Eine Frage des Alters

Bis wann Reifen als neuwertig gelten können, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Während innerhalb der Reifenbranche der Standpunkt vertreten wird, dass ein bis zu fünf Jahre alter Reifen – sachgemäße Lagerung vorausgesetzt – als neuwertig angesehen werden kann, empfindet man beispielsweise beim Automobilklub ADAC anders und fordert eine Höchstlagerdauer für Reifen von zwei Jahren. Und Dekra hat jüngst einen Kompromissvorschlag von vier Jahren ins Spiel gebracht. Unabhängig davon wird in diesem Zusammenhang meist über Pkw-Reifen gesprochen. Nun ist aber unbestreitbar die Sicherheit von Zweiradfahrern in noch viel höherem Maße von der Bereifung abhängig als bei den Autofahrern. Wie also ist der Stand der Diskussion bei Motorradreifen dar, und ist das Alter von Motorradreifen überhaupt ein Thema im Markt?

„Der ADAC vertritt die Meinung, dass das Herstellungsdatum eines Reifens zum Zeitpunkt der Erstmontage nicht mehr als zwei Jahre zurückliegen sollte“, ist einer schriftlichen Stellungnahme des Automobilklubs zum Thema Reifenalter zu entnehmen. Während hier also eine Höchstdauer für die Reifenlagerung von zwei Jahren gefordert wird, vertritt der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e.V. (WdK) und damit die darin organisierten Reifenhersteller zusammen mit dem Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) demgegenüber den Standpunkt, dass ein bis zu fünf Jahre alter Reifen – sachgemäße Lagerung vorausgesetzt – als neuwertig angesehen und unbedenklich vermarktet werden kann.

Ansichten, Meinungen und Kompromisse

Als einen Grund für seine deutlich von den Ansichten der Reifenbranche abweichende Meinung führt der Automobilklub das Argument an, dass aus seiner Sicht innerhalb der Vermarktungskette nicht immer eine optimale Reifenlagerung sichergestellt sei. „Nur bei fachgerechter Lagerung ist von einer verzögerten Alterung der Reifen durch günstige Umgebungsbedingungen auszugehen. Es ist nicht sichergestellt, dass Reifen in jedem Fall optimal gelagert werden. Der Kunde kann die Qualität der Reifenlagerung meist nicht beurteilen. Bei einem Verkaufsalter der Reifen von maximal zwei Jahren kann auch unter ungünstigen Lagerbedingungen von akzeptablen Produkteigenschaften ausgegangen werden“, argumentiert man. Zudem komme der Kunde bei „alten Reifen“ nicht in den Genuss aktueller Reifenentwicklungen, ist der Klub überzeugt. Die Hersteller entwickelten ihre ständig weiter, wobei die Produktzyklen eher kürzer als länger würden, heißt es weiter. „Bei Reifen, die im Alter von über zwei Jahren erstmalig montiert werden, kann der Kunde diese Vorteile nicht nutzen und wird insofern benachteiligt“, findet der ADAC.

„Die vom WdK ausgesprochene Empfehlung, dass Reifen bis zu zehn Jahre bei korrekter Lagerung einsetzbar sind, sollte bei Motorradreifen, insbesondere des Segments Radial-Sport, überarbeitet werden“, meint auch Jörg Essiger, Leiter Marketing und Vertrieb Motorradreifen bei Continental, ohne dabei jedoch konkreter zu werden, an welche Zeitspanne er in diesem Zusammenhang denkt. Teile der ADAC-Argumentation sind darüber hinaus offensichtlich bei der Dekra Automobil GmbH ebenfalls auf offene Ohren gestoßen. Beim zweiten Reifensymposium des Unternehmens im Rahmen der Reifenmesse im Mai vergangenen Jahres in Essen hat nämlich Franz Nowakowski, Dekra-Beauftragter für Sondergutachten, einen Kompromissvorschlag ins Spiel gebracht und die Verbreitung des Schlagwortes „zehn minus sechs ist gleich vier“ angeregt.

Dabei baut diese Gleichung für die Höchstlagerdauer von Reifen ab Herstellung auf in der Branche allgemein akzeptierten Eckwerten auf, wonach von der Nutzung über zehn Jahre alter Reifen dringend abgeraten und der Austausch sechs Jahre im Einsatz am Fahrzeug befindlicher Pneus empfohlen wird. Die Forderungen bzw. Vorschläge – zumindest seitens ADAC oder Dekra – haben allerdings eines gemein: In erster Linie zielen sie wohl meist auf Pkw-Reifen ab. Wie stellt sich nun aber die Situation aber für Motorradreifen dar? Schließlich ist die Sicherheit des Zweiradfahrers in noch viel höherem Maße als bei seinem Pendant auf vier Rädern von der Bereifung abhängig. Vor diesem Hintergrund muss zunächst einmal jedoch die Frage gestellt werden, ob vermeintlich „überalterte“ Motorradreifen überhaupt im Markt in Erscheinung treten.

Fakten, Fakten, Fakten

Was auf den ersten Blick dafür sprechen würde, sind die jährlichen Kilometerfahrleistungen der deutschen Motorradfahrer, die im Durchschnitt niedriger liegen als die von Pkw-Besitzern und zudem seit einigen Jahren – sofern sie sich überhaupt verändern – eher sinken als steigen. Davon zeugt nicht zuletzt der Jahr für Jahr zurückgehende Motorradreifenabsatz im Ersatzgeschäft. „Wir befinden uns in Deutschland auf einem rückläufigen Markt, in dem zusätzlich die durchschnittliche Jahresfahrleistung sinkt. Das muss zwangsläufig auch Auswirkungen auf den Motorradreifenmarkt haben“, bringt Thomas Ochsenreither, Marketing/Leiter Erstausrüstung Motorradreifen bei Michelin, die Situation auf den Punkt. Betrug das bis Ende Oktober vergangenen Jahres aufgelaufene Minus (Industrie an Handel) hierzulande etwa vier Prozent, so schätzt Jörg Essiger, Leiter Marketing und Vertrieb Motorradreifen bei Continental, den Rückgang für das Gesamtjahr 2006 mit fünf Prozent sogar noch ein wenig höher ein.

Zusammen mit einem trotz ebenfalls rückläufiger Zulassungszahlen neuer Maschinen – laut der offiziellen Statistik des Kraftfahrtbundes (KBA) mit gut 184.600 neu auf die Straße gekommenen Krafträdern 2006 das einzige Fahrzeugsegment mit einem Zulassungsminus im Vergleich zum Jahr davor (2005: knapp 189.300 Neuzulassungen von Krafträdern) – weiter gestiegenen Bestand an motorisrierten Zweirädern kann das nur bedeuten, dass eben weniger Motorrad gefahren wird in deutschen Landen. „Die Fahrleistungen in Deutschland sind rückläufig“, bestätigt denn auch Essiger auf Nachfrage dieser Zeitschrift. „Untersuchungen haben gezeigt, dass die durchschnittliche jährliche Fahrleistung von Motorrädern in Deutschland seit Jahren leicht abnimmt. Eine Analyse des Europäischen Motorradinstituts EMI aus dem Jahr 2004 hat einen Durchschnittswert von ca. 3.600 km pro Jahr in Deutschland ergeben“, weiß Frank Löb, Vertriebsleiter Motorradreifen bei der Dunlop GmbH & Co KG.

„Die durchschnittliche Fahrleistung dürfte 2006 etwas geringer gewesen sein als in den Vorjahren. Das mäßige Wetter und die Fußball-WM haben dazu – im negativen Sinne – erheblich beigetragen. Die durchschnittliche Fahrleistung bewegt sich nach unserer Meinung bei 3.500 bis 4.000 Kilometer im Jahr: Fahrer von Tourensportlern und Reiseenduros bilden die Spitze – Chopperfahrer bilden in Sachen Fahrleistung das Schlusslicht“, ergänzt Wolfgang Terfloth, Verkaufsleiter Motorradreifen bei Bridgestone Deutschland. Er geht davon aus, dass vor diesem Hintergrund der Motorradreifenabsatz (Handel an Verbraucher) im zurückliegenden Jahr hierzulande um etwa fünf Prozent zurückgegangen ist. Auch wenn man im Hause Metzeler/Pirelli eine leicht positivere Sicht – Bernd Evers, Leiter Vertrieb Motorradreifen, und Thomas Bischof, Leiter Marketing Motorradreifen, sprechen von einem dreiprozentigen Absatzminus Industrie an Handel bzw. einem „nur ganz leicht ein bis zwei Prozent rückläufigen Markt“ im Verkauf an den Endverbraucher – der Dinge hat, ändert dies jedoch nichts an der Tatsache eines 2006 erneut geschrumpften Absatzvolumens im deutschen Motorradreifenersatzgeschäft.

Insofern sind etwaige Bedenken in Sachen einer potenziellen Überalterung von Motorradreifen vielleicht nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, selbst wenn Frank Löb der Überzeugung ist, dass der über die Jahre beobachtete Rückgang bei den Jahreskilometerleistungen deutscher Motorradfahrer nicht so signifikant sei, als dass dieser Faktor beim Thema Reifenalter eine Rolle spielen würde. Rein theoretisch bleiben aufseiten der Endverbraucher einerseits die Reifen länger an den weniger gefahrenen Maschinen montiert, andererseits dürften angesichts eines rückläufigen Ersatzmarktabsatzes von Zweiradreifen auch im Handel so einige Pneus länger im Regal liegen bleiben als gewünscht. All diesen Überlegungen kann man jedoch damit entgegentreten, dass Motorradreifen ja von vornherein eine geringere Laufleistung aufweisen als Pkw-Reifen dies in der Regel tun. Wie also geht man in der Branche tatsächlich mit dem Thema Alterung von Motorradreifen um?

Motorradreifen ein Sonderfall …

Schließlich hat ADAC-Testingenieur Ruprecht Müller auf konkrete Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG bei dem Automobilklub den Standpunkt des Klubs in Sachen Reifenalter noch einmal bekräftigt bzw. für Motorradreifen sogar noch einmal verschärft. „Motorradreifen sollten beim Kauf grundsätzlich so jung wie möglich sein, jedoch nicht älter als höchstens anderthalb Jahre“, so Müller im Gespräch mit dieser Zeitschrift. Allerdings – so sagt er – sei ihm persönlich bislang selten ein Reifen im Handel angeboten worden, der älter als ein halbes Jahr gewesen sei. Und Müller dürfte nicht gerade selten Ersatz benötigen, legt er doch eigenen Angaben zufolge jedes Jahr etwa 20.000 Kilometer mit dem Motorrad zurück.

Grundsätzlich bestehe jedoch das Problem „alter“ Motorradreifen. „Denn wie bei den Pkw-Reifen oder aufgrund der kürzeren Produktzyklen in diesem Marktsegment vielleicht sogar eher häufiger ändern die Motorradreifenhersteller ab einer bestimmten DOT-Nummer ihre Reifen hinsichtlich etwa Laufflächenmischung oder teilweise Konstruktion/Karkasse. Manchmal ohne die Kunden über die Details zu informieren“, weiß Müller. Dadurch – so die analoge Argumention wie für Pkw-Reifen – werde der Verbraucher benachteiligt, da er überspitzt formuliert mit „veralteter Technologie“ unterwegs sei, ohne etwas davon zu wissen. „Uns geht es vorrangig darum, dass der Kunde über diesen Umstand informiert wird“, macht der Testingenieur die Auffassung des ADAC deutlich. In diesem Zusammenhang empfiehlt er dem Handel selbst ein Konzept zu entwicklen, wie er mit diesem Thema umgeht.

„Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie wollen in einem Markt für Unterhaltungselektronik eine Musikanlage oder einen MP3-Player erwerben, und man will Ihnen dort ein zwei Jahre oder vielleicht noch älteres Gerät als neuwertig verkaufen. In der heutigen Zeit ist so etwas überhaupt nicht mehr denkbar“, wirbt Müller dafür, das Thema Reifenalter einmal aus Endverbrauchersicht zu betrachten. Seiner Erfahrung nach sind Preisnachlässe für „alte“ (Motorrad-)Reifen bislang meist das Mittel der Wahl im Handel, um den Kunden beim Thema Reifenalter entgegen zu kommen. Mitunter würden bei entsprechenden Reklamationen die fraglichen Pneus gegen jüngere getauscht – doch nicht immer.

So berichtet Müller beispielsweise von einem Fall, wo ein Kunde „zu alte“ Reifen in seiner Werkstatt moniert hatte, dort aber zunächst auf taube Ohren stieß. Zumindest so lange, bis er durchblicken ließ, in der Angelegenheit mit dem ADAC in Verbindung zu stehen. Danach habe sich die Werkstatt deutlich kulanter gezeigt. Dieser eine Fall – sagt Müller – hätte beinahe so etwas wie ein Musterfall werden können, denn bekanntlich spielt der ADAC schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, einen Musterprozess in Sachen Reifenalter anzustrengen. Bislang habe sich allerdings noch kein lückenlos dokumentierbarer und damit belastbarer Geschäftsvorgang rund um diese Thematik als Aufhänger für ein Gerichtsverfahren finden lassen. Diese Pläne sind Müllers Worten zufolge nach wie vor jedoch „nicht aus der Welt“, aber andererseits wolle man „nicht mit Gewalt“ einen Fall konstruieren. Zumal alle Fakten wasserdicht sein müssten, da die Reifenindustrie rund um dieses Thema bislang „gut zusammengehalten“ habe.

… oder doch nicht?

Den vom ADAC vorgebrachten Argumenten stehen bis dato anscheinend allerdings keinerlei harte Fakten gegenüber, die aus technischer Sicht gegen die Verwendung von länger als anderthalb oder zwei Jahre korrekt gelagerter Motorradreifen sprechen. So jedenfalls lassen sich die Aussagen von Franz Nowakowski interpretieren. „Diesbezüglich haben wir zu wenige, nur vereinzelte Fälle (ca. ein bis zwei pro Jahr), welche zur Untersuchung bei mir ankommen. Eine spezielle Auswertung zu Alterungsmerkmalen von Kradreifen haben wir aufgrund sehr geringer Stückzahlen nicht durchgeführt. Diese würde auch wegen der wenigen Fälle keine zuverlässige Aussage bringen“, teilt der Dekra-Beauftragte für Sondergutachten auf Anfrage der NEUE REIFENZEITUNG mit. Daher habe sich aus sachverständiger Sicht die Altersdiskussion zu Kradreifen in jüngster Vergangenheit nicht geändert.

Insofern sieht er derzeit keine Veranlassung, Motorradreifen hinsichtlich der Alterungsthematik anders zu handhaben als Pkw-Reifen. „Ob eine verstärkte Diskussion hierzu entsteht, kann ich noch nicht einschätzen. Meine konkreten Empfehlungen zu Kradreifen decken sich mit dem angebotenen Kompromiss von vier Jahren bei fachgerechter Lagerung“, sagt Nowakowski, der als Basis dessen zumindest eine selbst durchgeführte Untersuchung vorweisen kann. Jedenfalls widersprechen deren Ergebnisse dem von ihm genannten Eckwert im Zusammenhang mit Motorradreifen nicht. „Einen Fall – vier Jahre alte Kradreifen – haben wir bezüglich Reibperformance intensiv untersucht. Hierbei ergaben sich keine wesentlichen Unterschiede zu Neureifen“, weiß Nowakowski zu berichten.

„Entscheidendes Kriterium bei der Alterung von Reifen ist das Aushärten der Gummimischung. Ältere Reifen haben also eine höhere Härte als neue, was sich bei Motorrädern hauptsächlich bei der Haftung im Grenzbereich bei großer Schräglage auswirken kann. Daher ist die Verwendung des Reifens auf der jeweiligen Motorradart von Bedeutung: Für Tourer oder Geländermotorräder ist eine weiche Gummimischung im Regelfall nicht sehr wichtig, für Straßensportmotorräder aber schon, zumindest wenn sie sportlich bewegt werden“, so Roger Eggers, Motorradfachmann bei TÜV Nord Mobilität. „Verbraucher sollten die Reifentests in der Fachpresse lesen und bereit sein, für gute Reifen auch etwas mehr Geld auszugeben“, legt er Zweiradfans nahe. Und in Richtung Handel lautet seine Empfehlung, dass insbesondere die den Kunden angebotenen Reifen für Straßensportmotorräder „möglichst neu“ sein sollten.

Dilemma Produktvielfalt

Alles in allem sei das Thema also schon relevant, „wenn auch in geringerem Maße als bei Pkw-Reifen“. Für wichtiger als das Alter hält er eine moderne Konstruktion des Reifens und dessen Abstimmung auf den jeweiligen Motorradtyp. Und diesem Umstand würden die maßgeblichen Hersteller im Markt mit einem auf die jeweiligen Zielgruppen differenzierten Angebot Rechnung tragen. „Auch 2006 blieben die durchschnittlichen Fahrleistungen relativ stabil bei ca. 6.000 Kilometern pro Jahr, allerdings differieren sie in Abhängigkeit vom Einsatzsegment und den persönlichen Vorlieben des einzelnen Motorradfahrers deutlich. Dadurch gibt es auch innerhalb eines Bereiches sehr verschiedene Ansprüche“, sagt Bernd Evers, Leiter Vertrieb Motorradreifen im Hause Metzeler/Pirelli. „Deswegen stehen bei der Entwicklung unserer Reifen die unterschiedlichen Anforderungsprofile der Motorradfahrer im Vordergrund, nicht statistische Werte wie Durchschnittsfahrleistungen“, kann er die Aussagen des TÜV-Mannes nur bestätigen.

Bezogen auf die Entwicklung des Gesamtmarktes sei – so Frank Löb – insgesamt allerdings ein eindeutiger Trend bei der Zunahme immer leistungsstärkerer Motorräder mit immer mehr Hubraum und höherem Drehmoment zu beobachten. „Diese Kraft auf die Straße zu übertragen, erfordert Reifen mit optimaler Balance zwischen Laufleistung und Grip. Die Herausforderung in der Entwicklung ist es, gerade diesen Zielkonflikt zu lösen und die Lasten eines unvermeidbaren Kompromisses sowohl für die eine als auch für die andere Eigenschaft gering zu halten“, zeigt der Dunlop-Vertriebsleister den Spagat auf, den ein Reifenhersteller bei der Entwicklung neuer Produkte beherrschen muss. „Es gibt spezielle Reifen für jeden denkbaren Einsatz, für alle Motorradarten“, bringt Eggers all dies auf den Punkt. Aber genau darin liegt eines der Probleme aufseiten des Handels im Motorradreifengeschäft.

Denn welche Reifen(-größen) legt man sich ins Lager? Im Zweifel sind’s vielleicht gerade die falschen, auch wenn sich der Markt – wie Herbert Krupp, Geschäftsführer des Schifferstädter Großhändlers Reifen Krupp, beobachtet hat (siehe an anderer Stelle dieser Rubrik) – der Markt sich immer mehr auf einige bestimmte Standardgrößen zu fokussieren scheint. Zumal es selbst bei identischer Größe immer noch unterschiedliche Spezifikationen gibt, und der bei Krupp registrierte Trend wohl nur für die „Schnelldreher“ im Markt gilt. Wer angefangen beim Tourer und Naked Bikes über Sportler und Supersportler bis hin zu Choppern/Cruisern oder Enduros möglichst viele motorisierte Krafträder im derzeitigen Bestand in Deutschland – zum Stichtag 1. Januar 2007 weist die offizielle Statistik des Kraftfahrbundesamtes (KBA) immerhin knapp vier Millionen zulassungspflichtige Maschinen und damit 1,7 Prozent mehr Fahrzeuge als zum selben Zeitpunkt 2006 aus – die passende Bereifung im Lager haben will, riskiert also nach wie vor, dass so einige Gummis ziemlich lange in den Regalen liegen bleiben.

Hilfe!

„Speziell bei den Topsellern geraten wir allerdings nicht in die Diskussion bezüglich des Alters, da sie nicht über mehrere Jahre im Lager des Händlers verbleiben“, verdeutlicht Wolfgang Terfloth. „Bridgestone verkauft Reifen bis DOT 04 ohne jegliche Einschränkung. Entscheidend über die Einsatzfähigkeit ist natürlich wie der Reifen in der Zwischenzeit gelagert wurde. Einmalig im Jahr kann der Händler seinen Bestand wandeln. Er kann also ältere Reifen gegen neue austauschen“, fügt er hinzu und bietet gleichzeitig Händlern, die im Zusammenhang mit dem Thema Reifenalter möglicherweise Probleme mit der Argumentation gegenüber ihren Kunden haben, Hilfestellung durch den eigenen Kundendienst an.

„Die Anzahl der Rückmeldungen bzw. Anfragen von Händler- oder Endverbraucherseite ist so gering, dass sie nicht statistisch erfasst werden kann“, berichtet Thomas Ochsenreither von den Erfahrungen bei Michelin. „Es haben sich diesbezüglich keine signifikanten Veränderungen zur Vergangenheit ergeben, und wir erwarten sie auch nicht für die Zukunft“, ergänzt er. Nichtsdestotrotz weise man in Seminaren für den Handel regelmäßig auf die Problematik hin und gebe Ratschläge die optimale Lagerung von Motorradreifen betreffend. „Da wir uns in erster Linie der Sicherheit des Verbrauchers verpflichtet fühlen, raten wir von der Montage eines Reifens, der älter als fünf Jahre ist, in der Regel ab“, macht Ochsenreither den Michelin-Standpunkt deutlich. Eine konkrete Aussage, ab wann ein Reifen als „zu alt“ angesehen werden sollte, gestalte sich deshalb so schwierig, da die Lagerung beim Handel und Endverbraucher in Sachen Temperatur, Feuchtigkeit, Ozon etc. starken Schwankungen unterworfen sei.

Unterstützung bieten aber freilich auch andere Reifenhersteller. So spricht beispielsweise Jörg Essiger von einer „individuellen Handhabung“, falls die Handelspartner sich Problemen mit – vermeintlich oder auch tatsächlich – überalterten Motorradreifen gegenübersehen. Nach dem gleichen Motto verfährt man bei Dunlop. „Mit unseren aktiven Motorradreifenvermarktern suchen wir im Bedarfsfall nach individuellen Lösungen, bieten im Einzelfall auch den Umtausch der Reifen an. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit dem Handel einer Überalterung der Reifenbestände aktiv entgegen zu wirken“, erklärt Motorradreifenvertriebsleiter Frank Löb. „Um mögliche Probleme im Vorfeld auszuschließen, informieren wir mit einem Leitfaden zur sachgemäßen Lagerung unserer Produkte. Motorradreifen unserer Fabrikate Metzeler oder Pirelli haben bei sachgemäßer Lagerung bis zu einem Alter von fünf Jahren keinerlei Einbußen in Qualität und Eigenschaften“, sagt Karlheinz Diepold, Leiter Kundendienst Metzeler/Pirelli-Motorradreifen.

Praxis

Nach den Erfahrungen des Herstellers wird über das Motorradreifenalter in der Branche ohnehin nicht so sehr diskutiert. Es würden zwar immer wieder Fragen zu diesem Thema auftauchen, aber nicht in dem Maße wie bei der aktuellen Pkw-Reifendebatte. „Nach unserer Ansicht haben die jüngsten Diskussionen rund um Pkw-Reifen die Haltung der Motorradfahrer kaum beeinflusst“, so Thomas Bischof. Prinzipiell seien Motorradfahrer bei diesem Thema jedoch sicherlich nicht weniger sensibel als Autofahrer, glaubt er. Frank Löb hat demgegenüber eine leicht andere Sicht der Dinge. „In den vergangenen Jahren haben im Pkw-Bereich die Diskussionen um das Reifenalter zugenommen. Gleiches ist in der Motorradszene zu beobachten. Motorradfahrer gehen im Allgemeinen sogar sensibler mit diesem Thema um als Autofahrer, denn beim Motorradfahren ist das Haftungsvermögen eines Reifens in noch höherem Maße sicherheitsrelevant als bei einem Pkw“, meint er.

„Der Motorradfahrer ist meistens technisch gut informiert und wird beim Kauf der Reifen sowieso auf das Herstelldatum der Reifen achten“, so die Einschätzung beim von dieser Fachzeitschrift ebenfalls befragten TÜV Süd. Eine Meinung, die von dem auf Motorradreifen spezialisierten Großhänder Hohl aus Leverkusen-Hitdorf mehr oder weniger geteilt wird. „Das Thema Reifenalter bei Motorradreifen hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, sicherlich auch durch die Aussagen des ADAC, welche vom Endverbraucher eins zu eins auf Motorradreifen übertragen werden“, weiß Verkaufsleiter Manfred Temme durch den engen Kontakt zu den eigenen Handelspartnern. Die lassen die Leverkusener mit diesem „Problem“ allerdings nicht allein. „Als Hilfestellungen geben wir unseren Partner Informationen zum Thema Reifenalter, die wir von der Industrie erhalten, weiter. Darüber hinaus klären wir in persönlichen Gesprächen unsere Händler über die Dimensionsvielfalt und die daraus entstehenden Produktionszyklen auf. Manche Reifen werden ja nur einmal im Jahr, manche nur alle zwei Jahre produziert“, erzählt Temme.

Des Weiteren versucht Hohl, den Bestand so aktuell wie möglich zu halten. Das Unternehmen achtet eigenen Angaben also zufolge sehr genau darauf, dass keine Bestände überlagern. „Speziell bei Fahrzeugen, die keinen hohen Reifenverschleiß aufweisen wie Chopper/Tourer und Oldtimer ist es nicht einfach, immer einen ‚frischen’ Reifen verfügbar zu haben“, pflichtet Wolfgang Terfloth dem vonseiten der Industrie bei. „Ist ein Motorrad in der Erstausrüstung mit Bridgestone-Reifen ausgestattet, verlangt der Motorradfahrer und auch der Händler vom ersten Tag an eine einhundertprozentige Verfügbarkeit der Reifen. Das ist auch erforderlich, falls es kurzfristig zu einer Panne kommt. Der tatsächliche Bedarf durch den normalen Verschleiß tritt jedoch erst viel später – manchmal erst nach zwei Jahren – ein“, verdeutlicht er anhand eines konkreten Beispiels den dahinter stehenden Aufwand.

Und jetzt?

Wenn es trotz allem aber – wie es aus derzeitiger Sicht den Anschein hat – keinerlei durch stichhaltige Untersuchungen untermauerte technische Gründe gibt, die gegen die bisherige Empfehlungen der im WdK organisierten Reifenhersteller sprechen, sollten eigentlich niemandem graue Haare angesichts des Themas Reifenalter wachsen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die Reifen in der Zwischenzeit sachgemäß gelagert wurden. „Sachgemäß bedeutet dunkel, kühl, trocken und nicht zu gut belüftet. Außerdem sollte der Kontakt mit Ölen und Lösungsmitteln vermieden werden“, erklärt Frank Löb. Klar will jeder Verbraucher immer möglichst „frische“ Ware haben. Aber mal abgesehen von den wenigen Pistenheizern, die bei wirklich jeder Gelegenheit versuchen, neue Bestzeiten – sei es beim Renntraining auf abgesperrtem Kurs oder vielleicht sogar auf öffentlichen Straßen – aufzustellen, und denen dies dank ihrer fahrerischen Fähigkeiten auch tatsächlich mehr oder wenige regelmäßig gelingt, geht es den meisten Verbrauchern, die bei „zu alten“ Reifen die Nase rümpfen, doch wohl nur darum einen Preisnachlass beim Händler herauszuschinden.

Ob überhaupt und gegebenenfalls bis zu welcher Schmerzgrenze der einzelne Händler dazu bereit ist, sich mit dem Hinweis auf einen beispielsweise schon zwei Jahre zuvor produzierten Motorradreifen einen wie auch immer gearteten Rabatt abringen zu lassen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Folgt man der Argumentation der Hersteller, die ihre Produkte schließlich am besten kennen sollten, besteht dazu allerdings keine Veranlassung. Sind die Pneus dann erst einmal am Motorrad montiert, spielt die Diskussion um das Alter ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle. „Die geringe Laufleistung der Motorradreifen im Vergleich zum Pkw ist – natürlich in Abhängigkeit vom Einsatz und der Motorleistung des Motorrads – ein Faktor, der die Alterung stark einschränkt“, teilte jedenfalls der TÜV Süd auf Anfrage der NEUE REIFENZEITUNG mit.

Schließlich würden Motorradreifen zum Beispiel im ZR-Bereich mit Profiltiefen von fünf Millimetern hinten und etwa 3,5 Millimetern vorne ausgeliefert. „Sollte also spätestens bei der gesetzlichen Mindestprofiltiefe gewechselt werden, bleibt zwischen 3.000 und 8.000 Kilometern Laufleistung nicht viel Zeit für die Alterung im Normalfall“, so das Unternehmen weiter. „Für die Einsatzzeit nach Kauf und Montage auf dem Motorrad gilt: Ein Motorradreifen kann bei ständigem Gebrauch über mehrere Jahre – Richtwert ca. acht Jahre – ohne Einschränkungen verwendet werden“, heißt es vonseiten Metzeler/Pirelli. Selbst wenn eine Maschine wirklich einmal über einen so langen Zeitraum nicht bewegt wird und die schwarzen runden Gummis vielleicht doch in Mitleidenschaft gezogen und etwa porös werden: Welcher Motorradfahrer würde sich dann schon auf die Sitzbank seiner Maschine schwingen und einfach losdüsen?

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