Marangoni: Marktentwicklungen für Anagni-Schließung verantwortlich

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Als gestern am späten Nachmittag die Meldung kam, Marangoni würde sich jetzt aus der Neureifenfertigung zurückziehen, bestätigte sich damit für viele Beobachter in Italien und darüber hinaus eine lange gehegte Befürchtung. Bereits seit Jahren, so wird hinter vorgehaltener Hand von Kennern des Unternehmens betont, unterhalte die Marangoni-Gruppe mit ihrer Pkw- und LLkw-Reifenfertigung in Anagni eine defizitäre Geschäftseinheit. Deren Ende ist nun nah.

Die Produktionsstätte sei mit ihrer geschätzten Kapazität von drei Millionen Reifen pro Jahr schlichtweg zu klein, um profitabel betrieben werden zu können, und trotz kontinuierlicher Investitionen in Maschinen und Anlagen nicht auf dem technischen Stand, um im oberen Leistungssegment ein wettbewerbsfähiges Angebot machen zu können, heißt es dazu im Markt. Laut Marangoni seien seit 2005 rund 34 Millionen Euro in die ehemalige und 1961 gegründete Ceat-Fabrik in Anagni investiert worden, die erst 1989 in das Unternehmen kam und damit den Einstieg in die Neureifenproduktion für Marangoni bedeutete. In diesem Zusammenhang spricht Marangoni von „beträchtlichen Investitionen“. Aktuell steht Marangoni Tyre – das Neureifengeschäft – für rund 20 Prozent des Gesamtumsatzes, den das Privatunternehmen mit 474 Millionen Euro (2011) angibt; im vergangenen Jahr lag diese Zahl Medienberichten zufolge vermutlich bei rund 400 Millionen Euro. Mit der aktuellen Entscheidung beendet die Marangoni-Gruppe nun einen 24-jährigen Ausflug in die Neureifenfertigung, wodurch vermutlich 400 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren. Marangoni will sich nun auf das Kerngeschäft in der Runderneuerung und bei Maschinen und Anlagen zur Reifenherstellung konzentrieren. Inwieweit diese Aktivitäten durch die Schließung des Werkes in Anagni betroffen sein werden, lässt sich momentan nur schwer abschätzen. Nicht spurlos wird das Ende der Neureifenfertigung vermutlich an der Marangoni-eigenen Reifenhandelskette „Pneusmarket“ in Italien vorbeigehen. Über die rund 50 Outlets dürfte ein nicht unerheblicher Anteil der selbstproduzierten Reifen vermarktet worden sein.

Dass Marangoni mit der Neureifenfertigung ein beträchtliches Problem zu lösen hat, wurde zuletzt allen Beobachtern Anfang der vergangenen Woche klar. Als die Mitarbeiter der Fabrik in Anagni bei Rom am 26. August nach der Sommerpause wieder auf der Arbeit erschienen, konnten sie die Fertigung nicht wieder aufnehmen. Wie lokale Medien dazu jetzt berichten, fehlte es schlichtweg an den notwendigen Rohstoffen. Dies ist in allen Branchen der Welt in der Regel ein untrügerisches Zeichen für gravierende Probleme im Unternehmen bzw. demnächst drohende Entscheidungen in Bezug auf die betreffende Produktionsstätte.

Zunächst hieß es, die rund 400 Arbeiter in der Reifenfabrik würden bis zum Ende des Jahres ‚nur’ auf Kurzarbeit geschickt. Als dann die Meldung die Runde machte, es würde gestern Morgen eine Betriebsversammlung in Anagni zur Zukunft des Werkes geben, schien dessen Schicksal besiegelt. Und so war es dann auch. Das Management machte gestern die Ankündigung, die Reifenproduktion in Anagni würde nicht wieder hochgefahren und – mehr noch – würde jetzt geschlossen werden.

Trotz der oben bereits erwähnten „Investitionen zum Aufrechterhalt von Produktion und Beschäftigung“ und zusätzlich „dazu der Nutzung aller erdenklichen, auch außerordentlichen, Instrumente zum Erhalt der Arbeitsplätze“ sei es dem Werk Anagni „nicht gelungen, der Situation standzuhalten, die einerseits durch strukturelle und marktspezifische Entwicklungen entstanden ist (nur ein Beispiel ist die immer stärkere Konkurrenz von kostengünstigen Reifen aus außereuropäischen Ländern), und andererseits, auf makroökonomischer Ebene, durch die seit einigen Jahren andauernde, weltweite Krise (mit einem Einbruch der Nachfrage nach Pkw-Reifen, der 2012 europaweit 13 Prozent und in Italien sogar 26 Prozent betrug)“, sucht die Marangoni-Gruppe die Schließung der Fabrik mit externen Entwicklungen zu begründen.

Die Verantwortlichen der Marangoni-Gruppe haben zwar stets betont, mit laufender Neureifenfertigung den „kompletten Lebenszyklus eines Reifens“ im eigenen Unternehmen abbilden zu können und dadurch bei der Entwicklung neuer Produkte, Technologien, Maschinen, Anlagen und Verfahren insgesamt profitieren zu können. Gerade im Bereich Forschung und Entwicklung sah man große Vorteile und Potenziale und nutzte dies als Argument über viele Jahre hinweg offiziell zur Begründung, mit dem Geschäft fortzufahren – trotz kontinuierlicher Verluste, die notwendige Investitionen in adäquater Höhe in die mittlerweile über 50 Jahre alte Fabrik schlichtweg verhindert haben.

Entsprechende Mittel, die nun nicht mehr durch das defizitäre Neureifengeschäft gebunden sind, kann die Marangoni-Gruppe nun gut in sein Kerngeschäft investieren, in dem die Italiener in Europa in jedem Fall und mehr und mehr auch darüber hinaus zu den Marktführern zählt. Marangoni und Runderneuerung – das ist seit Jahren, seit Jahrzehnten ein Begriff, der sich auch in Deutschland fest eingeprägt hat, nicht zuletzt auch durch die Übernahme von Ellerbrock 1990. Marangoni war es in den vergangenen Jahren – insbesondere auch mit seiner Ringtread-Technologie – weltweit auf wichtigen Märkten Fuß zu fassen und dort auch zu investieren. So entstanden eigene Produktionsstätten für Runderneuerungsmaterialien in Brasilien und in den USA. Es scheint daher nur konsequent, dass Marangoni sich nun wieder auf seine ‚alten Stärken’ besinnt und konsequent seine Position auf dem europäischen und weltweiten Runderneuerungsmarkt weiter ausbaut.

Wie Marangoni jetzt betont, wolle man die Kontinuität der Lieferungen „durch Bestände und Zusatzlieferungen“ gewährleisten. Wann dann die Versorgung mit Pkw- und LLkw-Neureifen der Marken Marangoni und Stunner endet, ist derzeit noch nicht klar.

„Die Gruppe ist gewillt und bereit, mit den für die Bewältigung dieses schwierigen Moments zuständigen Behörden und Organisationen sämtliche Lösungen zu erwägen und teilt mit, dass für die rund 400 Beschäftigten des Werks Anagni soziale Auffangleistungen eingeleitet werden“, heißt es dazu abschließend in einer Mitteilung. arno.borchers@reifenpresse.de

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