Auf dem Weg von der Vision zur Wirklichkeit: Continental will weltweit technische Führerschaft für alle Geschäftsbereiche
Im laufenden Jahr hat der Continental-Konzern den Umsatz wie geplant erheblich steigern können, allerdings konnten die Erträge nicht mithalten, sondern diese blieben auf dem Vorjahresniveau. Nun aber offenbarte der Vorstandsvorsitzende Dr. Kessel anlässlich der Eröffnung des US-Hauptquartiers der Tochterfirma Continental Teves neue ehrgeizige Ziele. Continental Teves werde in Amerika binnen drei Jahren den Umsatz verdoppeln und der Konzern werde eine Umsatzverdoppelung binnen fünf Jahren erzielen. Selbst eine Schwäche der Automobilindustrie könne an diesen Zielen nichts ändern, weil sein Konzern die Produkte der Zukunft habe, die immer wichtiger würden. Continental sei kein Gummi- und Reifenlieferant mehr, auch nicht allein ein Bremsenhersteller, sondern der Konzern entwickele sich zum “System Integrator” bzw. zum führenden “Chassis System Integrator” der Welt. Wenn auch die Börse davon wenigstens zum Teil Notiz genommen hätte, die Aktien anderer Reifenhersteller stärker in Mitleidenschaft gezogen worden seien als die der Continental, sei er doch mit dem derzeitigen Kurs unzufrieden und er nutzte dies, um den anwesenden Pressevertretern diese wichtige Botschaft mit auf den Weg zu geben. Wachstum ist das, was die Börse hören will und davon gibt es nach Überzeugung des Continental-Managements genug. Moderates Wachstum wird im Reifengeschäft erwartet, vor allem aber will der Konzern durch die Zusammenführung von Produkten wie Reifen und Bremsen sich einen Namen als Systemanbieter erarbeiten, auch in der Hoffnung, nicht mehr so wie bisher unter Preisdruck der Erstausrüstungsindustrie gestellt werden zu können. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Als Systemanbieter bzw. System-Integrator, kann der Hersteller seine Kunden an zwei Händen abzählen und er kann es sich somit gar nicht mehr erlauben, auch nur einen davon zu verlieren. Doch der Anspruch wachsen zu wollen, ist sicher nicht unberechtigt. Das ESP (Electronic Stability Program) ist schlagareinen Preis. Und schon die Teves-Akquisition war nach Ansicht aller Analysten sehr teuer, nach Meinungen einiger sogar zu teuer. Wer aber so ehrgeizige Ziele hat wie Continental wird viel Geld in die Hand nehmen müssen, das dann in Form von Dividenden nicht zur Verfügung steht. Und bezüglich Dividenden hat der Reifen- und Bremsenkonzern seine Anleger eigentlich permanent enttäuscht. Auf technischem Gebiet wird stets das 30-Meter-Auto erwähnt, an dem der deutsche Konzern mit seinen Ingenieuren in aller Welt mit Hochdruck arbeitet. Systeme der von Continental betriebenen Art sollen Reifen mit Notlaufeigenschaften eigentlich obsolet machen, das meinte jedenfalls Dr. Kessel vor der Presse in Detroit. Er beantwortete damit Fragen nach dem Jointventure zwischen Michelin und Goodyear und den daraus folgenden Konsequenzen für den deutschen Konzern. Dieser Antwort war eigentlich nur zu entnehmen, dass Continental an einer tiefer gehenden Zusammenarbeit jedenfalls derzeit kein Interesse hat. Vielmehr wird der “intelligente Reifen” forciert und Mitbewerber sind eingeladen dabei mitzumachen. Man wolle dabei, so Kessel, nicht durch die Vergabe von Lizenzgebühren reich werden, sondern den technologischen Durchbruch sicher stellen und beschleunigen. Bezüglich der Notlaufeigenschaften verwies Bernd Frangenberg, President und CEO von Continental General Tire, auf frühere und aus seiner Sicht bewährte Entwicklungen des Konzerns. Bei Licht besehen war allerdings nichts dabei, das hier eine Neuvorstellung verdienen könnte. Hans Albert Beller, Mitglied des Konzernvorstands und Chef von Continental Teves, ist ein geradliniger und meist ruhiger Mann. Zum Jahresende geht er in den Ruhestand. Sobald die Rede auf Bremsen kommt, weiß Beller (“I am the break guy of the group”) sich selbst und andere zu begeistern. Integrierte Transportlösungen werde Continental in Zukunft bieten, ESP, den intelligenten Reifen und das 30-Meter-Auto. Continental Teves hält eigenen Angaben zufolge 28 Prozent Marktanteil weltweit bei elektronischen Bremssystemen. ESP verbessert die Stabilität des Autos und hilft dem Autofahrer in kritischen Situationen das Auto unter Kontrolle halten zu können, gleicht Über- oder Untersteuern automatisch aus und mache insbesondere nicht nur Pkws, sondern auch die Sport-Utility-Vehicles (der Explorer läßt grüßen?) und kleine Lastwagen viel sicherer. Der “intelligente Reifen” liefert alle notwendigen Informationen darüber, welche Kräfte zwischen Straßenoberfläche, Reifen und Chassis einwirken. Dieser intelligente Reifen könne integraler Bestandteil von Chassis-Kontroll-Systemen wie ESP und ABS werden. Last but not least referierte Beller über das 30-Meter-Auto. Von einem Bremsweg von jetzt 35 bis 48 Metern wolle man runter auf 30 Meter; es liegt auf der Hand, dass die Erreichung dieses Ziels in kritischen Fällen lebensrettend sein kann. Indem man Bremsen- und Reifentechnologie zusammenbringe, habe man die Chance, beide Technologien noch weiter und noch schneller vorantreiben zu können. Dass man sich auf dem richtigen Weg befinde, werde durch erkennbar gewordene Strategiewechsel großer Reifenhersteller unterstrichen. Sowohl Goodyear als auch Bridgestone und Michelin sind Jointventure mit Teves-Konkurrenten eingegangen. Für Kessel ist das allerdings nur die zweitbeste Lösung. Weil Continental Kontrolle über das gesamte System habe und halte, sei der Konzern in dieser Hinsicht “einzigartig.” Das letzte Wort dürfte allerdings noch nicht gesprochen sein. Der wichtigste Wettbewerber heißt Bosch und dürfte Teves nach wie vor überlegen sein. Bosch wird kaum einen Reifenhersteller kaufen, aber ganz sicher irgendwann auch eine Zusammenarbeit mit wichtigen Reifenherstellern anstreben. “Einzigartig” ist aber auch der von Kessel wiederholt vorgetragene Slogan “one face to the Customer.” Da man die Automobilkunden an zwei Händen abzählen kann, und nur diese kommen als Kunden für die Systemangebote in Betracht, könne in Zukunft ein Verkäufer, ein key accounter, die Gesamtpalette betreuen. Große Hoffnungen werden auch auf den designierten Beller-Nachfolger Dr. Wolfgang Ziebart (51) gesetzt, der bis zum Sommer diesen Jahres Vorstand für Entwicklung und Einkauf bei BMW war und zusammen mit zwei weiteren Vorstandskollegen im Gefolge des Rover-Desasters zurücktreten musste, weil der Kurs dieser drei Herren sich von dem des unglücklich lavierenden Professor Milberg unterschied. Ziebart entschied sich, obwohl ihm Alternativen offen waren, für Continental Teves, weil er dort die Gesamtverantwortung für ein Unternehmen hat. Offenbar liegen dem Konzern Verkaufsangebote vor, doch soll eine Entscheidung erst getroffen werden, sobald Ziebart seinen Dienst im Oktober angetreten hat. Der Continental-Konzern konnte in den letzten Jahren in USA, Kanada und Mexiko deutlich zulegen. Ein Viertel des Umsatzes werden in diesem riesigen Wirtschaftsraum getätigt. Der Konzernbereich Automotive Systems erwirtschaftet 32 Prozent des Gesamtumsatzes von 2,5 Milliarden Euro im Nafta-Raum, 63 Prozent in Europa und den Rest in Asien und Südamerika.
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