hängen, bilden da keine Ausnahme. Mit ihnen werden freilich nur ganz spezielle Marktregionen oder -segmente bespielt. Diesbezüglich ungleich breiter aufgestellt sind Konzerne wie Continental, Goodyear oder Michelin. Dabei gehört zu jedem einzelnen Label des jeweiligen Anbieters in der Regel eine mehr oder weniger klar umrissene Positionierung.

So ist bei Conti der eigene Name für die technologisch anspruchsvollsten Produkte reserviert, die diesem Ansatz entsprechend auch in die Erstausrüstung geliefert werden. Demgegenüber werden die ebenfalls zum Konzern gehörenden und eher dem mittleren Segment zuzuordnenden Marken Semperit und Uniroyal klassisch als insbesondere stark im Winter bzw. bei Regen charakterisiert, während mit Barum, Mabor sowie Matador das Budgetsegment bedient wird. Nicht viel anders ist die Aufstellung bei den meisten anderen Herstellern.

Dabei wird das Ganze freilich mit dem zugehörigen Marketinginstrumentarium bzw. Werbebotschaften unterstützt: Der größte Aufwand wird normalerweise für die Erstmarke betrieben mit „nach unten“ abnehmender Intensität. Noch nicht ganz so weit sind die Hersteller aus Fernost, selbst wenn aus ihren Fabriken deswegen nicht weniger Reifen mit unterschiedlichen Namen auf der Seitenwand rollen. Nur machen sich die meisten eben (noch?) nicht die Mühe, die diversen Labels durch unterschiedliche Vermarktungsansätze bzw. zu ihnen erzählte Geschichten voneinander abzugrenzen.

Wozu auch? Die überwiegende Zahl dieser Produkte ist bis dato ohnehin vor allem dem Budgetsegment zuzurechnen und von daher insbesondere für die preissensible Klientel gedacht. Welchen Sinn macht es da, übermäßig in einen differenzierten Marketingansatz zu investieren? Doch mit weiter zunehmender Qualität der in Fernost produzierten Reifen werden Mehrmarkenkonzepte und eine Abkehr vom reinen Mengendenken bestimmt nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Zumal sich in den zurückliegenden Jahren beispielsweise eine Marke Hankook hierzulande eine ansehnliche Position erarbeitet hat, um nun mit Laufenn unterhalb der mit dem eigenen Namen angebotenen Produkte neue/zusätzliche Käuferschichten zu erobern. Umgekehrt ist Giti Tire bisher vor allem über seine Marke GT Radial im Markt in Erscheinung getreten, um jetzt mit Reifen unter dem Namen Giti in darüber liegende Gefilde vorzustoßen.

Einen noch ganz anderen Weg hat derweil Michelin im Nutzfahrzeugreifengeschäft eingeschlagen. Zunächst einmal wenig außergewöhnlich hat es dort eine Neustrukturierung der Marken gegeben. Hinter der Premiummarke Michelin folgt dabei BFGoodrich im mittleren Segment und darunter dann Orium-, Tigar- und Riken-Reifen. Differenziert wird bei den drei Letzteren über die Vertriebskanäle: Denn Tigar gibt’s etwa nur über Euromaster, während Riken-Reifen hierzulande exklusiv über den Großhandel (Reifen Krieg) vermarktet werden.

Viel bemerkenswerter bei alldem ist aber etwas völlig anderes. Beim Blick auf die je Marke jeweils drei Reifenfamilien zeigt sich nämlich, dass „Road Ready“ (Riken), „Road Agile“ (Tigar) und „Road Go“ (Orium) sowie genauso „On-Off Ready“/„On-Off Agile“/„On-Off Go“ und „Urban Ready“/„Urban Agile“/„Urban Go“ nicht nur ziemlich ähnliche Namen tragen. Ihre Profile scheinen sogar absolut identisch zu sein. Soll heißen: Sie unterscheiden sich im Prinzip lediglich durch den Schriftzug auf der Seitenwand. In Sachen Effizienz, die sich der Michelin-Konzern ja bekanntlich wie kein anderer auf die Fahnen geschrieben hat, ist das ein cleverer Schachzug, um in unteren Preisregionen – das Unternehmen selbst spricht vom Quality-Budget-Segment – der (Billig-)Konkurrenz aus China etwas entgegenzusetzen.

Allerdings wird so gleichzeitig der Beliebigkeit – jedenfalls mit Blick auf besagtes Marktsegment – Vorschub geleistet. Motto: Hauptsache schwarz und rund. Da es sich bis auf die Seitenwände ja ganz offensichtlich um ein und dieselben Reifen handelt, sind große Investitionen ins Produktmarketing wohl eher nicht zu erwarten. Selbst die jeweiligen Webseiten zu den Nfz-Reifen der Marken Riken, Tigar und Orium gleichen sich wie ein Ei dem anderen bis hin dazu, dass sich deren Verzeichnisstrukturen allein durch die Topleveldomain unterscheiden.

Es wird spannend sein zu sehen, ob und wie sich ein solcher Ansatz, wie so mancher Billiganbieter auf Fernost ein und denselben Reifen unter mehreren verschiedenen Markennamen zu vertreiben, vom Markt respektive den Kunden aufgenommen wird. Zumal im Zusammenhang mit der Vermarktung unterschiedlicher Labels sonst das Argument angeführt wird, dies hätte den Sinn, dass deren Anbieter sich so einer Vergleichbarkeit untereinander entziehen könnten. Wetten darauf, dass eine solche Argumentation mit Blick auf besagte drei Michelin-Marken im Quality-Budget-Segment des Nfz-Reifengeschäftes verfängt, sollte man angesichts der im Zeitalter des Internets selbst für Laien schnell ersichtlichen Gleichheit des Angebotes wohl besser nicht. christian.marx@reifenpresse.de

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