MotoGP: Dunlop – die dritte Kraft
Die Grand-Prix-Wochenenden in der Formel 1 und im Motorradrennsport unterscheiden sich grundlegend. Während die „Königsklasse“ des Automobilmotorsports in den zurückliegenden Jahren mehr und mehr zur One-Man-Show degenerierte, weil entweder Michael Schumacher oder wie jetzt eben Fernando Alonso jeweils einsam ihre Runden an der Spitze des Wettbewerberfeldes drehen und Überholmanöver in den Rennen mittlerweile Seltenheitswert besitzen, bekommen Motosportfans in der MotoGP – der Topklasse bei den Motorrädern – deutlich mehr geboten. Das gilt auch bezogen auf die Bereifungen. Denn im Gegensatz zur Formel 1, wo derzeit zwei Hersteller um den WM-Titel ringen und schon zur kommenden Saison aber nur noch ein Reifenausrüster zu sehen sein wird, schickt sich in der MotoGP mit Dunlop nach Bridgestone nunmehr sogar eine zweite große Reifenmarke an, mittelfristig Michelin die langjährige Führungsposition in dieser Klasse streitig zu machen.
Zwar ist Dunlop nicht komplett neu in der Serie, aber in diesem Jahr hat man das eigene Engagement deutlich ausgeweitet. In der laufenden Saison sind nämlich nunmehr vier von insgesamt 19 Maschinen auf Dunlop-Reifen in der MotoGP-Klasse unterwegs, während man – wie Frank Löb, Leiter Vertrieb Motorradreifen Deutschland bei dem Hersteller, es formuliert – die 125-cm³- und 250-cm³-Klasse „fest im Griff“ hat. In den beiden kleineren Klassen startet schließlich die überwiegende Mehrheit aller Motorräder auf Dunlop-Reifen, sodass die Fahrer bei der Siegerehrung auf dem Podium zumeist ein gelbes Käppi tragen. So weit ist man in der MotoGP verständlicherweise noch nicht – etwas anderes nach den derzeit etwa der Hälfte der alles in allem 17 zu absolvierenden WM-Läufe zu erwarten, wäre wohl auch etwas zu optimistisch. „Ausgehend von den ersten Rennen der Saison konnten wir uns aber kontinuierlich steigern. Mittlerweile zeigt die Leistungskurve der von uns unterstützten beiden Teams nach oben“, sagt Jeremy Ferguson, Manager International Motorsport bei Goodyear Dunlop Europe.
Neben dem Deutschen Alex Hofmann und dem Spanier José Luis Cardoso, die auf Ducatis des Rennstalls Pramac D’Antin MotoGP an den Start gehen, verspricht sich der Reifenhersteller vor allem von dem spanischen Fahrer Carlos Checa und seinem britischen Kollegen James Ellison – beide in Diensten des Tech-3-Teams mit seinen zwei werksunterstützten Yamaha-YZR-M1-Maschinen – einiges mehr als in den zurückliegenden Jahren. Zudem macht Ferguson keinen Hehl daraus, dass Dunlop 2007 gern durchaus noch weitere Teams mit Reifen ausrüsten würde, aber dafür müsse man den Fahrern in Sachen Reifen natürlich etwas zu bieten haben. Diesbezüglich scheint der Hersteller jedoch tatsächlich auf dem richtigen Weg zu sein, denn der von Ferguson beobachtete Aufwärtstrend lässt sich an den während der ersten acht Saisonrennen erzielten Ergebnissen der vier derzeitigen Fahrer ablesen: Konnten sie in bei den ersten vier Läufen dieses Jahres in der Summe 16 WM-Punkte einfahren, waren es bei den zweiten vier Läufen schon 44 und damit fast dreimal so viele. Dennoch stehen beide Teams nach acht Rennen immer noch am Ende der Teamwertung – aber bis zum Saisonende Ende Oktober stehen ja noch einige Strecken im Rennkalender.
„Für dieses Jahr haben wir uns als Ziel gesetzt, im Verlauf der Saison so weit zu kommen, dass wir regelmäßig bis unter die besten Acht fahren können“, erklärt der Brite Ferguson. Für „nicht unmöglich“ hält der Motorsportmanager, dass dabei vielleicht auch einmal ein Podiumsplatz für einen der Dunlop-Fahrer herausspringen könnte. „Das wäre dann gewissermaßen eine Art unerwarteter Bonus“, fügt Ferguson hinzu, der mit einer festen Mannschaft bei jedem Grand-Prix-Wochenende dabei ist. Hinzu kommen freilich noch Tests vor Beginn und nach Ende der eigentlichen Rennsaison. „Unser Team für den MotoGP-Einsatz besteht aus etwa 20 Mann und ist von Februar bis teilweise in den Dezember hinein eigentlich immer unterwegs“, sagt der Engländer. So hätte seine Mannschaft beispielsweise vor dem Rennen in Assen (Niederlande) sieben Wochen am Stück und ohne einen einzigen freien Tag gearbeitet. Dies sei nur dadurch möglich, dass sich die einzelnen Teammitglieder vollständig mit ihrer Arbeit identifizieren und bereit sind, alles in ihrer Kraft stehende für den sportlichen Erfolg zu tun, lobt er die Leistungsbereitschaft der Truppe.
„Für die einzelnen Mitglieder des Renndienstes ist Motorsport eben eine Passion. Aber schließlich fahren wir in der ‚Königsklasse’ des Motorradsports auch deshalb mit, weil wir gewinnen wollen“, meint Ferguson, der die MotoGP als „Formel 1 des Motorradrennsports“ bezeichnet und das Investment des Herstellers in diesem Bereich mit „mehreren Millionen Euro“ beziffert. Ein weiterer Grund für das verstärkte Dunlop-Engagement in der Toprennklasse auf zwei Rädern liege – über den reinen Siegeswillen hinaus – außerdem darin, dass man sich als weltweit im Motorradreifenmarkt aufgestellter Hersteller dem Wettbewerb auf höchstem Niveau gewissermaßen einfach stellen müsse. „Ansonsten könnte man bei den Fahrzeugherstellern schnell an Glaubwürdigkeit verlieren. Das gilt für eine Marke, die so stark in der Erstausrüstung verankert ist wie Dunlop, natürlich umso mehr“, führt Ferguson im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG weiter aus. Zumal vieles was zunächst für den Renneinsatz entwickelt werde im nächsten Schritt dann auch den Serienreifen zugute komme.
Als Beispiel dafür nennt er die Mehrkomponentenmischungstechnologie, wo Dunlop bei den MotoGP-Reifen nach seinen Angaben bis zu vier verschiedene Mischungsspezifikationen verteilt über die Laufflächenbreite zum Einsatz bringt. „Da wir unsere Reifen ständig weiterentwickeln, sind bei jedem Rennen Entwicklungsingenieure und Techniker mit vor Ort“, sagt der Motorsportmanager. Wie er weiter erklärt, werden die Rennreifen für alle drei Klassen sowohl an dem auf solche Pneus spezialisierten Konzernstandort in Birmingham (Großbritannien) als auch in Japan entwickelt bzw. gefertigt. Allerdings gebe es dabei eine Art Aufgabenteilung, wobei die Reifen für die 125-cm³-Maschinen schwerpunktmäßig aus Japan kommen und die für die 250-cm³-Rennmotorräder bevorzugt von der Insel. Hinsichtlich der MotoGP-Bereifungen seien beide Lager mehr oder weniger gleichmäßig involviert, was in gleichem Maße natürlich für Grundlegendes wie beispielsweise die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in Sachen Mischungstechnologie gelte.
„Zu jedem Rennen transportieren wir rund 4.000 Reifen. Tatsächlich benötigt werden meist so um die 1.200 Reifen, wobei wir jedoch bei jeder Veranstaltung rund 1.600 Reifen auf Räder montieren, um beispielsweise auf ein Regenrennen oder sich plötzlich ändernde Temperaturbedingungen vorbereitet zu sein“, erzählt er. Seinen Worten zufolge verbraucht jeder der vier unterstützten MotoGP-Fahrer inklusive den freien Trainings, der Qualifikation und dem letztendlichen Rennen im Schnitt rund 45 Reifen pro Rennwochenende. Bei den 125ern und den 250ern liege der Durchschnittswert demgegenüber irgendwo zwischen 20 und 30 Reifen je Rennwochenende. Über das Millioneninvestment in die MotoGP hinaus also aufseiten der Logistik nochmals ein immenser Aufwand für den Hersteller. Dem stehen (noch) nur eher kleine Achtungserfolge in der Topklasse des Motorradrennsports gegenüber, wird mancher Bedenkenträger zu Felde führen. Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass es ja auch bei so einigen anderen Wettbewerbern nach deren (Wieder-)Einstieg in eine Rennserie ein wenig gedauert hat, bis man ganz vorne mitfahren konnte – egal ob nun MotoGP oder Formel 1.
Aber gerade das ist es ja vermutlich, was den Reiz des Ganzen ausmacht. Bei Rennserien den Sieger zu stellen, die auf Einheitsreifen starten, ist schließlich keine allzu große Kunst. Und ein harter Konkurrenzkampf ist der technologischen Weiterentwicklung aufseiten der Bereifungen zudem wahrscheinlich eher förderlich, als wenn ein Hersteller immer nur gegen sich selbst antritt. Insofern könnten davon dann also nicht nur die Endverbraucher profitieren, sondern die MotoGP-Serie selbst sollte dank eines zunehmend stärker auftretenden dritten Reifenausrüsters in der Serie nur an Attraktivität gegenüber etwa der Formel 1 gewinnen können. Wer einmal die packenden Zweikämpfe in einem Motorradrennen gesehen hat, für den dürfte ohnehin klar sein, wo es wirklich noch „richtigen Motorsport“ zu sehen gibt.
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