„Wide Base“-Reifen – Fast bei Null angefangen
Zum Thema „Supersingles“ hat die NEUE REIFENZEITUNG ein Gespräch mit Dr. Bernhard Trilken, Leiter Forschung & Entwicklung Nutzfahrzeugreifen im Hause Continental, und Herbert Mensching, Leiter Marketing und Vertrieb dieses Produktsegmentes, geführt. Die beiden Lkw-Reifenexperten geben Auskunft über die Probleme, aber auch über die Herausforderungen, die mit diesem Projekt verbunden sind.
NEUE REIFENZEITUNG: Herr Dr. Trilken, auf Europas Straßen sind gerade mal 2.000 so genannte Supersingles für die Lkw-Antriebsachse im Einsatz. Warum hat das Produkt trotz des geringen Marktvolumens in den Entwicklungsabteilungen der Reifenhersteller solch eine enorm hohe Bedeutung?
Dr. Bernhard Trilken: Weil dieses Produkt, das bei uns intern übrigens „Wide Base“-Reifen genannt wird, eine enorme technische Herausforderung darstellt. Und weil wir glauben, dass solch einem Reifentyp die Zukunft gehört.
NEUE REIFENZEITUNG: Und was macht diesen extrabreiten Reifen für Lkw und Busse so besonders im Gegensatz zu anderen Entwicklungen für die Reifentechniker?
Dr. Bernhard Trilken: Wir mussten fast bei Null anfangen, weil ein völlig neues Konzept erforderlich war. Die aktuellen Produkte werden natürlich weiterentwickelt, da haben wir eine Grundlage und versuchenvon der immer wieder, an den einzelnen Stellen Optimierungen zu erreichen. Was bei weitgehend ausgereiften Produkten natürlich auch schwierig ist. Aber man hat etwas Vergleichbares, eine Basis. Wide Base aber ist eine Herausforderung, Neuland wird betreten.
Herbert Mensching: Als ein führender Reifenhersteller haben wir immer das Bestreben, uns weiterzuentwickeln. Wir sind mit dem Erreichten irgendwann einmal nicht mehr zufrieden, weil ja auch die Wettbewerber nicht schlafen. Continental ist innovativ und das heißt, bei neuen Trends frühzeitig dabei zu sein. So beobachten wir natürlich die von Ihnen genannten etwa 2.000 Reifen so genau wie möglich, um daraus zu lernen und womöglich besser zu sein, wenn unser Produkt im September 2006 in den Markt rollen wird.
NEUE REIFENZEITUNG: Aber bis sich die gesammelten Erfahrungen amortisiert haben werden, wird noch viel Wasser die Leine herunterfließen.
Dr. Bernhard Trilken: Wir lernen nicht nur bezogen auf den neuen Reifen. Auch andere Produkte werden von den Anstrengungen bei dieser Entwicklung ganz direkt profitieren, da gibt es zahlreiche Detaillösungen. Auch in der Produktion dieser Reifen, die im Übrigen hier in Stöcken erfolgt, machen wir neue Erfahrungen, die sich auf andere Produktgruppen übertragen lassen. Wir stellen fest, dass bei der Herstellung dieses Produktes eine enorme Präzision erforderlich ist, die das Gehen neuer Wege erforderlich macht. Der Standort Stöcken jedenfalls profitiert von solch einem Produkt.
NEUE REIFENZEITUNG: Zwei entsprechende Produkte – der Greatec von Bridgestone und der X One von Michelin – sind ja bereits im Markt erhältlich, eines mit und eines ohne Notlaufeigenschaften. Welchen Weg wird Continental beschreiten?
Dr. Bernhard Trilken: Unser Wide-Base-Reifen, der sicherlich ein Highlight auf unserem Messestand auf der nächsten Nutzfahrzeug-IAA hier in Hannover sein wird, erhält keinen zusätzlichen Stützring, wird also nicht über Notlaufeigenschaften verfügen.
Herbert Mensching: Wobei sich unserer Meinung nach nicht unbedingt ein Wettstreit zweier Technologien anbahnen muss. Es ist denkbar, dass beide Systeme nebeneinander im Markt ihre Berechtigung finden werden. Für ein „entweder oder“ sehen wir keinen Grund, der Endverbraucher entscheidet, ob ein Superbreitreifen auf der Antriebsachse Notlaufeigenschaften haben sollte oder nicht.
NEUE REIFENZEITUNG: Das Produkt kann aber nur über die Erstausrüstung Marktdurchdringung erlangen.
Herbert Mensching: Das ist richtig. Und natürlich wissen wir, dass der superbreite Reifen all seine Vorteile nur in die Waagschale werfen kann – so mehr Platz bei der Fahrzeugkonstruktion –, wenn beispielsweise eine Achse gewählt wird, die sich nur mit einem Wide Base bereifen lässt.
Dr. Bernhard Trilken: Derzeit haben die in Frage kommenden Fahrzeughersteller Standardachsen, auf denen sich alternativ auch ohne Probleme Zwillingsreifen montieren lassen. Das ist für den Endkunden zwar besser, kommt aber den Ansprüchen von Fahrzeug- und Reifenentwicklern nicht gerade entgegen. Das Potential des Wide Base kann mit einer Standardachse nicht optimal genutzt werden.
NEUE REIFENZEITUNG: Warum haben sich alle in die Entwicklung dieses Produktes involvierten Reifenhersteller für den Einsatz im Fernverkehr entschieden?
Dr. Bernhard Trilken: Ein wesentlicher Grund ist gewiss, dass aktuell das Thema Rollwiderstand in der Diskussion ganz hoch angesiedelt ist, was angesichts der explodierenden Treibstoffkosten ja auch nachvollziehbar ist.
Herbert Mensching: Das Speditionsgewerbe ist enorm unter Druck: Lkw-Maut, höhere Spritpreise, Konkurrenz aus Osteuropa usw. Daher greifen die Unternehmer nach jeder Chance, irgendwo Abläufe zu optimieren oder Kosten zu senken. Der Beitrag, den wir dabei leisten können, betrifft das Produkt Reifen, und zwar in Form von Reifenmanagement, Reifenservice und eben innovativen rollwiderstandsoptimierten Reifen, wie es der Wide Base schon verglichen mit dem Zwillingsreifen systembedingt ist.
NEUE REIFENZEITUNG: Bei so einer völligen Neuentwicklung handelt man sich doch aber gewiss auch Nachteile ein.
Dr. Bernhard Trilken: Das stimmt. Selbst wenn wir unseren Reifen bald marktreif haben, unterscheidet er sich doch von anderen Produkten, deren Entwicklung auf einem hohen Niveau weitgehend ausgereizt ist. So wird kein seriöser Reifenhersteller behaupten, dass ein superbreiter Lkw-Reifenohne weiteres die Laufleistungen erzielt, die Zwillingsreifen aufweisen. Mit dem Wide Base gehen wir in eine neue Dimension, aber in der stehen wir dann wieder weiter vorne in einer evolutionären Entwicklung. Wir werden lernen, dass wir beispielsweise beim Kriterium Laufleistung noch Verbesserungen erzielen können. Ein bereits perfektes und nicht mehr optimierbares Produkt ist der Wide Base nicht.
NEUE REIFENZEITUNG: Also wird der Supersingle den Zwillingsreifen irgendwann ablösen, nur wann weiß noch keiner.
Herbert Mensching: Das glaube ich eher nicht. Es wird wohl auch in Zukunft Einsatzarten bzw. gute Gründe geben, einen Zwilling statt eines Wide Base zu montieren. Es gibt Bereiche, in denen der superbreite Reifen jedenfalls aus heutiger Sicht keine signifikanten Vorteile bringt. Was übrigens nicht nur die Unterscheidung Regional/Fernverkehr betrifft: So glauben wir, dass bei Flüssigtransporten der Supersingle tendenziell eher zum Einsatz kommen wird als bei Stückgut.
Dr. Bernhard Trilken: Es ist wie ein Herantasten: Wir gehen von dem Long Distance-Einsatz aus und werden dann unsere Rückschlüsse ziehen, was wir beispielsweise bei einem Wide Base-Reifen zu beachten haben, der im Regionalverkehr vielleicht eines Tages den Markt verändert. Wir finden neue Lösungen, und jede neue Lösung wirft neue Fragen auf.
NEUE REIFENZEITUNG: Erstens wurde die Markteinführung des SuSi, so wurde der Reifen bei Continental ja mal genannt, mehrmals verzögert. Zweitens ist der ja überschaubare Markt ja von zwei Wettbewerbern besetzt, das sind doch keine guten Markteintrittsvoraussetzungen.
Dr. Bernhard Trilken: Wir von der Technik wären auch lieber schneller im Markt gewesen, haben uns aber Zeit gelassen, vielleicht auch Zeit lassen müssen. Man braucht mehrjährige Erfahrungen, um wirklich sehr genau zu wissen, wie sich das Produkt im Praxiseinsatz bewährt. Einen Schnellschuss oder eine Frühentwicklung, in den Markt zu bringen, wollten wir unbedingt vermeiden. Aktuell ist in unserem eigenen Fuhrpark eine ganze Flotte mit diesem Reifentyp nonstop im Einsatz, hinzu kommt parallel eine große Anzahl von Kundeneinsätzen. Da sammeln wir Erfahrungen und gehen äußerst sorgfältig vor.
Herbert Mensching: Ja, die großen Stückzahlen sind mit diesem Reifentyp auch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Das wird auch dazu führen, dass die Anzahl der Reifenhersteller erst einmal sehr limitiert bleiben wird, vier können wir uns vorstellen. Es lohnt einfach nicht für einen kleineren Reifenhersteller bzw. einem aus der zweiten Reihe, erst die enormen Vorleistungen zu bringen, wohl wissend, dass auf absehbare Zeit nur geringe Stückzahlen winken, so dass ein Return of Investment außerhalb jedes realistischen Zeitrahmens wäre.
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