Frühjahrsgeschäft könnte zur Nagelprobe fürs Reifenlabel werden
Wenn neu gewählte Politiker ihr Amt antreten, dann gewährt man ihnen gemeinhin so etwas wie eine 100-tägige Schonfrist für die Einarbeitung. In aller Regel wird erst danach ein wenig kritischer hingesehen bzw. Kritik geübt. Das ist beim EU-Reifenlabel völlig anders. Schon im Vorfeld sowie bald auch nach dem offiziellen Stichtag für die Reifenkennzeichnungsverordnung am 1. November 2012 wurde und wird weiter von vielen Seiten daran herumgemäkelt. Vor diesem Hintergrund haben der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (WdK) und die Deutsche Energieagentur GmbH (DENA) Ende Januar gemeinsam zu dem Symposium „90 Tage neues Reifenlabel“ nach Berlin eingeladen.
Einerseits ging es dabei um eine erste Zwischenbilanz nach dem Wintergeschäft, in dem das Labeling allein schon wegen darauf fehlender Winterkriterien nach allem, was der NEUE REIFENZEITUNG seitens des Handels bisher zu Ohren gekommen ist, so gut wie keine Rolle im Kundengespräch gespielt hat. Andererseits sollte mit Blick darauf und auf die bevorstehende Frühjahrssaison vordergründig offenbar außerdem eine Art nächste Stufe in Sachen Etablierung des Reifenlabelings „gezündet“ werden. Gleichzeitig war bei alldem aber insbesondere das Bemühen der Symposiumsausrichter beinahe mit den Händen greifbar, die offiziellen staatlichen Stellen nachdrücklich an ihre Marktüberwachungspflichten rund um das Reifenlabel zu erinnern. Dabei stand des Öfteren – aber freilich in anderem Zusammenhang als zuvor – vor allem die Begrifflichkeit „Schritt zwei“ im Raume. Es gehe letztlich darum sicherzustellen, dass auf dem Label das draufsteht, was [in den Reifen] drin ist, formuliert DENA-Geschäftsführer Andreas Jung das dahinter stehende Anliegen.
„Der Erfolg des Labels hängt von einer konsequenten Überwachung ab“, so daher Jungs klare Botschaft schon gleich zu Beginn der Veranstaltung. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass das Ganze ins Leere laufe. Ins gleiche Horn stößt WdK-Präsident Dr. Rainer Landwehr: Seinen Worten zufolge ist die Einführung des Reifenlabels Ende vergangenen Jahres rein technisch gesehen zwar recht reibungslos gelungen, doch nach der termingerechten Umsetzung der Kennzeichnungspflicht durch die Reifenindustrie und den Handel komme es nun darauf an, das Verbrauchervertrauen in das Reifenlabel zu entwickeln und zu festigen. Nur eine flächendeckende, unabhängige Marktüberwachung durch fortlaufende Kontrollen könne die Wertigkeit des Labels dauerhaft sicherstellen. „Eine effiziente Marktüberwachung sichert die Akzeptanz des Reifenlabels, und nur so können die Nachhaltigkeitsziele, geringerer Energieverbrauch, Lärmschutz und ein hohes Sicherheitsniveau dauerhaft gefördert werden“, ist der WdK-Präsident überzeugt.
Insofern sieht er an dieser Stelle nun den Bund und insbesondere die Länder in der Pflicht, den gesetzlichen Anforderungen nachzukommen und die Korrektheit der Labeldaten zu überprüfen. Von sich aus habe die Reifenindustrie nicht nach dem Reifenlabel gerufen, so Landwehr im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Aber da die Politik dies nun einmal als eine Art „Leitplanke“ vorgegeben hat, um damit die Entwicklung effizienterer, sichererer und leiserer Reifen voranzutreiben, müsse gewährleistet sein, dass alle Marktteilnehmer nach denselben Regeln spielen. Alldem lässt sich ein grundlegendes Misstrauen gegenüber Wettbewerbern vor allem aus dem asiatischen Raum bzw. so manchem fernöstlichen Reifenhersteller entnehmen. Nicht umsonst sprach wohl auch der DENA-Geschäftsführer Andreas Jung im Rahmen des Reifenlabelsymposiums ein ums andere Mal in einem Atemzug von Nachhaltigkeit auf der einen sowie einem fairen Wettbewerb auf der anderen Seite.
Immerhin hat die Branche nach Landwehrs Auskunft einen hohen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag in das Reifenlabeling investiert: sei es beispielsweise für die Klassifizierung der eigenen Produkte, die Bereitstellung der Labelinginformationen in Verkaufsunterlagen bzw. über Aufkleber oder auch in Form der (Weiter-)Entwicklung von Reifen und Produktionsprozessen, um letztendlich eine bessere Einstufung erzielen zu können. Da ist es nur verständlich, dass es den Herstellern ein Dorn im Auge ist, wenn irgendein Anbieter einfach so Labelbestwerte auf seine Produkte pappt, ohne dass eine solche Kennzeichnung durch die tatsächlichen technischen Leistungseigenschaften gerechtfertigt wäre. Einigen Automobilzeitschriften ist bei ihren Tests schließlich bereits so manche Ungereimtheit rund um die Labeleinstufungen aufgefallen. „Ich möchte nicht unterstellen, dass Hersteller schummeln. Aber wir haben schon Widersprüche festgestellt“, kann beispielsweise Christof Gauss bestätigen.
Der Leiter Fahrzeugtest beim ADAC berichtete im Rahmen des Symposiums etwa von einem Nassbremstest, bei dem zwischen dem besten und dem schlechtesten Reifen um die zehn Meter Bremswegdifferenz gemessen wurde, beide in Bezug auf die Nasshaftung aber die gleiche Labeleinstufung aufgewiesen haben sollen. „Das Label ist gut, aber es muss glaubwürdig sein. Die Informationen darauf dürfen den Verbraucher nicht in die Irre führen“, sagt daher auch Gauss. Dass die Labelinginformationen auf einer Selbstzertifizierung der Reifenhersteller beruhen, scheint – berechtigt oder nicht – einer Gründe der für bestehende Vorbehalte gegen die Reifenkennzeichnung zu sein. Vor allem aufseiten der Reifenvermarkter, wie der geschäftsführende Vorsitzende des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) Peter Hülzer zu berichten wusste.
Eine bis dato eher abwartende, skeptische und bisweilen sogar negative Haltung bescheinigt er dabei allerdings nicht nur dem Reifenfachhandel, sondern dies gilt nach den Erfahrungen des BRV querbeet ebenso für alle anderen Vertriebskanäle. Dabei wird das Reifenlabeling von der Branchenvertretung selbst eher als positiv angesehen. „Mit dem Reifenlabel bestehen Chancen für eine Premiumvermarktung, was nach dem recht negativen Geschäftsverlauf 2012 in weiten Teilen der Branche sicher nicht verkehrt ist“, so Hülzer. Das Label werde die Verbraucher seiner Einschätzung nach nämlich dazu bewegen, ihre Reifen zukünftig vermehrt „nach Qualität zu kaufen und nicht nach Preis“. Nichtsdestoweniger ließ Hülzer jedoch durchblicken, dass die Verbraucher bisher überwiegend noch mit Desinteresse auf die neue Reifenkennzeichnung reagiert hätten. „Selbst 14 Tage vor der Einführung kannten einer KÜS-Umfrage zufolge 87 Prozent das Reifenlabel noch nicht“, sagt der BRV-Vorsitzende, der den Einführungstermin zum 1. November zudem als „unglücklich“ bezeichnet.
Seiner Meinung nach wird sich die Bekanntheit des Labels mit der Zeit aber erhöhen, schon allein weil analog zur „situativen Winterreifenpflicht“ vor rund zwei Jahren diese Thematik im Besonderen und im Zuge dessen Reifen im Allgemeinen immer wieder in den Medien präsent sind. „Reifen werden völlig zu Unrecht von vielen als Low-interest-Produkt angesehen. Mithilfe des Reifenlabels lässt sich vermitteln, wie viel Know-how in den Produkten steckt“, rät Hülzer, die Reifenkennzeichnung als möglichen Einstiegspunkt für die Kundenberatung zu nutzen. „Die Vorteile für den Verbraucher liegen auf der Hand. Der Reifenkäufer erhält erstmals Informationen über drei wesentliche Leistungsmerkmale, die sich exakt auf den Reifen beziehen, den er für sein Fahrzeug braucht“, sieht der WdK-Präsident Dr. Rainer Landwehr das Ganze mehr oder weniger genauso. Immerhin könne beim Kraftstoffverbrauch die Ersparnis zwischen Reifen mit hohem und niedrigem Rollwiderstand bis zu 7,5 Prozent betragen.
„Bei durchschnittlichem Verbrauch summiert sich das während eines Reifenlebens auf gut 300 Euro. Der Sicherheitsgewinn durch einen kurzen Bremsweg versteht sich von selbst, und ein leiserer Reifen ist nicht zuletzt ein Komfortgewinn für den Fahrer“, betont er einmal mehr die Argumente, die für eine möglichst gute Einstufung sprechen und die so auch dem Verbraucher vermittelt werden sollten. Die drei Kriterien seien so etwas wie ein Einstieg, selbst wenn so manche Automobilzeitschrift deren begrenzte Aussagekraft im Hinblick auf die Qualitäten eines Reifens kritisiere, findet Landwehr. Wenn irgendwann eine Erweiterung hinsichtlich weiterer Kriterien kommen sollte, dann wünschte er sich jedoch, dass Wintereigenschaften in irgendeiner Form Berücksichtigung fänden. Mehr allerdings nicht, wie er gegenüber dieser Fachzeitschrift betont. Automobilmagazine würden bei ihren Reifentests zwar bis zu 20 Einzelkriterien überprüfen und die Industrie bei der Entwicklung neuer Produkte sogar rund zweieinhalbmal so viele. „Doch Sinn kann nicht sein, die Verbraucher über 50 Parameter zu informieren. Drei genügen für den Anfang erst einmal“, meint er.
In ein paar Jahren werde man sehen, wie sich das Labeling auf die Effizienz und die (Nassbrems-)Sicherheit der Reifen ausgewirkt habe. Noch sind es nach einer Erhebung des WdK nämlich nur relativ wenige Produkte, die in den beiden Kriterien Rollwiderstand und Nassbremsen die beiden höchsten Einstufungsklassen „A“ bzw. „B“ erreichen: Auf Basis einer Auswertung der Verkaufsunterlagen von sieben Herstellern – Bridgestone, Continental, Dunlop, Goodyear, Hankook, Michelin, Pirelli – sollen von etwa 7.700 untersuchten Sommerreifen gerade einmal knapp 2,4 Prozent den zwei Topklassen bezüglich der beiden Kriterien zuzuordnen sein (siehe Schaubild). „Das Reifenlabel wird mittelfristig den Stellenwert erreichen, wie wir es beispielsweise von Kühlschränken her kennen“, geht auch Hülzer davon aus, dass die Reifenkennzeichnung letztendlich Impulse für die Entwicklung immer effizienterer und sichererer Reifen liefern wird. Er gibt sich jedenfalls zuversichtlich, dass das Label schon in diesem Sommergeschäft im Vergleich zur vorangegangenen Wintersaison an Bedeutung gewinnen wird.
„Der BRV will seinen Beitrag dazu leisten“, macht Peter Hülzer deutlich. Zugleich hofft aber auch er, dass in Sachen Marktüberwachung des Reifenlabelings – quasi als eine Art vertrauensbildende Maßnahme – „die staatlichen Stellen ihren Aufgaben nachkommen“. Dabei sieht Peter Sponagel, technischer Geschäftsführer des WdK, weniger Probleme beim von ihm so bezeichneten ersten Schritt: einer gesetzeskonformen Auszeichnung der Produkte in den Verkaufsräumen des Handels. Diesbezüglich hätten Gewerbeaufsichtsämter landauf und landab bereits erste Tests durchgeführt, war in Berlin zu erfahren. „Schwieriger ist Schritt Nummer zwei“, so Sponagel vor dem Hintergrund des zu betreibenden (finanziellen) Aufwandes, um anhand unabhängiger Tests von staatlicher Seite herauszufinden, ob ein Hersteller bei seinen Labelwerten trickst.
Wenn man gehört hat, was Joachim Reinkens, Referatsleiter Produktverantwortung und Ökodesign des niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz, bei dem Berliner Symposium dazu zum Besten gegeben hat, dann ist – allerdings aus einem ganz anderen Grund – schwierig noch reichlich untertrieben. Von fehlenden bzw. noch zu sammelnden Erfahrungen war seitens des Politikers die Rede. „Das ist gar nicht einfach zu messen (…), wir wissen noch gar nicht, wie man das machen kann (…), Gespräche dazu laufen (…), kein Bundesland hat dafür derzeit eine Lösung (…)“ – so einige Statements des Referatsleiters. Zudem hat er erst vor Ort erfahren, dass es zwar relativ wenige, aber doch von der Reifenindustrie unabhängige Organisationen/Einrichtungen (TÜV, Dekra, Idiada) gibt, die gegebenenfalls mit entsprechenden Messungen beauftragt werden könnten.
„Uns geht es nicht darum, Wettbewerbsverzerrungen nachzuweisen, sondern die Einhaltung von Umweltkriterien zu überprüfen“, machte Reinkens dafür ein ums andere Mal deutlich. Dieser Standpunkt ist zwar zweifelsohne richtig, doch welchen Wert hat eigentlich ein gesetzlich vorgeschriebenes Reifenlabel, wenn damit unter Umständen Schindluder getrieben werden kann, ohne dass ernsthaft die Gefahr eines Entdecktwerdens besteht? Und selbst wenn: Welche Sanktionen drohen einem Übeltäter? Auch hier scheint noch rein gar nichts wirklich in trockenen Tüchern zu sein. Vor diesem Hintergrund kann man der Politik diesbezüglich nur ein ganz schlechtes Zeugnis ausstellen: Während Industrie und Handel trotz eines teils immensen Aufwandes die Einführung des Reifenlabels doch recht reibungslos gestemmt haben, schwächeln gerade die Initiatoren des Ganzen, indem sie sich im Zuständigkeitendschungel verlieren und zudem nicht gerade mit dem nötigen Sachverstand glänzen.
Insofern wäre es dem WdK bzw. dem europäischen Dachverband ETRMA (European Tyre & Rubber Manufacturers’ Association) nicht zu verdenken, wenn sie analog zur Überprüfung unerlaubt hoher Konzentration polyzyklisch aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) in Reifen in der jüngeren Vergangenheit demnächst eigene Labelmessungen zu den Produkten einiger der „üblichen Verdächtigen“ vorlegen würden. Denn das Symposium in Berlin hat einmal mehr den Eindruck hinterlassen, dass entsprechende Marktüberwachungsmaßnahmen seitens der zuständigen staatlichen Stellen – sofern es solche tatsächlich irgendwann einmal geben sollte – wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen werden. christian.marx@reifenpresse.de
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!