Kommentar: Besser eine Fernbeziehung als keine – aber auf Dauer?

Messeveranstalter bieten Dienstleistungen, die kaum zu dem Versuch passen, eine global grassierende Atemwegserkrankung wie COVID-19 in den Griff zu bekommen. Das Geschäftsmodell ist das eines Treffpunkts von Menschen, die sich dort näher kommen können und auch näher kommen sollen und wollen. Das Ganze mit dem Ziel, Beziehungen aufzubauen und Beziehungen zu pflegen und von sich und mit seinen Produkten zu überzeugen. Aus Menschen werden Kunden, Kunden bleiben Kunden.

Dass die Koelnmesse nun – mehr als ein Vierteljahr vor der geplanten Eröffnung der Tire Cologne am 24. Mai – die Branchenmesse abgesagt hat, stand bereits seit Längerem zu erwarten. Bereits andere Messeveranstalter hatten in den vergangenen Wochen ihre Events für dieses Frühjahr abgesagt. Neben großen Endverbraucherveranstaltungen wie der Tuning World Bodensee fielen auch Fachmessen mit einem üblicherweise nur begrenzten Besucherzustrom der anhaltenden Corona-Pandemie zum Opfer. Dazu gehören etwa – Stand heute – die Steinexpo (geplant für April) oder die Transport Logistic (Mai). Und nun eben auch die Tire Cologne.

Dabei hatten die Veranstalter der Branchenmesse nach Absage der ursprünglich für Juni 2020 geplanten und damit turnusgemäßen Tire Cologne noch lange darauf gehofft, zumindest mit dem Konzept einer Hybridmesse noch zu retten, was sich offenbar nicht mehr retten ließ. Weniger Messetage, eine begrenzte Standfläche, umfassende Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen und natürlich das digitale Beiprogramm namens „TTC@home“ – so sollte die Tire Cologne 2021 stattfinden können, vorausgesetzt natürlich, entsprechende Veranstaltungen wären dann von den Behörden gestattet gewesen.

Dass die Messeverantwortlichen der Koelnmesse der Reifenbranche keine rein digitale Messe zumuten, lässt den Realitätssinn der Kölner erkennen. Gerade Fachmessen leben von der direkten persönlichen Begegnung von Menschen. Es ist lange her, dass Auftragsbücher auf jedem Besprechungstisch lagen und Exponate samt Broschüren die Messestände verstopften. Heute sind Aussteller Gastgeber, sie laden ein, sie hofieren und – auch das geschieht immer noch – sie informieren. Im Mittelpunkt steht aber immer der Treffpunkt, der Punkt, an dem man sich persönlich trifft. Bekanntlich nimmt die Bedeutung von Messen als formelle Informationsquelle in dem Maße ab, wie digitale Informationsströme zunehmen. Wann wurde schon zuletzt mal jemand von einer wirklichen Weltpremiere im Rahmen einer Messe überrascht?

„Messen bleiben unerlässlich“, hatten die Kölner bereits im vergangenen Herbst betont, als sie ihr Hybridkonzept kommuniziert hatten. Dem kann man nur zustimmen! Nichts ist wichtiger für den geschäftlichen Erfolg als der persönliche Kontakt zum Kunden. Dies trifft mehr denn je auf die Reifenbranche mit ihrem vermeintlich austauschbaren Low-Interest-Produkt und ihrem beträchtlichen Wettbewerb zu. Beziehungen und das Beziehungsmanagement, das ist der einzige Grund, um heute eine Messepräsenz zu rechtfertigen. Es ist nicht der Austausch von Informationen. Vor diesem Hintergrund lässt sich im Übrigen fragen, welche Rolle das digitale Beiprogramm „TTC@home“ eigentlich genau hätte spielen sollen, wenn nicht das eines argumentativen Notbehelfs. Aber auf mehr war es wohl auch nicht ausgerichtet.

Messepräsenzen kosten die Aussteller viel Geld, gerne sechsstellig. Großangelegte Produktpräsentationen kosten sogar noch mehr. Nachdem wir alle bereits seit einem Jahr unser brancheninternes Dasein in einer virtuellen Welt fristen, sollte allen eines klargeworden sein: Produktpräsentationen, Tagungen, Jahresgespräche und Messen lassen sich ohne Präsenz, ohne Begegnungen, ohne Miteinander organisieren. Aber ihnen fehlt dann genau das, was ihr eigentliches Ziel ist: Menschen zusammenzubringen, Menschen von sich und Produkten zu überzeugen und im Wettbewerb den Unterschied zu machen. Sich zum „Call“ vor den Rechner zu setzen, stillt vielleicht ein gewisses konkretes Informationsbedürfnis, es hilft zu glauben, man sei weiterhin mittendrin und nicht nur am Rande dabei. Aber es hilft nicht, Partnerschaften zu begründen oder auszubauen. Selbst die beste Partnervermittlung ist am Ende sinnlos, wenn die Beziehungsinteressierten sich nie begegnen.

Das Gute ist nun: Fast jeder in der Reifenbranche weiß, worauf es ankommt, wie man attraktiv bleibt für seine Kunden. Fernbeziehungen jedenfalls sind dabei nicht sonderlich hilfreich, auch wenn sie über eine erzwungene Trennung hinweghelfen können – für den Moment. Was wirklich hilft, ist nur die Begegnung. arno.borchers@reifenpresse.de

 

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