Reifenbosse ins Kanzleramt

Das hämmerte en passant „America-First“-Präsident in die Hirne deutscher Autobosse während deren Kurzvisite (Vorladung) im Weißen Haus: Belieferung des riesigen Binnenmarktes mit Inlandsproduktion oder aber der Zoll greift eure Gewinne ab.

Schon in der zweiten Hälfte der 80er Jahre sah sich Amerika einem riesigen Handelsdefizit mit der erfolgreichen Exportnation Japan ausgesetzt. Im Wettbewerb konnten viele Industrien mit den Japanern nicht mehr Schritt halten und stimmten ein in den Chor derer, die laut und verzweifelt „unfair trade practices“ zur Erzeugung politischen Drucks durchs Land brüllten. Mit Erfolg, mit Zöllen und Exportbeschränkungen wurde gedroht, es sei denn, man verbaue zum Beispiel in japanischen Autos mehr in den USA gefertigte Teile als bisher; der „local content“ spielte fortan eine zentrale Rolle. Allzu rigide konnten die Amerikaner dieses Spiel ohnehin nicht durchziehen, weil Japan wirksame Gegenmittel zur Hand hatte und deren Einsatz in Form öffentlicher Vorträge schon mal so in den Raum stellte. So verfügte Japan dank der Semiconductor Industry, von der beinahe die ganze Welt abhängig geworden war und damit auch die US-Raumfahrt und das US-Militär über einen wirkungsvollen Hebel. Die im Buch „The Japan that can say no“ zusammengefassten Vorträge wurden verstanden.

Es hat sich wenig geändert in nahezu vierzig Jahren. Bis heute kaufen amerikanische Autofahrer deutsche oder japanische Autos nicht etwa wegen billiger Preise, sondern wegen deren überlegener Bauweise, Qualität und Technik. Während President Trump Importeure zu Investitionen in US-Fabriken zwingen möchte, macht General Motors gerade US-Werke dicht, weil deren Autos nicht ausreichend gefragt sind.

Dennoch ist klar, dass auf Dauer kein Anbieter in nennenswertem Umfang seine Produkte auf einem Markt mit hoher Kaufkraft absetzen kann ohne etwas zur Funktionsfähigkeit dieses Landes beizutragen, sondern hilft, das Handelsdefizit in unermessliche Höhen zu treiben. Auch in Trumps Amerika leben „blue collars“, die ohne Job kein erfülltes Leben haben. Klare Ansagen scheinen nötig zu sein. Trumps Vorgehen mag stillos und rüde erscheinen, aber unverständlich ist es nicht.

Vielleicht kommt auch mal der Zeitpunkt, dass unsere Reifenbosse ins Kanzleramt zitiert werden. Der deutsche Reifenmarkt ist der wichtigste und größte europaweit, doch Reifen werden liebend gern in Billiglohnländern produziert. Continental produziert rund 100 Millionen Pkw/SUV-Reifen in Europa, davon gerade noch rd. 16 Prozent in Deutschland, etwa zehn Prozent noch in Frankreich und der Rest in Billiglohnländern. Für drei Viertel der Produktionskapazität sorgen Billiglohnländer wie Tschechien, die Slowakei, Rumänien und Portugal. Gerade erst ging eine Fabrik in Russland „ans Netz“. Contis Lkw- und Busreifen kommen gar zu 100 Prozent aus der Slowakei. Inzwischen ist Continental wieder als Hersteller von Land- und Forstwirtschaftsreifen aktiv. Mit einer neuen Fabrik in Portugal.

Billige Löhne, lasche Umweltauflagen und geringe sonstige Nebenkosten ziehen Industrieunternehmen magisch an. Dank billiger Löhne werden überdurchschnittlich hohe Gewinne erwirtschaftet, während die Arbeiter „ortsüblich“ entlohnt werden. Verbraucher hierzulande profitieren auch nicht, weil die Preise trotz billigerer Herstellkosten hoch bleiben. Und für „blue collars“ in Märkten mit Kaufkraft wird so die Luft dünner.

Continental ist hier lediglich als Beispiel herangezogen. Ausnahmslos alle in Europa tätigen Hersteller zielen mit ihren Absatzbemühungen auf den deutschen, französischen, englischen und italienischen Markt, aber Fabriken werden seit langer Zeit nur noch in Rumänien, Ungarn, Polen, Russland, Serbien zur Produktion anspruchsvoller Reifen für große Absatzmärkte mit Kaufkraft gebaut. Diese neuen Produktionsländer haben – Ausnahme Russland – keinen eigenen Markt und damit keine Kunden im Herstellungsland, die sich diese Produkte leisten könnten.

Deutschland mag ja Exportweltmeister sein, auch dank Autos, deren Einzelteile zu einem Großteil aus Billiglohnländern gekauft worden sind. Das muss so sein. Anders könnten sich Entwicklungsländer nicht verbessern und hätten dann nur das Recht, auf ewig arm bleiben zu dürfen.

Aber sehen Win-Win-Situationen so aus? Der Arbeiter im Entwicklungsland leistet nicht weniger als ein Arbeiter im Hochlohnland, verdient aber im Vergleich lausig wenig. Der Verbraucher im Hochlohnland wird nicht mit niedrigeren Preisen verwöhnt, nur der Couponschneider hat keinen Grund aufzustöhnen, obwohl er noch mehr Gewinn auch gutheißen würde. Weder der sich selbst als erfolgreichster US-Präsident aller Zeiten bezeichnende Donald noch die Kanzlerin werden oder können das ändern. Vielleicht ist das auch ganz gut so, denn sonst könnte es gar noch schlimmer kommen.

Dennoch, auch hierzulande werden Arbeitsplätze für Arbeiter benötigt. Nicht jeder Mensch hat Potenzial zum Ingenieur oder Wissenschaftler, nicht jeder hatte ausreichenden Zugang zu Bildung.

Und? Bleibt alles wie es ist? Auf Dauer wohl kaum. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

 

2 Kommentare
  1. Werner Vogelgesang says:

    So ist es Herr Haddenbrock. Aber wenn ich durch die Straßen gehe und an den Autos die montierten Reifenmarken zu lesen versuche, da finde ich weniger Contis, Michelins, Pirellis oder Goodyears z.B., aber immer mehr Fantasienamen von Billigmarken. Die Käufer stört es wohl wenig, wenn bei Reifentests diese Billigreifen meist gar nicht gut abschneiden. Hauptsache, sie sind billig!
    So ist die Welt. Und unsere Reifenindustrie muss ja wissen, was sie will.

    Antworten
  2. Anonym says:

    Leider spricht der Bericht nur von einem „deutschen“ Hersteller der den Großteil seiner Reifen im europäischen Billiglohnausland produziert. Bei weitere Recherche hätte man durchaus auf einen amerikanischen Hersteller kommen können, der immerhin noch in 4 von 6 deutschen Standorten produziert. Amerika lebt hier also mehr „Germany first“ als die großen 3 Europäischen. Da aber dies weder von B2B noch von B2C Kunden preislich honoriert wird , wird wohl auch diese Treue zum Standort Deutschland perspektivisch nicht tragbar sein, ohne in signifikante Wettbewerbsnachteile zu münden.
    Vielleicht ist es aber auch die Aufgabe von neutraler,aufklärender und vor allem vollumfänglicher Pressearbeit diese Dinge entsprechend zu publizieren!?

    Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar

An Diskussionen teilnehmen
Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert