Sommerreifen im Winter nicht automatisch „vorsätzliche Gefahrenerhöhung“

,

Dass die in Deutschland geltende „Pflicht“ zur Ausrüstung von Kraftfahrzeugen mit Winterreifen während der kalten Jahreszeit von rein „situativer“ Natur ist, belegt ein Urteil des Amtsgerichtes Mannheim aus diesem Frühjahr. Geklagt hatte ein Haftpflichtversicherer, nachdem das Unternehmen den von einem seiner Kunden bei einem durch ihn in der Region verschuldeten Verkehrsunfall verursachten Schaden am Fahrzeug eines Dritten in Höhe von knapp 7.100 Euro reguliert hatte. Man wollte ihn mit 5.000 Euro in Regress nehmen, weil bei dem Unfall Ende Oktober 2012 Sommerreifen an seinem Fahrzeug montiert waren, er deswegen bei Eisglätte ins Schleudern gekommen sei und somit den Versicherungsfall zumindest grob fahrlässig herbeigeführt habe. Nach Auffassung der Versicherung ist im betreffenden Fall das mit Fahren ohne entsprechende Winterreifen mit M+S Reifen mit einer „vorsätzlichen Gefahrenerhöhung“ gleichzusetzen, zumal Tage vor dem Unfall die Temperaturen deutlich im Minusbereich gelegen und auch am Unfalltag selbst „winterliche Straßenverhältnisse“ geherrscht hätten. Gerade Letzteres hat das Unternehmen allerdings nicht mit substanziellen Beweisen belegen können, aber nicht nur deshalb war der Versicherer mit seiner Klage nicht erfolgreich. Die ausführliche Urteilsbegründung gewährt jedenfalls einen Blick darauf, wie sehr die „situative Winterreifenpflicht“ hierzulande einem Tanz auf dem Eis ähnelt.

Denn eine tatsächliche „Gefahrenerhöhung“ liegt nach Auffassung des Amtsgerichtes nur dann vor, wenn ein Pkw mit Sommerreifen „bei durchgehend herrschenden winterlichen Straßenverhältnissen längerfristig bzw. für längere Fahrten benutzt wird“. Da zum Unfallzeitpunkt keine (durchgehenden) winterlichen Straßenverhältnisse vorlagen, könne dahin gestellt bleiben, ob Tage vor dem Unfall für die Region Mannheim und die Jahreszeit ungewöhnlicher Schneefall herrschte, ob – wie von Klageseite betont – zum Unfallzeitpunkt deutliche Minustemperaturen von rund minus fünf bis minus sieben Grad vorlagen oder ob an der Unfallstelle eine (lokale) Glatteisbildung vorhanden war. Der „Suggestion“ des Versicherers, die Straße(n) sei(en) insgesamt winterglatt und mit Eis bedeckt gewesen, folgte das Gericht jedenfalls, selbst wenn es explizit nicht ausschließt, dass einzelne Stellen und gegebenenfalls auch die Unfallstelle in beschränktem Maße betroffen gewesen sein könnten. „Aus Sicht des Gerichts stellt sich die Straßensituation damit so dar, dass die Straßen im Stadtgebiet im Wesentlichen schnee- und eisfrei waren, allenfalls partiell (an Brücken und sonstigen kältegefährdeten Stellen) mit Eisbildung/Glättebildung zu rechnen war“, ist dem Urteil dazu zu entnehmen. Darin seien aber (noch) keine (durchgehenden) winterlichen Straßenverhältnisse zu sehen, die ein Aufziehen von Winterreifen zwingend erforderlich machten, heißt es.

Des Weiteren stellt das Gericht bei seiner Entscheidung auf die konkrete Nutzung des Fahrzeuges durch den Beschuldigten ab. Selbst bei einem unterstellten winterlichen Fahrbahnzustand sei im vorliegenden Fall nicht erkennbar gewesen, dass der Beklagte sein Fahrzeug bei entsprechenden Verhältnissen längerfristig (für längere Fahrten oder für wiederholte Fahrten) benutzt haben könnte. Außerdem wurde die Aussage des Fahrers, er sei noch nicht dazu gekommen, Winterreifen aufzuziehen, zu seinen Gunsten ausgelegt. Das Gericht meint daran ablesen zu können, das der Beklagte durchaus eine Umrüstung beabsichtigte, was gegen eine Längerfristigkeit der Sommerreifennutzung (bei winterlichen Straßenverhältnissen) spreche. Zumal zusätzlich infrage gestellt wird, ob eine mögliche Gefahrerhöhung für den Beklagten überhaupt erkennbar war. „Wenn davon auszugehen ist, dass Glatteis nur partiell auftrat, Wetterwarnungen keine gegeben waren – woraus sollte sich dann eine Kenntnis des Beklagten von Gefahr erhöhenden Umständen in der konkreten Situation ergeben“, argumentiert das Gericht.

Bei alldem hat man sehr wohl den § 2 in der Straßenverkehrsordnung (StVO) gewürdigt, nach dem M+S-Bereifung bei winterlichen Fahrbahnverhältnissen geboten ist, oder auch die allgemeine Empfehlung, Fahrzeuge von Oktober bis Ostern entsprechend mit Winterreifen auszurüsten. „Eine feste Vorgabe, ab wann besagte Reifen aufzuziehen sind, gibt es allerdings nicht. Es gelten lediglich Empfehlungen, die allerdings sehr vage formuliert sind“, so das Gericht, das zudem regionale Gegebenheiten nicht ausreichend genug beachtet sieht, als dass daraus allgemein verbindliche Regelungen bzw. entsprechende Aussagen abgeleitet werden könnten. Allein das Bewusstsein, dass das Fahren von Sommerreifen im Winter Gefahren mit sich bringen kann und es von Oktober bis Ostern bzw. bei Temperaturen unter sieben Grad Celsius möglicherweise ratsam sein könnte, Winter-/M+S-Reifen mit besseren Hafteigenschaften bei Kälte aufzuziehen, hat dem Gericht als Begründung einer groben Fahrlässigkeit in der konkret zu beurteilenden Situation letztlich ebenfalls nicht ausgereicht. „Es ist nicht erkennbar, dass dem Beklagten bei Beginn seiner Fahrt in irgendeiner Weise hätte bewusst sein können oder gar müssen, dass das Fahren mit seinem Fahrzeug nur mit einem erhöhten Unfallrisiko möglich ist“, urteilen die Mannheimer, nach deren Worten der Fall bei aktuellem Schneefall, starkem Regen bei Minustemperaturen, einer geschlossenen Schneedecke, Schneeregen oder Ähnlichem aber durchaus wohl anders hätte liegen können. christian.marx@reifenpresse.de

 

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

An Diskussionen teilnehmen
Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert