Wieder Kritik am ADAC-Reifentest – Foulspiel ohne Ball
Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Stiftung Warentest das Ergebnis ihrer stichprobenhaften Überprüfung des aktuellen ADAC-Sommerreifentests bekannt gegeben und Entwarnung hinsichtlich etwaiger Manipulationen von dessen Resultaten gegeben hat, da erhebt der Fernsehsender WDR in seinem Magazin „Servicezeit“ schon weitere Anschuldigungen in Richtung des Klubs bzw. der Reifenindustrie. Als Kronzeuge kommt diesmal vor allem der ehemalige ÖAMTC-Mitarbeiter Willy Matzke zu Wort, und beim Großteil der Zuschauer dürfte sich basierend darum wiederum der Eindruck festgesetzt haben, ADAC-Tests seien doch ziemlich unglaubwürdig, weil nicht unabhängig von der Industrielobby bzw. von dieser mit Duldung des ADAC manipuliert. Dabei wirft die am 31. März ausgestrahlte „Servicezeit“-Sendung mindestens genau so viele Fragen auf wie schon der erste Beitrag zu diesem Thema, der in der Folge für ein breites Medienecho und große Verunsicherung aufseiten der Verbraucher gesorgt hat.
Aber was sind nun die aktuellen bzw. neuen Vorwürfe, die der WDR bzw. dessen als „Insider“ beschriebener Informant Matzke erheben? Der Österreicher, der lange Jahre in Diensten des ADAC-Partnerklubs ÖAMTC (Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touringclub) stand, sich selbst als „Erfinder“ der Winterreifentests der Automobilklubs sieht und in der Sendung als „Institution in der Reifenbranche“ in Sachen Entwicklung und Test tituliert wird, spricht unter anderem davon, dass bei den Tests Reifen ausgetauscht werden. Es sei nicht nur einmal und nicht nur bei einem Hersteller vorgekommen, dass – so Matzke – „das ausgesuchte und schon in Prüfung befundene Reifenmaterial ganz einfach ausgetauscht worden ist“. Mithilfe von Markierungen mittels „unsichtbaren Chips, die eine so hauchdünne Folie sind, dass man sie mit freiem Auge nicht sieht“, hat er eigenen Worten zufolge den „Weg oder den Werdegang des Testmaterials nachvollziehen können“. Wie Matzke gegenüber dem WDR zu Protokoll gibt, habe er dabei festgestellt, dass sich „manche Reifen während des Tests verflüchtigt haben“.
Ein weitergehender Beleg dafür wird – abgesehen von seinen Äußerungen – allerdings nicht geliefert. Was natürlich nicht heißen soll, dass es nicht stimmen könnte. Das wirft allerdings unmittelbar die Frage danach auf, warum der Österreicher erst jetzt damit an die Öffentlichkeit geht, wo er doch schon seit Jahren nicht mehr in die gemeinsamen Reifentests europäischer Automobilklubs und Verbraucherschutzorganisationen eingebunden ist. Hätte er die vermeintlichen Manipulationen nicht besser damals schon publik machen sollen oder sogar müssen? Oder anders formuliert in Anlehnung an den Fußballsport: Warum hat er nicht aufs Tor geschossen, als er den Ball noch selbst vor dem Fuß hatte? So wirkt das Ganze wie ein Foul am Gegner, ohne dass einer der beiden Kontrahenten überhaupt in Ballbesitz ist.
Zumal der ADAC selbst in einer früheren Stellungnahme auf entsprechende Maßnahmen hingewiesen hat, mit denen ein Austausch der Reifen während der Tests ausgeschlossen werden soll. „Während der Testarbeit ist immer mindestens ein Monteur bei den Reifen. Alle Reifen sind speziell gekennzeichnet. Jeder hat einen notierten Produktionscode. Die Hersteller kennen diese Produktionscodes nicht. Die Reifen sind außerhalb des Tests verschlossen“, ist der diesbezüglichen Erklärung des Klubs zu entnehmen. Es steht insofern also Aussage gegen Aussage. Von daher muss ein jeder für sich selbst entschieden, ob man eher einem vermeintlichen Betrüger glaubt oder jemandem, der von dem Betrug gewusst haben will, zeitnah aber nichts dagegen unternahm und insofern selbst daran mitgewirkt hat, dann aber Jahre später meint, Alarm schlagen zu müssen.
Gleiches gilt genauso für eine weitere Anschuldigung Matzkes. Er hat gegenüber dem WDR nämlich außerdem noch behauptet, dass der ADAC nicht nur Prüfgelände der Industrie – namentlich genannt werden das Contidrom der Continental AG vor den Toren Hannovers sowie das Bridgestones Technical Center Europe (TCE) nahe Rom in Italien angegliederte – nutze, was ja hinlänglich bekannt ist und von dem Klub gar nicht Abrede gestellt wird. Aber nach Aussagen des Österreichers werden vor Ort die Tests selbst demnach dann teilweise auch von Mitarbeitern des jeweiligen Reifenherstellers durchgeführt. „Ganz hoch spezielle Prüfanlagen dürfen nur von Spezialisten des Herstellers bedient werden“, sagt Matzke, sodass der ADAC einen Teil der Tests „überwiegend nicht“ selbst bzw. allein durchführen könne. Dies wird augenscheinlich mit einer unmittelbaren Einflussnahme der betreffenden Unternehmen gleichgesetzt.
Klar, eine Möglichkeit dazu würde unter diesen Voraussetzungen bestehen. Zumindest, sofern ein Mitarbeiter der Reifenindustrie die entsprechenden Messungen wirklich völlig allein und ohne gleichzeitige Anwesenheit eines ADAC-Testers durchführen würde. Oder in dem Fall, dass zwar ein ADAC-Tester dabei ist, diesem etwaige Manipulationen aber nicht auffallen oder auffallen wollen. Aber ist davon wirklich auszugehen? Ist es zudem nicht ohnehin nachvollziehbar, wenn ein Hersteller seine sicherlich nicht ganz billigen Testeinrichtungen nicht ohne jede Aufsicht/Hilfestellung Dritten – also etwa dem ADAC – zugänglich macht? Zumal der Automobilklub wie auch Continental eine Kooperation bei den Tests dem WDR zwar bestätigt haben. Gleichzeitig aber betont der ADAC, man „miete“ halt nur „ein Stück Straße“. Und der Reifenhersteller hat der „Servicezeit“-Redaktion gesagt, der Klub nutze auf dem Contidrom das dortige Hochgeschwindigkeitsoval, die Nasshandling- und Nassbremsstrecken sowie eine bewässerte Kreisbahn und die Eishalle, führe seine Reifentests ansonsten jedoch „vollkommen selbstständig durch“.
Mit Blick auf die Nutzung der Einrichtungen von Bridgestones TCE wird in dem Fernsehbericht insbesondere die Manipulationsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung des dortigen Verschleißprüfstands hingewiesen, weil der ADAC nach eigenem Bekunden einen Teil seiner Verschleißprüfungen dort durchführt bzw. nach offensichtlicher Überzeugung des WDR durchführen lässt. Auch hier ist das Ganze eher eine Frage von Glauben oder Nichtglauben, denn konkrete Belege für Letzteres und daraus resultierende konkrete Verfälschungen der Verschleißbewertungen werden nicht geliefert.
Ein Blick in die Ergebnistabelle des aktuellen ADAC-Sommerreifentests zeigt vielmehr, dass die beiden Bridgestone-Reifen „Ecopia EP 150“ in der Größe 175/65 R14 T und der „Turanza T001“ in der Dimension 195/65 R15 V in der Verschleißdisziplin zahlreichen Wettbewerbsprodukten den Vortritt lassen mussten. Und in der größeren der beiden Dimensionen landet Contis „PremiumContact 5“ in der Gesamtwertung eher im hinteren Mittelfeld. Was dafür spräche, dass die beiden Hersteller entweder ihre Testanlagen nicht im Griff haben oder es – zumindest diesmal – eben gar keine Manipulation gab. Was wahrscheinlicher ist, sollte wiederum ein jeder für sich selbst entscheiden.
So ganz nebenbei: Könnte man der Logik des Fernsehsenders folgend im Übrigen nicht auch die Behauptung aufstellen, das WDR-Programm sei manipuliert, weil dessen Ausstrahlung schließlich ebenfalls nicht ohne externe Dienstleister wie zum Beispiel Kabelnetzbetreiber zu bewerkstelligen ist? Von vergleichbarer Qualität ist Matzkes weitergehende Argumentation im Zusammenhang mit dem aus seiner Sicht auffälligen Umstand, dass „über viele viele Jahre eigentlich immer wieder die Produkte eines gleichen Herstellers die Siegerreifen sind“. Obgleich der Name Continental konkret nicht fällt, mit Blick auf die Testbilanz der Marke in den zurückliegenden Jahren aber wohl gemeint sein dürfte, wird nämlich unter anderem von Messdaten gesprochen, die „möglicherweise unbemerkt über firmeninterne Netzwerke laufen könnten“, wie es in dem „Servicezeit“-Beitrag heißt. Hä?
„Es gibt auf der ganzen Welt keine Datensicherheit, schon gar nicht auf einem total vernetzten Prüfgelände eines Herstellers“, so Matzke, ohne weiter darauf einzugehen, was das mit einer vermeintlichen Manipulation von Testergebnissen zu tun haben könnte. Konkreter sind da schon die Anschuldigungen im Hinblick auf ein sogenanntes „Betreuungsteam“ des Herstellers bei den Tests. Dieses würde den ADAC vor Ort besonders eng unterstützen, um jeden Fehler auszuschließen, und greife dabei „nötigenfalls auch zu Mitteln der technischen Korrektur“, erklärt der Österreicher dem Fernsehpublikum. „Das kann man auch als Manipulation bezeichnen“, fügt er hinzu. Einen konkreten Beweis bleiben er bzw. der WDR in diesem Fall wiederum schuldig.
Dafür freuen sich die Verantwortlichen hinter der Sendung darüber, dass sie mit ihrer „kritischen Berichterstattung zum Thema Reifentest“ vermeintlich dafür gesorgt haben, dass beim aktuellen gemeinsamen Test von ADAC und Stiftung Warentest „kein Reifen mehr mit ‚sehr gut’ abschneidet, aber immerhin einige mit ‚ausreichend’ oder gar nur mit ‚mangelhaft’“. Dumm nur, dass beim ADAC-Reifentest noch nie ein Modell mit einer „sehr guten“ Gesamtbewertung ins Ziel gekommen ist, seitdem sich der Klub und die Stiftung Warentest vor einigen Jahren auf ein gemeinsames Bewertungsschema nach dem Schulnotenprinzip angefangen bei „sehr gut“ und „gut“ über „befriedigend“ und „ausreichend“ bis hin zu „mangelhaft“ verständigt haben – bis einschließlich 2010 waren dagegen noch „besonders empfehlenswert“ bzw. „empfehlenswert“ die beiden besten Bewertungsstufen bei dem Automobilklub.
Und dass auch zuvor schon Reifen „mangelhaft“ auch „beurteilt wurden, sollten die Macher der WDR-Sendung selbst eigentlich am besten wissen, hatten sie bei dem „Servicezeit“-Beitrag Anfang Februar doch noch angedeutet, die entsprechende negative Bewertung im Falle des Westlake „SW 601 Snowmaster“ beim 2010er-Winterreifentest sei auf die Manipulationen rund um den ADAC-Test zurückzuführen. Angesichts so viel Unbelegtem, Fragwürdigem und nicht zuletzt Falschem erweckt der jüngste „Servicezeit“-Beitrag einmal mehr den Eindruck, als ginge es den Verantwortlichen hinter der Sendung weniger um eine objektive Berichterstattung bzw. Auseinandersetzung mit dem Thema als vielmehr nur um weitere Stimmungsmache gegen den ADAC und seine Reifentests. Fragt sich nur, wem das Ganze nutzen soll bzw. wer ein Interesse an der Diskreditierung der ADAC-Reifentests haben könnte. Dem Verbraucher und der Branche insgesamt dürfte das Ganze jedenfalls nicht dienen. christian.marx@reifenpresse.de
Was genau ist an der WDR Bericht fragwürdig oder falsch? Solche Behauptungen sollten belegt werden, möchte man nicht nach demselben Schema arbeiten wie der kritisierte WDR.
Falsch ist – wie im Text erwähnt – die Behauptung, seitdem der WDR kritisch über die Reifentests berichte, gebe es keine mit „sehr gut“ bewerteten Reifen mehr beim ADAC, dafür nun aber solche, die für „ausreichend“ bzw. „mangelhaft“ gehalten werden: Die letzteren beiden Benotungen gab es aber auch vorher schon, und mit der bestmöglichen Gesamtnote „sehr gut“ ist ohnehin noch nie ein Reifen beim ADAC-Test ins Ziel gekommen. Fragwürdig ist – wie ebenfalls im Beitrag aufgezeigt – der Umstand, dass mit Willy Matzke jemand als „Ankläger“ präsentiert wird, der eigenen Worten zufolge den vermeintliche Austausch von Prüflingen hätte nachweisen können, als er vor Jahren noch in die Tests eingebunden war, damals aber – aus welchen Gründen auch immer – geschwiegen hat bzw. das Ganze – aus welchen Gründen auch immer – erst jetzt ans Tageslicht bringt.
…zum Beispiel fehlt die zeitliche Einordnung der vom geschätzten Herr Matzke geschilderten Vorkomnnisse. Wann sind denn Testreifen heimlich ausgetauscht worden? Beim aktuellen Test? Oder eher vor 5,10,25 Jahren? Was waren damals die Konsequenzen? Was die Vergangenheit angeht, gibt es wohl mehr offene Fragen als in der Gegenwart…