Kommentar: Das HSV-Syndrom
Selbst als Nicht-Fußballfan kam man dieses Jahr schwerlich am spannenden Finale der Bundesligasaison 2014/2015 vorbei. Das hatte freilich weniger mit der Entscheidung an der Spitze zu tun, weil der FC Bayern München schon frühzeitig als Meister feststand, als vielmehr mit der Situation im „Tabellenkeller“ der höchsten Spielklasse im deutschen Fußballsport. Denn bis zum letzten Spieltag war offen, welche Mannschaft absteigen muss bzw. sich wenigstens noch Hoffnung auf zwei Relegationsspiele gegen den Dritten aus der zweiten Fußballbundesliga machen kann. Das Ganze ist aber nicht nur deshalb auch aus Sicht des Themas Reifen interessant, weil immer mehr Hersteller das Fußballsponsoring für sich entdecken. Denn der Hamburger Sportverein (HSV) erinnert einen irgendwie an den Reifenfachhandel: Saison für Saison, Jahr für Jahr mogelt man sich mehr schlecht als recht durch die Spielzeit und schafft es dabei trotzdem immer irgendwie, sich gerade noch so in der Topklasse zu halten.
Was also der Fußballbundesliga ihr „Dino“ HSV ist, weil der seit Gründung der ersten Liga noch nie daraus absteigen musste, ist der Reifenfachhandel im deutschen Ersatzgeschäft: Noch kann er seine marktführende Position (knapp) verteidigen. Die Frage ist jedoch: Wie lange kann das noch gut gehen? Schließlich ist die Konkurrenz stark bzw. wird sie immer stärker – im einen wie im anderen Fall. Dass man sich im Überlebenskampf immer auf einen starken Partner – bei dem norddeutschen Fußballklub ist es der Unternehmer Klaus-Michael Kühne, beim Reifenfachhandel ist (bzw. war?) es die Reifenindustrie – wird verlassen können, ist dabei jedoch nicht in Stein gemeißelt. Insofern gilt es, selbst das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen, anstatt sich weiter nur in Lethargie zu üben bzw. auf den eigenen „Dino“-Status zu bauen und zu hoffen, dass es schon irgendwie weitergehen wird.
Denn selbst die noch so großen Dinosaurier sind letztendlich auf der Strecke geblieben bzw. ausgestorben, weil sie sich nicht auf geänderte Lebensbedingungen einstellen konnten. Der Reifenhandel kann aber, wenn er denn wirklich will: Davon bin zumindest ich überzeugt. Möglicherweise ist der „Leidensdruck“ bei manchem aber noch nicht hoch genug, obwohl beispielsweise die Marktentwicklung im bisherigen Jahresverlauf bezogen auf die abgesetzten Stückzahlen (wieder einmal) bekanntlich alles andere als rosig aussieht. Es wird also höchste Zeit, dass die Branche den Borussen aus Dortmund nacheifert: Nach einem enttäuschenden Abstiegsplatz zum Ende der Hinserie der zurückliegenden Bundesligaspielzeit hat sich der BVB bis zum Saisonende schließlich wieder zurück in höhere Regionen der Tabelle kämpfen können bzw. es letztlich sogar noch auf den siebenten Platz geschafft. Denn nur wer nicht kämpft, hat schon verloren. christian.marx@reifenpresse.de
Sehr geehrter Herr Marx,
mit Interesse habe ich Ihren Kommentar über das HSV-Syndrom gelesen. Während ich mit Schmunzeln der ersten Hälfte Ihres Beitrages zustimmen kann, muss ich Ihrer Schlussfolgerung in der zweiten Hälfte einige kritische Anmerkungen entgegenhalten. Wenn Sie den Königsweg für die Gesundung des Reifenhandels kennen würden, würden Sie als Unternehmensberater durch die deutsche Reifenlandschaft ziehen und sich eine goldene Nase verdienen.
Kennen Sie noch die Zunft der Autoelektriker? In jeder Stadt gab es mehrere. Wo sind sie denn heute? Den Weg der Dinosaurier gegangen? Fast jedes neue Auto wurde nach Auslieferung zum Autoelektriker gefahren um ein Radio einbauen zu lassen, beim ersten Saisonwechsel kam das Auto zum Reifenhändler, um Winterreifen/-räder montieren zu lassen. Heute kommt jedes Fahrzeug mit Radio und/oder Stereoanlage vom Werk. Heute werden in immer größerem Umfang Winterreifen vom Autohändler zum Fahrzeug kostenlos dazugegeben und zunächst kostenlos eingelagert. Der Kunde ist für den Reifenhandel verloren. Ich selbst habe durch dieses System persönliche Freunde als Kunden verloren. Sie bestätigten, mir gegenüber ein schlechtes Gewissen zu haben, aber sie konnten einer kostenlosen Zugabe nicht widerstehen. Der klassische Reifenhandel kann diesen Zustand beklagen, ändern wird er ihn nicht.
RDKS wurde dem Reifenhandel als große Chance offeriert. Was ist geschehen: Der Autohandel verkauft Kompletträder mit RDKS zu Preisen, zu denen gerade Felge und Sensor zu bekommen sind, die Reifen gibt es scheinbar gratis dazu. Die Erstausrüsterpreise finden den Weg in den Ersatzmarkt. Der Kfz-Service wurde als weitere Chance für den klassischen Reifenhandel empfohlen. Wenn ich den BBE-Betriebsvergleich 2014 richtig lese, beträgt der Umsatzanteil mit Kfz-Service zwischen 9,7 und 10,2 Prozent. Daran wird die Branche nicht genesen. Der Markt der freien Werkstätten ist fast genauso überbesetzt wie der Reifenhandel. Das erklärt auch Preise von unter zehn Euro für vier Radwechsel, nur um ein Fahrzeug in die Werkstatt oder auf den Hof zu bekommen.
Vom Internet habe ich noch gar nicht gesprochen. Mein Enkel, der an der Hochschule studiert, berichtet, dass seine Kommilitonen kaum in den klassischen Fachhandel gehen, sondern bevorzugt das Internet (vielleicht nachts um 23 Uhr) nutzen. Da können wir noch so viel guten Service bieten, er wird gar nicht wahrgenommen. Wann habe ich einmal einen Student in unserem Geschäft gesehen. Fehlanzeige!
Ich möchte nicht nur in Pessimismus verfallen. Sondern darauf hinweisen, dass die Probleme vielschichtig und schwierig sind. Ich meine, das Sprichwort „Das Bessere ist des Guten Feind“ trifft auf unsere Branche ebenso zu wie für den BVB. Er musste besser sein als vor ihm liegende Vereine. Der Reifenhandel und jeder einzelne Betrieb muss besser sein als andere Vermarkter und das muss kommuniziert werden, jeden Tag und immer wieder. Das viel beschworene Aufkrempeln der Ärmel allein nutzt nichts.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Strobel
Strobel Reifen + Service GmbH in Hof
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Internet gehört in unsere Zeit wie das Salz in der Suppe. Nur: Wer nutzt es, um seinen individuellen Kundenkreis direkt anzusprechen? Überwiegend wird einfach eine Preisschlacht darüber ausgetragen, anstatt auf regionale Gegebenheiten einzugehen. Hand aufs Herz, wer geht in seiner Beratung auf den hier angesprochenen Studenten als potentiellen Kunden ein? Wer sagt dem Studenten auf seiner Homepage: Hey, leg mir deinen Studentenausweis vor und du bekommst einen Extra Rabatt von 5%? Wer erzählt dem Studenten genau das, was der Student hören will? Wer hat sich bereits Gedanken gemacht was in einem Beratungsgespräch von einem Studenten für Schlüsselworte fallen sollten? Der Reifen(fach)handel hat nach wie vor enorme Potentiale, nur der Blickwinkel auf den Kunden und seine Bedürfnisse muss sich grundlegend ändern! Die drei Wörter “einfach gezielt beraten” eröffnen dem Reifen(fach)handel ein enormes Potential für die Zukunft. Nur hier kommen wir zum Dinosaurier, der lernen muss sich anzupassen….