Technologien und Kundennähe für Goodyear zentral im OTR-Reifengeschäft
Im Geschäft mit OTR-Reifen auf dem DACH-Markt sind vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend für den Erfolg von Herstellern: Technologien und Kundennähe. Davon jedenfalls ist man bei Goodyear Dunlop in Deutschland überzeugt. Der Hersteller ist auf dem DACH- und dem europäischen Markt einer von vier maßgeblichen Akteuren, setzt Akzente auf dem Ersatzmarkt genauso wie in der Erstausrüstung, legt großen Wert auf eine enge Betreuung der Kunden unter Einbeziehung des Reifenhandels und forciert insbesondere den parallel zum Geschäft mit dem eigentlichen Produkt laufenden Dienstleistungsbereich. Während sich der DACH-Markt in der jüngsten Vergangenheit nicht immer positiv entwickelte, prognostizieren die Verantwortlichen bei Goodyear in Hanau gerade für den wichtigen Radialreifenmarkt ein Wachstum von fünf bis zehn Prozent in den kommenden fünf Jahren, auch wenn der Markt – bedingt durch die Rückgänge bei Diagonalreifen – insgesamt vermutlich weiterhin leicht rückläufig sein wird.
Vom 18 bzw. 24 Zoll großen Multi Purpose Tire SP T9 MPT von Dunlop, der sogar im deutschen Goodyear-Werk in Wittlich produziert wird, bis hin zum Ultra-Large-Reifen RM-4A+ in 63 Zoll aus US-amerikanischer Produktion für die weltweit größten Muldenkipper lässt Goodyears OTR-Reifenprogramm für den DACH-Markt offenkundig wenig Bedarfe ungedeckt. Zu dem Line-up an klassischen EM-Reifen für die verschiedenen Anwendungen und Fahrzeugtypen bietet der US-Hersteller in Europa und damit im DACH-Markt auch ein umfassendes Angebot an Hafen-, Industrie- und Spezialreifen für asphaltierte Untergründe an.
Dabei versteht sich Goodyear sehr wohl als Problemlöser seiner Kunden, deren spezielle Bedarfe sich mitunter nicht einmal vom etablierten und sich ständig weiterentwickelnden Produktprogramm decken lassen. Allein seit 2010 hat der Hersteller in Europa 15 neue Produkte für das OTR-Reifensegment eingeführt, das üblicherweise von langen Produktzyklen gekennzeichnet ist; den oben erwähnten SP T9 MPT von Dunlop gibt es im Prinzip bereits seit den 1980er Jahren, weswegen er in dem MPT-Segment auch als uneingeschränkter Marktführer gilt. Einige der Anwendungen, für die Kunden einen Reifenbedarf decken müssen, seien dermaßen individuell, dass das Standardproduktprogramm nur begrenzt Lösungen anbieten kann, erläutert Frank Löb im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Das ist dann üblicherweise der Moment, so der Verkaufsleiter DACH bei Goodyear Dunlop, an dem eines der wichtigen Kundenbindungsinstrumente des Hersteller zu greifen beginnt: die kundenindividuelle Produktentwicklung. Mehrmals jährlich beginnt der Hersteller zusammen mit seinen Kunden entsprechende Projekte, die mitunter mehrere Jahre bis zu deren Abschluss dauern können. Dabei sei der enge Draht zum Entwicklungszentrum in Luxemburg nebst Reifenfabrik, wo immerhin 99 Prozent der auf dem DACH-Markt verkauften Goodyear-OTR-Reifen entstehen, maßgeblich für den erfolgreichen Abschluss entsprechender Projekte, ist Löb überzeugt. Treffen zwischen den Entwicklern, den Zuständigen bei Goodyear und dem Kunden mit seinem speziellen Bedarf – in der Regel nach Reifen für besonders herausfordernde Einsätze – sei da ohne großen Aufwand möglich und folglich an der Tagesordnung. „Wir haben einen relativ kurzen Arm nach Luxemburg“, umschreibt Frank Löb die enge Abstimmung zwischen den Beteiligten, wenn individuelle Entwicklungsprojekte stattfinden. Dass dabei Goodyear-Entwickler aus Luxemburg auch vor Ort beim Kunden in Deutschland, Österreich oder der Schweiz sind, ergebe sich aus der geografischen Nähe von ganz allein, unterstreicht Löb damit auch ein gewisses Alleinstellungsmerkmal von Goodyear Dunlop im DACH-Markt.
Mitunter entstehen aus Produkten bzw. Profilen oder Mischungen, die für die individuellen Bedarfe eines Kunden entwickelt wurden, auch Reifen für das allgemeine Goodyear-OTR-Reifenprogramm. Ob es eine entsprechende Entwicklung dabei hin zu einem „global business case“ schafft, also zu einem weltweit in die Vermarktung gehenden Reifen, entscheidet dabei immer die Konzernzentrale in Akron (Ohio/USA). Auch wenn ein solcher individuell entwickelter Reifen nicht in Serie gehen sollte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Erkenntnisse aus dem Entwicklungsprojekt in die (Weiter-)Entwicklung anderer Reifen geht, eher groß.
Aber auch darüber hinaus setze man bei Goodyear Dunlop in Hanau auf eine engmaschige Betreuung der Kunden im OTR-Reifensegment, betont Dieter Schölling, im DACH-Markt verantwortlicher Sales Director für Nutzfahrzeug- und damit auch für OTR-Reifen. In diesem Zusammenhang bedeuteten „Kunden“ zunächst einmal die Anwender der Reifen. Diese würden im DACH-Markt immerhin durch eine achtköpfige Vertriebsmannschaft mit Frank Löb an der Spitze betreut. Während dabei das Vertriebsgebiet nach üblichen geografischen Kriterien aufgeteilt ist, gibt es darüber hinaus noch drei Key Account Manager für die drei DACH-Märkte. Außerhalb dieser Vertriebsmannschaft, die operativ im Konzern in die Sparte „OTR EMEA“ mit Sitz in Brüssel eingebunden ist, steht noch die Betreuung der Goodyear-Erstausrüstungskunden auf dem hiesigen und dem EMEA-Markt – ebenfalls operativ in Brüssel ansässig und verantwortet durch Dirk Feldhausen.
Eine entsprechend engmaschige Betreuung könne auch dabei helfen, im Vertrieb von OTR-Reifen einen maßgeblichen Hebel anzusetzen: vor Ort erworbene Leistungsdaten zu den eingesetzten Reifen. Es sei für den Vertrieb von Goodyear zentral, die eigenen Reifen „nachzuhalten“, wie Verkaufsleiter Löb die Registrierung der einzelnen Reifen in einer Goodyear-eigenen Anwendung formuliert. Die Performance der OTR-Reifen daraufhin aufzuzeichnen – dazu gehören natürlich Daten zum Luftdruck, zur Profiltiefe und ganz elementar Daten zu den Maschinenstunden, die bei den regelmäßig und mehrmals jährlich stattfindenden Außendienstbesuchen allesamt erhoben werden –, ist dabei nicht nur für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Reifen aufseiten des Herstellers wichtig. Im Übrigen ist die Aufzeichnung der Daten auch deswegen wichtig, weil bei entsprechenden Erhebungen natürlich immer wieder auch Daten zu Wettbewerbsprodukten abfallen. Solche Daten dienen dem zunehmenden Bedürfnis der Branche nach optimierten Kosten pro Betriebsstunde, lässt sich damit doch eine der zentralen Argumentationen im Vertrieb untermauern. Ähnlich dem Motorradreifensegment, für das Löb bis Ende 2011 als Verkaufsleiter zuständig war, ist auch im OTR-Reifensegment das Thema Performance in der Regel immer wichtiger als der Einstandspreis. Erfährt der Kunde, dass er vielleicht den Reifen mit einem hohen Einstandspreis gekauft hat, dieser aber auf die Betriebsstunden umgerechnet die geringsten Kosten pro Stunde ergibt, hat das Team um Frank Löb schlagkräftige Argumente im Vertrieb zur Hand.
Während Goodyear früher auch für OTR-Reifen das internetbasierte Reifenmanagementsystem FleetOnlineSolutions (FOS) genutzt hat, das immer noch bei Lkw-Reifen Anwendung findet, kommt in dem Segment bei Goodyear heute ausschließlich die Anwendung „EM Track“ zum Einsatz, und zwar weltweit. Die darin gesammelten und ausgewerteten Daten zu den einzelnen Reifen sollen dem Kunden nicht nur dabei helfen, einen Überblick über seine Kosten pro Stunde pro Reifen bzw. Fahrzeug zu erhalten. Sie helfen auch dabei, einen etwaigen Ersatzbedarf rechtzeitig zu veranlassen, werden doch gerade Großreifen üblicherweise nicht in Mengen auf Lager produziert. Dabei ist anzumerken, dass nicht der Kunde selbst die Daten pflegt und auswertet, sondern das Goodyear-Personal. Auch kann der Hersteller sowie der Kunde dabei üblicherweise nicht auf sensorbasierte Daten zurückgreifen. Anders als im Lkw-Reifensegment, wo Goodyear gerade seine Proactive Solutions „für ein intelligentes und wirtschaftliches Flottenmanagement“ im Markt etabliert, kommen Sensoren in Goodyear-OTR-Reifen nicht standardmäßig zum Einsatz. Dies werde derzeit zwar auch im OTR-Reifensegment getestet, betont Sales Director Dieter Schölling, der dort auch eine entsprechende Nachfrage nach sensorbasierten Lösungen im Markt wahrnimmt. Kunden wollten Betriebssicherheit und sie wollten Kalkulationssicherheit, was letzten Endes zu optimalen Kosten pro Stunde und hoher Effizienz der genutzten Produkte führt. Es sei Schölling zufolge wohl nur eine Frage der Zeit, bis das Servicepaket Proactive Solutions auch im OTR-Reifensegment Einzug hält.
Dass auch OTR-Reifen im Laufe von Produktzyklen immer langlebiger werden, ist zwar prinzipiell schlecht für die Marktnachfrage, aber sehr wohl im Interesse des Kunden – und damit im Interesse des Herstellers. Dass sich aber die Kosten pro Stunde auch außerhalb von langfristigen Entwicklungsschritten reduzieren lassen, habe etwa die Einführung sogenannter Automated Guided Vehicles (AGVs) im Containerterminal Altenwerder im Hamburger Hafen gezeigt, wie Frank Löb erläutert. Die Reifen der fahrerlosen Transportfahrzeuge würden aufgrund eines absolut verschleißarmen Fahrverhaltens eben auch deutlich länger halten, so der Verkaufsleiter, und unterstreicht damit noch einmal die Bedeutung von Technologien – auch von Reifentechnologien – und von Anwendungen, die entsprechende Leistungsdaten als Grundlage für Kaufentscheidungen des Kunden aufbereiten. In dem Zusammenhang: Gerade Verschleißfaktoren zu erkennen, ist das A und O von „EM Track“.
OTR-Reifenmarkt mit gegensätzlichen Entwicklungen
Daten zum OTR-Reifenmarkt sind – wie auch zu anderen Märkten – immer nur schwer zu erhalten und immer nur bedingt verlässlich. Ein Großteil der Unschärfe in etwaigen Betrachtungen entsteht durch die große Menge an importierten Reifen, die nicht in die ansonsten überaus verlässlichen Europool-Zahlen Eingang finden. Für den DACH-Markt jedenfalls rechnet man im Markt aktuell mit einem Marktvolumen von rund 75.000 OTR-Reifen. Dieses Volumen nach Stückzahlen lässt sich dabei für die eindrückliche Betrachtung dritteln. Während sich das erste Drittel des Marktes nahezu ausnahmslos die etablierten Hersteller Michelin, Bridgestone und natürlich Goodyear untereinander aufteilen, wird das zweite Drittel durch Continental abgedeckt; der deutsche Hersteller meldet entsprechende Reifen erst seit 2017 in die Europool-Statistik, wodurch diese mit dem Jahreswechsel 2016/2017 auf einen Schlag verdoppelt wurde. Der deutsche Hersteller ist dabei vor allem im volumenstarken Industriereifensegment eine absolute Marktgröße. Die Vergleichbarkeit der Zahlen ist aber gerade deswegen nicht einfach, da Continental auch vermeintlich kleine Reifen in Europool einmeldet. Eine Zweitmarkenstrategie ist dabei weder bei dem einen noch bei den anderen soeben genannten vier Herstellern wahrzunehmen; OTR-Reifen sind Premiumreifen. Das letzte Drittel ‚gehört‘ dann den nach Europa exportierten bzw. vom DACH-Markt importieren Reifen, wobei hier die größten statistische Unsicherheit im Markt herrscht. Für das laufende Jahr erwarten die Branchenteilnehmer ein europäisches Marktvolumen laut Europool-Statistik von rund 230.000 OTR-Reifen.
Während der hiesige Markt für Radialreifen einerseits kontinuierlich wächst, befindet sich der Markt für Diagonalreifen im freien Fall. Goodyear-Verkaufsleiter Frank Löb zufolge erwarte man auch für die kommenden Jahre eine entsprechende Entwicklung. Je nach Segment, so erwartet man bei Goodyear in Hanau, werde der Markt für Radialreifen in den kommenden fünf Jahre um fünf bis zehn Prozent anwachsen. Im gleichen Zeitraum werde das Diagonalreifensegment um 20 bis 30 Prozent fallen. Aber auch hier gilt: Weil die Menge an Importreifen nicht genau abzuschätzen ist, könne der Rückgang bei Diagonalreifen auch geringer ausfallen; die Reifen gelten etwa in einigen Hafenanwendungen weiterhin als State of the Art. „In Summe entwickelt sich der Markt aber leicht negativ“, so Löbs Erwartung. arno.borchers@reifenpresse.de
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