„Another Tire Revolution“ von Pirelli
Mit dem „Scorpion ATR“ stellt Pirelli einen neuen 4×4- bzw. SUV-Reifen vor, der das für dieses Marktsegment zunehmender Beliebtheit angebotene Modell „Scorpion A/T“ ablösen soll. Das Kürzel ATR will der Hersteller auch als Abkürzung für „Another Tire Revolution“ (eine weitere Reifenrevolution) verstanden wissen, denn der neue Reifen soll sich für den On- wie für den Offroadeinsatz gleichermaßen gut eignen. Dies – so Pirelli – sei eine Anforderung, die durch die hohe Flexibilität moderner 4×4-Fahrzeuge bzw. SUVs immer stärker in den Vordergrund rücke. Deshalb standen bei der Entwicklung des Reifens gute Traktionswerte ebenso im Fokus wie beispielsweise geringe Abrollgeräusche.
Die „Scorpion“-Produktfamilie kann laut Martina Scuka, Geschäftsführerin der Pirelli Austria Ges.mbH, auf eine mittlerweile 25-jährige Historie zurückblicken. Immerhin kam der erste Reifen mit diesem Namen bereits 1981 auf den Markt. Inzwischen – so Scuka – habe sich die Bezeichnung fast schon als eigenständige Marke unter dem Pirelli-Dach entwickelt. Seit jeher waren die Reifen dieses Typs jedoch auf eine Verwendung auf Geländewagen bzw. 4×4-Fahrzeugen ausgelegt. Analog zum Boom der so genannten Sport Utility Vehicles (SUVs) in den USA, aber auch in Europa und selbst hierzulande hat sich die Nachfrage nach entsprechenden Bereifungen für solche Fahrzeuge positiv entwickelt. „Der ‚Scorpion’ ist der Reifen, der bezogen auf den Absatz die höchsten Wachstumsraten innerhalb der Pirelli-Produktpalette aufweist“, sagt Scuka. Den von ihr präsentierten Zahlen zufolge konnte der Hersteller im Zeitraum von 2000 bis 2005 über die gesamte Produktpalette seinen Absatz um durchschnittlich vier Prozent pro Jahr steigern. Betrachte man jedoch die Verkaufszahlen von „Scorpion“-Reifen für sich genommen, ergebe sich allerdings eine durchschnittliche Wachstumsrate von zwölf Prozent.
Insofern sehen die Italiener den „Scorpion ATR“ als ein wichtiges Produkt innerhalb der eigenen Produktrange – zumal der Reifenhersteller erwartet, dass die hohe Nachfrage nach 4×4- bzw. SUV-Reifen weiter anhält. Und das nicht nur in Nordamerika, sondern auch in Europa. Daher ist es nur logisch, dass man mit dem neuen Reifen die Verbraucher in den USA und in Europa gleichermaßen überzeugen will. Denn trotz im Detail leicht unterschiedlicher Marktgegebenheiten dies- und jenseits des großen Teichs (beispielsweise spielen die in Nordamerika so beliebten Pick-up im europäischen Fahrzeugmarkt bislang kaum eine nennenswerte Rolle) geht Pirelli davon aus, dass hier wie dort vor allem die SUV-Subsegmente C und D von Wachstum gekennzeichnet sein werden. „Zur Unterkategorie C zählen etwa solche Fahrzeuge wie Toyota RAV4, Honda CR-V oder Nissan X-Trail, zur Unterkategorie D etwa ein BMW X3, Hyundai Santa Fé bzw. Kia Sorento“, erklärt Alberto Viganò, Director Consumer & Trade Marketing bei Pirelli.
Einziges Problem an der Sache: Verfügbar ist der neue Reifen zwar sowohl in LT- als auch in P-metrischen Größen in über 30 Dimensionen zwischen 15 und 24 Zoll, bislang mit Ausnahme einer einzigen Variante mit H-Index aber lediglich bis hinauf zu dem Geschwindigkeitsindex T (entsprechend 190 km/h). Das mag für den nordamerikanischen Markt und die meisten europäischen Länder ausreichend sein, da hier überall die vom Gesetzgeber vorgegebene maximal erlaubte Geschwindigkeit sowieso weit unterhalb dieses Limits liegt. In Deutschland sieht die Sache allerdings schon anders aus. Selbst mit der schwächsten Motorisierung erreicht schließlich ein BMW X3 laut Herstellerangaben beispielsweise bereits eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 200 km/h, und der Fahrer darf diese auf bundesdeutschen Autobahnen – sofern das Tempo lokal nicht reduziert ist und die Verkehrssituation es zulässt – auch abrufen. Somit wird aufseiten der Bereifung jedenfalls schon einmal mindestens der H-Index (bis 210 km/h) obligatorisch. Und für andere beliebte SUVs darf es gern noch ein bisschen mehr sein.
„In einigen Monaten wird der ‚Scorpion ATR’ daher auch mit V-Index und damit für Geschwindigkeiten von bis zu 240 km/h erhältlich sein“, erklärt Maurizio Boiocchi, Senior Vice President Product and R&D bei Pirelli, auf Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG. Damit drängt sich der Eindruck auf, dass die Italiener mit dem neuen Reifen zunächst den nordamerikanischen Markt im Blick haben. So wird der „Scorpion ATR“ unter anderem als Erstausrüstung auf dem Ford F-150 – dem meistgekauften Pick-up in den Vereinigten Staaten – verbaut, womit Pirelli nicht zuletzt die eigene Position in dem weltweit wichtigsten SUV-Referenzmarkt sowie gleichzeitig im oberen Segment des US-Reifenmarktes weiter ausbauen will. Nach eigenen Angaben kam der Hersteller hier im vergangenen Jahr auf einen Marktanteil von acht Prozent und konnte ein Umsatzplus von 18 Prozent im Vergleich zu 2004 verzeichnen. „Der ‚Scorpion ATR’ ist ein Produkt für den amerikanischen Markt, aber nicht ausschließlich. Mit den derzeitig erhältlichen Größen können wir auch etwa 45 bis 50 Prozent des europäischen Marktes abdecken“, verdeutlicht Viganò.
Auf der technischen Seite hat man sich als Ziel gesetzt, mit dem Nachfolger des „Scorpion A/T“ einen „polyvalenten” Reifen zu entwickeln, der sich für den Einsatz auf der Straße und im Gelände gleichermaßen gut eignet, ohne dabei die an moderne Reifen gestellten Anforderungen etwa hinsichtlich Komfort oder einer geringen Geräuschentwicklung zu vergessen. „Wir wollten einen Reifen, der dem Begriff des ‚Easy Driving’ gerecht wird“, erzählt Boiocchi. Seinen Worten zufolge hat man bei der Entwicklung eng mit den führenden Automobilherstellern zusammengearbeitet und einen regen Datenaustausch gepflegt. Auch seien fortschrittliche Technologien wie unter anderem Finite-Elemente-Berechnungen, Modal- bzw. Mehrkörperanalysen oder umfangreichen Computersimulationen als Teil eines so von ihm bezeichneten „Multitasking-Entwicklungsprozesses“ zum Einsatz gekommen, zu dem darüber hinaus Indoor-, also Prüfstandstests sowie die Erprobung im Motorsport gehören.
„Beispielsweise sind die Erfahrungen aus unserem Engagement in der Rallyeweltmeisterschaft direkt in den Karkassaufbau bzw. die Wulst- und Seitenwandgeometrie mit eingeflossen. Das Konstruktionsmaterial des ‚ATR’ ist komplett im Motorsport getestet worden“, sagt Boiocchi, der die Entwicklungszeit für den neuen Reifen mit etwa anderthalb Jahren angibt. Was auf den Rennstrecken geprüft und erprobt wurde, findet so Eingang in Konstruktionsdetails von Karkasse, Karkasslagen, Schulterzonen oder Profilblockdesign. Hinzu kommen Erfahrungen mit Gummimischungen und Materialien, die offroad in Mexiko oder Sardinien, auf dem Asphalt Korsikas oder den tiefen Böden Finnlands erprobt werden. Aufgrund all dieses Inputs setzten die Pirelli-Ingenieure bei dem „Scorpion ATR“ auf einen Grundaufbau bestehend aus zwei Stahlgürteln mit doppelter 0°-Nylonbeschichtung sowie einer Gürtelbefestigung aus steifem Kompositmaterial. Für eine weitere Verstärkung des Unterbaus soll doppellagiges Polyester in der Karkasse sowie im Bereich des unteren Teils von Schulterzone bzw. Wulstfahne sorgen.
Die robuste Karkasskonstruktion trägt laut Pirelli ebenso wie die mit linearen Einschnitten versehenen Einzelprofilblöcke zu einem gleichmäßigen Abrieb und damit einer längeren Lebensdauer des Reifens bei. Gleichzeitig ermögliche dies eine bessere Übertragung der Traktions- und Bremskräfte und reduziere das Reifen-Fahrbahn-Geräusch. „Im Geschwindigkeitsbereich zwischen etwa 70 und 110 km/h ist der ‚Scorpion ATR’ rund vier Dezibel leiser als sein Vorgänger“, hebt Boiocchi hervor. Dem mehr oder weniger durchgehenden Profilband in der Laufflächenmitte attestieren die Entwickler demgegenüber einen spürbar positiven Einfluss auf die Stabilität und das Lenkverhalten, während großzügig bemessene Profilrillen in Querrichtung ordentlich Grip auch auf rutschigem Terrain sicherstellen und – unterstützt von Längsrillen, die gleichzeitig die Aufstandsfläche und Bodendruckverteilung des Reifens optimieren – unter kritischen Bedingungen (Aquaplaning) für eine schnelle Ableitung von Wasser sorgen sollen.
Der „Scorpion ATR“ weist an den Schultern darüber hinaus radial angeordnete Rillen auf, die Angaben des Herstellers zufolge der Gesamtleistung des Profils bei Beschleunigungs- und Bremsvorgängen fördern, während die außen liegenden, versetzten Profilblöcke demzufolge eine besonders wichtige Rolle spielen, wenn eine gute Traktion auf rutschigem Boden gefragt ist. Viganòs Worten zufolge soll der „ATR“ auch eine bessere Winterperformance vorweisen können als sein Vorgänger, wenngleich er das aktuelle „Scorpion“-Modell deshalb nicht gleich als Winterreifen verstanden wissen will – dafür sei vielmehr der „Scorpion Ice & Snow“ in der Pirelli-Produktpalette vorgesehen. Die Schulterblöcke weisen zudem ebenfalls die von Pirelli entwickelten linearen Rillen auf, mit denen das Unternehmen eine Verringerung des Fahrgeräusches verbindet. Vielleicht auch das mit ein Grund, warum sich die Italiener das Profildesign des neuen Reifens – wie Boiocchi erläutert – patentrechtlich schützen lassen wollen.
Abgesehen von den Leistungsaspekten spielt allerdings noch ein weiterer Gesichtspunkt eine wichtige Rolle, der – so der Reifenhersteller – für die Verbraucher immer wichtiger werde: die Ästhetik. Diesem Trend will man mit einem als „aggressiv-elegant“ beschriebenen Design des Reifens und einem „dynamischen Look“ der Lauffläche Rechnung tragen. In einigen Ausführungen ist der „Scorpion ATR“ zudem mit Seitenwandbeschriftung durch weiß umrandete Buchstaben erhältlich, allerdings nicht mit Notlaufeigenschaften. „Bei 4×4-Fahrzeugen ist das derzeit noch nicht so das Thema, obwohl wir natürlich an entsprechenden Lösungen arbeiten. Auch aufseiten der Fahrzeughersteller ist man – mit Ausnahme eines Anbieters – eher abwartend, denn das höhere Gewicht von Notlaufreifen und der bislang nicht optimale Komfort solcher Systeme sind Aspekte, die in diesem Zusammenhang sicherlich eine nicht ganz unwichtige Rolle spielen“, gibt Boiocchi seine Sicht der Dinge im Gespräch mit dieser Fachzeitschrift wieder.
Nichtsdestotrotz ist man bei Pirelli überzeugt, dass der „Scorpion ATR“ dank des „Mehrwerts“ gegenüber seinem Vorgänger schnell viele Liebhaber finden wird. „Schon für dieses Jahr gehen wir davon aus, eine Million Einheiten absetzen zu können. Das ist eine der zügigsten Produkteinführungen mit anschließendem Ausbau der Angebotspalette, die wir je realisiert haben“, sagt der Senior Vice President Product and R&D über den neuen „ATR“, der seinen Vorgänger komplett ersetzen soll.
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