Verschärfte Winterreifenpflicht: Wie erhält man eigentlich das 3PMSF-Piktogramm?

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Für das kommende Jahr hat der deutsche Gesetzgeber bekanntlich eine Verschärfung der Winterreifenpflicht beschlossen. In deren Mittelpunkt: Künftig definiert einzig und allein das 3PMSF-Piktogramm, also das bekannte Schneeflockensymbol, einen Winterreifen, während die M+S-Markierung damit auch verkehrsrechtlich betrachtet in die Bedeutungslosigkeit fällt. Im Gegensatz zu Reifen mit der rechtlich ungeschützten M+S-Markierung, die die Hersteller nach eigener Bewertung vergeben können und dies auch gerne tun, selbst für Reifen ohne irgendwelche nennenswerten Wintereigenschaften, müssen Reifen ein exakt vorgegebenes Testprozedere mit bestimmten Ergebnissen gegen einen Referenzreifen bestehen, um sich für die sogenannte 3PMSF-Markierung (deutsch: Bergpiktogramm mit Schneeflocke) zu qualifizieren. Aber wie genau ist dabei eigentlich das Verfahren? Die Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG in der Pressestelle der deutschen Michelin-Zentrale ergab eine Dokumentation, die die Komplexität des Vergabeverfahrens erahnen lässt.

Maßgeblich für den Erhalt einer 3PMSF-Markierung ist Folgendes:

Erstens, die EU-weite Inkraftsetzung der UN-ECE-Regelung Nr. 117 mit dem Titel „Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Reifen hinsichtlich der Rollgeräuschemissionen und der Haftung auf nassen Oberflächen und/oder des Rollwiderstandes [2016/1350] einschließlich des gesamten gültigen Textes bis Ergänzung 8 zur Änderungsserie 02 – Tag des Inkrafttretens: 20. Januar 2016“. Solche „Rechtsakte von Gremien, die im Rahmen internationaler Übereinkünfte eingesetzt wurden“, gelten, wenn die Europäische Union sie in ihrem Gebiet in Kraft gesetzt hat. Der entsprechende „Rechtsakt ohne Gesetzescharakter“ für die ECE-Regelung Nr. 117 ist in letzter Fassung vom 12. August 2016 unter der Nummer L218/1 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden.

Weiterführende Dokumente, insbesondere die Inkraftsetzung der UN-ECE-Regelung Nr. 117, finden Sie auch auf Reifenpresse.de unter „Rechtliche Regelungen“ im Menüpunkt „Zahlen & Fakten“

Wichtig dabei: Nur die von der UN-ECE (United Nations Economic Commission for Europe; auf Deutsch: Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen) verabschiedeten Originalfassungen sind international rechtsverbindlich, so die EU. Der Status dieser Regelungen und das Datum ihres Inkrafttretens sind der neuesten Fassung des UN-ECE-Statusdokuments TRANS/WP.29/343 zu entnehmen, das von folgender UN-ECE-Website abgerufen werden kann: http://www.unece.org/trans/main/wp29/wp29wgs/wp29gen/wp29fdocstts.html. Dort wird zwar Bezug genommen auf die „Ergänzung 9 zur Änderungsserie 02“ als die derzeit gültige Fassung, die zum 9. Februar 2017 inkraftgetreten ist. Da allerdings immer nur die offiziellen Übersetzungen rechtskräftig sind und es die Fassung derzeit (noch) nicht in deutscher Sprache gibt, gilt für Deutschland die „Ergänzung 8 zur Änderungsserie 02“; Tag des Inkrafttretens: 20. Januar 2016.

Zweitens, die UN-ECE-Regelung Nr. 117 selbst: Sie beschreibt die Testmethoden und Mindestanforderungen für Reifen im Allgemeinen, damit diese auf bestimmten Märkten, also hier in der Europäischen Union, zugelassen werden dürfen. Hierzu gehören u.a. Methoden zur Ermittlung des Abrollgeräuschs, des Rollwiderstands oder der Haftung bei Nässe usw. sowie die dazugehörigen Mindestanforderungen. Im Anhang 7 dieser UN-ECE-Regelung finden sich die „Prüfverfahren für die Fahreigenschaften auf Schnee für ‚M+S-Reifen unter extremen Schneebedingungen‘“; dies ist trotz der verwirrenden Nennung von „M+S-Reifen“ die amtliche Übersetzung des englischsprachigen Originals, obwohl es gerade nicht um die M+S-Markierung geht. Dabei geht es um neue Luftreifen der folgenden Klassen:

  • C1 (Pkw-Reifen),
  • C2 (Leicht-Lkw-Reifen mit Tragfähigkeitsindex kleiner/gleich 121 [1.450 Kilogramm] bei Einzelbereifung und Geschwindigkeitsindex größer/gleich N [140 km/h]) und
  • C3 (Lkw- und Busreifen mit Tragfähigkeitsindex größer/gleich 122 [1.500 Kilogramm] bei Einzelbereifung oder Tragfähigkeitsindex kleiner/gleich 121 [1.450 Kilogramm] und Geschwindigkeitsindex kleiner gleich M [130 km/h]).

In der UN-ECE-Regelung Nr. 117 wird im Kapitel 4 unter der Überschrift „Aufschriften“ unter Punkt 4.1. definiert: „Alle Reifen, die einem Reifentyp zugeordnet sind, müssen nach den Vorschriften der [UN-ECE-]Regelung Nr. 30 bzw. 54 gekennzeichnet sein.“ Weiter unter Punkt 4.2.: „Die Reifen müssen vor allem folgende Aufschriften tragen: […] 4.2.6. das ‚Schneeflockenzeichen‘ (‚drei Bergkuppen mit Schneeflocke‘, siehe Anhang 7, Anlage 1), wenn der M+S-Reifen der Verwendungsart ‚M+S-Reifen zur Verwendung unter extremen Schneebedingungen‘ zugeordnet ist.“

Am Anfang der UN-ECE-Regelung Nr. 117 wird der „M+S-Reifen zur Verwendung unter extremen Schneebedingungen“ unter Punkt 2.11.1. wie folgt definiert: „‚M+S-Reifen zur Verwendung unter extremen Schneebedingungen‘ ist ein Reifen, dessen Laufflächenprofil, Laufflächenmischung oder Bauart vor allem auf Verwendung unter extremen Schneebedingungen ausgelegt sind und der die Anforderungen von Absatz 6.4. dieser Regelung erfüllt.“ Dazu gleich mehr.

Drittens, die Referenzreifen: Es gibt laut der UN-ECE-Regelung Nr. 117 Referenzreifen, SRTT genannt – das Akronym aus dem Englischen steht für Standard Reference Test Tyre –, in vier Dimensionen. Punkt 2.16. dazu: „Standard-Referenzreifen (Standard Reference Test Tyre, SRTT) ist ein Reifen, der nach folgenden Normen der American Society for Testing and Materials (ASTM) gefertigt, geprüft und gelagert wird:

a) E1136-93 (2003) für die Größe P195/75 R14
b) F2872 (2011) für die Größe 225/75 R16 C
c) F2871 (2011) für die Größe 245/70 R19,5
d) F2870 (2011) für die Größe 315/70 R 22,5

„Wenn die Vorführreifen z. B. wegen der Reifengröße, der unzureichenden Belastbarkeit usw. nicht an demselben Fahrzeug wie die Standard-Referenzreifen angebracht werden können, sind bei dem Vergleich Zwischenreifen, die im Folgenden als ‚Kontrollreifen‘ bezeichnet werden, und zwei verschiedene Fahrzeuge zu verwenden. An dem einen Fahrzeug müssen der Standard-Referenzreifen und der Kontrollreifen und an dem anderen Fahrzeug der Kontrollreifen und der Vorführreifen angebracht werden können“, heißt es daraufhin in Anhang 7 unter Punkt 3.4.3.

Viertens, die Qualifikation des „Vorführreifen“ genannten Testreifens: Ob ein getesteter Reifen, in der amtlichen Fassung der UN-ECE-Regelung „Vorführreifen“ genannt, die Mindestanforderungen für die 3PMSF erfüllt, wird über den sog. Snow Grip Index bestimmt, auf Deutsch „Schneegriffigkeitskennwert“ und in kurz SG genannt. Der Snow Grip Index ist laut Punkt 2.17.5. der Regelung „das Verhältnis zwischen dem Bremsvermögen des Vorführreifens und dem des Standard-Referenzreifens“. Das heißt je nach Reifenkategorie muss der getestete Reifen um einen Faktor X besser abschneiden als der Referenzreifen.

Unter Punkt 6.4. der Regelung heißt es weiter: „Um als ‚M+S-Reifen zur Verwendung unter extremen Schneebedingungen‘“ – also als 3PMSF-markierter Reifen – eingestuft zu werden, „muss der Reifen die Leistungsanforderungen von Absatz 6.4.1. erfüllen. Um festzustellen, ob der Reifen diese Anforderungen erfüllt, ist mit einem der Prüfverfahren nach Anhang 7

a) in einer Bremsprüfung die mittlere Vollverzögerung (auf Englisch: Mean Fully Developed Deceleration, MFDD)
b) oder in einer Traktionsprüfung eine durchschnittliche Traktionskraft
c) oder in einer Beschleunigungsprüfung die mittlere Beschleunigung des Vorführreifens mit den entsprechenden Werten eines Standard-Referenzreifens zu vergleichen. Die relative Leistung wird durch einen M+S-Kennwert angegeben.“

Der Punkt 6.4.1. definiert dann die genauen „Anforderungen an die Fahreigenschaften des Reifens auf Schnee“, und zwar für die Reifen der Klassen C1, C2 und C3 (Punkt 6.4.1.1.). Die M+S-Kennzahl (auf Englisch: Snow Grip Index), berechnet nach dem Verfahren gemäß Anhang 7 zur UN-ECE-Regelung unter der Überschrift „Prüfverfahren für die Fahreigenschaften auf Schnee für ‚M+S-Reifen unter extremen Schneebedingungen‘“ und verglichen mit dem Standard-Referenzreifen, muss dabei folgende Mindestwerte erreichen:

Schneeflocke Schaubild_tb

Fünftens, die Testverfahren je nach Reifenkategorie: Je nachdem, welches Produkt getestet werden soll – ob Pkw- LLkw- oder Lkw-Reifen –, kommen unterschiedliche Testverfahren zur Anwendung:

Kategorie C1: Pkw-Reifen:

per Bremstest auf Schnee von 25 auf 10 km/h: der Snow Grip Index muss um den Faktor 1,07, also um sieben Prozent besser sein im Vergleich zum SRTT in 14 Zoll

oder

per Zugkraftmessung (das sogenannte „Drehtraktionsverfahren“): der Snow Grip Index muss hier um den Faktor 1,10, also um zehn Prozent, besser sein im Vergleich zum SRTT in 14 Zoll

Kategorie C2: LLkw-Reifen:

per Bremstest auf Schnee von 25 auf 10 km/h: der Snow Grip Index muss um den Faktor 1,02, also zwei Prozent besser sein im Vergleich zum SRTT in 16 Zoll

oder

Zugkraftmessung: der Snow Grip muss um den Faktor 1,10, also zehn Prozent besser sein im Vergleich zum SRTT in 16 Zoll

Kategorie C3: Lkw-Reifen:

per Beschleunigungsverfahren auf Schnee; Kriterium ist die durchschnittliche Beschleunigung (Erhöhung um 15 km/h): der Snow Grip Index muss um den Faktor 1,25, also 25 Prozent besser sein im Vergleich zum SRTT in 19,5 bzw. 22,5 Zoll.

Darüber hinaus sind in der UN-ECE-Regelung Nr. 117 die Test- und Messmethoden für den Vergleich zwischen Referenzreifen und dem zu testenden Reifen vorgegeben.

Hier werden alle Details beschrieben, z.B. wie die Fahrzeuge ausgestattet sein müssen (ABS, Beladung, Traktionskontrolle, etc.), wie die Teststrecke beschaffen sein muss (eben, maximal zwei Prozent Gefälle, mindestens drei Zentimeter dicke verdichtete Schneedecke, Lufttemperatur, Schneetemperatur usw.), wie die Reifen vorzubereiten sind (Montage, Reifenfülldruck, bei Lkw-Bereifung der verschiedenen Achsen, statische Achslast, etc.) und in welcher Reihenfolge die einzelnen Testreihen durchzuführen sind. ab

 

6 Kommentare
  1. Rainer Bartelheim says:

    Wenn ich den Artikel richtig verstehe, bekommt das 3PMF-Symbol jeder Pkw-Reifen, der einen um 7% kürzeren Bremsweg auf Schnee hat und 10% mehr Zugkraft auf Schnee entwickelt als ein US-Reifen, der im Normalfall bekanntlich auch als M&S mit Sommergummi bestückt ist.
    Das erklärt immerhin, wie mancher Reifen an das Symbol gekommen ist. Offen bleibt hingegen, wer diese Tests überhaupt durchführt. Wegen Überflüssigkeit niemand, möchte ich annehmen.

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    • Jens Döring says:

      Sehr geehrter Herr Bartelheim,
      nein, Sie haben den Artikel scheinbar nicht richtig verstanden, da die Berechtigung zum Aufbringen des 3PMSF-Symbols von der Erteilung einer Genehmigung durch die Behörde abhängt. Dazu ist die Erstellung von Gutachten durch benannte Technische Dienste (Prüflabore) erforderlich. Die Erteilung der Genehmigung ist auf jedem Reifen zu dokumentieren. Sollten Sie Zweifel an der Erteilung solch einer Genehmigung haben, können Sie sich gerne an die Zuständige Marktüberwachungsbehörde wenden.

      Mit freundlichen Grüßen
      Jens Döring

      Antworten
  2. Rose-Marie Bichler says:

    Ich habe am 16.10.2018 4 Stück Allwetter Reifen 225-60-16 Atlas green S4 neu gekauft. Diese haben aber nur die Schneeflocke alleine am Reifen. Ist dieses auch gestattet?
    Wer hat eine rechtsverbindliche Auskunft dazu?

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