Rollwiderstand und nichts als der Rollwiderstand?

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Bei neuen (Pkw-)Reifenmodellen scheint momentan vor allem ein Aspekt im Vordergrund zu stehen: ein möglichst niedriger Rollwiderstand, um den Kraftstoffverbrauch und auf diese Weise zugleich die Kohlendioxidemissionen damit bereifter Fahrzeuge zu reduzieren. Doch welche Trends beschäftigen die Entwickler der schwarzen runden Gummis abgesehen von dem hin zu einer saubereren Umwelt sonst noch?

Angeheizt von der Diskussion um den allgemein befürchteten Klimawandel aufgrund der unter anderem vom Straßenverkehr ausgehenden Kohlendioxidemissionen sowie den im Sommer vergangenen Jahres exorbitant hohen Kraftstoffpreisen liegt der Fokus bei der Entwicklung neuer (Pkw-)Reifen derzeit vor allem auf einem möglichst niedrigen Rollwiderstand. Denn über einen geringeren Rollwiderstand lässt sich der Spritverbrauch eines Fahrzeuges reduzieren und damit eben auch dessen Emissionen des „Klimakillers“ Kohlendioxid. Zwar ist das Thema Umweltschutz durch die Finanzkrise und die dadurch ins Stottern geratene Automobilkonjunktur etwas in den Hintergrund gerückt, doch gibt es kaum einen Reifenhersteller, der bei der Vorstellung eines neuen Produktes nicht gleichzeitig auch dessen Spritsparpotenzial dank eines niedrigen Rollwiderstandes betont.

So verspricht beispielsweise der koreanische Reifenhersteller Hankook Tire für seinen Pkw-Ökoreifen „Enfren“ einen um nicht weniger als 21 Prozent geringeren Rollwiderstand bzw. einen um zwei Prozent niedrigeren Kraftstoffverbrauch. Der im Vergleich zu den hauseigenen Standardreifen etwa sechs Prozent teurere Reifen ist bereits seit einigen Monaten im Handel und soll Ende vergangenen Jahres in 14 Größen verfügbar gewesen sein – bislang allerdings ausschließlich im Heimatmarkt des Herstellers. Doch das könnte sich bald ändern. Wie das Unternehmen selbst sagt, werde die internationale Markteinführung des Reifens derzeit vorbereitet. Laut Lee Soo-il, Vice President Marketing, könnte der bislang lediglich über das Ersatzgeschäft vermarktete Reifen entweder Ende 2009 oder Anfang 2010 beispielsweise auch in Nordamerika eingeführt werden.

Nicht viel anders machen es andere Hersteller wie Bridgestone oder Sumitomo Rubber Industries (SRI), die gleichfalls angekündigt haben, ihre bis dato nur in Japan erhältlichen rollwiderstandsoptimierten Spritsparreifen nach und nach genauso in Europa und Nordamerika anbieten zu wollen. Während bei SRI die entsprechende Produktbezeichnung noch nicht festzustehen scheint, hört Bridgestones jüngste Ökoreifenfamilie auf den Namen „Ecopia“. Und selbst die Continental AG, die bislang immer am lautesten darauf hingewiesen hat, dass das Thema Rollwiderstand nicht alles ist, sondern es zudem noch gerade auf solche Dinge wie den Nassgrip ankommt, vergisst selbstredend nie, im Zusammenhang mit der Senkung des Kraftstoffverbrauches immer auch auf den Beitrag zu verweisen, den die Produkte des deutschen Herstellers zu leisten in der Lage sind.

Dass die Senkung des Reifenrollwiderstandes längst mehr geworden ist als ein mögliches Marketinginstrument eines einzelnen Unternehmens, um sich vom Wettbewerb abzugrenzen, zeigen die Pläne seitens der Politik, ab 2012 bzw. 2016 je nach Fahrzeugklasse Obergrenzen für den Reifenrollwiderstand (und für das Reifenrollgeräusch) zu etablieren. Darüber hinaus plant die EU-Kommission die Einführung eines Reifenlabels ab dem Jahr 2012. Damit sollen alle Reifen dann hinsichtlich ihres Rollwiderstandes so klassifiziert bzw. gekennzeichnet werden, dass der Verbraucher auf einen Blick erkennen kann, wie energieeffizient die jeweiligen Modelle sind. Ohne die Bemühungen seitens der EU in Sachen Verminderung unnötigen Kraftstoffverbrauches unterminieren zu wollen, muss jedoch die Frage erlaubt sein, ob der Beitrag, den die Bereifung zur Senkung der Kohlendioxidemissionen zu leisten in der Lage ist, nicht ein wenig überbewertet wird.

Denn selbst wenn man beispielsweise die vier Gramm je Kilometer als Eingangsgröße nimmt, um die sich laut Michelin mit dem aktuellen „Energy Saver“ die Kohlendioxidemissionen eines damit bereiften Fahrzeuges senken lassen sollen, so bringt diese Maßnahme im Vergleich zur Wahl einer leistungsmäßig kleineren Motorisierung bei der Anschaffung eines Neufahrzeuges doch vergleichsweise wenig. Dazu braucht man nicht einmal ein Extrem wie den Auto Q7 als Beispiel heranzuziehen, wo den technischen Daten zufolge je nach Motorisierung ein Wert zwischen knapp 240 Gramm je Kilometer und fast 320 Gramm je Kilometer zu Buche schlägt, sondern es reicht der Blick auf den aktuellen Golf: Allein bei den Benzinern reicht die Spanne der genannten Kohlendioxidemissionen von knapp unter 140 bis eben über 160 Gramm je Kilometer, und bei den Dieseln sind es je nach Motorisierung zwischen rund 120 und 145 Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer.

Damit soll natürlich nicht die Entwicklungsleistung der Reifenindustrie (und der Fahrzeughersteller) geschmälert werden. Doch selbst bei dem emissionsärmsten Golf-Modell entsprechen vier Gramm weniger Kohlendioxidemissionen pro Kilometer bei einem Basiswert von 120 Gramm pro Kilometer gerade mal einem Anteil von 2,5 Prozent. Und nimmt man Oberklassefahrzeuge à la Audi Q7, Siebener-BMW, die S-Klasse von Mercedes oder ein beliebiges Porsche-Modell, deren Kohlendioxidemissionen alle mehr oder weniger deutlich über dem Doppelten des umweltfreundlichsten Golfs liegen, als Maßstab, dann kann der Effekt eines geringeren Rollwiderstandes leicht im Rauschen untergehen.

Zumal die Kohlendioxidemissionen im Zuge der Messungen zur Ermittlung des Fahrzeugnormverbrauches basierend auf einem bestimmten Fahrzyklus bestimmt werden. Gefahren wird dabei zwar mit klar festgelegten Beschleunigungs-, Konstantfahr- und Bremsphasen. Doch das Ganze findet auf einem Rollenprüfstand statt, sodass zumindest aerodynamische Einflüsse dabei vollkommen unberücksichtigt bleiben. Oder andersherum formuliert: Zwei Fahrzeuge mit einem nominell gleichen Normverbrauch werden selbst bei identischer Fahrweise unterschiedliche Verbrauchswerte im täglichen Einsatz aufweisen, wenn das eine Auto etwas windschnittiger designt ist als das andere. Insofern müsste ebenso wie die von der EU vorgesehene Kennzeichnung der Reifen hinsichtlich ihrer Energieeffizienz doch gleich noch ein Label eingeführt werden, mit dem Autos hinsichtlich dem Produkt aus Luftwiderstandsbeiwert und Projektionsfläche senkrecht zur Fahrrichtung klassifiziert werden, oder?

Andererseits liegt der Anteil des Rollwiderstandes am Energieverbrauch von Pkw mit Verbrennungsmotor laut Michelin zwischen zwölf und 21 Prozent. Kleinvieh macht also ebenfalls Mist. Und selbst wenn es dem einen oder anderen ein wenig so vorkommen mag, als ob die Eurokraten bei dem geplanten Reifenlabel mit Kanonen auf Spatzen schießen, hat die Sache ein weiteres Gutes: Der Verbraucher wird zu einem höheren Umweltbewusstsein „erzogen“, und die auf dem Label gezeigten Informationen – neben dem Rollwiderstand ist eine Klassifizierung hinsichtlich des Nassgrips sowie die Angabe der vom jeweiligen Reifenmodell ausgehenden Geräuschemissionen im Gespräch – bieten dem Handel unter Umständen einen Ansatzpunkt mit Blick auf eine gezielte Beratung seiner Kunden.

Ein weiterer Ansatzpunkt zur Verringerung des Kraftstoffverbrauches und damit der Kohlendioxidemissionen von motorisierten Fahrzeugen ist in Bezug auf deren Bereifungen das Thema Luftdruck. Denn je weiter der Reifenfülldruck nach unten von dem Solldruck abweicht, desto größer ist nicht nur die Gefahr einer Schädigung des Pneus bis hin zu einem Unfall, sondern auch der Kraftstoffverbrauch steigt an. Denn mit abnehmendem Druck sorgt das höhere Walken des Gummis für eine Zunahme des Rollwiderstandes. Deshalb gibt es in der EU Pläne, ab 2012 für alle neuen Fahrzeugmodelle und ab 2014 dann für alle Neuwagen Reifendruckkontrollsysteme verbindlich vorzuschreiben, so wie es in den USA bereits seit September 2007 Usus ist. Denn laut Continental haben Studien der Europäischen Union gezeigt, dass mehr als 64 Prozent der Pkw und mehr als 75 Prozent der Lkw mit einem zu niedrigen Reifendruck unterwegs sind.

Beträgt der Pkw-Reifendruck 0,3 bar weniger als vorgeschrieben, entspreche dies einem Kraftstoffmehrverbrauch in Höhe von 1,5 Prozent, sagt der Reifenhersteller. „Bei richtigem Luftdruck lassen sich bis zu drei Euro pro Pkw-Tankfüllung sparen“, erklärt Christian Kellner, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR). Und addiere man die zusätzlichen Kraftstoffkosten, die durch zu niedrigen Reifenluftdruck von Pkw und Lkw in Europa entstehen, ergebe dies eine Summe von jährlich rund sieben Milliarden Euro. „Nach unseren Berechnungen könnten mit Reifendrucküberwachungssystemen die Kohlendioxidemissionen in Europa jährlich um mehr als zehn Millionen Tonnen reduziert werden“, hebt Andreas Wolf, Leiter des Geschäftsbereichs Body & Security der Continental Division Interior, darüber hinaus den Umweltaspekt hervor.

„Wer auf innovative Reifendrucküberwachungssysteme setzt, erhöht die Sicherheit für sich und andere – und schont die Umwelt”, meint auch Kellner. Aus diesem Grund arbeitet man bei Continental zurzeit an einem sogenannten „Intelligent Tire System“, das Luftdruckdaten von Sensoren direkt aus dem Reifen erhält. Wer dann beispielsweise sein Auto zu voll packt, könnte schon vor der Fahrt eine Warnmeldung beispielsweise in der Form „Bitte Gepäck ausladen oder Reifendruck erhöhen.“ Erhalten. An etwas ganz Ähnlichem arbeitet man bei Pirelli, und nach den Informationen des Newsdienstes Auto Channel will der italienische Hersteller einen mit einem Mikrochip ausgerüsteten „intelligenten“ Reifen bereits 2010 auf den Markt bringen. Offenbar wird es den sogenannten „Cyber Tyre“ in zwei Ausführungen – mit und ohne den Namenszusatz „Lean“ – geben, wobei die Variante mit wohl die einfachere sein dürfte.

Die soll dann auch als Erstes verfügbar sein, wobei der mit dem Innerliner verklebte Sensorchip nicht nur Parameter wie Reifendruck und Temperatur messen und per RFID (Radio Frequency Identification) an ein Steuergerät im Fahrzeug übermitteln könne, sondern zudem noch Informationen wie etwa zum Typ, Herstellungsdatum oder Fertigungswerk des Reifens speichern könne, heißt es. Auch diese Daten könnten dann per Funk aus dem Chip ausgelesen werden, der ohne Batterie auskommen soll, weil die zum Betrieb nötige Energie aus den unvermeidlichen Vibrationsbewegungen im Betrieb gewonnen wird. Als nächste Stufe wird laut Auto Channel dann der „Cyber Tyre” ohne den Zusatz „Lean” im Namen folgen, der dank eines in dem Chip integrierten dreiachsigen Beschleunigungsaufnehmers Informationen über den Fahrzustand des Autos an Sicherheitssysteme wie ESP oder ABS übermitteln könne.

Diese anspruchsvollere Variante des Chips, den Pirelli dann als integralen Bestandteil des Reifens in dessen Lauffläche einvulkanisieren will, werde zudem den Reibbeiwert der Fahrbahnoberfläche erkennen und so noch mehr zur Erhöhung der Fahrsicherheit beitragen können. Damit ginge das System weit über die Fähigkeiten heutiger Reifendruckkontrollanlagen hinaus, die hierzulande bislang meist nur in Fahrzeugen zu finden sind, die auf Notlaufreifen stehen. Denn dort sind sie ein Muss: Ohne sie würde so mancher Fahrer wahrscheinlich gar nicht bemerken, dass einer der Runflat-Reifen an seinem Fahrzeug durch einen Schadensfall unter Umständen komplett entlüftet wurde. Deshalb schreiben alle Reifenhersteller denn auch vor, dass ihre Notlaufreifen nur in Kombination mit einer Reifendrucküberwachung eingesetzt werden dürfen.

Aber natürlich spricht umgekehrt überhaupt nichts dagegen, ein Reifendruckkontrollsystem mit einem Standardreifen (also einem Reifen ohne Notlaufeigenschaften) zu kombinieren. Und da sich trotz des Vorreiters BMW, der bislang noch alle seine neuen Modelle serienmäßig auf Runflats ausliefert, der Absatzanteil von Notlaufreifen gemessen am gesamten deutschen Pkw-Reifenersatzmarkt noch relativ bescheiden – ein bis zwei Prozent bei Sommerreifen, rund vier Prozent bei Winterreifen – ausnimmt, ist der EU-Vorstoß, Reifendruckkontrollsysteme verbindlich vorzuschreiben möglicherweise der bessere Weg, als darauf zu warten, dass sie im Fahrwasser der Runflats von selbst eine höhere Marktdurchdringung erreichen. Zumal aus dem Markt zu hören ist, dass BMW bei zukünftigen Modellreihen möglicherweise wieder von der 100-Prozent-Ausrüstungsquote mit Notlaufreifen abrücken könnte.

Weiter genährt werden solche bis dato unbestätigten Gerüchte noch durch Äußerungen von Philippe Denimal, Forschungsdirektor am Michelin-Technologiezentrum Ladoux, gegenüber den Global Tire News. Dabei soll er nämlich die Meinung vertreten haben, dass Notlaufreifen auch in Zukunft nur ein Nischendasein auf dem globalen Reifenmarkt fristen werden. Diese Überzeugung resultiert offenbar aus Studien des französischen Reifenkonzerns, wonach weltweit nur rund drei Prozent aller Autofahrer Notlaufreifen an ihrem Fahrzeug nutzen wollen. Das würde bedeuten, dass zumindest in Deutschland das maximale Marktpotenzial von seitenwandverstärkten Notlaufreifen – stützringbasierte Systeme wie PAX (Michelin) oder CSR (Continental) sind heute schon eine Nische nur für besonders schwere und zugleich höchst komfortable Fahrzeuge (Rolls-Royce) oder gepanzerte Hochsicherheitsfahrzeuge – bereits annähernd ausgeschöpft ist.

Einer weiteren Verbreitung des Notlaufkonzeptes, das auf dickeren Seitenwänden basiert und unter Namen bzw. Akronymen wie RFT (Run Flat Technology), SST (Seft Supporting Tyre), EMT (Extended Mobility Technology), RunOnFlat, Eufori@ sowie dergleichen mehr im Markt bekannt ist, scheinen vor allem Abstriche hinsichtlich des Komforts, aber auch dessen höherer Preis im Vergleich zu Standardreifen im Weg zu stehen. Denn in Zeiten klammer Haushaltskassen und des allseits befürchteten wirtschaftlichen Abschwunges werden die Verbraucher aufgrund des mittlerweile ohnehin recht selten vorkommenden Plattfußes wohl immer eher in Versuchung geraten, beim anstehenden Ersatz der ursprünglichen Notlaufbereifung vielleicht doch lieber auf die kostengünstigere Variante in Form von Standardreifen zurückzugreifen.

Noch viel schwerer als das Preisargument dürfte allerdings der Komfortaspekt wiegen. Trotz aller Bemühungen ist es der Reifenindustrie bislang noch nicht gelungen, dass ihre RFT-, SST- oder auch RunOnFlat-Modelle diesbezüglich zu 100 Prozent mit konventionellen Reifen mithalten können. Zwar gibt es Ansätze, zugunsten eines höheren Komforts beispielsweise die Seitenwandverstärkung nicht gar so groß ausfallen zu lassen. Doch damit reduziert sich andererseits freilich die Pannenlaufstrecke, und selbst eine nur wenig dickere Seitenwand eines meist so bezeichneten „Soft-Runflat-Konzeptes“ ist immer noch stabiler als die eines gewöhnlichen Pneus. Wie groß die Abstriche hinsichtlich des Komforts auch immer sein mögen, die stärker ausgeführten Seitenwände bringen noch einen weiteren Nachteil mit sich: Sie sorgen so ganz nebenbei über die höhere beim Abrollen des Reifen durchzuwalkende Masse an Gummi – ein normaler Runflat ist laut Dr. Bernd Löwenhaupt, Direktor der Pkw-Reifenentwicklung bei der Goodyear Dunlop Tires GmbH, bis zu 20 Prozent schwerer als ein Standardreifen, ein von ihm so bezeichneter „Ultra-Low-Weight-RFT“ bringe immerhin noch drei Prozent mehr auf die Waage – für einen höheren Rollwiderstand. Heutige Runflats seien in Sachen Rollwiderstand zwar „besser als man denkt“, aber das diesbezügliche Plus im Vergleich zu einem Standardreifen ohne verstärkte Seitenwand beziffert Löwenhaupt dennoch mit einem Wert „zwischen drei und fünf Prozent“.

Damit beißt sich die Katze in den Schwanz, zumindest wenn wie derzeit das Thema Kohlendioxidemissionen/Kraftstoffverbrauch/Rollwiderstand ganz oben auf der Agenda der Automobilindustrie steht. Gleichwohl ist die Vision vom weniger pannenanfälligen Reifen so alt wie der Luftreifen selbst. Wenn es jedoch gerade die dem Reifen ausgehende Luft ist, die über einen ungeliebten Plattfuß zum zwangsweisen Stopp eines Fahrzeuges führt, warum also nicht gleich ganz auf die Luft im Reifen verzichten? Solche Bestrebungen sind ebenfalls im Gange. Im Herbst vergangenen Jahres ist Resilient Technologies LLC, die seit mehr als zwei Jahren an dem Non-Pneumatic Tire (NPT) arbeitet und entsprechende Testfahrzeuge bereits im Einsatz haben soll, ein Joint Venture mit dem US-Reifenhersteller Cooper eingegangen mit dem Ziel, völlig ohne Luft auskommende Reifen für das Militär zu entwickeln und zu produzieren.

Im Zuge dessen beschreitet man dabei völlig neue Wege abseits des traditionellen Rad-Reifen-Systems. Nicht nur dass eine neuartige Radkonstruktion erforderlich ist, der Reifen selbst ist nach dem Prinzip der Honigwabe aufgebaut und hat auch ein neuartiges Profildesign. Nach Aussagen Coopers ist der NPT auch noch fahrbar, selbst wenn ein Teil der Wabenstruktur zerstört ist. Der NPT sei leichter als herkömmliche auf dem Humvee (die militärische Version des Hummer) montierte Runflats, heißt es. Für seine Herstellung werde darüber hinaus nicht so viel Öl benötigt, und außerdem sei er voll runderneuerbar. Nachdem Cooper und Resilient Technologies weitere eigene Tests durchgeführt haben, wollen sie dem US-Militär erste Prototypen für die Montage auf dem Humvee zur Verfügung stellen. Gleichwohl gebe es bereits erste Überlegungen, die Technologie des Reifentyps NPT noch für andere Fahrzeugplattformen zur Verfügung zu stellen.

Etwas ganz Ähnliches hat auch Michelin unter dem Namen „Tweel“ in petto. Dieser luftlose Konzeptreifen, der bislang vor allem mit kompakten Kleinladergeräten bzw. Erdbewegungsfahrzeugen (sogenannte Skid-Steer-Lader) in Verbindung gebracht wird, könnte in leicht abgewandelter Form weitere Anwendungsbereiche erschließen. So entwickelt Michelin unter dem Projektnamen „Lunar Wheel” derzeit einen an das „Tweel”-Konzept erinnernden luftlosen Reifen, der auf der nächsten Generation von Mondlandefahrzeugen der US-amerikanischen NASA (National Aeronautics and Space Administration) Verwendung finden könnte. „Seit über 20 Jahren unterstützt Michelin die NASA als Partner mit Reifen für die Space Shuttles, und nun erweitern wir unser Engagement rund um die weitere Erkundung des Weltraumes“, so David Stafford, Chief Operating Officer der Michelin Americas Research Company.

„Dieses Projekt demonstriert die Fähigkeiten von Michelin, fortschrittliche Technologien für die anspruchsvollsten Kunden der Welt, zu denen auch die NASA zählt, zu entwickeln“, ergänzt er. Analog zu „Tweel“ besitzt das hinter dem „Lunar Wheel“ stehende Rad-Reifen-System eine Lauffläche aus einem in Zusammenarbeit mit der Universität Clemson sowie Milliken & Company entwickelten textilen Material und ist über speichenartige Elemente mit der Radnabe verbunden. Dadurch soll die Konstruktion einerseits besonders leicht sein, trotzdem aber mit einer hohen Tagfähigkeit aufwarten und sich zugleich Bodenunebenheiten besonders gut anpassen können. „Von dieser neuen Technologie wird aber nicht nur die nächste Mondmission profitieren. Sie könnte auch bei anderen Mobilitätsanwendungen zum Einsatz kommen, bei denen ein geringes Gewicht sowie ein niedriger Rollwiderstand im Vordergrund stehen“, meint Stafford.

Dass sich rund um das Thema Umweltfreundlichkeit im Zusammenhang mit Weiterentwicklung von Reifen nicht ausschließlich alles um den Rollwiderstand allein dreht, zeigt ein Projekt der zu Sumitomo Rubber Industries (SRI) gehörenden Dunlop Falken Tires Ltd.: Bereits auf der Tokyo Motor Show 2007 hatte man den „Enasafe 97“ vorgestellt und ihn im Juni vergangenen Jahres dann im japanischen Markt eingeführt, wobei dieser Reifentyp bei Bauteilen wie den Seitenwänden oder dem Innerliner völlig ohne synthetischen Kautschuk auskommt und statt dessen Naturkautschuke sowie pflanzliche Öle und neuartige Mischungsmethoden bei seiner Produktion zum Einsatz kommen. Die Ziffer „97“ symbolisiert, dass der Reifen zu wenigstens 97 Prozent nicht aus synthetischen Ölen besteht; die verbleibenden drei Prozent, die bislang nicht ersetzt werden konnten, sind beispielsweise in Alterungsschutzmitteln enthalten. Als nächstes Ziel hat sich SRI nun die Entwicklung eines Reifens gesetzt, bei dem völlig auf synthetische Öle verzichtet werden soll – 2013 will man diesen „ölfreien Reifen“ auf den Markt bringen.

All dies zeigt, dass noch viel Potenzial in dem Produkt steckt, das viele nur als schwarz, rund und aus Gummi gefertigt wahrnehmen. Man darf also gespannt sein, wohin die weitere Reise geht. Vieles spricht allerdings dafür, dass die Entwicklung eher evolutionsartig weitergehen wird. Das heißt: Wie gehabt sind auch in den kommenden Jahren „nur“ mehr oder weniger große Detailverbesserungen etwa hinsichtlich Rollwiderstand, Nassgrip, Abrieb etc. zu erwarten. Ein echter Technologiesprung hin etwa zu einem komplett anderen Rad-Reifen-System zeichnet sich – derzeit jedenfalls – noch nicht am Horizont ab, selbst wenn es mit NPT oder „Tweel“ bzw. „Lunar Wheel“ Ansätze in dieser Richtung geben mag. Ob sich so etwas letztendlich im Massenmarkt statt nur in einer Nische (siehe PAX oder Contis CTS) gegen den heutigen etablierten Standard würde durchsetzen können, steht ohnehin auf einem ganz anderen Blatt.

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