Wundersame Schaeffler-Rettung: Vollgas Richtung Pleite und zurück
So ist es mit den Spekulanten: Kleine hängt man, Große lässt man laufen. Notgedrungen. Da kauft ein kleiner Spekulant Aktien für 20.000 Euro – zur Hälfte mithilfe eines Bankkredites. Wehe aber, wenn sich die Aktienkurse gen Süden bewegen oder sich gar, so im Fall des Lehman-Konkurses, im freien Fall nach unten befinden. Sofort fragt die Bank nach weiteren Sicherheiten, Geld muss auf die Konten oder aber, so sind die Regeln, der Schuldner muss sich von seinen Aktien trennen und so weit erforderlich auch andere Dinge zu Geld machen. Koste es, was es wolle. Dass die Kurse schon in wenigen Monaten wieder den umgekehrten Weg einschlagen, kümmert nicht weiter. Der Problemfall ist eingetreten, er muss gelöst werden, und zwar jetzt. Mit salbungsvollen Worten erklärt man dem Kleinen, dass die Bank Geld ja nur treuhänderisch verwalte. Banker warten nicht, der nächste Deal lockt. Für 20.000 Euro hätte man vor Lehman 250 Conti-Aktien bekommen. Nach Lehman waren diese weniger als 5.000 Euro wert. Wer zum Verkauf gezwungen wurde, verlor nicht allein sein eingesetztes Eigenkapital von 10.000 Euro voll, sondern schuldet der Bank immer noch 5.000 Euro, die abzustottern sind. Die Spekulation ist fehlgeschlagen. Besser dran wäre der genügsame Aktienspekulant gewesen. Sein Eigenkapital von 10.000 Euro hätte, vor Lehman, zum Erwerb von 125 Aktien gereicht. Nach Lehman wären diese Aktien nur noch rund 2.500 Euro wert gewesen. Da der Spekulant mit eigenem Geld geklimpert hat, tröstet er sich mit der Erkenntnis, dass gestern alles „nur Papier“ war und auch heute alles „nur Papier“ ist. Mit einem Verkauf heute würde der Verlust endgültig realisiert. Folglich schlägt man das Buch zu, reicht es in Gedanken schon mal an die Enkel weiter und tut zwischen 2009 und 2013 nichts. Jetzt riskiert man einen Blick auf den Börsenzettel und stellt fest, dass die 125 Aktien den Weg ohne jedes eigene Zutun aus der Sch … in die gute Butter gefunden haben. Die 125 Papierchen sind inzwischen knapp 19.000 Euro wert, Dividenden gab es zwischenzeitlich auch noch. So verdoppelt man seinen Einsatz im Schlaf, während der andere Spekulant immer noch Überstunden macht, um einen Kredit mit unverschämt hohen Zinsen abstottern zu können. Merke: Spekuliere nur mit eigenem Geld! Der Fall Schaeffler/Conti scheint die Zeitgenossen zu bestätigen, die den Teufel zeihen, seine Notdurft sowieso nur auf dem falschen Haufen zu verrichten. Schaeffler hatte für Continental insgesamt rund 13 Milliarden Euro geboten, war aber davon ausgegangen, bestenfalls um die 40 Prozent zu bekommen. Die Lehman-Pleite ließ den Schaeffler-Tresor aber mit mehr als 90 Prozent der Conti-Aktien vollpfropfen. Nur waren die zum Stückpreis von 75 Euro abzunehmenden Papiere durch das, was rückschauend als weltweite Finanzkrise bezeichnet wird, über Nacht abgestürzt und an der Börse für 15 oder 16 Euro zu haben; trotzdem kaufte niemand mehr. So stand den Krediten von zwölf bis 13 Milliarden Euro bestenfalls noch ein Betrag von drei Milliarden an Sicherheiten gegenüber. Schaeffler war für die Kreditgeber aus allen Sicherheiten in Milliardenhöhe heraus. Manfred Wennemer stellte im Spiegel-Interview fest, der Hebel liege nun bei den Banken, sie müssten sie nur bewegen. So war die Tatsache ausgesprochen, dass die Schaeffler-Gruppe die unternehmerische Freiheit, ihre Unabhängigkeit verspielt hatte. In den Rankings von Forbes oder Manager-Magazin schaffte die Milliardärsfamilie nicht mal mehr einen Platz für arme Schlucker.
Too big to fail
Mit einer Null an sich ist kein Staat zu machen, mit vielen Nullen aber doch. Denn nicht allein die Schaefflers hatten sich verzockt, sondern die Banken ebenfalls. Da hätten sie noch so hämisch nach neuen Sicherheiten fragen können, selbst wenn die Eigentümerfamilie ihre diversen Villen beliehen oder gar verkauft hätte, es wäre nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Glück oder Pech, Kalkulation oder Spekulation, solche Kriterien setzen viele Nullen außer Kraft: Too big to fail! Das ist ein in der Krise entstandener Lehrsatz. Frau Schaeffler selbst hatte ihre Gruppe in höchster Not und Verzweiflung gar als systemrelevant für die Automobilindustrie bezeichnet und war deswegen verhöhnt worden mit dem Argument, dass Schaeffler ja nicht als Hersteller vom Markt verschwinde, nur weil die Eigentümerfamilie die Koffer zu packen hätte. Wenn die Schaeffler-Gruppe auch nicht systemrelevant war, so war sie doch für das System relevant. Ein Untergang Schaefflers hätte Banken mit in den Abgrund gestürzt, allen voran die Commerzbank. Mögen auch kleine Schuldner gepiesackt und stranguliert worden sein, mit Schaeffler musste anders verfahren werden. In hoher Verzweiflung und in Panik wird Ruhe, und nichts als Ruhe, oberste Pflicht. Man hatte vor Augen: Muss Schaeffler heute verkaufen, sind auch wir mausetot, muss Schaeffler in zwei, drei Jahren verkaufen, könnte sich der Kurs so weit erholt haben, dass wir zwar schwer verwundet sein werden, aber immerhin noch leben. Schei… der Teufel wirklich immer auf den größten Haufen? Nach dem Fehlgriff auf Conti waren „die Schaefflers“ regelrecht paralysiert, sie konnten nur warten, ohne eigentlich zu wissen worauf. Tun konnten sie wenig, d.h. bis auf den Umstand, dass jährlich Hunderte von Millionen an Zinsen erarbeitet werden mussten. Doch bekanntlich gibt’s der Herr den Seinen auch schon mal im Schlaf. Wer hätte gedacht, dass sich die Continental-Aktie binnen weniger Jahre nicht nur zurück auf 75 Euro bewegen würde, sondern inzwischen dem doppelten Kurs nahe gekommen ist. Und auch hier gilt: ob der Aktienkurs bei 15, 75 oder 150 Euro liegt. Es ist immer dieselbe Firma geblieben. Eine Schwankung des Börsenwertes zwischen drei Milliarden 2009 und knapp 30 Milliarden heute lässt sich nicht erklären. Aber es hilft – wie oft im Leben – immer wieder der tiefe Glaube. Es kann ohne Umschweife und ohne Übertreibung festgehalten werden, dass sich Schaeffler mit dem Angriff auf Continental als Zocker geoutet hat, Warnungen in den Wind geschlagen hatte, dass meist auch schiefgeht, was schiefgehen kann. Nichts als Glück hat Schaeffler vor einem Desaster bewahrt. Das heute, nachdem alles glimpflich verlaufen ist, mit Begriffen wie Weitsicht, Strategie, Wagemut und Vision beschreiben zu wollen, klingt, wie es ist: lächerlich!
Schaeffler als Ankeraktionär
1991 von ITT-Teves zur Continental AG gekommen, wollte Dr. Hubertus von Grünberg (Jahrgang 1942) die Säulen Reifen und Technische Gummiartikel um die dritte Säule CAS (Continental Automotive Systems) ergänzen, um aus Conti einen System- oder Modulanbieter zu formen. Als der US-Konzern ITT im Rahmen einer neuen Ausrichtung 1998 eine seiner Tochtergesellschaften, den Bremsenspezialisten Teves, auf die Verkaufsliste setzte, überzeugte von Grünberg in kürzester Zeit seinen Aufsichtsrat von der Sinnhaftigkeit einer Akquisition und griff schnell zu. Der Preis schien sehr hoch, aber die Entwicklung zum Automobilzulieferer war damit schneller als gedacht Wirklichkeit geworden. Obwohl sich die neuen Strukturen, auch die Bilanzstrukturen, als attraktiv erwiesen, hielt die Aktionärsstruktur nicht Schritt. Der hohe Streubesitzanteil war eine Einladung für „Heuschrecken“. Um der Gefahr eines Überfalls mit anschließender Zerschlagung des Konzerns in seine Einzelteile etwas entgegenzusetzen, suchte von Grünberg Maria-Elisabeth Schaeffler auf, seine gute Bekannte, die ihn nach dem Tode ihres Mannes 1996 um Beratung gebeten hatte. Er wollte die Industriellenfamilie als Ankeraktionär mit einem Anteil am Aktienkapital von 20 oder 25 Prozent gewinnen, um der Continental AG mit einem einflussreichen, aber nicht dominierenden Ankeraktionär langfristigere Planungen zu ermöglichen und um unabhängiger von auf Quartalsberichte schielenden Analysten zu werden. Ein Vorschlag mit viel Charme, auch mit vielen Vorteilen für einen Großaktionär. Einen Aktienbatzen zwischen 20 bis 30 Prozent hätte Schaeffler stemmen können, ohne Gefahr zu laufen, Investitionen im eigenen Geschäft aus Finanznot einschränken zu müssen. So hätte es eine totale Win-win-Situation werden können, Conti auf der einen Seite übernahmesicher, „heuschreckenfest“ und Schaeffler mit einem soliden Investment mit Aussicht auf überdurchschnittliche Dividenden. Und zusätzlich winkten beiden Seiten ein paar Kooperationsmöglichkeiten mit der Aussicht, durchaus nennenswerte Synergien schöpfen zu können.
Dass sich in Herzogenaurach so etwas wie ein Jahrmarkt der Eitelkeiten gebildet hatte, muss von Grünberg übersehen haben. 1998 war mit Dr. Jürgen Geißinger (Jahrgang 1959) ein führungsstarker Vorsitzender der Geschäftsleitung nach Herzogenaurach gekommen, dem schon drei Jahre später mit der feindlichen FAG-Übernahme durch INA-Schaeffler ein echter Coup, mit dem Schaeffler zur Weltfirma aufstieg, gelungen war. Die Integration gelang zügig, die neu gebildete Gruppe überzeugte mit guten Zahlen. Ein solches Klima kann zu Selbstüberschätzungen verführen und Selbstzweifel im Keim ersticken. Einerseits ein Siegertyp wie Geißinger, andererseits eine für Aufmerksamkeiten anfällige Clan-Chefin, die seit fast 20 Jahren meint, alles im Griff zu haben. Geißingers Beurteilung durch Mitarbeiter fällt unterschiedlich aus. Sie haben ihn als gelegentlich ruppig, lautstark, gar tobend erlebt, anerkennen aber seine analytischen Stärken. Er könne gewinnend charmant auftreten, aber auch undiplomatisch barsch. Einer beschreibt es so: „Geißinger ist ein Siegertyp, wo ich bin, ist vorn. Ihm sind Selbstzweifel fremd. Er kann Angriff am besten. Härte hat er als Handballer schon unter Beweis gestellt. Schmerzen werden bekämpft, notfalls mit Voltaren. Aber ohne ihn wären wir ein Kleinkleckerleladen geblieben. Geißinger wollte schon immer mit technisch anspruchsvollen, neuen Produkten unseren Laden nach vorn pushen, und das ist ihm ja auch gelungen.“ Mitinhaberin Maria-Elisabeth Schaeffler wird zurückhaltender beschrieben. Sie habe eine tiefe Bindung zum Unternehmen, besonders zum Ursprungsteil, zu INA. Sie wird als eitel und vor diesem Hintergrund auch als schwierig beschrieben. Unkontrollierte Emotionen verleiteten nicht nur ausnahmsweise zu falschen Entscheidungen. Auf der „Sympathieskala“ liegt sie vor Geißinger, der wiederum die „Kompetenzskala“ anführt.
Konzernschmied Geißinger
Mit einer Abteilungsleiterstelle bei Teves hatte es für Geißinger 1992 begonnen, und schon 1996 saß er auf von Grünbergs früherem Chefsessel. 1998 wurde er Chef der Schaeffler-Gruppe und managte den Um- und Ausbau. Es lief alles glänzend in den nächsten Jahren und man hatte den Eindruck, dass alles, was Geißinger anfasse, richtig und erfolgreich sei. Und es hatte Geißingers Ego sichtbar gutgetan. Hätte von Grünberg angesichts zurückliegender Geißinger/Schaeffler-Manöver gewarnt sein müssen? Schaeffler hatte den größeren Rivalen FAG mit einem Börsenmanöver, das dem des späteren Angriffs auf Conti ähnlich sah, ausgetrickst. Die Sache war schon nahezu gelaufen, bevor FAG davon Wind bekam und Gegenmaßnahmen hätte einleiten können. Diese, nennen wir es mal trickreiche Übernahmezockerei war doch zu schön und zu erfolgreich verlaufen, als dass man es nicht ein zweites Mal starten könnte. Hätte man die Herren der Kugellager nicht unter diesem Gefahrengesichtspunkt auf dem Radar haben können? Es sprach einiges dafür, aber noch mehr dagegen, dass Schaeffler einen solchen Wurf wagen würde. Viel zu riskant für Schaeffler, eine Nummer zu groß. Von Grünberg hatte eine gute Finanzanlage in Conti-Aktien zu bieten mit Aussicht auf nachhaltige Dividendenfähigkeit sowie der Möglichkeit, in einem attraktiven Umfang durch kooperative Zusammenarbeit der beiden Gruppen auf bestimmten Feldern Synergien schöpfen zu können. Kooperation ist nicht davon abhängig, ob man 25, 50 oder 75 Prozent der Aktien hält, solange die Zusammenarbeit beiden Seiten Vorteile bringt. Aber in der Rückschau sind immer alle schlau.
Hans-Olaf Henkel fiel vom Stuhl. Fast
In eine solche Kerbe schlägt Conti-Aufsichtsrat Professor Hans-Olaf Henkel (Jahrgang 1940). Er beschreibt seine Sicht der Dinge in einem Kapitel eines seiner Bücher. Fast vom Stuhl will er gefallen sein, nachdem er erfahren habe, dass kein anderer als Conti-Aufsichtsratschef von Grünberg um Schaeffler als Ankeraktionär geworben habe. Henkel insinuiert, von Grünberg habe damit bei Schaeffler die Übernahmeidee angestoßen, vielleicht nicht mal ungewollt. Der Professor äußert sich gern, auch ungefragt, zu vielfältigen Themen, gilt den einen als erfahren und weise, anderen als starrsinnig und schlaumeierisch. Hat der Professor billig nachgetreten und damit sein Buch zum Pamphlet verkommen lassen? Oder wollte er sich bei der neuen Herrschaft ein wenig einschmeicheln? Was tut man nicht alles fürs eigene Ego? Die Gefahr, dass sich die Schaefflers „anschleichen“ würden, blieb aus von Grünbergs Sicht gering. Wer konnte so gut einschätzen wie er, wo Schaeffler und Conti zusammenpassten und wo nicht? Nimmt man die heutzutage mit 400 Millionen Euro bezifferten synergetischen Effekte als wahr und gegeben an, welch tolle Erfolgsgeschichte wäre damit zu beschreiben? Schaeffler wäre höchst einflussreicher Ankeraktionär, wäre längst wieder schuldenfrei und müsste nicht unter einem Schuldenberg von neun Milliarden Euro ächzen, der nur in Trippelschritten abbaubar ist. Schon die Senkung der Verschuldung von zwölf Milliarden Euro auf inzwischen neun Milliarden Euro war nur durch Aktienverkäufe möglich. So sank der Anteil von 90 Prozent auf unter 45 Prozent. Seit Jahren schon muss die Schaeffler-Belegschaft buckeln, allein um die immensen Zinsen bedienen zu können, rund zwei Millionen Euro Tag für Tag, inzwischen vielleicht etwas weniger. Viel weniger jedoch nicht. Also war es nun Wagemut, oder war es Gier und Selbstüberschätzung? War es nur einer Reihe glücklicher Umstände zu verdanken, die das durch die weltweite Finanzkrise strapazierte Unternehmen doch noch aus einem Insolvenzszenario herausgehalten hat? Die letzten Kapitel sind noch nicht geschrieben. Schwer zu glauben, dass Schaeffler seinen Anteil von derzeit rund 45 Prozent an Continental halten kann, weil die Schulden immer noch mächtig drücken. Oder holt sich der Investor Schaeffler letztlich selbst einen Investor ins Haus?
Das Personenkarussell dreht sich
Die Übernahmeattacke hat bis heute noch niemanden richtig glücklich gemacht, sehr wohl aber Verlierer produziert. Dass es für Vorstandschef Manfred Wennemer (Jahrgang 1947) keine Zusammenarbeit mit Leuten geben kann, die er als „egoistisch, selbstherrlich und verantwortungslos“ brandmarkte, war sofort klar. Er und von Grünberg hatten Schaeffler vertraut und mussten sich wie übertölpelte Schuljungen von Schaeffler-Chef Geißinger belehren lassen, der Überfall sei schon vor Bekanntwerden gelaufen. Nach Wennemer trennten sich mit Finanzchef Hippe (Jahrgang 1967) und Wennemer-Nachfolger Karl-Thomas Neumann (Jahrgang 1961) zwei weitere Spitzenkräfte vom Conti-Konzern, an dessen rasantem Aufbau sie maßgeblich beteiligt waren. Die Blutspur wurde immer breiter. Zwischenzeitlich hatte schon von Grünberg vorzeitig aufgegeben. Es gilt aber als sicher, dass er sich nicht wieder zur Wahl gestellt hätte, um nach Schaefflers Pfeife zu tanzen. Ihm war mit Rolf Koerfer ein angesehener Rechtsberater in Sachen Merger & Acquisitions gefolgt, der in einem aufgewühlten Klima eine unglückliche Figur machte. Er wurde wegen möglicher Interessenkollision durch Gerichtsentscheid zum Rücktritt gezwungen. Zuvor aber feuerte der von Schaeffler dominierte Aufsichtsrat erst Neumann, um dann mit Elmar Degenhart (Jahrgang 1959) Geißingers Vertrauensmann als neuen Conti-Chef durchzusetzen. Neumann war von ihm gewogenen Aufsichtsräten von der Arbeitgeberbank massiv gedrängt worden, einem Konflikt mit Schaeffler nicht aus dem Weg zu gehen. Als Neumann, im Vertrauen auf die Rückendeckung dieser Herren, entsprechend handelte, entschied sich der Aufsichtsrat dann gegen ihn. Übrigens: einstimmig, das gehört sich nun mal so. Dank dieser Freunde fürchtet Neumann seine Feinde nicht mehr.
Degenharts Berufsweg – „Anschlussverwendung“ als Conti-CEO
Elmar Degenhart war für Continental kein Unbekannter. Das kleine geschäftliche 1 x 1 hat er sich einbimsen können, wo zuvor andere schon reüssierten. Bei Teves in Frankfurt begann er 1993, arbeitete mit Geißinger zusammen und nahm auf dessen Stuhl Platz als, Geißinger sich Richtung Herzogenaurach auf die Socken gemacht hatte. Seit Continental 1998 Teves übernommen hatte, wurden die Zügel für Degenhart kürzer. Auf Wennemers Betreiben hin musste Degenhart gehen. So kam mit relativ kurzen Engagements Bewegung in Degenharts Erwerbsbiografie. Nach einem kurzen Intermezzo, fern der absoluten Führungsebene, folgte seine Berufung zum CEO beim größeren Mittelständler Keiper Recaro. Übrigens, dessen Hauptinhaber Martin Putsch und Hubertus von Grünberg liefen sich schon als Pennäler in Remscheid über die Füße. Als Keiper den Recaro-Teil an Johnson verkaufte, sorgte sein Mentor Geißinger für eine sanfte Landung bei Schaeffler, machte ihn zum Geschäftsführer der Sparte Automotive und verschaffte ihm als vorläufige Krönung seiner Karriere eine „Anschlussverwendung“ als Chef des Continental-Konzerns.
Schaefflers Schoßhund war Geißinger nie
Nun ist wieder alles in Bewegung. Man wusste ja, dass zwischen den Schaefflers und Geißinger längst nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen war, und so hielt sich die Überraschung seines Abgangs auch in Grenzen. Geißinger ging zwar, so offizielle Statements, im gegenseitigen Einvernehmen, das musste allerdings sofort geschehen. Damit war auch noch der allerkleinste Zweifel darüber beseitigt, dass es sich um einen glatten Rauswurf handelt. Frau Schaeffler konnte ihn offenbar nicht mehr riechen. Warum? Der Mann hat in unnachahmlicher Weise die Schaeffler-Gruppe auf Effizienz getrimmt, sie regelrecht nach vorn gepusht und schon wieder kurz nach dem Lehman-Desaster Ergebnisse vorweisen können, die die Süddeutsche Zeitung gar mit der Headline „Es regnet Geld bei Schaeffler!“ kommentierte. Solche Leute müssen selten gehen, auch wenn sie als ruppig, knallhart oder sonst wie unangenehm werden könnend beschrieben werden. Nach dem Eindruck Frau Schaeffler nahestehender Personen soll diese zunehmend schwerer daran getragen haben, scharfen öffentlichen Attacken ausgesetzt zu sein, während Geißinger als das Schwergewicht der Gruppe galt, das die Zügel fest in der Hand hielt. Hinzu kommt, dass die Schaeffler-Gruppe nach wie vor aus zwei wesentlichen Teilen besteht, dem INA-Teil sowie dem größeren Rest der Gruppe. An den INA-Standorten ist das Bekenntnis zur Familie Schaeffler bis heute spürbar, aber der blinde Glaube an die Familie herrscht nicht mehr vor. An allen anderen Standorten spielte das eh und je nur eine untergeordnete Rolle. Nicht etwa, dass Geißinger dort besonders geliebt werde, aber man bringt ihm hohen Respekt entgegen, weil er die Gruppe kompetent durch alle Stürme gebracht hat. Das Selbstvertrauen und die Selbstdarstellung Geißingers standen Entspannungsbemühungen im Wege. Er hatte sich mit großen Erfolgen eine starke Position aufgebaut und war alles andere als Schaefflers Schoßhündchen; und er ließ das spüren. Geißinger mag treibende Kraft für die Attacke auf Continental gewesen sein, aber die Eigentümer hatten dieser Attacke zugestimmt. Niemand konnte sich mehr aus der Verantwortung stehlen, diese delikate Suppe war nur gemeinsam auszulöffeln. Heute erklären uns bestimmte Kreise, schon viel früher mit Geißingers Rauswurf gerechnet zu haben, aber nicht jetzt, wo sich alles zum Guten hin entwickele. Ist das so? Schaeffler, zeitweilig auch Continental, standen unter dem Diktat der Banken. Nach deren Überzeugung war es nur noch Geißinger zuzutrauen, die Schaeffler-Gruppe aus einem drohenden Insolvenzszenario herausbringen zu können. Einer Entlassung Geißingers in dieser Zeit hätten die Schaeffler-Kreditgeber die Rote Karte entgegengehalten, wie die Continental-Kreditgeber unmissverständlich schon bei einer ganz locker angedachten Fusion Schaeffler/Continental die Rote Karte aus der Brusttasche zogen. Dass Geißinger sich in höchster Not aufmachte und aufmachen musste, im Nahen Osten nach finanzstarken Investoren für Schaeffler zu suchen, muss Frau Schaeffler schlaflos gehalten haben. Doch nach dem Lehman-Desaster hatte sie dieses Mal Glück, weil Geißingers Suche erfolglos blieb, denn bei dem um ihre Milliarden-Ausleihungen fürchtenden Druck der Banken hätte sie keinen ernsthaften Investor abweisen können. Doch nach dem Lehman-Pech kehrte das Glück zurück, auch wenn es damals noch nicht so aussah. Die Dinge hingen durchaus am seidenen Faden, und ob es Insidern wie Beobachtern passt oder auch nicht, dass Maria-Elisabeth Schaeffler heute nicht mit einer anderen Ex-Milliardärin bei Aldi und Lidl die Einkaufswägelchen schieben muss, ist ganz sicher auch ein Verdienst Geißingers. Und nun? Zu einer Fusion Schaeffler/Conti wird es nicht mehr kommen, dazu ist der Aktienanteil der Schaefflers zu klein geworden. Theoretisch denkbar, dass die Continental AG jetzt nach ihrem massivem Abbau des einst riesigen Schuldenbergs Schaeffler übernimmt und die Familie Schaeffler dann der größte Einzelaktionär, möglicherweise gar Mehrheitsaktionär eines solchen dann nochmals weitaus größeren Konzerns würde. Ohne Schaefflers Zutun liefe aber gar nichts. So bleibt ein Reverse Take-over eine unwahrscheinliche theoretische Möglichkeit. Einstweilen jedenfalls. Bei realistischer Betrachtung kann der Aktienanteil Schaefflers auf rund 25 Prozent zurückgeführt werden, um mit den Verkaufserlösen den Schaefflerschen Schuldenberg signifikant abzubauen. Der starke Einfluss auf den Continental-Konzern bliebe damit weitgehend erhalten. Genau dies hätte man von Anfang problem- und mühelos mit einer Selbstbeschränkung auf eine Sperrminorität von 25 Prozent haben können; Gier bzw. der Wunsch nach Macht standen dem im Wege. Selbst der naivste Zeitgenosse sieht doch, dass bis jetzt schon idiotisch viel Geld in Form von Zinszahlungen verbrannt worden ist, was die Schaeffler-Gruppe nicht gestärkt, sondern geschwächt hat. Ein paar Hedgefonds und eine Handvoll Banken, vorzugsweise aus Übersee, haben sich die Taschen voll gesteckt und tun es noch. „Auch wir sind Schaeffler“ – so demonstrierten die um ihre Existenz fürchtenden Schaeffler-Belegschaften. Und irgendwie sind wir doch alle ein wenig Schaeffler, weil Zinszahlungen von 700 Millionen Euro jährlich Gewinne und damit Körperschafts- und Gewerbesteuern auf Jahre hinweg auf Talfahrt schicken. Man muss es sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Man zahlt 700 Millionen Euro an Zinsen, um aus projektbezogener Zusammenarbeit Synergien in Höhe von 400 Millionen Euro schöpfen zu können. Wie sich die Zahl errechnet, weiß eine Handvoll Leute, die entweder von der einen oder von der anderen Seite schielen und möglicherweise nur Schönrechnerei betreiben. Auf das Komma genau lassen sich über viele Jahre immer nur die Zinsen errechnen. Die Conti/Schaeffler-Geschichte ist noch nicht vorbei, eine Erfolgsgeschichte wird es aber nicht mehr werden können.
Maria-Elisabeth Schaeffler lernt zu warten
Einen Tritt vors Schienbein erhielt Frau Schaeffler vor wenigen Wochen bei der Suche nach Geißingers Nachfolger. Gefunden war der Kandidat schnell. Und er sollte schnell nach Herzogenaurach kommen. Daraus wurde bisher nichts, weil der Herr seinen Vertrag als Vorstandsmitglied bei Knorr-Bremse zu erfüllen hat. Darauf besteht der Aufsichtsrat, dem u.a. Manfred Wennemer angehört. Wennemer ist konsequent, manche halten ihn gar für einen sturen Westfalen. Selbstherrlich, egoistisch und verantwortungslos ist er aber nicht. Aber er hat eben ein gutes Gedächtnis. Bisher hat Frau Schaeffler ihre wichtigste Aufgabe stets gut lösen können. Sie interessierte und gewann hervorragende Leute für sich und die Schaeffler-Gruppe, sodass die richtigen Leute zur richtigen Zeit an die entsprechenden Stellen kamen. So gewann sie nach dem Tode des Ehemannes 1996 bekanntlich u.a. Hubertus von Grünberg als Berater, später Jürgen Geißinger für die Konzernführung. Und dann inmitten der Krise kam das Konstrukt Schaeffler/Conti endlich dadurch in ruhigeres Fahrwasser, dass ihr Werben um Wolfgang Reitzle (Jahrgang 1949) erfolgreich war. Reitzle, fraglos eine der anerkanntesten Führungspersönlichkeiten des Landes, ist nach allen Rückschlägen u.a. auch deshalb der große Glücksfall für Schaeffler und für Conti ebenso, weil ihm weder die wichtigsten Conti-Produkte noch die Märkte, auf denen sich für Conti alles dreht, erklärt werden mussten.
Von ihm hängt nun alles ab: Georg Schaeffler
Die wichtigste, zumindest mächtigste Person ist bis hierhin unerwähnt geblieben. Georg Schaeffler (Jahrgang 1964) hält 80 Prozent der Firmenanteile, Mutter Maria-Elisabeth gerade mal 20 Prozent. Weite Teile der deutschen Öffentlichkeit wollen ihn nur als reichen Sohn sehen, zwei Schritte brav hinter der Frau Mutter durchs Leben laufend. So heißt es z.B. in einem Handelsblatt-Artikel vom 19. Februar 2009, Conti-Aufsichtsräte hätten sich gewundert, wie Maria-Elisabeth Schaeffler, Geißinger und Koerfer ihm über den Mund führen. Als strategischer Weichensteller werde er nicht wahrgenommen. Die Rede ist ferner davon, er müsse nun tatenlos zusehen, wie das Familienvermögen vor die Hunde ginge, Schaeffler sei ohne staatliche Hilfe nicht mehr überlebensfähig, und eine besondere Schwierigkeit könne der damalige Finanzminister Steinbrück darin sehen, einem Unternehmen beispringen zu sollen oder zu müssen, dessen 80-Prozent-Besitzer seine Steuern in den USA zahle. Ganz so kam es dann doch nicht.
Wird diese Beschreibung Georg Schaeffler gerecht? Nach Studienzeiten in Europa folgten ein Jurastudium in den USA und ein Umzug in die USA. Das werfen ihm gewisse Kreise als „Flucht“ vor. Geschenkt. Georg Schaeffler ist bzw. war verheiratet und hat Kinder. Sein Privatleben. Im Umgang mit der Presse, die nicht davor zurückschreckte, massiv in seinem Privatleben herumzuschnüffeln, hat er nicht die besten Erfahrungen gemacht mit der Folge, dass er sich da völlig zurückhält und „die Journaille“ überhaupt nicht mag und sich entsprechend verhält. Durch Protzerei mit Reichtum ist Schaeffler in den USA jedenfalls nicht aufgefallen, Kollegen der „US-Law Firm“ in Dallas/Texas, wo Schaeffler als Rechtsanwalt arbeitete, wussten zwar, dass er „gut situiert“ war, beteiligt an einem mittelständischen Unternehmen, aber sie waren weit weg von Vorstellungen in Milliardenhöhen. So wird Georg Schaeffler drastisch unterschätzt. Er lässt seiner Mutter in der Öffentlichkeit gerne den Vorrang, was ihm vorschnell als Schwäche ausgelegt wird. Die stets auf öffentliche Wirkung bedachte Frau Mutter verstärkt, auch ungewollt, das Bild des „braven“ und dabei unbeholfen erscheinenden Sohnes. Schade eigentlich, dass die Mutter nicht in der Lage zu sein scheint, sich zur Revidierung dieses Bildes zurückzunehmen. Wenn sie mal wieder den Wechsel vom privaten Umgangston mit ihm auf den Business-Umgang in der Öffentlichkeit nicht rechtzeitig hinbekommt, bleibt dem Sohn nicht viel mehr übrig, als die Augen rollend darüber hinwegzusehen. Aber man darf das ohnehin nicht überinterpretieren. Während Maria-Elisabeth Schaeffler als „himmelhochjauchzend zu Tode betrübt“ beschrieben wird, was ihre emotionale Seite wahrscheinlich trefflich beschreibt, wird Georg Schaeffler von diesem Kreis der Leute als rational denkender und handelnder Mann, der auch in schwierigen Situationen nicht kalt, aber doch gelassen bleibt, beschrieben. Der Ausdruck „cool“ dürfte es wohl ziemlich gut treffen. Seine nähere Umgebung beschreibt ihn als durchaus geradlinig, als offensiv und zielsicher. Es sei „schon klar, dass ihm der Laden gehört“. Er hat das Sagen und er sagt auch was; er macht das, was zu tun ist, auch selbst. Er hat die der Mutter nachgesagte Eitelkeit nicht, ist überhaupt nicht daran interessiert, nach außen hin ein Rollenbild abzugeben oder zeichnen zu lassen, das ihn vorteilhafter erscheinen ließe. Es interessiert ihn nicht und lässt ihn kalt; so sagen es Leute, die relativ nah dran sind. Letztlich wird er die Frage beantworten, wie die Schaeffler/Conti-Geschichte endet. Die tiefe emotionale Bindung seiner Mutter an das Unternehmen fühlt Georg Schaeffler vielleicht nicht. Das könnte in der Zukunft Entscheidungen ermöglichen, die mit Frau Schaeffler schwerlich möglich wären und dennoch richtig sein könnten, weil sie schlicht ergreifend Herrin im Hause zu bleiben gedenkt.
Was wurde aus den „Opfern“?
Werfen wir mal einen Blick zurück. Wie ist es, um es mit den Worten des letzten Wirtschaftsministers zu sagen, um deren „Anschlussverwendung“ bestellt? Dr. Hubertus von Grünberg ist u.a. mächtiger Chairman des in der Schweiz beheimateten ABB-Konzerns. In dieser herausragenden Position ist er Nachfolger von Jürgen Dormann (Jahrgang 1940), der als Chef der Chemiewerke Höchst einst die Fusion mit Rhône-Poulenc zur Aventis SE betrieb. Manfred Wennemer ist seit März 2013 Chairman von Sulzer, eines in Winterthur/Schweiz beheimateten Konzerns. Er ist Nachfolger von wem? Richtig, von Jürgen Dormann. Daneben sitzt Wennemer in mehreren Aufsichtsräten, u.a. bei Bekaert und Knorr-Bremse und lehrte als solcher gerade eine „listige Witwe“ Geduld. Dr. Alan Hippe landete beim schweizerischen Roche-Konzern in Basel und verdient dem Vernehmen nach jährlich fünf Millionen Euro plus. Dr. Karl-Thomas Neumann wurde Volkswagen-Chef im größten Absatzmarkt dieses Konzerns, China. Inzwischen ist er Chef der Opel-Werke mit Sitz im Vorstand von General Motors. Und auch Dr. Jürgen Geißinger nagt nicht am Hungertuch. Er dürfte finanziell sowieso ausgesorgt haben und bald wieder als Führungskraft auftauchen. Mag er auch rabaukenhaft, erbarmungslos und aufbrausend sein, Männer mit Ecken und Kanten werden gebraucht. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de
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[…] war, auch und besonders gegenüber der Schaeffler-Belegschaft. Letztlich war einzig und allein Glück auf Schaefflers Seite, dass der totale Untergang vermieden wurde. Von den Anschuldigungen Henkels ist nichts übrig geblieben. Wennemer und von Grünberg belegten […]
[…] Schaeffler-Gruppe sich selbst durch das waghalsige Manöver der feindlichen Übernahme zu einem Sanierungsfall am Rande des Ruins manövriert hatte, war Continental zu deren Spielball […]
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