„Deutschland und Italien am meisten gefährdet“ – Neue Marktstudie prognostiziert Risiken

Seitdem die Corona-Pandemie vor gut zweieinhalb Jahren in Europa ausbrach, hat sich auch auf den hiesigen Reifenmärkten viel verändert, wie eine brandaktuelle Marktstudie von Astutus Research beleuchtet. So haben zuletzt gerade die Importe von Consumer-Reifen aus China an den ohnehin zunehmenden Importen der EU-27 plus Großbritannien ihren Anteil wieder erheblich gewinnen können. Außerdem hat Serbien Russland als viertgrößtes Ursprungslang für Consumer-Reifen abgelöst. Und dies Rolle Serbiens werde sich – so die Prognose von Astutus Research – angesichts von Werkseröffnungen dort künftig noch verstärken. Dabei könnten eventuell drohende Gasrationierungen in Europa die Bedeutung von Reifenimporten künftig noch einmal verstärken, prognostiziert die aktuelle Marktstudie weiter, die nun auch auf Reifenpresse.de unter dem Titel „Europe PCLT Tire Demand and Supply Forecasts to 2026“ erhältlich ist. Worum geht’s in der Studie genau?

Die neue Marktstudie mit den „Nachfrage- und Angebotsprognosen bis 2026“ sowie weitere aktuelle Research Reports von Astutus Research können Sie hier erhalten.

Seit März haben sich die kumulativen europäischen Consumer-Reifenimporte zum ersten Mal wieder erholt und liegen sogar über dem Niveau vor der Pandemie, wobei „europäisch“ hier die 27 EU-Staaten sowie Großbritannien umfasst. „Und dies trotz der gut dokumentierten Auswirkungen der stark gestiegenen Seefrachtkosten in diesem Zeitraum und der Produktionsunterbrechungen in einigen Herkunftsländern“, betont Astutus Research dazu gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG. Die neu veröffentlichte Marktstudie von Astutus Research unter dem Titel „European PCLT Tire Demand and Supply Forecasts to 2026“ zeigt dabei, dass in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 die europäischen Importe von außerhalb der Region um elf Prozent höher waren als im gleichen Zeitraum des Vorjahres und außerdem um fünf Prozent höher als im entsprechenden Zeitraum vor der Pandemie, also im Jahr 2019.

Die Reifenproduktion in China wurde derweil durch die strikte Null-Covid-Strategie der Regierung und verschiedene anhaltende Probleme in der Lieferkette beeinträchtigt. „Trotzdem hat der Anteil der Consumer-Reifen aus China an den Einfuhren aus Ländern außerhalb der EU zugenommen“ und lag zwischen Januar und Juli dieses Jahres bei fast 52 Prozent, gegenüber knapp 50 Prozent in den entsprechenden Monaten des Jahres 2021 und des letzten Jahres vor der Pandemie 2019, so Astutus Research weiter. Dieser Zeitraum fiel auch mit erhöhten Raten für die Containerseefracht zusammen, die sich proportional stärker auf die kostengünstigeren Reifen auswirkt. Das kann sich jetzt wieder ändern: „Es wird erwartet, dass die in letzter Zeit stark gesunkenen Kosten für die Schifffahrt die Wettbewerbsfähigkeit von Billigreifen erhöhen werden, ebenso wie die Haushaltsbudgets durch höhere Lebenshaltungskosten belastet werden, was diese Reifen für die Verbraucher attraktiver macht.“

Ein weiteres wichtiges Thema der aktuellen Astutus-Research-Marktstudie: Serbien hat Russland dieses Jahr als viertgrößtes Ursprungsland der EU-27 und Großbritannien für Consumer-Reifenimporte abgelöst und machte zwischen Januar und Juli 6,5 Prozent der Importe aus. Das Michelin-Werk in Serbien war früher ein wichtiger Lieferant für Russland und werde nach dem Wegfall dieses Handels Astutus Research zufolge versuchen, „seine Produktion auf andere Märkte, möglicherweise auch die EU, umzuleiten. Außerdem haben sowohl Linglong als auch Toyo vor Kurzem die Produktion in ihren neuen Werken in Serbien aufgenommen, die die Lieferungen aus Asien (China und Thailand für Linglong und Malaysia und Japan für Toyo) ersetzen werden.“

Auf Reifen aus russischer Produktion entfielen in der ersten Hälfte des Jahres 2022 über 6,3 Prozent der Consumer-Reifenimporte der EU-27 plus Großbritannien, was demnach über fünf Millionen Reifen entspricht. Die EU hat Reifenlieferungen aus Russland mit Wirkung vom 10. Juli verboten. „Der Aufbau von Lagerbeständen im Vorfeld dieser Frist – hauptsächlich durch Nokian Tyres – führte dazu, dass Russland im Juni fast zehn Prozent der Importe ausmachte“, erläutert Astutus Research.

Trotz der Maßnahmen der multinationalen Reifenhersteller nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ging die Consumer-Reifenproduktion in Russland in der ersten Jahreshälfte 2022 nur um acht Prozent zurück. Im Juli und August ging die Produktion jedoch um fast 40 Prozent zurück; eine Reaktion auf die Sanktionspakete der EU. „Durch den Ausschluss von seinem wichtigsten Exportmarkt und die geringere Inlandsnachfrage wird die Reifenproduktion nach Prognosen von Astutus Research auch für den Rest des Jahres 2022 und bis 2023 gedämpft bleiben“, prognostizieren die britischen Analyseexperten.

Obwohl in Summe ein deutlich kleinerer Lieferant, haben die Consumer-Reifenimporte aus Indien die größten relativen Zuwächse zu verzeichnen: Sie stiegen von 0,6 Prozent im Jahr 2019 auf 1,8 Prozent im Jahr 2021. Während das indische Unternehmen Apollo Tyres seit der Übernahme von Vredestein in Europa gut etabliert ist und seine Wettbewerbsposition durch die Verlagerung der Lieferungen in sein neues Werk in Ungarn deutlich gestärkt hat, ergänzt es diese Produktion bekanntlich durch Importe aus Indien. Astutus Research ergänzt: „Außerdem haben die indischen Hersteller Ceat und JK Tyre deutlich gemacht, dass sie eine stärkere Präsenz in Europa anstreben.“ Astutus Research rechnet daher mit einem weiteren Anstieg der Importe in den kommenden Jahren.

Für die Consumer-Reifenhersteller mit Werken in Europa besteht ein Hauptrisiko im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 „in einer möglichen Störung der Energieversorgung“, heißt es dazu weiter. „Insbesondere besteht die Möglichkeit, dass infolge der Unterbrechung der Lieferungen aus Russland Gas für industrielle Nutzer rationiert wird. Ein solches Szenario ist wahrscheinlicher, wenn es zu einem Kälteeinbruch kommt.“ Unter den reifenproduzierenden Ländern seien dabei „Deutschland und Italien am meisten gefährdet, aber auch andere Länder könnten direkt oder indirekt betroffen sein“. Und während die führenden Hersteller darauf setzen, Consumer-Reifen „lokal für lokal“ zu liefern, könnte eine erhebliche Unterbrechung der Reifenproduktion in Europa dazu führen, dass zusätzliche Reifen aus deren Werken in anderen Regionen importiert werden müssen. arno.borchers@reifenpresse.de

 

 

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