Einstieg nach Ausstieg: Das Conti-Projekt „LousAgro“

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Nachdem sich die britische Bevölkerung bei der entsprechenden Abstimmung Ende Juni für den sogenannten „Brexit“ – also das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union – entschieden hat, mehren sich Stimmen, wonach es letztlich vielleicht doch nicht so weit kommt. Im Reifenmarkt bzw. in Sachen Landwirtschaftsreifengeschäft ist Continental gerade dabei, genau solch eine Kehrtwende hinzulegen: Denn nach ersten bloßen Ankündigungen, selbst wieder Reifen für Fahrzeuge im landwirtschaftlichen Einsatz anbieten zu wollen, lässt das Unternehmen jetzt tatsächlich Taten folgen in Form vom „Projekt LousAgro“. Das bedeutet, der Konzern will an seinem Produktionsstandort im portugiesischen Lousado , wo bisher ausschließlich Pkw-Reifen aus den Werkshallen rollen, alsbald nun Landwirtschaftsreifen radialer Bauart fertigen. Zur Erinnerung: Im Jahre 2004 hatte das Unternehmen diesen Geschäftsbereich an die tschechische CGS-Gruppe mit ihrer Hauptmarke Mitas veräußert, der im Rahmen einer entsprechenden Lizenzvereinbarung die Nutzung des Markennamen Continental in Bezug auf Landwirtschaftsreifen eingeräumt wurde.

„Als ich 2013 einen Anruf aus Hannover bekam und davon hörte, dass der Agrobereich bei Conti wiederbelebt werden soll, habe ich zunächst an einen Scherz geglaubt“, erinnert sich Thorsten Bublitz. War er früher schon für das deutsche Unternehmen in Sachen Landwirtschaftsreifen unterwegs und danach für CGS, um zwischenzeitlich dann der Reifenbranche den Rücken zu kehren, ist Bublitz seit Anfang 2014 wieder zurück bei Conti und bekleidet dort aktuell nun die Position als Business Manager Agricultural Tires. Denn der Konzern nimmt knapp 50 Millionen Euro in die Hand, um zukünftig wieder maßgeblich im Marktsegment Landwirtschaftsreifen mitzumischen. Mit dieser Summe rüstet das Unternehmen eine bisher für die Lagerung von Erstausrüstungsreifen genutzte Halle in seinem Werk Lousado (Portugal) um, um dort Radialagrarreifen bauen zu können. „Die ersten Vorserienreifen werden wohl noch vor Ende des Jahres hier gefertigt werden können“, so Bublitz im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG.

„Viele Kollegen haben davon geträumt“, freut sich Werksleiter Pedro Carreira über das Millioneninvestment in Lousado, das Teil der Conti-Strategie „Vision 2025“ ist

„Viele Kollegen haben davon geträumt“, freut sich Werksleiter Pedro Carreira über das Millioneninvestment in Lousado, das Teil der Conti-Strategie „Vision 2025“ ist

Ende Juni war die riesige Halle zwar schon weitgehend fertiggestellt, aber es waren zu dem Zeitpunkt noch keine Maschinen aufgestellt. Dafür bot sie die Kulisse für den Besuch des portugiesischen Premierministers António Costa, wobei im Rahmen eines kleinen Festaktes mit Belegschaftsmitgliedern sowie Werksleiter Pedro Carreira und Nikolai Setzer, Vorstandsmitglied von Continental und dort als Leiter verantwortlich für die Reifendivision, das Investitionsvorhaben des Konzerns entsprechend gewürdigt wurde. Bublitz zufolge gehört der Reifenhersteller mit seinen rund 1.800 Beschäftigten dort schließlich zu den drei größten Arbeitgebern des Landes. Das dürfte erklären, warum es sich Costa nicht nehmen ließ, zwischen einem der in letzter Zeit zahlreichen EU-Gipfeltreffen in Brüssel und der Viertelfinalpartie zwischen Portugal und Polen bei der Fußball-EM in Frankreich noch einen kurzen Zwischenstopp in Lousado einzulegen. Zumal durch das „Projekt LousAgro“ vor Ort weitere 125 neue Arbeitsplätze in seinem Heimatland entstehen sollen.

Zugleich damit sei der Weg für weitere Investitionen in die Produktion von Landwirtschaftsreifen geebnet worden, die in Abhängigkeit von der weiteren Markt- und Umsatzentwicklung getätigt werden können, heißt es vonseiten des Unternehmens. So fließen abgesehen von dem Geld für den Aufbau der Landwirtschaftsreifenproduktion beispielsweise noch zusätzliche 2,5 Millionen Euro in ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum vor Ort, um das Wachstum des Produktportfolios im Segment Landwirtschaftsreifen noch zu beschleunigen. Es soll eng mit der zentralen Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Konzerns in Hannover zusammenarbeiten und zunächst fünf Ingenieure beschäftigen. Geplant ist demnach, die Belegschaft auf zehn hoch qualifizierte Mitarbeiter zu erhöhen. Die offizielle Markteinführung von Radialreifen für die Landwirtschaft mit dem Markennamen Continental auf der Seitenwand wird dabei 2017 erfolgen. Der Start der Serienproduktion wird für Mitte nächsten Jahres angepeilt, sodass der Konzern die Agritechnica im darauffolgenden Herbst dann als große Bühne für den (Re-)Launch in diesem Produktsegment nutzen kann.

Der portugiesische Premierminister António Costa (rechts) ließ es sich nicht nehmen, zusammen mit Conti-Vorstand Nikolai Setzer im Rahmen eines kleinen Festaktes in Lousado das Millioneninvestment des Reifenherstellers vor Ort entsprechend zu würdigen

Der portugiesische Premierminister António Costa (rechts) ließ es sich nicht nehmen, zusammen mit Conti-Vorstand Nikolai Setzer im Rahmen eines kleinen Festaktes in Lousado das Millioneninvestment des Reifenherstellers vor Ort entsprechend zu würdigen

Insofern geht alles sogar noch ein wenig schneller, als es sich der Reifenhersteller vorgestellt hatte. Laut Bublitz sahen die ursprünglichen Planungen nämlich vor, erst 2019 wieder mit Conti-Landwirtschaftsreifen im Markt durchzustarten. Zumal solange eigentlich noch die Lizenzvereinbarung mit CGS/Mitas gelaufen wäre. Doch aufgrund der Übernahme von Mitas durch Trelleborg fallen die Markenrechte in Sachen Landwirtschaftsreifen eher als gedacht an Conti zurück. „Ansonsten hätten wir die Radialreifen in Lousado zunächst unter dem Markennamen General Tire gefertigt und vermarktet“, erklärt Thorsten Bublitz. Wie Setzer ergänzt, ist man natürlich alles andere als verärgert darüber, dass man nun schon viel früher unter dem Premiumlabel Conti auftreten kann. Dabei wollen sowohl Bublitz als auch Setzer nicht ausschließen, dass irgendwann nicht vielleicht trotzdem Landwirtschaftsreifen der Marke General Markt im hiesigen Markt angeboten werden könnten. Das ist aber noch Zukunftsmusik, steht jetzt doch erst einmal der Start mit der Hauptmarke im Fokus.

„Auf jeden Fall macht das Eröffnen eines Reifenwerkes bei Weitem mehr Freude als eines schließen zu müssen“, so der Conti-Vorstand mit Blick darauf, dass unlängst ja erst das neue sogenannte HPTC (High Performance Technology Center) des Unternehmens in Korbach/Hessen eingeweiht wurde und schon Ende des Jahres die Grundsteinlegung für ein neues Reifenwerk des Konzerns in den USA ansteht. Dass für den Wiedereinstieg in das Landwirtschaftsreifengeschäft die Wahl auf Lousado gefallen ist, kommt dabei nicht von ungefähr. Es habe eine Art „Beauty Contest“ bzw. „Schönheitswettbewerb“ unter den dafür infrage kommenden möglichen Standorten gegeben, erklärt Setzer. Neben dem in Portugal sollen – wie Bublitz ergänzt – zuletzt noch zwei andere Conti-Werke in der engeren Wahl gewesen sein: Puchov in der Slowakei und Timisoara in Rumänien. Entscheidend seien letztlich fünf Faktoren gewesen, erklärt Setzer. Er zählt in diesem Zusammenhang neben vor allem der Qualifikation der Mitarbeiter vor Ort und dem Kostenaspekt noch Überlegungen die Produktqualität betreffend, die Infrastruktur sowie die Unterstützung vor Ort auf. „Unser Werk in Portugal ist nicht das billigste, aber das effizienteste. Außerdem hat es sich im internen Wettbewerb unserer Standorte schon viermal in Folge und auch dieses Jahr wieder als bestes Werk erwiesen“, erklärt Setzer.

Fertige Produkte hat Continental noch nicht gezeigt, wohl aber schon, womit man sich zukünftig im Landwirtschaftsreifengeschäft profilieren möchte: mit dem Thema Effizienz

Fertige Produkte hat Continental noch nicht gezeigt, wohl aber schon, womit man sich zukünftig im Landwirtschaftsreifengeschäft profilieren möchte: mit dem Thema Effizienz

Bei Conti wisse man ganz augenscheinlich, was man an seinem portugiesischen Standort habe, freut sich auch Premierminister Costa. „Viele Kollegen haben davon geträumt“, ergänzt Werksleiter Pedro Carreira mit Blick auf das Millioneninvestment in Lousado, das Teil der Conti-Strategie „Vision 2025“ ist. „Mit dieser Investition senden wir ein klares Signal, dass Continental im Segment Landwirtschaftsreifen wieder als Hersteller von Radialreifen unter der Premiummarke Continental aktiv ist. In Lousado verfügen wir über einen hervorragend aufgestellten Standort mit einem motivierten und erfahrenen Team. In der hochmodernen Produktionsanlage werden innovative Radialreifen für den anspruchsvollen Agrarbereich entstehen“, so Nikolai Setzer anlässlich der Unterzeichnung des Investitionsabkommens im portugiesischen Lousado. Als Fehler sieht er den früheren Ausstieg aus diesem Marktsegment in der Rückschau bei alldem nicht. Die Entscheidung damals sei richtig gewesen, meint er. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bald danach gefolgten Wirtschafts- bzw. Finanzkrise 2008/2009.

Thorsten Bublitz, Business Manager Agricultural Tires, beim „Füttern“ des Conti-Pferdes, auf dass die Geschäfte des Reifenherstellers im Landwirtschaftsreifensegment wachsen und gedeihen mögen

Thorsten Bublitz, Business Manager Agricultural Tires, beim „Füttern“ des Conti-Pferdes, auf dass die Geschäfte des Reifenherstellers im Landwirtschaftsreifensegment wachsen und gedeihen mögen

„Aus der sind wir letztlich dann gestärkt hervorgekommen“, meint Setzer. Zustimmung diesbezüglich gibt es auch von Bublitz. „Jetzt ist die Situation eine ganz andere“, meint er. „Die professionelle Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert“, fügt der Business Manager Agricultural Tires hinzu. „In Anbetracht der wachsenden Weltbevölkerung und des zunehmenden Bedarfs an Nutzpflanzen steigt auch die Zahl der Großbetriebe und damit die Nachfrage nach effizienten Landwirtschaftsreifen. Auf diesem Gebiet haben wir langjährige Erfahrung als Premiumhersteller“, sagt Bublitz. Dabei sei gerade Effizienz das Thema, mit genau dem Conti sich in diesem speziellen Marktsegment (wieder) einen Namen machen will. Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil Bublitz nach entsprechender Marktbeobachtung ausgemacht hat, dass Themen wie Bodenschonung oder Traktion innerhalb der Branche teils schon überstrapaziert werden und von daher kaum eine Möglichkeit bieten, sich damit als Alleinstellungsmerkmal zu profilieren. „Und letztlich dreht sich in der Landwirtschaft ohnehin alles um die Effizienz“, weiß Bublitz zu berichten.

Zur Rückkehr bewegt hätten das Unternehmen außerdem die Fahrzeughersteller, weil man mit ihnen bereits in anderen Bereichen zusammenarbeitet. Demnach sehen sie Vorteile in der Kooperation mit einem Anbieter, der vieles „aus einer Hand“ zu bieten habe. Continental liefert nämlich auch Bauteile und Systeme für Landmaschinen und die landwirtschaftliche Infrastruktur. Das Produktionsprogramm reicht Unternehmensangaben zufolge von Instrumentierungs- und Kameralösungen über Sensoren, Kautschukketten und Fördergurttechnik bis hin zur Abgasbehandlung. Indem man Unternehmen diese unterschiedlichen Bauteile aus einer Hand bereitstelle, könne man – so der Konzern – „landwirtschaftlichen Betrieben umfassende Lösungen für erhöhte Effizienz, Umweltfreundlichkeit und Ressourcenschonung anbieten“. Insofern verwundert nicht, dass Conti in Zusammenarbeit mit den führenden Fahrzeugherstellern und für sie ein komplettes Reifenangebot für Traktoren und Erntemaschinen auf den Markt bringen will. Das Portfolio soll Radial- und Diagonalreifen umfassen und die Größenpalette Zug um Zug wachsen. Anfangs werden es Bublitz zufolge erst einmal 50 Dimensionen an Standardreifen sein, aber später dann einmal bis zu 250 Dimensionen, mit denen auch das High-Performance-Segment abgedeckt wird.

 

„Wir wollen Vollsortimenter werden“, gibt er als Marschroute vor. Anzunehmen ist dabei, dass Reifen diagonaler Bauweise, die man für die Landwirtschaft ohnehin bereits in Port Elizabeth (Südafrika) sowie in Petaling Jaya (Malaysia) herstellt, dann wohl eher unter dem Markennamen General Tire in den Markt kommen dürften. Eine Rolle spielt bei alldem, dass das Geschäft mit Landwirtschaftsreifen trotz aller anderen genannten Gründe natürlich auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten attraktiv ist. Zumal nach von Continental präsentierten Zahlen für das Jahr 2013 der Weltmarkt für Spezialnutzfahrzeugreifen insgesamt ein Volumen von rund 15 Milliarden Euro umfasst, wozu Landwirtschaftsreifen mit etwa vier Milliarden Euro bzw. gut einem Viertel den größten Anteil beitragen. Von diesem „Kuchen“ will sich der deutsche Hersteller mit seinen neuen radialen Landwirtschaftsreifen einen Anteil sichern. Die Frage, wann man wissen wird, ob der (Wieder-)Einstieg in dieses Marktsegment nach dem Ausstieg ein Erfolg ist, beantwortet Setzer so: „Wenn Thorsten Bublitz mich anruft und sagt, wir haben nicht genug Reifen, um unsere Kunden zu beliefern. Das ist dann aber ein Problem, das ich gerne habe.“ christian.marx@reifenpresse.de

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