Eine Win-Win-Situation schaffen
Obwohl Günter F. Unterhauser mit Aufgaben für den Bridgestone-Konzern auf europäischer Ebene betraut ist, fungiert er weiterhin auch als Geschäftsführer der Bridgestone Deutschland GmbH und hat die Zügel fest in der Hand. In dem Bad Homburger Bürogebäude, in dem die von ihm geführte hiesige Vertriebsdependance des großen japanischen Konzerns residiert, hat er den Industrie- und den Handelsbereich „First Stop“ klar voneinander getrennt. Die erst 1999 gegründete „First Stop“-Gruppe wächst seit Jahren unaufhörlich und wird wohl noch in diesem Jahr auf mehr als 300 Betriebe angewachsen sein. Wobei es für Unterhauser keinen gravierenden Unterschied macht, ob damit das Partnerschaftskonzept, das sich vielleicht auch als „Soft Franchising“ charakterisieren lässt, gemeint ist oder Eigentum. Ursprünglich firmierten die eigenen Betriebe, deren Zahl mit der Übernahme von „Reifen Seher“ ganz in der Nähe der Bad Homburger Bridgestone-Zentrale auf 71 gewachsen ist, unter dem Namen „A3“ – dieser Ausdruck gehört der Vergangenheit an. Und ob deren Anzahl wächst, hat für Unterhauser keine Priorität: Wenn sich eine Übernahme rechne, werde man das machen; wenn nicht, dann eben nicht.
Aber er rät den Reifenhändlern, nach „Anlehnung“ zu suchen: Hatten diese vor anderthalb Jahrzehnten vielleicht noch fünf oder sechs Industriepartner und galt diese Zahl als ideal, so sind es aus Unterhausers Sicht heute ein bis zwei. Und das sollten die leistungsfähigen Reifenhersteller sein, zum Beispiel jene, die in der Runflat-Technologie führend sind. Einen „Exklusivstatus“ für Bridgestone erwartet er von freien Reifenhändlern, die sich (noch) nicht zu einer Partnerschaft unter First Stop durchringen mögen, nicht, aber der bevorzugte Partner des Handels sollte sein Unternehmen schon sein.
Ihm sind die eigenen Betriebe nicht wichtiger als die First-Stop-Partnerschaften, die seine Organisation mit derzeit rund 200 unabhängigen Reifenfachhändlern eingegangen ist. Was zählt, das ist das Netz und die möglichst dichte Abdeckung des deutschen Marktes. Da gibt es immer noch zu viele weiße Flächen, das für 2008 gesteckte Ziel lautet 400 Betriebe. Dass auch das nicht reichen dürfte, weiß auch Unterhauser, aber seine Mannschaft wird sich nicht überheben und wächst eher homogen und nicht sprunghaft. Dabei ist ein bedeutender Reifenhersteller in gewisser Weise „Getriebener des Marktes“, so erwarten Flottenbetreiber und Leasingunternehmen ein bundesweites Servicenetz. Will Bridgestone an diesem Markt partizipieren, muss für Präsenz gesorgt sein.
Immerhin: Das Vertriebsnetz unter First Stop firmierender Betriebe – auch die Seher-Läden wurden in rekordverdächtiger Zeit umgestellt – erscheint dermaßen dicht, dass Bridgestone bundesweite Fernsehwerbung betreiben wird, wenn die Winterreifensaison beginnt. Ob davon eigene Betriebe profitieren oder solche von Partnern, das spielt keine Rolle. Überdies ist Bridgestone mit seiner Haupt- und der Zweitmarke Firestone bei der größten Kooperation des Landes point S bekanntlich gut im Geschäft. Wer unter First Stop firmiert, hat zusätzlich einen Reifen gleichen Namens im Programm, der freilich nicht als „Billigreifen“ zu verstehen ist, sondern eher als Instrument, den First-Stop-Betrieben eine eigene Marke zur Verfügung zu stellen, die sich dem Wettbewerbsvergleich in lokalen Märkten entzieht. Eine „Billigmarke“, die auch für das Streckengeschäft kreiert worden war, hatte man auch einmal im Programm (das Produkt hieß „Europa“), wurde aber längst ersatzlos gestrichen. Auf der untersten Preisschiene habe ein Unternehmen wie Bridgestone mit Premiumansprüchen nichts verloren, ist Unterhausers Credo: „Das sollen irgendwelche Exoten machen.“
Dass Bridgestone im Markt nachgesagt wird, das First-Stop-Netz wachse geradezu wahllos und das Unternehmen wedele allzu leichtfertig mit dem Scheckbuch, provoziert bei Günter Unterhauser umgehend Widerspruch und er verweist darauf, dass man auch immer wieder Abgänge habe, weil Partner nicht die Qualitätsansprüche erfüllen, womit nicht nur das Erreichen von Absatzzielen (First-Stop-Partner sollen 40 Prozent Reifen aus dem Hause Bridgestone vermarkten, einige „schaffen“ bis zu 70 Prozent) gemeint ist, sondern auch Betriebe, die den Imageansprüchen nicht genügen: So wolle man keine Partner, die allzu preisaggressiv im Markt sind, glaube nicht an Betriebe, die sich aus den im Rahmen des Partnerschaftskonzeptes angebotenen Modulen nicht oder kaum bedienen und beispielsweise Autoservice sträflich vernachlässigen.
Wer wie Bridgestone zunehmend Erstausrüstungsakzeptanz bei den europäischen Automobilherstellern erfährt, der kann sich des Autohaus-Geschäftes nicht entziehen und Bridgestone tut das auch nicht. Unterhauser: „Die Automobilhersteller haben an ihre Zulieferer die Erwartungshaltung, dass diese auch die Entwicklung gemeinsamer Konzepte mittragen.“ Das könne man, der Erwartungshaltung werde man gerecht, aber: „Priorität hat für uns ganz eindeutig der Reifenfachhandel.“ Der Bridgestone-Chef weiß, dass der Erfolg in der Zusammenarbeit nicht nur (aber natürlich auch) auf nackten Zahlen basiert, die für Reifenhändler wie Industrieunternehmen „Win-Win-Situationen“ schaffen, sondern auch auf guten persönlichen Beziehungen. Und er hält nichts davon, dass sich Industrie und Handel argwöhnisch belauern, sondern wirbt um Vertrauen und betreibt – sein persönliches Engagement bei Formel-1-Events ist ein herausragendes Beispiel – erfolgreich „Beziehungsmanagement“.
Zurück zu den „sonstigen Distributionsschienen“: Nein, den Weg über Baumärkte und Tankstellen gehe man nicht, weil es da an Vermarktungsqualität mangele. Bei Fachmärkten ist Bridgestone derzeit praktisch auch nicht präsent, aber nicht weil man an deren Kompetenz zweifle, sondern weil der Preis nicht stimmt. Den Anteil des Internethandels am deutschen Ersatzmarkt schätzt Unterhauser auf gegenwärtig zwei bis drei Prozent und blickt nach Amerika, wo dieser Anteil bei etwa fünf bis sechs Prozenten ausgereizt scheint. Außerdem: Wer seine Reifen im Internet ordert ist der unsichere und immer um den günstigsten Preis feilschende Kantonist. Während sein Konzern um die bedeutenden internationalen Großhändler beispielsweise in den Niederlanden und Belgien einen Bogen macht, wird mit regional operierenden Großhändlern – zumal solchen, die ein eigenes Filialnetz haben – durchaus zusammengearbeitet. Günter Unterhauser: „Wir sind nicht weltfremd und wissen, dass wir uns den grenzüberschreitenden Warenströmen nicht völlig entziehen können, aber Partnerschaften mit lokalen Großhändlern sorgen dafür, dass das übersichtlich bleibt.“ Ein Beispiel mag die Situation in Norddeutschland sein, wo Gummi Grassau unter First Stop firmiert und der Grassau-Eigner Thomas Schmidt den Großhandel RS Exclusiv führt. Auch da sieht Günter F. Unterhauser für alle Beteiligten eine „Win-Win-Situation“, wobei hier sogar Groß- und Einzelhandel gleichermaßen profitieren und Bridgestone dank der Expansionspolitik Grassaus (und anderer Partner) die Abdeckung erreichen wird, die dem Premiumanbieter Bridgestone vorschweben.
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