Zahlenakrobatik: Wie groß ist der deutsche Ganzjahresreifenmarkt?
Das Thema Ganzjahresreifen ist derzeit in aller Munde, schließlich bleibt eine seitens der Verbraucher offenbar zunehmende Nachfrage nach solchen Produkten zwangsläufig nicht ohne Folge für die Reifenbranche und hier insbesondere für Reifenservicebetriebe bzw. den Handel. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, wie groß der Markt für Ganzjahresreifen in Deutschland derzeit denn überhaupt ist, von großem Interesse. Ganz so trivial ist deren Beantwortung allerdings nicht.
Das vor allem deshalb, weil beispielsweise der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (WdK), der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) oder auch die European Rubber Manufacturers’ Conference (ERMC) in ihren jeweiligen (Absatz-)Statistiken innerhalb des Produktsegmentes Pkw-Reifen zwar zwischen solchen für den Sommer- und den Wintereinsatz differenzieren, es bei alldem aber – zumindest bisher – keine eigene Kategorie Allwetterreifen gibt. Vielmehr werden Ganzjahresreifen, die für den Gesetzgeber bei vorhandener M+S-Markierung und mit zusätzlichem Schneeflockensymbol erst recht Winterreifen sind, seitens der zuvor genannten Verbände/Organisationen zu den Sommerreifen gezählt.
In seiner vor zwei knapp Jahren vorgelegten Studie „Reifenfachhandel 2020“ hat der BRV mit Blick auf die Jahre 2011 und 2012 dennoch von zwei bzw. drei Millionen im deutschen Ersatzgeschäft vom Handel in Richtung Verbraucher vermarkteten Ganzjahresreifen gesprochen und für 2013 bzw. bis 2020 einen Anstieg auf jährlich vier respektive sechs Millionen Einheiten prognostiziert. Für die Betrachtung des aktuellen Status quo bringt einen das aber nicht sonderlich weiter. Ebenfalls nicht viel erhellender wird das Ganze, wenn man Schätzungen der Industrie heranzieht. So hat Pirelli bei der Vorstellung seines „Cinturato All Season“ unlängst für 2014 den europäischen Markt für Ganzjahresreifen auf vier Millionen Einheiten taxiert, von denen fast drei Viertel allein auf Deutschland entfallen sollen. Mit anderen Worten: Pirelli geht für das vergangene Jahr von nicht ganz drei Millionen verkauften Allwetterreifen hierzulande aus, was unter dem Wert liegt, den der BRV schon für 2012 publiziert hatte.
Was also tun, um einen möglichst realistischen Eindruck von der derzeitigen Ganzjahresreifennachfrage zu erhalten? In diesem Zusammenhang hat sich die NEUE REIFENZEITUNG zunächst einmal die Frage gestellt, inwieweit die Deutschen in den Monaten Oktober bis Dezember wohl neue Sommerreifen für ihren Pkw kaufen. Da in einer Auto.de-Umfrage kürzlich nur ein Prozent der Befragten angab, den Winter durch auf Sommerreifen zu fahren, sollte – so eine daraus abgeleitete These dieser Fachzeitschrift – davon auszugehen sein, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit aller in besagten drei Monaten verkauften Pkw-Sommerreifen eigentlich wohl eher um Ganzjahresreifen handelt.
Nimmt man nun weiterhin an, dass es aufgrund ihrer ganzjährigen Eignung keinen bevorzugten Monat für eine Neuanschaffung von Allwetterreifen gibt, dann könnte man basierend auf dem monatlichen Mittel des betreffenden Quartals (= Szenario 1) versuchen, auf das Gesamtjahr hochzurechnen. Auf Basis gesicherter BRV-Marktzahlen für das entsprechende Jahr lässt sich zusammen mit dem vom WdK nachgezeichneten Absatztrend in den einzelnen Monaten bzw. deren jeweiligem Beitrag zum Gesamtabsatz für 2013 auf diesem Weg die Zahl der monatlich in Deutschland verkauften Ganzjahresreifen mit etwa 560.000 Stück abschätzen. Mit Blick auf das Gesamtjahr entspräche dies gut 6,7 Millionen Einheiten, und für 2014 ergäbe sich auf gleichem Weg eine Zahl von rund 7,1 Millionen Ganzjahresreifen bzw. mithin ein Plus von 5,4 Prozent.
Das Problem an der Sache ist nur, dass monatlich 560.000 bzw. 590.000 Ganzjahresreifen 2013 respektive 2014 deutlich über den Sommerreifenverkäufen des Januar im jeweiligen Jahr lägen, sodass die errechneten Werte lediglich wohl als so etwas wie eine absolute Obergrenze angesehen werden können. Versucht man sich in analoger Zahlenakrobatik allein mit den Pkw-Sommerreifenverkaufszahlen im ersten Monat beider Jahre (= Szenario 2), so ergeben sich mit den dort verkauften etwa 320.000 Stück 2013 sowie den 2014 an die Frau bzw. den Mann gebrachten gut 370.000 Einheiten – wiederum unter der Annahme, alle seien eigentlich Ganzjahresreifen gewesen – aus Zwölfmonatssicht in recht guter Übereinstimmung mit der BRV-Prognose für das Jahr 2013 etwa 3,9 Millionen bzw. 4,5 Millionen Stück für 2014.
Das dürfte vermutlich näher an der Realität liegen, selbst wenn dies einem 15,9-prozentigen Wachstum gleichkäme und so ganz nebenbei implizierte, dass die Nachfrage nach „echten“ Sommerreifen von 2013 auf 2014 kaum gewachsen ist, sondern so irgendwo bei 17,5 Millionen Stück stagnierte. Wie immer im Leben wird die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen. Soll heißen: Im Jahr 2013 wurden vermutlich etwa 3,9 bis 6,7 Millionen Ganzjahresreifen in Deutschland vermarktet und vergangenes Jahr 4,5 bis 7,1 Millionen Einheiten. Selbst angesichts der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten rund um die exakte Höhe der absoluten Zahlen steht ein (weiteres) Wachstum des Absatzes von Allwetterreifen wohl außer Frage. christian.marx@reifenpresse.de
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