Reifentests: Habe „nie behauptet, der ADAC würde manipulieren“
Ein vom WDR-Magazin „Servicezeit“ Anfang Februar ausgestrahlter Fernsehbeitrag dürfte nicht nur das Vertrauen in den ADAC ganz allgemein, sondern vor allem auch das in die von dem deutschen Automobilklub gemeinsam mit anderen europäischen Partnerklubs und Verbraucherschutzorganisationen durchgeführten Reifentests erschüttert haben. Denn wohl bei den meisten Zuschauern der Sendung wird der Eindruck haften geblieben sein, dabei gehe irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu. Mit beigetragen zu dieser Situation hat Jan Hennen, ehemaliger Michelin-Pressesprecher und jetzt offizieller Europarepräsentant des chinesischen Reifenherstellers Hangzhou ZhongCe, der die für die Sendung verantwortlichen Redakteure als „Insider“ mit Informationen rund um das Testprozedere versorgt hat. Gleichwohl legt er gegenüber dieser Fachzeitschrift Wert auf die Feststellung, er habe „nie behauptet, der ADAC würde manipulieren“, sondern eher das Gegenteil sei der Fall. Wie passt das zusammen?
Die Verunsicherung der Deutschen in Sachen ADAC im Allgemeinen bzw. in Bezug auf die Reifentests des Klubs im Besonderen spiegelt sich nicht zuletzt in aktuellen Umfrageergebnissen wider: So hat eine Befragung von 1.000 Bundesbürgern durch die Unternehmensberatung Q_Perior unlängst ergeben, dass 72 Prozent generell kein Vertrauen mehr in den Klub haben, und das Zwischenergebnis einer entsprechenden Onlineumfrage der NEUE REIFENZEITUNG mit Stand Anfang März zeigt, dass immerhin 65 Prozent der Teilnehmer die ADAC-Reifentests nicht mehr für glaubwürdig halten – nur 28 Prozent glauben nach wie vor an sie, und sieben Prozent haben rechte keine Meinung dazu. Und zumindest nach Hennens Auffassung hat die Mehrheit recht mit ihren Vorbehalten gegenüber dem ADAC-Reifentest.
„Ich sage jedem immer und überall, dass der ADAC-Test der aufwendigste und genaueste ist, nur die Begleitumstände führen zu den Verzerrungen“, hält Hennen allerdings grundsätzlich an seiner schon in der WDR-Sendung durchklingenden Kritik fest. Damit meint er die aus seiner Sicht bestehende Benachteiligung bestimmter Reifenhersteller bzw. -marken, weil diese gewissermaßen eben nicht so dicht am Testgeschehen mit dran sind wie die Großen/Etablierten. Als ein Beispiel dafür verweist er in diesem Zusammenhang auf den Zutritt zu den jeweiligen Testgeländen. Denn selbst wenn dies mitunter möglich sei, könnten davon ja nur diejenigen Gebrauch machen, die entsprechend informiert sind. „Mitarbeiter der Fabrikate, die ohne Wissen der Hersteller gekauft werden, sind nicht dabei. Auch die Eigentests der Industrie parallel zum ADAC in den testfreien Stunden auf der gleichen Strecke können nur wenige machen“, so seine Erfahrungen.
Gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG erklärt er im Detail auch, worin ein etwaiger Vorteil besteht, wenn man als Industrievertreter die eigenen Reifen auf der gleichen Strecke prüfen kann wie der ADAC. „Die Inuit unterscheiden Hunderte von Eis- und Schneesorten. Wenn ich dann in den testfreien Stunden mit mehreren Versionen meines eigenen Produktes zum Beispiel Traktion, Bremswege oder Kreisfahren auf genau dem Untergrund des ADAC in Ulrichen oder in einer Eishalle machen kann, weiß ich doch hinterher ganz genau, welche Mischung beim ADAC zu positiven Ergebnissen führen wird“, macht er für diejenigen Hersteller mit Zugang zu den entsprechenden Testgeländen einen klaren Vorsprung für zukünftige Tests aus – sofern die Schnee- bzw. Eissorten ein Jahr später dann tatsächlich wieder die gleichen wären wie bei der „Probe“ viele Monate zuvor.
„Man muss unterscheiden: Manipulationen beim Reifentest bzw. drum herum. Beim eigentlichen Testen mit Uhr und Computer glaube ich, dass alles korrekt gehandhabt wird. Bei den Randbedingungen gibt es aber Ungleichbehandlungen: Heimvorteil der Marken des Geländebesitzers, Liefermöglichkeit neuer, noch nicht am Markt befindlicher Produkte nur für wenige Anbieter, Wissensvorsprung über Testgrößen und Methoden für einige Hersteller, Feintuningmöglichkeit für wenige Hersteller etc. Diese Dinge erfüllen den Tatbestand ‚geht nicht alles mit rechten Dingen zu’ meiner Meinung nach eindeutig, auch wenn beim Messen alles okay ist“, ergänzt Hennen und hält den WDR-Beitrag insofern keinesfalls für übertrieben.
Dabei betont er, dass seine Kritik an dem ADAC-Reifentest „überhaupt nichts“ oder allenfalls „nur eingeschränkt“ mit seiner Tätigkeit für den Hersteller Hangzhou ZhongCe zu tun habe, selbst wenn das schlechte Abschneiden eines Winterreifens von dessen Marke Westlake im Jahre 2010 in dem „Servicezeit“-Beitrag gleich mehrmals als Beispiel für die vermeintliche systematische Benachteiligung derartiger „Underdogs“ herausgestellt wird. „Alle kleinen Marken, die anonym gekauft werden und von ihrer Teilnahme am Test erst von der Anbietervorinformation der Stiftung Warentest erfahren, müssen unter dieser Praxis leiden“, bekräftigt Hennen.
Dass seine Tätigkeit für Hangzhou ZhongCe/Westlake vom WDR in der Fernsehsendung mit keiner Silbe erwähnt wird, sondern stattdessen seine vorherige langjährige Verbundenheit mit Michelin, erklärt er sich einerseits mit der höheren Aufmerksamkeit für die französische Marke bzw. deren Wichtigkeit. Andererseits seien alle seine Erkenntnisse und Beobachtungen ja ohnehin während seiner Zeit als „Michelin-Mann“ entstanden. Nichtsdestoweniger wurmt es ihn fraglos, dass das Westlake-Modell im damaligen Test vom ADAC als „gefährlich“ bezeichnet wurde. „Ich kenne keine Unfälle mit diesen Reifen, und verboten hat sie nach diesem Urteil auch niemand“, argumentiert er.
„Wenn diese Leistungsunterschiede so gravierend sind, müssten nahezu alle Reifen der vorvorigen Generation verboten werden – der Abstand zu aktuellen Produkten ist ähnlich. Auch die Differenzen zwischen den Erstausrüstungsausführungen einiger Premiumhersteller gegen ihre Brüder aus dem Handelsbereich vor einigen Jahren in einem Magazintest würden dann dieses Prädikat rechtfertigen“, ergänzt er. Allerdings ist nicht zwangsläufig alles, was gefährlich ist, tatsächlich verboten und sollte wohl auch nicht generell verboten werden: Denn dann dürfte es deutschlandweit beispielsweise keine Zigaretten mehr zu kaufen geben, ist deren schädlicher Einfluss auf die Gesundheit doch allgemein anerkannt und nachgewiesen.
Wie dem auch sei: Die durch seine Stellungnahmen gegenüber dem WDR sowie auch der Süddeutschen Zeitung mit angestoßene Diskussion über die ADAC-Reifentests schadet nach Hennens Meinung der Reifenbranche nur dann, wenn die Testpraxis unverändert so weitergeht. „Werden die kritisierten Punkte abgestellt, können sich alle Verbraucher wieder auf die Ergebnisse verlassen“, meint er. Und wie er sich das Ganze zukünftig aussehen könnte, davon hat er bereits ganz konkrete Vorstellungen. Demnach sollten die Tests zuallererst auf neutralem Gelände durchgeführt werden. „Mit relativ wenig Aufwand könnte der ADAC eines seiner großen Fahrsicherheitszentren für Reifentests aufrüsten. Er wollte ja auch den Nürburgring kaufen, das wäre erheblich teurer“, so Hennen.
Außerdem regt er an, dass vorab keinerlei Information über die als Nächstes anstehenden Testdimensionen herausgegeben werden sowie bei den zu prüfenden Modellen auf anonym einkaufte, tatsächlich am Markt befindliche Reifenversionen zurückgegriffen wird. „Vielleicht wäre der Abstand zwischen einem ungetunten Testsieger und dem Westlake 2010 dann nicht so groß gewesen, und es hätte zum ‚Ausreichend’ gereicht“, glaubt er, ohne infrage zu stellen, dass Hersteller wie Continental oder Michelin „noch einen großen Vorsprung“ vor vielen neuen Marken haben. Doch dürfe dieser durch „Wettbewerbsvorteile“ in den Tests eben nicht noch vergrößert werden, meint er.
Um weitere „Wettbewerbsverzerrungen“ auszuschließen, wünscht er sich außerdem, dass entweder allen Unternehmen gestattet wird, gegebenenfalls noch nicht im Handel erhältliche Vorserienmodelle für Tests einzureichen, oder eben keinem. Denn seinen Worten zufolge habe der ADAC unlängst beispielsweise den für den nächsten Winterreifentest angebotenen Westlake „SW 608“ mit Geschwindigkeitsindex T abgelehnt, weil er zum Beschaffungszeitpunkt der Produkte im Herbst 2013 nur mit H-Index allgemein käuflich war. „Wenn ein ‚Alpin 5’ oder ähnliche neue Produkte im Test im September erscheinen, ist eine weitere Benachteiligung der kleineren Anbieter bewiesen“, sieht Hennen durch solche „eventuell willkürlichen“ Entscheidungen jedenfalls einmal mehr seine These untermauert, dass manche kleinen Reifenhersteller beim ADAC-Test benachteiligt würden. christian.marx@reifenpresse.de
Als Erfinder des Winterreifentests (erstmals 1967 durchgeführt, später vom ADAC übernommen) kann ich nur festhalten, dass ich die Test auf Firmengeländen wie sie der ADAC seit jeher auf dem Contidrom durchführt , für sehr problematisch halte.
Es ist meiner Initiative zu verdanken, dass später wenigstens auch bei Bridgestone in Rom getestet wurde. Auch die Winterprüfungen werden heute in der Schweiz vom ADAC auf einem Gelände abgehalten, dass dominant von der Conti genutzt wird.
Alles wäre leichter, wenn der ADAC auch bei Michelin testen würde, dann gäbe es aber andere Ergebnisse, weil die Nachteile bei Nässe für Michelin dort nicht auftreten ( habe das selbst festgestellt). Ich selbst kann auf Winterteststrecken auf privaten Strassen zurückgreifen, auf denen monatelang kein Sonnenlicht einfällt, prüfe aber für Clubs längst nicht mehr, weil ich die Verzerrungen nicht akzeptieren kann. Auch wenn es vielen nicht passt: Jan Hennen hat nicht unrecht, es weiss was Sache ist.