Kommentar: Amazon und die Reifenschrauber

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Der Konzentrationsprozess im Handel ist 2018 beschleunigt vorangekommen, kein Ende in Sicht. Verkäufer reden nie vom Kasse machen, wohl aber von der abgefallenen Zentnerlast, nachdem man die treue Belegschaft ganz sicher unter das Dach eines Hauses mit großer Zukunft manövriert hat. Jobs gesichert, alles gut.

Doch die Verkaufsmotive sind vielschichtiger. Nachfolgeprobleme lassen sich durch Verkauf prima regeln. Möglicherweise hat man es doch noch vor oder trotz sich abzeichnender Pleite unter ein rettendes Dach geschafft. Verkaufslust wird auch gefördert, wenn man unsicher ist, den von der Digitalisierung ausgehenden umwälzenden Veränderungen erfolgreich begegnen zu können, und man jetzt noch einen mehr als befriedigenden Preis für das erfolgreiche Handelsgeschäft erzielen und fortan Stress abbauen kann. Warum jetzt noch einmal in ein Unternehmen im Reifenmarkt spürbar investieren, wenn der zu erwartende „Return“ zu ungewiss und außerdem zu mager sein könnte? Welches Verkaufsmotiv auch vorgelegen haben mag, es trifft sowieso immer die Belegschaft. Landung im sicheren Hafen bleibt meist ein Wunsch. Oft man findet sich in Stürmen auf hoher See wieder. Da, wo nicht allein Container über Bord segeln.

Der große Nimmersatt mit dicker Brieftasche auf Käuferseite – die von einer US-Beteiligungsgesellschaft finanzierte EFTD (European Fintyre Distribution) – steht vor riesigen Aufgaben. Mit Abstimmung der Marken und dem Produktportfolio sowie dem Überführen und Optimieren hastig links und rechts zusammengekaufter Firmen und Läger in ein modernes Logistiksystem sowie der Erarbeitung wie Etablierung eines auf die neuen Gegebenheiten passenden Warenwirtschaftssystems ist der aus dem Boden gestampfte Großhändler auf Jahre hinaus mit einer wirklichen Herkulesaufgabe mächtig beschäftigt. Ausgang ungewiss.

Besonders kitzlig dürfte sich der Kulturwechsel vom Familienunternehmen zum noch sehr jungen Konzernunternehmen, dessen Kultur niemand kennt, gestalten. Bei EFTD wird das Problem nach eigenen Angaben durch „Führungstransfusion“ angegangen. Das heißt klar und einfach: Die gefeuerten Damen und Herren aus Führungsmannschaft und mittlerem Management haben damit den „sicheren Hafen“ verpasst. Dafür ist die Konzernzentrale, von wo aus Zentralaufgaben wie Einkauf, Finanzen, Personal, Compliance übernommen worden sind, in der europäischen Finanzmetropole London. Sonstige EFTD-Aktivitäten in Großbritannien? Keine!

Von Private Equity getriebene Unternehmungen haben in der Reifenbranche bisher keine Goldspuren hinterlassen. ATU oder Kwik-Fit waren dynamisch und erfolgreich; mit ihrem Einlaufen in den ersehnten sicheren Hafen wurden sie ein Schatten ihrer selbst. ATU hat viel Geld verbrannt, war „pleite“ oder so gut wie. Die Besitzverhältnisse wechselten gleich mehrfach. Es wechselte auch die Strategie: von der Vorwärts- in die Überlebensstrategie.

Gebilde dieser Art haben enorme Schwächen. Sie reden von „Kultur“, ohne im Ansatz wenigstens anzudeuten, wie es um eine Konzernkultur bestellt ist mit einer aus allen Ecken und Ländern zusammengewürfelten Führungsmannschaft. Aus welchem „Gesangbuch“ singen denn die nationalen Führungskräfte? Welche Werte vertreten sie? Insbesondere in einer hektischen Aufkaufphase ist Führung unverzichtbar. Ohne eine Führungsfigur mit herausragenden Fähigkeiten, auch und besonders charakterlicher Art, bleibt es wahnsinnig schwer. Wer jahrelang für ein Unternehmen tätigen Mitarbeitern den Laufpass gibt und dies dann als eine Art „Transfusion“ beschreibt, löst vielleicht vorhandene Probleme, schafft sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dafür aber neue an den Hals.

Größe allein ist kein Erfolgsgarant, der Einfluss bleibt limitiert, sieht man von ein paar wenigen Händlern in Spezialbereichen ab. Wer hat schon seine stets vorrangig nach Preisen schielende Kundschaft so im Griff, sich auf Kraftproben mit den größten vier Reifenherstellern einlassen zu können? Übrigens: Bisher haben noch alle großen Handelsketten, ob frei oder herstellerabhängig, wiederkehrend desaströse Jahre erlebt und erlitten.

Der lokale Reifenhandel hat auch in Zukunft noch gute Chancen. Wer daher davon redet, beständig im Handel sei allein der Wandel, wird sich selbst ändern und anpassen müssen; Jammerei kann nicht die Antwort auf Veränderungsdruck sein. Online sind immer mehr Verbraucher unterwegs, sodass diese Klientel rund um die Uhr auf der Händlerwebsite auf Antworten bezüglich Lieferzeit, Preis, Montagetermin sowie sonstiger Alternativen erwartet. Eine Kombination aus online und Servicestation schafft so etwas wie einen „Amazon-Reifendienst“, der den Kaufvorgang insgesamt bequem und mit Garantie in einem Zug vom Anfang bis zum Ende ermöglicht. Und sobald alles perfekt abgewickelt ist, geht es eben noch zur Kasse.

Es gibt keinen Grund, auf den „Reifenschrauber“ scheel herabzusehen. Ohne ihn funktioniert Reifenvermarktung nun mal nicht. Onlinevermarkter von Reifen brauchen Serviceleister, Reifenschrauber. Umgekehrt gilt das nicht. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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