Kommentar: Rollende Posten
Das Reifengeschäft hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert und wird sich weiter verändern. Die Nachfrage im volumenmäßig größten und gleichzeitig wichtigsten Marktsegment Pkw-Reifen stagniert bestenfalls. Zusätzlich sorgt ein weiter zunehmender Wettbewerb zwischen den verschiedenen Vertriebskanälen bzw. den diversen Ausprägungsformen von Reifenvermarktern für zusätzlichen Druck auf die Preise und die Margen rund um den Verkauf der schwarzen Gummirundlinge in Richtung Verbraucher. Diesbezüglich wird wohl auch das gerade gestartete Jahr 2017 nicht viel Neues mit sich bringen.
Zu dieser Entwicklung trägt möglicherweise aber noch ein weiterer Umstand bei. Zwar wirbt ein Fahrzeughersteller wie BMW immer noch mit dem Slogan „Freude am Fahren“, doch kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass der Allgemeinheit der Spaß an der individuellen Mobilität mehr und mehr abhandenkommt. Schließlich wird der fahrbare Untersatz in der Öffentlichkeit fast durchweg verteufelt als vermeintlich hauptsächlicher Umwelt-/Klimakiller, den es gilt, nach Möglichkeit von der Straße zu verbannen – zumindest dann, wenn er nicht elektrisch, sondern von einem konventionellen Verbrennungsmotor angetrieben wird.
Wird eine solche Botschaft mantraartig nur oft genug wiederholt, bleibt davon in den Köpfen der Verbraucher natürlich ein gewisser Teil hängen. Vielleicht ist das auch mit ursächlich dafür, dass sich gerade die jüngeren Generationen zunehmend weniger für das Thema Auto begeistern können? Stattdessen stehen teils solche hippen Dinge wie Smartphones höher im Kurs, zumal man über die mittlerweile im Falle eines Falles ja recht bequem eine (Mit-)Fahrgelegenheit von A nach B buchen kann etwa mittels Carsharing, Uber oder mithilfe anderer Mobilitätsdienstleister.
Autos als bisher liebstes „Kind“ der Deutschen werden insofern weniger emotional gesehen, sondern stattdessen mehr und mehr „nur“ noch als reines Fortbewegungs- bzw. Transportmittel. Durch das autonome Fahren dürfte einer derartigen Art von Versachlichung dann noch einmal ein zusätzliches Stück weit Vorschub geleistet werden. Wenn dem so ist, dann brauchen auch die „Beine“ eines Autos, um einen alten Pirelli-Werbeslogan zu bemühen, nicht mehr unbedingt sexy sein. Rund und schwarz genügt der Mehrzahl der Fahrzeugbesitzer dann wohl. Sofern sie denn überhaupt noch einen Wagen ihr Eigen nennen.
Bislang haben sich Reifen zwar als mehr oder weniger einzige Kfz-Anbauteile noch einen letzten Rest an eigener Identität über die der jeweiligen Fahrzeugmarke hinaus bewahren können. Doch mit weiter fortschreitender Entwicklung könnte es tatsächlich passieren, dass dem Reifenhandel im Geschäft mit dem Verbraucher – im Englischen mit B2C (Business to Consumer) umschrieben – mittel- bis langfristig das C und damit die Kundschaft abhandenkommt. So hat es Dr. Andreas Prüfer, Delticom-Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Internetreifenhändlers, unlängst in einem Interview mit dem Magazin Internet World zumindest aus Sicht seines Unternehmens formuliert.
Anzeichen für sich ankündigende weitere Veränderungen im Reifengeschäft sind neue Geschäftsmodelle wie beispielsweise eine Reifenflatrate, bei der eine monatliche Gebühr für die Nutzung der Gummis bezahlt wird anstatt für deren Anschaffung. Von da ist der Gedankensprung zu Kilometerverträgen, die im Nutzfahrzeugreifengeschäft schon lange nichts Neues mehr sind, auch im Zusammenhang mit Autoreifen nur noch ein kleiner. Das zeigen Kooperationen wie die zwischen Goodyear und Tesloop in den USA oder Michelins Initiative, Pkw-Reifen nach Möglichkeit bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern zu nutzen.
Letzteres soll schließlich nicht nur einen Beitrag zu Senkung der Kohlendioxidemissionen leisten, sondern genauso zur Verringerung der Reifenkosten. Werden Reifen in letzter Konsequenz damit nicht irgendwann für noch weit mehr Autofahrern als heute schon allein zu so etwas wie rollenden Posten? Das dürfte dann weitere Veränderungen rund um die Vermarktung der schwarzen Rundlinge oder den Reifenservice, den freilich selbst elektrisch angetriebene und autonom fahrende Fahrzeuge nach wie vor benötigen, mit sich bringen. Wie das Reifengeschäft in einer solch ferneren Zukunft konkret aussieht, lässt sich jetzt zwar noch nicht absehen – anders wird’s aber wohl in jedem Fall. christian.marx@reifenpresse.de
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