Deutscher Ganzjahresreifenmarkt in Bewegung: Goodyear mit Abstand vorn, Verfolgerfeld rückt auf
Der deutsche Ganzjahresreifenmarkt gehört seit Jahren zu den am stärksten wachsenden Teilmärkten. Auch wenn es schwer ist, an konkrete Zahlen zu kommen, steht doch wohl eines fest: Das Marktvolumen in Deutschland liegt aktuell bei 5,9 bis sechs Millionen Reifen (Ersatzmarkt) – was mehr als 13 Prozent entspricht – und hat sich folglich seit 2011 verdreifacht. Gleichzeitig wird dem Markt auch in Zukunft ein kontinuierliches Wachstum im zweistelligen Bereich zugetraut. Während der Markt in Deutschland zuletzt stark von der Michelin-Kampagne zur Vermarktung des CrossClimate profitieren konnte, ist eine Sättigungsgrenze weiterhin nicht in Sicht. Verschiebungen gibt es unterdessen in den Marktanteilen der verschiedenen Hersteller, wie die NEUE REIFENZEITUNG in Gesprächen mit mehreren Herstellern recherchierte.
Dieser Beitrag ist in der September-Ausgabe der NEUE REIFENZEITUNG erschienen, die Abonnenten hier auch als E-Paper lesen können. Sie sind noch kein Abonnent? Das können Sie hier ändern.
Der Ganzjahresreifenmarkt ist und bleibt ein Markt, der ganz deutlich durch Goodyear und dessen Vector-Reifen dominiert wird. Der aktuelle Vector 4Seasons Gen-2 trägt dabei das Erbe von mittlerweile 36 Jahren Ganzjahresreifenerfahrung in sich und gilt zurecht als der Stammhalter des gesamten Marktes. Seit der Einführung des ersten Goodyear-Ganzjahresreifens 1980 – der Reifen nannte sich noch Allweather, erst sein Nachfolger 1985 trug erstmals den Namen Vector – sind dem Beispiel viele andere Hersteller gefolgt. Man kann heute feststellen: Mit Ausnahme von Continental führt jede namhafte Reifenmarke einen mehr oder weniger stark vermarkteten (Ersatzmarkt-)Ganzjahresreifen im Sortiment. Selbst Bridgestone hat einen, auch wenn der A001 Weather Control in der Vermarktung nicht entsprechend forciert wird. Auch wenn Beobachter in der Gerüchteküche bereits von einem neuen Continental-Ganzjahresreifen gehört haben wollen, dementiert der Hersteller gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG mit klaren Worten: „Wir haben derzeit keine Pläne, einen Ganzjahresreifen auf den Markt zu bringen.“
Die „Nachfahren“ des Goodyear Allweather von 1980 sind dennoch mittlerweile so vielfältig, dass dem Markt und dessen Beobachter mitunter etwas der Überblick abhanden kommt. Da Ganzjahresreifen bisher in den ETRMA- oder den BRV-Statistiken zu den Sell-in- bzw. Sell-out-Zahlen als Sommerreifen erfasst wurden bzw. werden, sind konkrete Zahlen zum Marktvolumen und folglich zu dessen Wachstumsraten so vielfältig wie die Produkte des Segmentes. Ganzjahresreifen sind nun einmal de jure Winterreifen. Ein Reifen, der als Ganzjahresreifen klassifiziert wird, trägt wenigstens die M+S-Kennung, weist aber mitunter sogar auch eine testgeprüfte Wintertauglichkeit anhand des Schneeflockensymbols (3PMSF) nach. Solche Reifen bestehen vor der deutschen Straßenverkehrsordnung und ihrer situativen Winterreifenpflicht. Dennoch laufen die Alleskönner statistisch bei den Sell-in-Zahlen des europäischen Herstellerverbands ETRMA seit jeher in der Kategorie der Sommerreifen mit. Ob sich die statistische Zuordnung von Ganzjahresreifen in den sogenannten Europool-Zahlen alsbald ändern wird, bleibt zwar wünschenswert, so viele Beobachter, eine Entscheidung darüber stehe aber noch aus. Es werde aber wenigstens auf europäischer Herstellerebene darüber diskutiert, heißt es. Bereits dieses Jahr hat der WdK begonnen, die Reifen in seinen Sell-out-Statistiken separat aufzuführen, was eine genauere Betrachtung des Marktes für Hersteller und Händler deutlich erleichtert.
Die Vielfältigkeit im Markt spiegelt sich aber auch auf der Ebene der Produkte wider. Welche Reifen müsste man dann demnach formell als Ganzjahresreifen einsortieren? Es kommen bekanntermaßen jedes Jahr Millionen von Reifen aus Fernost nach Europa und folglich auch nach Deutschland, die zwar erwiesenermaßen mit null Wintereigenschaften ausgestattet sind, aber dennoch sehr wohl eine M+S-Markierung tragen. Was in den USA durchaus akzeptiert und auch gewünscht ist, lässt Beobachter im technisch durchgenormten Europa immer wieder mit großem Stirnrunzeln zurück. Es kommen dennoch Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen solcher Reifen auch auf den hiesigen Markt, sodass in den vergangenen Wochen ein Gesprächspartner der NEUE REIFENZEITUNG sogar von einem möglichen Marktvolumen von 15 bis 17 Millionen Ganzjahresreifen sprach – allein in Deutschland. Eine solche Zahl scheint indes dermaßen deutlich zu hoch zu liegen, dass die meisten anderen Gesprächspartner sie nicht einmal ansatzweise als nahe der Realität ansehen wollten. Es ist indes anerkannt, dass das Volumen des Marktes in Deutschland aktuell auf 5,9 bis sechs Millionen Reifen eingeschätzt wird; das bestätigten alle Hersteller und Verbände, mit denen sich diese Zeitschrift für diesen Beitrag ausgetauscht hatte.
Etwas anderes, das ebenfalls von allen bestätigt wird: Goodyear ist klarer Marktführer in diesem Segment. Im Mittel ergab die Umfrage der NEUE REIFENZEITUNG bei mehreren Marktteilnehmern, dass der Reifenhersteller hierzulande rund jeden dritten Ganzjahresreifen liefert. Neben einem Marktanteil von 30 Prozent hat der Konzern mit Deutschlandsitz in Hanau außerdem rund 70 OE-Freigaben mit seinen vermeintlichen Alleskönnern und liegt auch damit vorn. Man nimmt mittlerweile an, dass sieben Prozent der Pkw-Erstzulassungen in Deutschland auf Ganzjahresreifen ausgeliefert werden; Tendenz steigend. Das Podium der drei größten Hersteller von Ganzjahresreifen in Deutschland wird außerdem – auch von niemandem bestritten – durch Vredestein mit 15 und Hankook mit elf Prozent Marktanteil vervollständigt. Die beiden Verfolger haben den Markt bereits vor Jahren gezielt ins Visier genommen und decken gemeinsam mit Markführer Goodyear weit über 50 Prozent des Marktes ab. Betrachtet man hingegen das Feld der Verfolger, so wird der Markt sehr unübersichtlich. Nummer vier und Nummer fünf im Markt sind dabei Continental (vorwiegend mit Uniroyal, auch Barum und Matador) mit acht Prozent und Michelin mit sieben Prozent.
Es ist dabei gerade der französische Hersteller, der seit Anfang 2014 – als der neue Michelin CrossClimate als Sommerreifen mit Wintereigenschaften eingeführt wurde – dem Markt durchaus deutlich seinen Stempel aufgedrückt hat. War der Hersteller bis dahin ausschließlich mit seinen Zweitmarken (etwa BFGoodrich und Kleber) im Markt vertreten, so hat die von uns als „französische Revolution“ betitelte Richtungsänderung bei Michelin zu deutlichen Verschiebungen im Markt geführt. Nicht nur habe der Michelin-Konzern seither durch eine Marketingkampagne, die ihresgleichen sucht und für die das Unternehmen Beträge im deutlich zweistelligen Millionenbereich investiert haben soll, ordentlich Marktanteile hinzugewonnen. Auch – und das bestätigen selbst die Wettbewerber – habe das Michelin-Engagement den Ganzjahresreifenherstellern insgesamt noch einmal Rückenwind gegeben. Man spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten Category-Effekt. Mit anderen Worten: Einer wirbt für ein Produkt einer bestimmten Produktkategorie und alle anderen Hersteller eines ähnlichen Produktes können davon (ebenfalls) profitieren.
Auch wenn keine genauen Absatzzahlen für Deutschland bekannt sind, so lässt sich doch immerhin eine Zahl für ganz Europa nennen: 2,5 Millionen Reifen. So viele CrossClimate-Ganzjahresreifen will Michelin eigenen Aussagen zufolge bis Mai dieses Jahres europaweit verkauft haben und damit 33 Prozent über den eigenen Absatzzielen liegen. Da das Produkt eh nur in ganz bestimmten Regionen Europas entsprechend forciert wird, steht Deutschland hier wohl an erster Stelle der Absatzbemühungen der Franzosen. Überlicherweise nimmt man aktuell an, dass der deutsche Ganzjahresreifenmarkt zwischen 60 bis 70 Prozent des europäischen Ganzjahresreifenmarktes ausmacht. Ob Michelin dementsprechend aber auch 1,5 der 2,5 Millionen CrossClimate-Reifen in Deutschland abgesetzt hat – im Sell-in, wohlgemerkt –, wird von vielen Beobachtern als deutlich zu hoch eingeschätzt, obwohl einige hierzulande Michelin schon einen knapp siebenstelligen Absatz zutrauen.
Nach der Gruppe der fünf großen und den Markt weitestgehend dominierenden Herstellern Goodyear, Vredestein, Hankook, Continental und Michelin kommt eine weitere Fünfergruppe, wobei die „sonstigen“ mit zehn Prozent daran den größten Anteil haben. Herauszuheben sind hier wohl vor allem Falken und Nexen. Beide Hersteller haben sich in den vergangenen Jahren sehr um das Segment der Ganzjahresreifen bemüht und haben hier – wie auch Nokian – zuletzt gute und vor allem gut getestete neue Reifen auf den Markt gebracht. Es seien dabei vor allem diese Hersteller an der Basis des deutschen Ganzjahresreifenmarktes, die in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt an Bedeutung hinzugewinnen konnten.
Eines der wichtigsten Verkaufsargumente für Ganzjahresreifen war und ist das der Kostenersparnis. Auch wenn es – wie etwa auch der BRV immer wieder moniert – keine verlässlichen Zahlen zur vernünftigen Einschätzung der Kosten von Ganzjahresreifen gegenüber dem Wechsel von Sommer- auf Winterreifen und von Winter- auf Sommerreifen gibt, so sind die Kosten dennoch eines der Argumente, dem Endverbraucher offenbar gerne verfallen: Ein Satz Reifen, ein Satz Räder, ein Satz RDKS-Sensoren, kein Einlagern und vor allem kein als lästig empfundenes zweimal im Jahr stattfindendes Reifenwechseln mehr. Der gesamte Markt erinnert sich vermutlich an die umfassende Euromaster-Kampagne von vor einem Jahr, mit der der Michelin CrossClimate entsprechend als Sparwunder beworben wurde; Endverbraucher sollten über zwei Jahre hinweg bis zu 330 Euro sparen können.
Ganzjahresreifenfahrer wollen also beim Reifen sparen (ohne freilich bei der Sicherheit bewusst Abstriche zu wünschen), folglich sind es gerade über ihr Preis-Leistungs-Verhältnis angepriesenen Fabrikate, die auf dem Ganzjahresreifenmarkt immer mehr in den Blick der Konsumenten geraten, so die allgemeine Wahrnehmung. Es zeigt sich im Übrigen mit Blick auf Continental, Michelin und Bridgestone auch, dass das Zweitmarkenkonzept bei Ganzjahresreifen zumindest nicht ganz für Marktanteile reicht, die die Premiumhersteller mit ihren Erstmarken im Markt machen. Während Continental noch vergleichsweise stark erscheint und Michelin seit der Einführung des CrossClimate stark aufkommend ist, hängt Bridgestone kläglich hinterher. Und trotz des klaren Dementis aus Hannover würde es niemanden aus dem Markt wundern, würde Continental demnächst einen eigenen Ganzjahresreifen auf den Markt bringen (eigentlich gibt es ihn schon, allerdings über die Erstausrüstung bei Volkswagen als Continental ContiContact TS815 vertrieben) und ihn entsprechend vermarkten würde. arno.borchers@reifenpresse.de
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