„Jeder Synergie-Arbeitslose fehlt Ihnen als Käufer von Reifen!“
Mit 77 Jahren hat er seine Ecken und Kanten, tiefe Furchen im Gesicht ohnehin. Dr. jur. Heiner Geißler, streitbar, Gast vieler Talkshows, nimmt alle sich bietenden Chancen wahr, den Deutschen mehr Nachdenklichkeit einzubläuen. Weil er als CDU-Generalsekretär genial zugespitzt zu diskutieren wusste, wurde er für den ehemaligen SPD-Chef, Bundeskanzler und Nobelpreisträger Willy Brandt Mitte der 80er Jahre in aufgeheizter politischer Fernsehdebatte zum „schlimmsten Hetzer seit Goebbels“. Freund des gleichaltrigen, peinlich genau auf den Mantel der Geschichte achtenden Altbundeskanzlers ist er schon längst nicht mehr. Dessen Ehrenwort-Gerede dürfte Geißler wohl als blanke Peinlichkeit für ehrbar und gerecht Denkende ansehen, unfähig diesen geltendem Recht und verfassungsrechtlicher Unabhängigkeit entgegenstehenden Schachzug noch goutieren zu können.
Fraglos ist Geißler als „politisches Urgestein“ zu führen. Der Niedersächsische Ministerpräsident Wulff bescheinigt seinem Parteifreund, politische Auseinandersetzungen auf hohem Niveau geführt zu haben, das man sich heute wieder herbeisehne.
Rhetorisch hochbegabt war Geißler stets und ist es geblieben. Noch klarer und kräftiger in seinen Aussagen ist er geworden, seit er keinerlei Rücksichten mehr auf ein breites Parteienspektrum zu nehmen hat. Er gehört der globalisierungskritischen Organisation Attac seit neuestem an wie der wegen seiner von Populismus durchzogenen Reden in weiten Teilen des Volkes als „Rattenfänger“ gesehene ehemalige SPD-Chef und heutige Co-Vorsitzender der Links-Partei, Oskar Lafontaine. Ist Geißler ein Linker? Jedenfalls ist er dem linken Flügel der CDU zurechenbar. Bis heute ist er kein Freund der Sozis geworden und auch die FDP-Kollegen liebt er nicht, aber eine Koalition mit den Liberalen und Neoliberalen kann er sich dennoch gut vorstellen. Es ist halt nicht alles Gold was glänzt und man kann nicht immer alles haben. Geißler beschrieb es in Dresden so: „Wenn ich meinen Hund liebe, muss ich dessen Flöhe nicht auch lieben.“
Und Geißler teilt aus. Er ist nicht gegen die Globalisierung per se, aber er vermisst eine Ordnung, die von einer national aufgestellten Politik einer global agierenden Wirtschaft nicht geschaffen werde. Geißler kritisiert eine aus seiner Sicht nahezu nur an kapitalistischen Interessen, also am Profit orientierte Globalisierung, die sich beschönigend als Wertschöpfung beschreiben lasse. Der Grund- oder Glaubenssatz, dass es den Menschen gut gehe, sofern es der Wirtschaft gut geht, sei ad absurdum geführt. Einem solchen System trauen heute, so von Geißler zitierte Quellen, 83 Prozent der Deutschen nicht mehr. Vom Brummen der Wirtschaft profitieren nach seinen Erkenntnissen Vorstände, eine Zeitlang auch die Aktionäre, aber immer zahlten die Mitarbeiter die Zeche. „Synergie-Arbeitslose“ fallen dem Sozialstaat zur Last. Nachdenkenswert jedenfalls Geißlers Behauptung: „Nur Narren und Lügner können uns weismachen wollen, dass die Ausgrenzung von Millionen von Menschen keinen Preis haben wird.“ Und Geißler befürchtet große politische Umwälzungen, wenn die Menschen dem Kapital und nicht das Kapital dem Menschen zu diesen haben.
In der Analyse mag man dem früheren Amtsrichter ja folgen, der eine sozial-ökonomische Politik für unverzichtbar hält, welche die Globalisierung ordnen und ihr ein menschliches Gesicht geben könne. Nur: Wie macht man das?
Dass die ethisch-moralischen Werte nicht mehr in Ordnung sein können, leuchtet bald noch dem letzten Erdenbewohner ein. Ein Kind kann in vielen Teilen der Welt mit einem Dollar pro Tag gerettet, versorgt und sogar ausgebildet werden. Die Deutschen geben im Durchschnitt das Doppelte und Dreifache für ihren Hund aus. Dass mit Herrn Ackermanns Jahreseinkommen mehr als 40.000 dieser Kinder ein ganzes Jahr versorgt werden könnten, muss man noch erwähnen dürfen, ohne als Linker gleich diffamiert zu werden. Und wenn man wenigstens noch zur Kenntnis nimmt, dass allein die Wall-Street-Banker im Jahr 2006 als Weihnachtsgratifikation satte 25 Milliarden US-Dollar einstreichen durften und damit eine Summe, die von der gesamten Welt auch nicht annähernd, angeblich wegen finanzieller Zwänge und finanzieller Engpässe, für das Not leidende Afrika aufgebracht werden kann, muss doch schon zwanghaft hinterfragt werden, was Ethik und Moral bedeuten.
Unter Bezug auf den Irak-Krieg fragte Geißler (vermutlich sieht er die Notwendigkeit, gegen diese Globalisierung einen Krieg führen zu müssen), ob ein Staat einen Krieg anfangen dürfe. Unter Berufung auf Cicero bejaht er die Frage, sofern es einen „gerechten Grund“ – die justa causa – gebe. Zweitens habe ein solcher stets das allerletzte Mittel – ultima ratio – zu bleiben. Liegen beide Bedingungen vor, ist die Philosophie – recto intensio –, also die gute Absicht, die zur Kriegsführung zwingt, unerlässlich. Und so führt Dr. Heiner Geißler so etwas wie einen Krieg gegen die ungezügelte Globalisierung. Als politische Lösung bzw. als erfolgreiche Philosophie setzt er auf einen an Ordnung orientierten Ordoliberalismus. Geißler setzt genial-einfach nur auf die einzig Erfolg versprechende Philosophie: die der sozialen Marktwirtschaft!
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