Kommentar: Alles richtig gemacht? – Nokian Tyres’ Reifentestmanipulationen und die Folgen

Wer den Chef von Nokian Tyres persönlich kennt, der weiß: Ari Lehtoranta ist kein Mann der großen Worte und schon gar keiner, der Dinge auf die leichte Schulter nimmt; er wirkt sehr überlegt. Dass er Anfang dieses Jahres nach Bekanntwerden der Reifentestmanipulationen die Zügel auch öffentlichkeitswirksam in die Hand genommen hat, zeigt außerdem seine Instinktsicherheit und die Entschlossenheit, mit der er den „Skandal“ – er selber hat dieses Wort nie öffentlich benutzt – angeht. Auch wenn einige meinen, Lehtoranta sei zum Vorpreschen durch den Druck der Medien gezwungen worden, hat er die Situation dennoch zugunsten von Nokian Tyres zu drehen gewusst.

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Natürlich steht Nokian Tyres jetzt in einer Ecke, in der man nicht stehen mag, will man etwas verkaufen: in der Ecke der Geschnittenen, der Geschassten. Indem der Präsident und CEO des finnischen Reifenherstellers aber die ETRMA und deren Mitglieder mit seiner Eingabe mit ins Boot geholt hat, hat er gekonnt Druck auf seine großen Wettbewerber aufgebaut. Natürlich muss man sich fragen, warum ein Hersteller einem Reifentester erklären sollte, wie er seinen Job so zu machen hat, sodass verlässliche und vor allem ehrliche Reifentestergebnisse entstehen. Know-how und vor allem ein entsprechendes Bedürfnis nach fairen Tests sollten wir alle bei den testenden Zeitschriften und Organisationen voraussetzen. Folglich ist der Erfolg der Eingabe bei der ETRMA derzeit auch mehr als fraglich.

Auch muss man sich fragen, warum ein Hersteller einem anderen erklären sollte, wie dieser mit Anfragen nach Testreifen umzugehen hat; dass entsprechend manipulierte Reifen sowieso irgendwann auffallen, sollte genug Motivation zur Ehrlichkeit sein, und dass solche Betrügereien wie die, die offenbar seit Jahrzehnten bei Nokian Tyres stattgefunden haben, in nahezu allen Unternehmen mittlerweile auch personalrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (nun auch bei Nokian Tyres), sollte ebenfalls zur Motivation zur Ehrlichkeit beitragen.

Aber Ari Lehtoranta hat mit seiner Eingabe an die ETRMA eines erreicht: Nokian Tyres wird als Unternehmen wahrgenommen, das die Vorgänge nicht unter den Teppich kehren will, sondern das sich selber als Exempel für die Branche statuiert – und diese gleich mitnimmt. Ein überaus kluger Zug, den man dem Chef von Nokian Tyres noch nicht einmal vorwerfen kann, hat er Ende 2014 doch zunächst einmal beim finnischen Hersteller und nicht für die gesamte Branche Verantwortung übernommen.

Am Ende des Tages ist aber eines auch klar: Der Branche haben die Reifentestmanipulationen bei Nokian Tyres im Grunde genommen auch gutgetan. Sie hat noch einmal lernen dürfen, wo die Grenzen unternehmerischer Verantwortung liegen. Und die Tester haben nun noch einmal Gelegenheit bekommen, auch in ihrem Metier Strukturen und Abläufe zu hinterfragen. Nokian Tyres hingegen steht bestenfalls als das Unternehmen da, das entsprechende Veränderungen angeschoben hat, wenn auch unabsichtlich. Schlimmstenfalls steht das Unternehmen als eines da, das erwischt wurde und daraus die Konsequenzen gezogen hat. In jedem Fall hat Nokian Tyres alles richtig gemacht – jedenfalls seit es dazu keine Alternative mehr gibt. arno.borchers@reifenpresse.de

 

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