Kommentar: Nicht schön, aber …
Nach zwei vergleichsweise schwachen Jahren im deutschen Reifenersatzgeschäft, wobei vor allem das vergangene weit hinter den Erwartungen großer Teile der Branche zurückgeblieben ist, ruhten nicht wenige Hoffnungen auf 2013. Erfüllt haben sich diese – wie man mit Blick auf das Sommerreifengeschäft festhalten muss – bisher leider nicht. Deswegen hängt Wohl oder Wehe der Branche augenscheinlich wohl wieder einmal davon ab, wie das Wintergeschäft laufen wird in diesem Jahr.
Dabei ist jedoch die Ausganglage alles andere als gut: Denn selbst wenn Continentals Reifenvorstand Nikolai Setzer kürzlich vor möglichen Engpässen bei der Versorgung mit Winterreifen warnte, so liegen nach allgemeiner Überzeugung doch eigentlich noch viel zu viele Winterreifen der zurückliegenden beiden Saisons „auf Halde“ bzw. nicht zuletzt auch in den Lägern (Groß-)Handels.
All dies vor dem Hintergrund, dass aufseiten der Verbraucher der Bedarf nach neuen Gummis für die kalte Jahreszeit tendenziell wohl eher nicht so hoch ist. Zumal bei einer Umfrage für den „ADAC-Reifenmonitor 2013“ Ende vergangenen Jahres immerhin 80 Prozent der Befragten angaben, innerhalb der beiden Jahre zuvor bereits neue Reifen erworben zu haben, wobei mit 52 Prozent mehr als die Hälfte von ihnen zuletzt Winterreifen kaufte.
Noch deprimierender fällt das Ergebnis vom jüngsten „Trend-Tacho“ aus, den die Kraftfahrzeugüberwachungsorganisation freiberuflicher Kfz-Sachverständiger e.V. (KÜS) zu verschiedenen Branchenthemen regelmäßig in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Kfz-Betrieb erhebt. Auf die Frage, ob innerhalb der nächsten sechs Monate ein Winterreifenkauf anstehe, sollen 71 Prozent der Autofahrer mit „ganz bestimmt nicht“ sowie weitere 15 Prozent mit „wahrscheinlich nicht“ geantwortet haben.
Wenn nun aber beinahe 90 Prozent der Autofahrer verneinen, demnächst Winterreifen kaufen zu wollen, die Läger noch recht voll sowie als Folge dessen der Druck auf die Preise entsprechend hoch ist und sich dann noch ein großer Lebensmitteldiscounter anschickt, sich mit – wie es heißt – „sehr aggressiven Preisen“ eine Scheibe von Winterreifen- bzw. Winterkomplettradgeschäft abschneiden zu wollen, dann ist der kollektive Aufschrei der Branche beinahe körperlich spürbar.
Zurecht? Klar, keiner mag es, wenn jemand anderes in seinem angestammten Revier wildert. Aber auch auf die Gefahr hin, dass dies nicht jeder gerne hört: So etwas nennt man freie Marktwirtschaft. Wenn ein Unternehmen der Überzeugung ist, es müsse diesem oder jedem Vertriebskanal vertreten sein, woraus meinen andere dann ein vermeintliches Recht ableiten zu können, ihm dies verbieten zu dürfen? Schließlich engagieren sich ja auch immer mehr Reifenfachhändler etwa im Autoservice, ohne dass man sich groß Gedanken darum macht, ob Autohäusern/Kfz-Werkstätten dies gefällt oder nicht.
Natürlich soll nicht behauptet werden, dass eine Vermarktung über den Onlineshop eines Lebensmitteldiscounters dem entspricht, was man sich für ein beratungsintensives Hightech-Produkt wie Reifen anstreben sollte. Aber gilt das dann nicht prinzipiell für jeden B2C-Onlineshop unabhängig davon, von wem auch immer er betrieben wird? Insofern ist die ganze Aufregung wohl nicht zuletzt auch der momentanen allgemeinen Dünnhäutigkeit der Branche geschuldet oder dem Umstand, dass „Nestbeschmutzer“ – die gemäß Stellungnahmen von Goodyear Dunlop und Uniwheels offenbar nicht aufseiten der Industrie zu suchen sind – es wagen konnten, eine branchenfremde Marktgroßmacht wie Lidl mit Ware zu beliefern.
Aber das ist letztlich doch wohl ebenfalls die Entscheidung eines jeden Unternehmers selbst, auch wenn man sich damit sicherlich nicht gerade neue Freunde in der Branche macht. Vielleicht sollte sich jeder einmal an die eigene Nase fassen und sich die Frage stellen, ob sie oder er nicht möglicherweise das Gleiche getan hätte, wenn sich ihr oder ihm dieselbe Gelegenheit geboten hätte bzw. man überhaupt erst einmal auf die Idee gekommen wäre und zugleich die Kontakte/Möglichkeiten besäße, sich auf diese Weise überschüssiger Lagerbestände zu entledigen. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein … und sollte hoffen, dass die eigenen „Schweinereien“ nicht doch eines Tages ans Licht kommen. christian.marx@reifenpresse.de
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