Bis (fast) zur letzten Rille: Michelin will an 1,6-mm-Profillimit festhalten
Während sich Teile der Branche für eine höhere Mindestprofiltiefe von Winterreifen als die in Deutschland gesetzlichen 1,6 Millimeter starkmachen und andere Reifenhersteller oder auch Prüforganisationen wie die Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) empfehlen, für die kalte Jahreszeit gedachte Reifen wegen nachlassender Wintereigenschaften bei weniger als vier Millimetern Restprofil zu ersetzen, vertritt Michelin einen davon abweichenden Standpunkt. Und das nicht nur bei Winter-, sondern auch mit Blick auf Sommerreifen, wo es ebenso Initiativen gibt, sie spätestens bei drei Millimetern Profitiefe zu ersetzen, um darüber für ausreichend Sicherheitsreserven bei nasser Fahrbahn zu sorgen. Und hatte der französische Hersteller diesbezüglich unlängst schon bei der Paris Motorshow die Auffassung vertreten, die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen 1,6 Millimeter genügten sowohl für Sommer- als auch Winterreifen völlig bzw. „passen perfekt zu den Herausforderungen moderner Mobilität“, legt der Konzern jetzt noch einmal nach.
Im Nachgang zu einer aktiven Teilnahme an der 22. UN-Klimakonferenz in Marokko stellt Michelin jetzt nämlich seine Strategie „Long Lasting Performance“ vor, die als Maßnahme zum Schutz der Umwelt gesehen wird. Wie es heißt, geht es bei ihr im Kern darum, die Leistungen und Eigenschaften der Reifen bis zur gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern „auf hohem Niveau“ zu halten. Dafür müssten künftig Reifen nicht nur im Neuzustand, sondern auch an der Nutzungsgrenze getestet werden, fordern die Franzosen. Bedenken hinsichtlich eines Einsatzes bis zur gesetzlichen Verschleißgrenze haben sie ganz augenscheinlich nicht, wird doch betont, Michelin-Reifen seien so konzipiert, dass sie „lange halten und bis zur Abnutzungsgrenze sicher genutzt werden können“.
Zwar würde sich das Unternehmen ebenso wie die gesamte Reifenindustrie mittlerweile bemühen, den Rollwiderstand seiner Produkte zu reduzieren, um darüber den Kraftstoffverbrauch und damit die Kohlendioxidemissionen zu verringern und gleichzeitig sowohl die Haftung des Reifens auf nasser Straße als auch seine Laufleistung zu verbessern. Doch indem man die Vorteile moderner Qualitätsreifen nutzt und diese bis zur minimalen gesetzlichen Laufflächenabnutzungsgrenze von 1,6 Millimetern verwendet, soll das Konzept „Long Lasting Performance“ nun noch einen zusätzlichen Beitrag liefern, um Kosten zu sparen und Kohlendioxidemissionen zu reduzieren. Zumal Michelin unter Berufung auf Ergebnisse eigener Simulationen spricht davon, dass durch „verfrühte Reifenwechsel in Europa“ jährlich 900 Millionen Liter Kraftstoff verschwendet würden.
Dies entspräche zusätzlichen jährlichen Kohlendioxidemissionen in Höhe von drei Millionen Tonnen bzw. komme in etwa dem Kohlendioxidausstoß einer Stadt in der Größenordnung von Frankfurt gleich, rechnet der Reifenhersteller vor. „Zählt man den Materialverlust bei einem zu früh entsorgten Reifenmantel hinzu, verdreifacht sich dieser Wert auf bis zu neun Millionen Tonnen Kohlendioxid“, so Michelin weiter. Doch der Konzern argumentiert darüber hinaus noch mit einer Kostenersparnis für die Kunden. Denn bei einem vorzeitigen Wechsel vor dem Erreichen der gesetzlichen Mindestprofiltiefe müssten die Reifen ja „öfter als nötig“ getauscht werden. Alldem will man mit der „Long-Lasting-Performance“-Strategie entgegenwirken.
Sie baue auf einer entsprechenden Leistungsfähigkeit der Michelin-Produkte auf, sei insofern Teil der Lösung bzw. trage konkret zur Reduzierung des Rohstoff- und Energieverbrauches sowie – in der Konsequenz – der Emissionen bei. Insofern kündigt der Reifenhersteller an, diesbezüglich die eigenen Anstrengungen in seinem Forschungszentrum Ladoux in Frankreich noch zu verstärken. „Die Innovationspotenziale beim Reifen sind längst noch nicht ausgeschöpft“, ist man aufseiten des Konzerns überzeugt. Die Klimaziele verlangten aber ein Umdenken nicht nur bei den Reifenproduzenten, sondern auch bei den Autofahrern: In Deutschland wie in vielen anderen Ländern würden noch viel zu viele Reifen zum Schaden der Umwelt und der Gesellschaft deutlich zu früh entsorgt.
Vor diesem Hintergrund sollten nach Meinung der Franzosen Reifen nicht nur im Neuzustand geprüft werden, sondern zusätzlich noch deren Leistungsfähigkeit über die gesamte Lebensdauer hinweg unter die Lupe genommen werden. Dann könnten Autofahrer sie mit gutem Gewissen bis zur gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern fahren. Dies sei entscheidend, um dem Verbraucher das Vertrauen zu geben, sowohl das ganze Potenzial seines Reifens zu nutzen als auch damit selbst einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. „Michelin glaubt an die Zukunft der Mobilität und lehnt es deshalb ab, sicheres Fahren und Umwelt als Gegensätze zu betrachten“, sagt Thierry Chiche, President Passenger Car and Light Truck Tires Worldwide. „Michelin hat sich für beides entschieden“, ergänzt er. cm
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