Only over my dead body” – Goodyears Statthalter in Europa äußert sich zu Mehr-Marken-Strategien
Sylvain G. Valensi (58), Vice President Goodyear Dunlop Tires Europe, trat vor 34 Jahren in die Dienste des damals weltgrößten Reifenherstellers und wenn er sich in einigen Jahren in den Ruhestand verabschieden wird, ist Goodyear wieder und immer noch die Nr. 1 der Reifenbranche. Valensi ist Mitglied der so bezeichneten “French Connection”, welcher auch Goodyear-Chef Gibara angehört. Während der “Reifen 2000” gab er der NEUE REIFENZEITUNG Gelegenheit zu einem Gespräch.Nein, über die finanzielle Situation wolle er nicht reden, auch nicht Stellung dazu nehmen, dass sein Konzern gerade von Analysten der Wall Street heftig kritisiert worden war mit der Folge, dass die Entwicklung der Aktien auch im laufenden Jahr eher schlecht bleiben werde. Dass die Entwicklung des britischen Pfund wie des Euro ihm zur Zeit zu schaffen machen, wird auch nicht geleugnet. Doch seine Organisation habe frühzeitig reagiert. Goodyear sei voran marschiert mit der Durchsetzung einer Preiserhöhung in Europa. Diese wurde wegen permanent steigender Rohmaterialkosten (Kautschuk, Rohöl, Gummiruße) zwingend erforderlich. Für Valensi besteht kein Zweifel, dass die Preiserhöhung jedenfalls zu zwei Dritteln umgesetzt werden konnte und dass sie auch im weiteren Verlauf halten wird, denn die Kosten ließen keine andere Wahl. Und bei den Wettbewerbern ist es ebenso. Continental habe die Umsetzung höherer Preise in Angriff genommen, so auch Pirelli. Bei Bridgestone/Firestone befinde sich das Management offenbar noch in einer Überlegungsphase. Michelin allerdings wird an dieser Preiserhöhungsrunde nicht teilnehmen, denn es ist gerade das Problem der Franzosen im Vergleich mit allen anderen einen Preisabstand zu haben, der immer schwerer zu halten ist, und Marktanteile hat Michelin in Europa über die letzten Jahre hinweg genug verloren. Aber auch mit Blick auf eine zu erwartende Michelin-Offensive lässt Valensi sich nicht aufregen. Er vermerkt eher trocken, für Michelin stelle sich die Situation so dar, dass einerseits weiter Marktanteile verloren werden könnten oder andererseits die Margen nur so dahin schmelzen könnten. Wenn es denn stimmt, dass die Preiserhöhungsrunde sich zu zwei Dritteln dauerhaft durchgesetzt hat, ist das Ziel wohl erreicht worden, denn so blauäugig, dass 100 Prozent erreichbar wären, ist in der Reifenbranche ohnehin niemand mehr.Valensi sieht Goodyear weiterhin in Europa gut aufgestellt. Während Michelin z. B. 300 Verkäufer in Frankreich beschäftigt und dort immer noch mehr als 100 Läger über das Land hinweg betreibt, habe Goodyear bereits in den späten 80er Jahren die Hausaufgaben gemacht und sich um den weiteren Aufbau einer noch stärkeren Distribution gekümmert. Namentlich erwähnt und besonders herausgehoben: HMI und Franchise besonders in Deutschland. Das lädt natürlich gleich zu der Frage ein, wann Goodyear denn nun die über Dunlop mit erworbene Handelstochter Holert Konz verkaufen bzw. ins Franchising überführen werde, denn so viel ist doch deutlich: Alle Entscheidungen der deutschen Goodyear-Organisation waren in der Vergangenheit von der Überzeugung getrieben, dass ein Reifenhersteller Handelsketten nicht erfolgreich zu führen versteht. Doch Fragen nach Holert Konz kommen Valensi zu früh. Holert Konz sei kein Problem, habe kein Problem und folglich müsse auch jetzt keine Entscheidung über die weitere Zukunft der Dunlop-Handelskette getroffen werden. Das könne in aller Ruhe entschieden werden. Es sei auch noch keine Vorentscheidung gefallen.Was sind aber die Probleme? Was ist vorrangig jetzt bei der neuen Firmeneinheit Goodyear Dunlop Tires Europe zu erledigen? Wie in sämtlichen Fällen dieser und ähnlicher Art geht es immer um Ausschöpfung von Synergien. Man muss nicht alles doppelt machen, wenn man es in einem einzigen Gang erledigen kann. Der aus der Biologie stammende Begriff soll beschreiben, dass und wie aus 1+1 mindestens 2,5 bis 3 werden wird. Andererseits kann natürlich auch nicht übersehen werden, dass die Erwartungen an synergetische Einsparungseffekte stets sehr hoch geschraubt sind, sich aber in den seltensten Fällen wie geplant und wie vorausgemeldet auch einstellen. Und abgesehen davon: Wer Synergien schöpfen will, muss meist noch vorneweg ein paar Investitionen vornehmen, denn nur mit der Streichung einiger Hundert oder selbst gar Tausender Jobs ist langfristig wenig erreicht.Laut Sylvain Valensi hat “die Arbeit hinter dem Vorhang” nicht nur längst begonnen, sondern offenbar spielt sich dort vieles auch mit hohem Tempo ab. Dort, wo es der Kunde bzw. der Endverbraucher nicht merkt und wo es für ihn ohne Belang ist, sind die Veränderungen zuerst in Gang gekommen. Gemeint sind die Bereiche Manufacturing, Distribution und Administration. “Vor dem Vorhang” bleibt somit der Verkauf. “Hinter dem Vorhang” ist aber nicht gleichbedeutend mit unbemerkt, so die Vorgänge um Werksschließungen in Italien (Goodyear-Fabrik) und in England (die alte und voller Traditionen, damit aber auch voller Belastungen steckende Dunlop-Fabrik in Fort Dunlop/Birmingham), deren letzte Stunde nun geschlagen hat. Damit ist die vom Ursprung her durch und durch britische Reifenmarke Dunlop, die sich trotz ihrer 15-jährigen Zugehörigkeit zur japanischen SRI immer noch britisch empfunden hat, in ihrem Stamm- und Heimatland von jetzt an und auf Dauer ohne ihre, wie es in England heißt, “Wiege”. Die Goodyear-Fabrik in Wolverhampton und andere west- wie osteuropäische Konzernfabriken haben die Produktion bereits weitgehend übernommen. Und hinter dem Vorhang wartet auf Valensi und Kollegen weitere harte Arbeit, über die man vermutlich nicht ohne Not bereits jetzt sprechen möchte, um Verunsicherungen zu vermeiden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der Goodyear-Konzern in Europa weitere Produktionsstätten über kurz oder lang zu schließen haben. Da nach Überzeugung von Marktbeobachtern der für dieses Jahr angekündigte, überzeugende Turnaround ausbleiben wird – das Spitzenmanagement gab in diesen Tagen eine so bezeichnete “Profit-Warning” heraus –, wird der Druck auf die europäische Organisation, von der in Kürze “drastic moves” erwartet werden, immer stärker. Allein schon an der Währungsfront ist es – wie schon gesagt – derzeit nicht sehr vorteilhaft für die europäische Organisation einer amerikanischen Muttergesellschaft.Veränderungen in den Fabriken spielen sich also “hinter dem Vorhang” ab. Die weitgehend bereits ausgelagerte Distribution, sofern man darunter hier einfach mal ganz allein die Versendung von Reifen von Punkt A nach B verstehen würde, dürfte kein Problem darstellen. Doch Distribution geht ja weit über die physische Versendung von Produkten hinaus und es bleibt abzuwarten, was sich an dieser “Front” noch zeigen wird. Wie verhält es sich aber mit der Administration? Gibt es künftig einen Oberbuchhalter durchgehend für alle Marken? Eine einzige Personalabteilung, z.B. in Köln, die sodann über Einstellungen, Entlassungen und Weiterbildung von Mitarbeitern befindet? Das sind nur mal eben zwei Fragen, der sich viele weitere anschließen könnten. Es zeigt, dass die gesamte Organisation durchaus noch mit Verwerfungen rechnen muss, bevor Synergien zu schöpfen sind.”Only over my dead body”Was ist “vor dem Vorhang”? Dort steht eine schlagkräftige Dunlop- wie Goodyear-Verkaufsmannschaft. Und Sylvain Valensi bekräftigt gegenüber dieser Zeitschrift, dass eine Zusammenlegung der beiden Marken für ihn unter keinen Umständen in Betracht kommen kann. Dass ein Goodyear-Verkäufer aus einer Tasche auch die zweite Marke, Dunlop, vermarkten werde, sei absolut unmöglich. Jedenfalls so lange er lebe und in den Diensten des US-Konzerns steht. Nochmals: “Only over my dead body.”Valensi will “vor und nach dem Spätsommer 1999” differenzieren. Seit der Einbeziehung von Dunlop in Europa hat sich die Reifenwelt für ihn drastisch verändert. Mit Goodyear und Dunlop befinden sich nun zwei “Mayor Brands” im Rennen, also Marken mit hohem Bekanntheitsgrad, mit erstklassigem Image und last but not least auch mit hoher Akzeptanz in der europäischen und weltweiten Automobilindustrie. Goodyear habe nicht eine Milliarde Dollar bezahlt für einige Reifenfabriken in Europa und Nordamerika, sondern für die Marke Dunlop, die nun zweite Weltmarke des Konzerns. In allen Kernmärkten und Volumenmärkten Europas werde die Trennung von Dunlop und Goodyear sehr strikt bleiben. Daraus folgt, und Valensi bestätigt dies ausdrücklich, dass es eine Mehr-Marken-Strategie, in der Dunlop der Marke Goodyear untergeordnet wird, in Europa nicht geben wird. Das aber ist gerade in den USA bereits der Fall. Allerdings muss erwähnt werden, dass die Basis der Marke Dunlop dort eh und je schwach war und auch keine größeren Marktanteile zu verteidigen sind. Was also in Nordamerika nach Goodyear-Meinung so zusammen passt, dass man “maximum coverage, minimum overlap” erzielt, ist für Europa nicht denkbar. Dass ein Goodyear-Verkäufer beim Kunden für die Marke Dunlop mit entscheiden könnte, ist für Valensi “totally out of my mind”. Das mag Balsam auf die verunsicherten Seelen der Dunlop-Belegschaft sein.ZukunftsstrategienEs ist nun deutlich geworden, was in Europa nicht eintreffen wird. Interessanter ist zu erfahren, was denn sein wird? Und da äußert sich Goodyears Spitzenmann für Europa sehr klar: Die Marken Goodyear und Dunlop liegen in den westeuropäischen Volumenmärkten auf einem Niveau. Markenbekanntheit, Markenimage usw. alles top! Sie werden eigene Verkaufsmannschaften wie bisher halten und sie werden sich auch weitgehend, weil unvermeidlich, als Wettbewerber im Markt begegnen. Wie die Strategien im Einzelnen denn aussehen, erwähnt Valensi noch nicht, zumal das Gespräch auch unter Zeitdruck zu führen war und von daher schon eher an der Oberfläche bleiben musste. Goodyear habe schon weitgehend eine sehr gut funktionierende Mehr-Marken-Strategie, die natürlich stets noch zu optimieren sei, nun werde auch Dunlop eine vielversprechende eigene Mehr-Marken-Strategie entwickeln können. Der europäische Teilkonzern des weltweiten Reifenherstellers Nr. 1 wird aber nicht allein mehr oder weniger starke Marken positionieren und diese mit Associate Brands umgeben, sondern es ist ihm daran gelegen, ein Gesamtpaket zu entwickeln, für welches sich die Handelsvermarkter aus Überzeugung entscheiden können. Begriffe wie “Gesamtpaket” und “Mehrwert für den Kunden” sollen im Vordergrund stehen, allein nur auf die Preise schauen zu wollen, sei zu einfach.Dem lässt sich zustimmen. Die Nagelprobe, ob der umworbene Vermarkter dies aber ebenso sieht, steht jedoch noch aus. Und dann bleibt festzuhalten: Alle großen Hersteller wollen “Gesamtpakete” und “Gesamtlösungen”. Alle wollen und müssen “Mehrwert für den Kunden” schaffen. Der Wettbewerb der Reifenhersteller ist längst erbarmungslos geworden. Wachstum, das manches Problem lösen könnte, wird es nicht in ausreichendem Umfang geben. Die Entscheidung fällt somit tatsächlich “hinter dem Vorhang”. Welche Marketingmannschaft kann mit welchem Markenportfolio und mit welchem Gesamtpaket letztlich überzeugen?
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!