Das Ende ist nah – Jetzt geht es um einen neuen Anfang
Für die lang anhaltenden, weitgehend hausgemachten Probleme des Continental-Konzerns im nordamerikanischen Reifengeschäft zeichnet sich keine Lösung ab, sofern man einen vollständigen Rückzug an sich nicht als Erfolgsgeschichte verstehen will. Fehlten erst die finanziellen Mittel, so mangelte es später am Willen, solche auch einzusetzen. Und die Letzten werden bekanntlich von Hunden gebissen und haben Versäumnisse sämtlicher Vorgänger auszubaden. Das US-Reifengeschäft wird auch im laufenden Jahr mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder mit einem dreistelligen Millionenverlust unter die Räder geraten. Es sieht nicht danach aus, als sei der avisierte und wiederholt bestätigte Termin für den Turnaround, Erreichung eines positiven 4. Quartals 2005 und dann endgültiges Verlassen der Verlustzone im Geschäftsjahr 2006, in greifbarer Nähe.
Viel ist jetzt schon nicht mehr übrig vom einstigen Reifenhersteller General Tire, der seit der Übernahme 1987 kontinuierlich kleiner und kleiner gespart worden ist. Die aktuellen Vorgänge verraten eine auf die Spitze getriebene Ungeduld, vielleicht gar Hektik. Denn allein in den Jahren dieses noch jungen Jahrtausends versuchten sich mit den Managern Frangenberg, Wellen und de Louw gleich drei in Schadensbegrenzung und hatten doch stets zum Jahresende einen in dreistelliger Millionenhöhe liegenden Verlust zu melden. Der im Mai erzwungene Rücktritt des letzten US-Chefs Martien de Louw zeigt das erneute Scheitern und offenbart sogar Zweifel, ob überhaupt Verbesserungen erreicht worden sind. Da passt es gut, dass der Konzernvorstand schon seit wenigen Jahren Umsätze und Ergebnisse des nordamerikanischen Reifengeschäftes nicht mehr gesondert ausweist, denn das äußerst profitable europäische Pkw-Reifengeschäft subventioniert das erschreckend schwache Reifengeschäft im Nafta-Raum, dessen operativer Verlust inzwischen bei knapp 10 Prozent vom Umsatz angekommen sein soll. Nun aber hat sich Konzernchef Manfred Wennemer (59) selbst an die Spitze gestellt, zusammen mit Finanzchef Alan Hippe (38), der als Contis Nr. 2 gesehen wird, in vorderster Front. Das verspricht für den nordamerikanischen Reifenarm des Konzerns nicht zwangsläufig Gutes. Niemand kann die in nahezu zwei Jahrzehnten aufgehäuften Versäumnisse hinwegzaubern. Nur Unmögliches lässt sich wohl sofort erledigen. In Charlotte würden Wunder benötigt. Dennoch muss es schnell gehen. Soll gerettet werden, was nicht mehr zu retten ist? Bis dato dem Konzern recht unkritisch zugewandte Analysten fachsimpeln bereits, ob man in den USA nicht nur eine behauptete Verbesserung in Zweifel ziehen, sondern von einer Verschlechterung reden muss. Jedenfalls, so die Ansage, werde man die Lage von nun an genau verfolgen.
Die Geschichte mit den Lemmingen – Vom Traum zum Alptraum
Diese kleinen Tierchen gehen so gern auf Wanderschaft wie große Manager auf berauschende Shoppingtouren. Letztere begründen und begründeten es mit Schlagwörtern wie Globalisierung, Global Player, World Tire, World Car, Multi Brand Strategies etc., womit sich schon deshalb nichts beweisen lässt, weil es sich um relativ alberne Begriffe, bestenfalls leere Floskeln, handelt. Aber wer immer für diese Wortschöpfungen verantwortlich sein mag, kann mit Genugtuung feststellen, Wanderungen ausgelöst zu haben. Ein Manager nach dem anderen machte sich auf den Weg. Lieber Visionär als Langeweiler! Deshalb folgten andere allzu schnell. Wären sie lethargischer gewesen, hätten sie die blutenden Nasen der Konkurrenten sehen können, wären mit eigenen Entscheidungen langsamer und vorsichtiger gewesen und hätten so dem eigenen Unternehmen, aber auch dem neu übernommenen Teil einiges erspart. Allmählich finden jetzt aber auch Gegenstimmen mehr Beachtung. Altbundeskanzler Schmidt misstraut Visionären: „Wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen!“ Ein Harvard-Professor sowie ein international bekannter Managementguru ließen sich gar zur Feststellung hinreißen (siehe Wirtschaftswoche Mai/2005), bei sich selbst als Visionäre und Charismatiker einschätzenden Managern handele es sich oft um solche mit übersteigertem Ego, beratungsunfähig bzw. beratungsresistent und, man höre und lese es, oftmals um Schaumschläger.
Wie Lemminge nicht lesen können, erkennen überehrgeizige Manager nicht die Zeichen an der Wand. Am Ende kommt, was kommen muss. Wenn viele Lemminge laufen, wird es schnell zu eng, dann werden sie durch Schluchten und Täler gepfercht, bricht Panik und blankes Entsetzen aus – und am Ende steht der „Lemmingauflauf“. Vor lauter Angst und Panik springen die Lemminge letztlich selbst von den Klippen oder sie werden heruntergeschubst.
Ist in der Reifenindustrie alles anders? Oder war alles anders? In den Abgrund haben schon viele gesehen. Michelin verhob sich zu Beginn der 90er Jahre massiv an Uniroyal-Goodrich und konnte von Glück sagen, dass Carlos Ghosn, der später Nissan sanierte und inzwischen zusätzlich zum Chef von Renault aufstieg, seine erste Sanierungstat bravourös vorlegte. Ansonsten hätte die Familie Michelin ihren beherrschenden Einfluss auf den Reifenkonzern verloren. Zuvor schon ließ sich Bridgestone mit Firestone einen Reifenhersteller mit großem Investitionsstau andrehen, war aber bereits damals zu finanzstark, als dass man von der Klippe hätte springen müssen; und auch Pirelli ist heilfroh, nach langem Hickhack letztlich die ebenfalls schon 1987 gekaufte US-Reifenfirma Armstrong ohne bleibende Schäden für den italienischen Konzern bereits vor rund zehn Jahren „platt gemacht“ zu haben. Globalisierung war jedenfalls keine Voraussetzung für Überlebensfähigkeit. Pirelli ist heute auch ohne Armstrong als Reifenhersteller so stark wie noch nie in seiner Geschichte. Und Continental Tire North America? Konstant sind bisher nur die riesigen dreistelligen Millionenverluste erst in Deutscher Mark, dann in Dollar und neuerdings in Euro. Noch wird alles relativ mühelos durch die hervorragend laufende europäische Division Pkw-Reifen ausgebügelt.
Alles schon mal da gewesen
Menschen denken, irgendwie. Konzerne „ticken“. Irgendwie! Wie „tickt“ Conti? Zur Zeit des Aufbruchs in die USA schlug sich der damalige CEO Helmut Werner wieder mal mit zweistelligen Millionenverlusten der Handelstochter Vergölst herum und beschied kurzerhand Kritiker wie Zweifler, Aktionäre wie Aufsichtsrat auf der Jahreshauptversammlung, die Verluste im laufenden Jahr zu halbieren und im folgenden Jahr Break-even zu erreichen. Dabei traf es sich gut, dass er mit Wilhelm Winterstein einen von der Dunlop AG abgeworbenen Controller an die Spitze der Handelsorganisation setzen konnte. Winterstein wusste zwar nicht wie Kunden aussehen, aber immerhin waren Zahlen während seines ganzen Berufslebens echte Freunde gewesen.
Wen sollte es wundern, dass die Sanierung wenigstens auf dem Papier nach Plan verlief? Der Chef des mit Abstand größten Lieferanten war im Wort, seinen größten Kunden aus dem Schlamassel zu holen. Der Mann, der zu rechnen und Kosten zuzuordnen wusste, saß als geniale Ergänzung gleich mit im Boot. Wenn nicht jetzt, wann dann? Winterstein hatte so gut gerechnet, dass er sich schon ein gutes Jahr später auf dem Sessel des Konzernfinanzchefs wiederfand. An der eigentlichen Vergölst-Sanierung verbrannten sich im folgenden Jahrzehnt noch viele Manager die Finger.
Wiederholt sich die Geschichte in groben Zügen jetzt? Wenn das Gespann Wennemer/Hippe meint, schwarze Zahlen vorweisen zu müssen mit dem letzten Quartal 2005, dann kann es so werden. Kommt es so? Wird Wennemer seine bisher doch sehr konsequent durchgezogene Linie verlassen? Welche Interessen würden den Aufsichtsrat treiben? Seit längerer Zeit sind zunehmend Stimmen nicht zu überhören gewesen, die hinter vorgehaltener Hand auf fortgehende Subventionierung des amerikanischen durch den europäischen Teil hingewiesen und den Fortgang der Sanierung in USA damit in Zweifel gezogen haben. Wenngleich der deutsche Fiskus mit Argusaugen wacht, dürfte der Spielraum bei kreativer Auslegung aller Möglichkeiten wohl groß genug bleiben, denn letztlich ist vieles eine Frage der Bewertungen, die ein Jonglieren mit hohen zweistelligen Millionenbeträgen in die eine wie andere Richtung ermöglichen. Der wirkliche Ansprechpartner für den deutschen Fiskus ist der Finanzchef des Konzerns. Dass dieser nun an vorderster Front selbst die Nahtstelle zwischen Verrechnungspreis und Subvention definieren kann, eröffnet neue Möglichkeiten. Passend auch, dass Konzernchef Wennemer sich mit der Cash-cow des Reifenbereichs, die Division Pkw-Reifen, den Bereich direkt unterstellt hat, der berufen und in der Lage ist, dem US-Problemfall – und das ist der Pkw-Reifenbereich im Gegensatz zum jedenfalls verlustfreien Lkw-Reifengeschäft – beizustehen.
Wer wiederholt dreistellige Millionenverluste in einem Konzernbereich erleidet, hat oder bekommt ein Finanzproblem. Dies dem Finanzchef zur Lösung zu übertragen, entbehrt einer gewissen Logik ja nicht. Aber liegen die Gründe für dieses Problem in mangelndem Controlling, Unterkapitalisierung oder sonstigen Nachteilen auf der Finanzebene? Was aber, wenn es sich statt dessen um Markt- und Markenprobleme, oder auch um Produktprobleme, handelt? Warum soll man dann dem neuen Interims-CEO und President Dr. Alan Hippe in der Kürze der Zeit mehr Fortune zutrauen als all seinen Vorgängern zusammen? Entschlösse man sich, das Markt- und Markenproblem nicht zu negieren, dann wäre die neue Lösung der Führung genauso „vielversprechend“ wie die gerade zu Ende gegangene. Da wollte und sollte mit Martien de Louw ein Mann mit wenig Erfahrungen im Reifengeschäft die europäische Cash-cow des Konzerns quasi ganz nebenbei managen und sich zugleich an die Spitze der Bewegung im wettbewerbsintensivsten Reifenmarkt der Welt setzen, ohne Kollegen weit und breit, dafür mit vielen Untergebenen.
Ein Blick auf das Wirken der letzten CEOs könnte hilfreich sein. Bernd Frangenberg musste eine Restrukturierungs- und Sparrunde nach der anderen hinzaubern, weil der Konzern in diesen Jahren einfach nicht über die finanziellen Ressourcen für das Zustandekommen einer kontinuierlichen Aufbauarbeit über Jahre hinweg verfügte und somit auf tägliche Problemlösereien, gar Flickschustereien angewiesen war. Motto: Bälle flach und Verluste klein halten, mit Glück wenigstens in boomenden Zeiten nahe an Break-even herankommen.
Dr. Ulrich Wellen, der sich selbst in Interviews zum „fix-it guy“ des Continental-Konzerns ernannte, hatte schon nach einem Jahr fertig. Insider berichten, Wellen habe mittels „management by fear“ zeigen wollen, wo der Hammer hängt. Was andere in anderthalb Jahrzehnten nicht schafften, sollte ihm aus dem Stand gelingen. Er kündigte an, „unabhängig vom wirtschaftlichen Umfeld“ sofort Break-even zu erreichen und in zwei Jahren werde sowieso niemand mehr von den Verlusten reden. Zwischenzeitlich dürften sich dennoch mindestens weitere 300 Millionen Euro als Verluste angesammelt haben. Internationale Erfahrungen hatte Wellen, der Untergebene schon mal dahingehend informierte, mit Erreichung seines 40. Lebensjahres im Konzernvorstand zu sitzen, noch nicht gesammelt, aber er kannte wenigstens das Reifengeschäft sehr gut und er hatte auch sonst ein paar unübersehbare Fähigkeiten. Doch dem intelligenten und technisch beschlagenen Manager standen möglicherweise Überehrgeiz und nahezu grenzenloses Vertrauen in die Überlegenheit eigenen Tuns zu stark im Weg, statt ihn Eigenschaften zeigen zu lassen, die einen Manager auch als starken Führer auszeichnen.
Über Martien de Louw (59), den vorerst letzten in der Reihe der gescheiterten und erfolglos gebliebenen Manager, lässt sich aus Beobachtersicht am wenigsten sagen? War er ein Führer? Jedenfalls zog er die Führung in den USA sehr beherzt an sich und ließ keinen Zweifel daran, mindestens so amerikanisch wie die Amerikaner zu sein: Das Sagen hat der CEO, der Rest darf zuhören. So weit diese Zeitschrift sich einen Eindruck verschaffen konnte, galt de Louw als seriös, sehr solide und glaubwürdig, kein „Strahlemann“, vielmehr der Typ des fleißigen und beharrlich arbeitenden Handwerkers, bereit auch schwere und dornige Wege zu gehen. Dass er in Presseberichten nach seinem Rücktritt als „fliegender Holländer“ bespöttelt wurde, ist der unfeinen Art zuzuordnen.
Pech für General Tire
Als in den USA „feindliche Übernahmeversuche“ en vogue waren, erwischte es mit der Gencorp die Muttergesellschaft des US-Reifenherstellers. Dieser war zwei Jahre zuvor ein Technical Agreement mit Continental und Toyo eingegangen. Und genau damit, das mit General Tire erarbeitete und geteilte wertvolle Know-how schützen zu müssen, begründete Continental sodann die Übernahme. Spötter meinten sofort, selten seien ein paar Blatt Papier so teuer bezahlt worden.
Die mit größeren Hoffnungen empfangenen Deutschen enttäuschten die Amerikaner auf der ganzen Linie. Sie unterließen in den Folgejahren nahezu alles, was unternehmerisch einfach nur als verantwortlich und als Erfüllung einer Mindestanforderung zu bezeichnen gewesen wäre. So darf man fragen,
1. warum Continental ein Global Player in der Reifenindustrie meinte werden zu müssen,
2. was mit General Tire erworben worden war,
3. was die Deutschen mit den Werken gemacht haben,
4. was sie in Forschung und Entwicklung auf die Beine stellten,
5. wie sie die Marke General pflegten, was sie mit der Marke Continental unternahmen und ob sie
6. eine Investition vornahmen, ohne welche kein Unternehmen reüssieren kann: Investition in Menschen, in Aus- und Weiterbildung! In Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dank ihrer Expertise beispielsweise in der Lage sind, Marketingprogramme zu entwickeln und durchzusetzen.
Thesen, Phrasen, heiße Luft
Zu 1.: Goodyear-Boss Robert E. Mercer behauptete in den 80er Jahren, lediglich die „Big Five“ seien in der Reifenindustrie überlebensfähig. Sollte der Rest jetzt vorschriftsmäßig ableben? Dann tauchte mit Charles Zub ein angeblicher Analyst der Reifenindustrie auf, von dem zuvor und später nie jemand was hörte, und präsentierte eine Studie mit der Überschrift „Die 80er Jahre gehören Continental“. Noch mehr Lust auf Sprüche, Entschuldigung: Erkenntnisse und Absichtserklärungen von Managern? „Mittels Diversifikation einseitige Abhängigkeiten vergessen lassen! Wir wollen überall Nr. 1 oder 2 sein. Wo wir das mittelfristig nicht werden können, räumen wir das Feld. Wir haben jetzt die Grundlagen gelegt, in ein, zwei Jahren einen Operating Profit, andere nannten EBIT als Zielmarke, von zehn Prozent zu erreichen. Fokussierung auf das Kerngeschäft. Von allen anderen Geschäftsfeldern trennen wir uns.“
Mit solchen Sprüchen ließ sich auch zu dieser Zeit der Aktienkurs ein wenig aufhübschen. Basta. Von eben dieser Qualität sind auch die Inhalte der Begriffe „Globalisierung“ und „Global Player“. Angeblich muss man bekanntlich den Großkunden (hier: Volkswagen, Mercedes und BMW) folgen, die allerdings in den USA noch längst nicht oder schon nicht mehr produzierten. Den Rest einer denkbaren Debatte kann man getrost unterschlagen. In der Rückschau stellte Marketing- und Verkaufsvorstand Wilhelm Schäfer später lapidar zur Akquisition fest: „Wir standen mit beiden Beinen ganz fest in den Wolken.“
Zu 2.: Die Deutschen erwarben einen Reifenhersteller mit ein paar heruntergekommenen Fabriken, denen der Investitionsstau schon aus größter Entfernung anzusehen war. Wilhelm Schäfer urteilte damals so: „Die Firma war total ausgecasht.“ Wenig schmeichelhaft auch das Urteil von Werner-Nachfolger Horst W. Urban, der 1988 in einem Wirtschaftsmagazin dahingehend zitiert wurde, die Marke General sei außerhalb Ohios unbekannt und in den Fabriken stünden viele „Museumsstücke“. Also: keine Marke, keine Produkte, keine Produktqualität, keine Innovation, keine Distribution, keine Händlerbasis, Absatz im Wesentlichen über zwei Mass-Merchandiser. Das soll’s gewesen sein!
Zu 3.: Continental verfügte Ende der 80er Jahre nicht über die finanziellen Ressourcen, um eine Sanierung so vornehmen zu können wie es Bridgestone mit Firestone machen konnte und in den 90er Jahren erst recht nicht. Erinnert werden darf an die schwache Weltwirtschaft, den abgeschlagenen Übernahmeversuch durch Pirelli und andere unangenehme Vorgänge und Begleiterscheinungen mehr. Der in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in die USA entsandte Bernd Frangenberg musste als Chef von General Tire Sparrunden verkünden, eine nach der anderen und das von Jahr zu Jahr erneut. Das Werk in Akron wurde geschlossen, das US-Headquarter nach Charlotte/North Carolina verlegt, die mexikanischen Aktivitäten an die Euzkadi-Group verkauft und später – aus Gründen, die heute bei Continental nur ungern diskutiert würden – teilweise zurückgekauft. Martien de Louw schloss 2004 mehr oder weniger vollständig die Mayfield-Fabrik und seit wenigen Tagen besteht Kenntnis über einen weiteren traurigen Höhepunkt: Das Werk Bryan mit seinen immer noch mehr als 300 Mitarbeitern, in welchem nahezu ausschließlich Industrie-/EM-Reifen hergestellt werden, soll mit dem deutschen Runderneuerer RODOS einen neuen Besitzer finden. RODOS wird damit im übertragenen Sinne der deutsche Billigflieger dba, von dem sich British Airways nicht allein zum Nulltarif trennte, sondern noch viele Millionen obendrauf zahlte. Wie hoch wird die von Conti gezahlte Mitgift ausfallen? Und wenn es denn so kommen sollte, bleibt die Hoffnung, dass kleine Mittelständler es besser machen als ihre Vorgänger. Es verdient festgehalten zu werden, dass die Konkurrenten Bridgestone und Michelin derzeit mit ihren EM- und Off The Road-Reifen eine über 20 % hinausschießende EBIT-Marge erwirtschaften und gar nicht so viel liefern können wie nachgefragt wird. Wer aber anderthalb Jahrzehnte nichts investiert, keine neuen Produkte entwickelt, ist nun mal out. Miseren kommen selten über Nacht als unabwendbares Unglück.
Geht der Abbruch jetzt weiter? Dr. Alan Hippe, erklärter Interims-CEO und kaum im Amt, schwingt die Axt: Abbau der Produktionskapazität im letzten verbliebenen US-Werk Charlotte um runde 30 Prozent. Als Grund wird die schwache Automobilindustrie in Nordamerika angegeben. Aber es gibt auch positive Meldungen. Das Lkw-Reifengeschäft läuft so leidlich, jedenfalls werden seit Jahren bereits Gewinne erwirtschaftet. Das liegt natürlich auch am Reifenwerk in Mount Vernon/Illinois. Und das könnte der Schlüssel sein: Es handelt sich um ein erst nach der Akquisition gebautes modernes Gemeinschaftswerk mit Yokohama und Toyo.
Zu 4.: Forschung und Entwicklung findet seit vielen Jahren speziell für Nordamerika – wenn überhaupt – nur noch am Rande statt, der Rest soll aus dem F&E-Center in Hannover stammen. Nachdem die F&E-Abteilung in Charlotte dem Rotstift vor vielen Jahren bereits zum Opfer fiel, konnte Wellens Analyse, man habe hinsichtlich der Produkte nun wirklich einen ganz schlechten Job und massiv Aufholarbeit zu leisten, nicht überraschen. Mindestens indirekt in dieselbe Kerbe schlug de Louw mit seiner Feststellung, „jetzt“ aber habe man qualitativ erstklassige Produkte. Jetzt? Jetzt erst? Was war denn bis jetzt? Heute erlebt man gegenseitige Schuldzuweisungen. Das F&-Center in Hannover sei nicht genug gefordert worden, so die einen Stimmen, während die anderen Stimmen aus Gründen der Höflichkeit hier gar nicht erst zitiert werden sollen.
Wenn die Fabriken nicht auf Vordermann sind und zusätzlich F&E hinterherhinkt und die modernen und am stärksten nachgefragten Produkte nur mit großer zeitlicher Verzögerung auf den Markt können, sind die Aussichten zwangsläufig ungünstig. Dabei hatten die Verantwortlichen bei vielen Gelegenheiten darauf hingewiesen, man könne sich eine Follower-Strategy wie sie der Konkurrent Cooper nahezu optimal betreibt, nicht leisten. Sie machten nur nichts anderes.
Zu 5.: General Tire ist eine sehr schwache Reifenmarke, ohne Bekanntheitsgrad, ohne Image, ohne Inhalte. Gerade vielleicht ein zwei Dollar mehr wert als irgendeine House-/Private Brand mit gut erfundenem Namen. Das kann auch nicht anders sein, denn Werbung ist teuer im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und ein defizitäres Geschäft lässt Wünsche nach einem Marketing-/Werbebudget verpuffen. Analysten der Deutschen Bank gehen davon aus, dass Conti mit jeden zehn Millionen Dollar Umsatz eine Million Dollar operativen Verlust einfährt. Das ist nicht nur ein wirklich guter Grund, selbst die Umsatzzahlen wie ein Staatsgeheimnis zu hüten, sondern erst gar nicht von Marketingbudgets zu träumen.
Unter de Louw kam die Marke Continental stärker in den Vordergrund. Die Idee war, und sie wurde sowohl von ihm wie auch Manfred Wennemer im Gespräch mit der Neue Reifenzeitung Ende April in Charlotte noch einmal bekräftigt, Continental in einem Vorlauf über die Erstausrüstung zu forcieren, um dann über einen sich daraus ergebenden Nachlauf endlich auch im Ersatzgeschäft besser Fuß fassen zu können. Von einer Nachlaufquote von deutlich mehr als 30 Prozent war die Rede.
Solche Quoten sind schwer zu verifizieren und am besten hilft stets der Glaube. Wer von einem Vorlauf in die Erstausrüstung spricht, meint im Grunde Investition und gesteht damit ein, nicht zu auskömmlichen Preisen zu liefern. Erstausrüstung steht in Charlotte nach wie vor für Verluste. Jedenfalls für Pkw-Reifen. Da fällt es bei einer Nachlaufquote von 30 % schon äußerst schwer, noch so viel aufzuholen, dass der rote Stift in Vergessenheit geraten könnte. Sinnvollerweise sollte das Verhältnis der Lieferungen in die Erstausrüstung den kleineren und das der Lieferungen ins Ersatzgeschäft den deutlich größeren Teil ausmachen. Dann verbessert sich die Chance, Geld verdienen zu können.
Der sich ergebende Nachlauf im Ersatzgeschäft hängt von der Attraktivität der Marke selbst ab und ganz sicher auch davon, wie anspruchsvoll Auto und Reifen sind. Allerweltsautos sorgen für einen sehr, sehr schwachen Nachlauf, wenn überhaupt. Die von Continental gesehene Nachlaufquote von 30 Prozent ist sehr optimistisch und sie ist nicht überprüfbar.
Fehler der Vergangenheit rächen sich immer
1996 wurde Bridgestone in den USA über ein Jahr lang bestreikt. Zum Schluss aber hatten die Japaner eine wettbewerbsfähige Vereinbarung. Nebenbei waren die Rubberworkers in die Knie gezwungen worden und hatten bei den Steelworkers, die jetzt die Gummibranche aufmischen wollen, eine neue Heimat gefunden. Goodyear hatte sich das Leben leichter gemacht, die Verhandlungstaktik der Japaner wurde für kleinkariert und falsch gehalten. Goodyear erfüllte die Forderungen der Unions, Gibara gab die Losung aus, die höheren Kosten durch Marktanteilsgewinne und höhere Umsätze vergessen zu machen. Diese Botschaft vermittelte „Sam“ den Analysten der Wall Street, die sich erst später von dem „Mann, der viel verspricht und nicht liefert“, abwandten. Die Ergebnisse dieser „Politik“ lassen sich seit Jahren an den Bilanzen ablesen, der US-Marktführer kämpft immer noch um wenigstens ausgeglichene Ergebnisse. Hohe Verschuldung, grandiose Deckungslücke im Pensions Fond und anhaltende Ertragsschwäche. Mit den Folgen sind die Gibara-Nachfolger jetzt geradezu massiv konfrontiert.
Aus Fehlern könnte man lernen, sofern man denn wollte. Im Gefolge des Firestone-Reifenrückrufs suchte Ford 2001/2002 händeringend nach Ersatzlieferanten und holte sich eine Abfuhr bei Cooper. Dieser Hersteller war nicht bereit zu Preisen zu liefern, die keinen Gewinn ermöglichten und kümmerte sich konsequenterweise ausschließlich um das Ersatzgeschäft. In die Bresche sprang Continental und nicht nur das. Wennemer-Vorgänger Kessel war stolz darauf, dass der deutsche Konzern zur Nummer 1 bei Ford angesetzt hatte. Zwar waren die Preise höchst mäßig, was unter weniger gebildeten Menschen als „saumäßig“ verstanden wird, doch die Menge sollte es bringen und im Übrigen werde man sowieso die Kosten massiv drücken. Das Ford-Geschäft hätten die Deutschen besser gelassen, die Verluste sind gruselig. Doch wenigstens das zeichnet die Deutschen aus: Pacta sunt servanda!
Mit der Theorie Vorlauf/Nachlauf ist der Versuch verbunden, die schlechten Geschäftsabschlüsse der Vergangenheit nachträglich doch noch zu rechtfertigen. Es handelt sich nicht um Verluste, sondern um Investitionen für den sich ergebenden Nachlauf für das Ersatzgeschäft. Man muss also die Umsätze und Erträge insgesamt sehen. So?
Das aber setzt voraus, dass man eine Position im Markt mit der Marke Continental hätte, also über Markteinfluss verfügen würde, was aber genau nicht der Fall ist. Der Einfluss der Marke Continental in den USA ist etwa mit dem Einfluss vergleichbar, den Hankook in Deutschland dank europäischer EA-Lieferungen an Ford im Ersatzgeschäft geltend machen könnte. Da Lieferungen in die Erstausrüstung das einzige Marketingmittel sind, mit dem auf dem amerikanischen Ersatzmarkt reüssiert werden soll, kann man sich also den äußerst begrenzten Erfolg vorstellen.
Zu 6.: Anlässlich der Eröffnung des Technical Centers im Sommer 2001 in Detroit (Achtung: Es geht um Bremsen, nicht um Reifen!) kündigte der Verfasser dem ebenfalls anwesenden Reifenboss Frangenberg einen Besuch in Charlotte an mit dem Ziel, den Lesern das Wirken der Marketingabteilung zu beschreiben. Da diese Abteilung längst wegrationalisiert war, bat Frangenberg, die „Stichelei“ zu lassen. Bis heute hat sich nichts geändert. Man geht kein allzu großes Risiko mit einem Wettangebot darauf ein, dass in Österreich mehr Marketing- und Verkaufsleute für die Reifenbereiche des Conti-Konzerns tätig sind als in USA „nationwide“. Programme, sofern es welche gibt, kommen aus Hannover, Pricing gleichermaßen. Das kann nicht verwundern, denn dieses Unternehmen hat in den USA die dafür erforderlichen Mitarbeiter einfach nicht.
Bei allem kam de Louws Rücktritt allerdings überraschend. Man hatte den Eindruck, dass unter seiner Führung in den zurückliegenden beiden Jahren einiges zur Verbesserung der Produktpaletten, zur Verbesserung der Qualität, zur Stärkung der Distribution und Logistik geschehen war, sodass sich eine Basis zumindest abzuzeichnen begann, von welcher sich aufbauen ließe. Und da das Unternehmen nun mal nicht über ein ansprechendes Händlernetz verfügt, da es bestenfalls zweite oder dritte Geige bei Mass Merchandisern spielt, gab es zu de Louws langem und beschwerlichen Weg, das Heil über den Absatzkanal Autohaus verstärkt zu suchen, nicht einmal eine verheißungsvolle Alternative. Allerdings wird wohl auch gelernt worden sein, dass auch ein Nachlauf nicht automatisch und zwangsweise erfolgt, sondern auch dafür vieles zu geschehen hat. Eine Hand voll Key Accounter scheint kein adäquates Mittel zu sein.
In dem bereits erwähnten Gespräch mit den beiden Spitzenmanagern des Konzerns drängte sich der Eindruck auf, dass sich die Kostenseite allmählich so entwickelte wie man es sich vorgestellt hatte, und zwar nicht zuletzt durch zunehmende Lieferungen aus Fabriken in Billiglohnländern wie Mexiko, Malaysia, Tschechien, Rumänien und bald dann auch aus Brasilien. Bei einem Gang durch die im Umbau befindliche Charlotte-Fabrik, in welcher u.a. auch in Mayfield frei gewordene Maschinen zum Einsatz kommen sollen, wurde zumindest der Eindruck einer wirklich nunmehr absolut wettbewerbsfähigen Produktionsstätte vermittelt.
Warum es dann doch zu der neuen Entwicklung kam, ist für Außenstehende schwer zu beurteilen. In Conti-Kreisen heißt es, Manfred Wennemer habe die Geduld und das Vertrauen in Martien de Louw verloren, während in Presseberichten dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hubertus von Grünberg der „schwarze Peter“ zugeschoben wurde, sich gar ein höherer Verlust als jemals zuvor am Horizont zeigen soll.
Wenn sich eines wie ein roter Faden durch die letzten anderthalb Jahrzehnte zieht, dann die Erkenntnis, dass zu keiner Zeit wirklich sichtbar Investitionen in Marke und Markt erfolgten, sondern man den Erfolg über Kostenreduzierungen nahezu allein suchte. Doch auch die anderen Wettbewerber können sich längst nicht mehr leisten, nicht auch nach jeder nur denkbaren und noch so kleinsten Kostenreduzierung zu fahnden. Es ist sicher von Zeit zu Zeit sinnvoll, überschüssige Kapazitäten aus dem Markt zu nehmen, aber es muss nicht gleich so weit gehen, dass alle Fabriken dem Erdboden platt gemacht werden.
Die Welt hat sich geändert. Als Continental 1987 in die weite Welt hinaus drängte, galt es, die wichtigsten Märkte der Welt mit „Inlandsproduktion“ zu bedienen. Anders konnte man sich dauerhaften Erfolg für die Zukunft nicht vorstellen, erst recht nicht als Partner der Automobilindustrie, besser: Entwicklungspartner der Automobilindustrie. Heute will Continental den USA-Erfolg am liebsten mit Lieferungen aus Billiglohnländern erzwingen. Kann man so Entwicklungspartner der großen Kunden erst mal werden und dann auch bleiben und gegen harte Konkurrenz bestehen?
Continental hat im US-Reifengeschäft bis heute nichts bewirkt. Das hat seine Gründe darin, dass zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erst nichts getan werden konnte und dann – nachdem die finanziellen Ressourcen vorhanden waren – diese nicht oder nicht ausreichend zum Einsatz kamen. Derzeit verdient der Konzern so gut, dass er sich alle richtigen Maßnahmen leisten könnte, fraglich ob er es tut oder sich allmählich zurückzieht. Wenn er jedoch der Meinung sein sollte, durch billige Produktionsstätten genug zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit getan zu haben, sei auf die Ausführungen von Professor Erhard Kanzenbach „Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs“ verwiesen. Dieser hatte seine Thesen in den 70er Jahren quasi in eine von den Kartellamtsexperten übersehene Marktlücke geschrieben und wurde kurz danach Leiter der Monopolkommission. Kanzenbachs Kernthese geht dahin, enge Oligopole seien wünschenswert, weil in diesen optimaler Wettbewerb herrsche, der sich in riesigen Anstrengungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich niederschlage. Kein Anbieter von Rang könne es sich leisten, nicht massiv zu forschen und zu entwickeln, weil nämlich derjenige, der in diesem Feld einen Vorsprung erarbeite, diesen auch wirtschaftlich umsetzen könne. F&E findet im Verborgenen stand, ein Vorsprung offenbart sich erst dann, wenn das Produkt auf den Markt kommt. Man kann vieles sofort nachmachen, man kann auf einen Preis binnen Sekunden „einsteigen“, aber einen einmal erworbenen technischen Vorsprung eines Wettbewerbs zu egalisieren ist eine regelrechte Kunst, teuer ohnehin. So lange man allein ist, kann man größten Einfluss auf den Preis nehmen, sozusagen den Rahm abschöpfen. Je mehr Follower erfolgreich werden, umso stärker der Druck auf den Preis, Sahne weg, dann fette Vollmilch, danach kaum sättigende Magermilch.
Fazit: Die neuen Produktionsstätten können Erleichterung bringen, sie allein sind aber nicht die Rettung. Wie steht es mit der Händlerbasis? Mit höchst anspruchsvollen Produkten, die sonst noch kein Wettbewerber hat? Wie ist es um den Markteinfluss bestellt, wie hat sich die Position der Marke (von Marken ganz zu schweigen) entwickelt?
Das mit den Vorstandsmitgliedern Wennemer und de Louw geführte Gespräch ist durch die folgenden Ereignisse überholt worden. Dennoch sollen weitere allgemeine Probleme abgehandelt werden wie sie besprochen wurden. Möglicherweise lässt sich dann „erraten“, in welche Richtung das Gespann Wennemer/Hippe den amerikanischen Karren steuern will.
Continental Tires – neuester Stand
Der Continental-Konzern verfügt – jedenfalls zunächst noch – über ein Werk in Charlotte (Pkw-Reifen) sowie eines in Mount Vernon (Gemeinschaftswerk mit Toyo und Yokohama für Lkw-Reifen), das Akron-Werk ist dem Erdboden längst gleich gemacht, Mayfield ist erledigt, Bryan steht vor einem traurigen Ende. Die Distributionsbasis ist so schmal und brüchtig wie eh und je, General ist als Marke so schwach wie seit Jahrzehnten schon und bei Aussprechung des Namens Continental denken Amerikaner an die US-Airline dieses Namens, fragen bestenfalls nach, welcher Kontinent gemeint sei, aber an eine Reifenmarke aus Deutschland denken sie nicht. Und nicht nur das. Und allein mit House- und Private Brands, die zum Ertrag den allergeringsten Beitrag zusteuern, kann der Konzern mit seiner Reifentochter vor Ort erst recht nicht exisitieren.
Demnach bleiben die Verluste wie seit Jahren schon! Welches Management könnte in den USA die Wende schaffen? Wo sind die erfahrenen und mit Reifen-Expertise versehenen Profis? Fehlanzeige! Langfristplanung? Welche Vision lässt sich entwickeln? Es käme Trauer auf, wollte man eine solche in Worte fassen! Andererseits gibt es ein paar Hoffnungsschimmer, denn der Konzern setzt für die nahe Zukunft auf wachsende Zulieferungen aus Billiglohnländern wie Malaysia, aus Mexiko, aus Brasilien, selbst aus Tschechien und Rumänien. Kann man so die im ganzen Konzern diskutierten ehrgeizigen Ertragsziele in den USA erreichen und sich endlich auch mal eine Marktposition mit nur ganz geringem Einfluss erarbeiten?
Im Gegensatz zu Amerika haben die Deutschen in Europa in den zurückliegenden Jahren einen sehr guten Job gemacht. Die Reifenfabriken sind in bester Verfassung, auch angetrieben von einer Automobilindustrie, die in puncto Innovation und Qualität ihresgleichen auf der ganzen Welt sucht, aber selbst in ihrer Orientierung auf optimale Prozessabläufe hinken europäische und deutsche Automobilhersteller nicht länger den Japanern her. Alles das, was die hiesige Automobilindustrie und damit die Zulieferer stark macht, hat die amerikanische Automobilindustrie und mit ihr die Zulieferindustrie nur, im besten Falle, äußerst bedingt zu bieten. Sie bauen auf Komfort ausgerichtete Autos und Verbraucher meinen, bereits eine sportliche Note in ihrem neuen Wagen auszumachen, wenn er recht groß und eckig ist und über eine Motorisierung verfügt, die niemand braucht. Aber in einem Bereich sind sie alle herausragend: Marketing.
Fraglos lässt sich längst nicht mehr an einem Standort allein, dazu einem teuren, produzieren, sondern man ist auf den Verbund angewiesen. Diesen hat Continental in Europa und sieht sich inzwischen mit Wettbewerbern konfrontiert, die mehr und mehr den Vorsprung aufholen. Bridgestone baut in Ungarn, baut die Polen-Fabrik aus: Goodyear hat bereits etwa 40 Prozent der Europa-Produktion in Billiglohnländern und Michelin hat ohnehin zum Großangriff geblasen. Noch bleibt Continental in Europa ein Vorsprung, doch er schmilzt schneller als man es sich vorgestellt hat. Allerdings muss man auch konzedieren, dass der Konzern europaweit aus seiner Reifenmarke Continental etwas zu machen wusste und sich auch seit Jahren bereits darauf besonnen hat, mit Marken wie Uniroyal und Semperit wieder schonender umzugehen als es jahrelang der Fall war.
Was ist nunmehr vom Führungsduo Wennemer/Hippe zu erwarten? Wollte man die Herren an den Aussagen der Vergangenheit messen, müssen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jenseits des Atlantiks fest anschnallen. Denn beide haben bereits erklärt, sich aus einem Geschäftszweig, in dem sie keine Führungsrolle, keine Position unter den Ersten der Wettbewerber, erreichen können, zurückzuziehen. Manfred Wennemer bezog sich dabei auf die Lkw-Division. Alan Hippe legte später nach und deutete Analysten gegenüber an, man werde sich gegebenenfalls auch schneller von Lkw-Reifen trennen, wenn klar werde, dass diese Division die ihr vorgegebenen Ziele nicht erreichen könne. Die Uhr tickt also. Der für die Lkw-Division zuständige Vorstand Dr. Nikolin schwieg dazu. Dabei hätte er allen Grund gehabt, seinen Kollegen ins Wort zu fallen, denn es ist die eine Sache, etwas von sich zu geben, was Analysten – momentan – gefällt und was dem Aktienkurs – momentan – hilft. Alles brotlose Kunst, der Aktienkurs muss gar nicht gepäppelt werden. Die Kehrseite der Medaille dürfte rasch schwindendes Vertrauen großer Kunden und großer Teile der Belegschaft sein. Sollen diese sich mit einem Lieferanten in ein Boot setzen, der bald rausspringen will? Und welche Signale werden nach innen gegeben? Ebenso problematisch dürften die Erklärungen der Konzernspitze gewesen sein, man halte sich in Bezug auf Nutzfahrzeugreifen sowie in Bezug auf das nordamerikanische Reifengeschäft alle Optionen offen, man wolle innerhalb einer bestimmten Frist den Turnaround sichern oder aufgeben oder einen Partner suchen. Sieht so eine Vertrauen schaffende Maßnahme aus? Hier muss man erkennen und darf zum Ausdruck bringen, dass die Mitarbeiter es auch längst leid geworden sind, nur Statements von Vorstandsmitgliedern hinsichtlich ihres Bereiches zu hören, die damit eigentlich nichts zu tun haben, während vom eigentlich Verantwortlichen, der ja nicht erfolglos seinen Job macht, nichts zu hören ist.
Global waren zuletzt zwei Fehlschläge zu verzeichnen. Der Rückzug aus Russland und das einstweilige Scheitern in China. Das muss nicht einmal negativ sein, denn längst weiß man ohnehin nicht mehr, was so viele Zulieferer und Automobilhersteller im „überhitzten“ chinesischen Markt bereits jetzt wollen und auch in Russland muss noch viel Wasser die Wolga herab fließen, bevor man von einem guten Inlandsmarkt ausgehen kann. Das kann man auch positiv sehen: Continental ist in keinster Weise unter Druck, kann sich leisten, die richtigen Dinge zu tun und es verlangt anzuerkennende Konsequenz dafür, dass man sich lieber zurückzieht statt mit Kompromissen, die der Konzern nicht will, doch irgendwie vorankommen zu können.
Nahes Ende in Nordamerika wegen überzogener Ertragserwartungen?
Aussagen wie, man wolle und brauche mindestens eine EBIT-Marge von zehn Prozent zur Zukunftsgestaltung, kennt man zur Genüge. Selbst für die immer noch in der Krise befindliche Goodyear hat es aber exzellente Jahrzehnte gegeben und immer wieder CEOs, die einen Operating Profit von zehn Prozent ansteuerten, aber nur äußerst selten erreichten. Und wenn man sich die Automobilindustrie von BMW angefangen über DaimlerChrysler, Volkswagen, Ford, GM und andere ansieht, dann wäre eine solche Marge die Erfüllung aller Träume. Die Wirklichkeit ist eine andere. Daraus folgt, dass die Zulieferer sich darauf besinnen müssen, derzeit auf einer hohen Welle zu surfen; dass auch wieder andere Tage kommen werden, ist gewiss.
Zur Erinnerung: Continental will nach Aussagen des Spitzenmanagements die Lkw-Division verkaufen, wenn diese nicht EBIT-Margen erzielt wie die anderen Bereiche, also: um die acht bis zehn Prozent vom Umsatz. In Gesprächen mit Analysten hat sich Hippe erst in jüngerer Zeit gegenüber Analysten im Hinblick auf den Teves/Temic-Bereich dahingehend eingelassen, eine EBIT-Marge von zehn Prozent stelle eine Schwelle dar, die im Geschäft mit der Automobilindustrie nur schwer deutlich zu übertrumpfen sei. Wenn das so ist, erstaunt das ganze Gerede um die Lkw-Division nur umso mehr, denn Marktführer Michelin beweist seit einigen Jahren mit EBIT-Margen von 15 Prozent und mehr genau in diesem Bereich, was möglich ist. Sofern man das Geschäft richtig und professionell betreibt und sich nicht ständig hineinreden und hineinregieren lässt. Michelin dominiert das Erstausrüstungsgeschäft mit Lkw-Reifen, aber ist eben auch äußerst stark im Ersatzgeschäft mit Lkw-Reifen vertreten. In neuester Zeit wird das EA-Geschäft aus Ertragsgründen gezielt reduziert zu Gunsten des Ersatzgeschäftes. Eine andere erst zu beantwortende Frage wäre, ob der Reifenhersteller Continental sich überhaupt von seinem Nutzfahrzeugreifengeschäft trennen könnte bzw. was das im Markt für ihn bedeuten würde.
Somit kann man festhalten: Um Wortgeklingel handelt es sich bei Wennemers Aussage, man werde eine Spitzenposition, d.h. 1, 2 oder 3 im Markt einnehmen oder aber das Feld räumen. Und auch Finanzchef Hippe wird noch zur Kenntnis nehmen, dass sich auch unter der 10-%-Schwelle EBIT leben lässt. Jeder sucht Profilierung auf ihm verheißungsvoll erscheinende Art und Weise. DCX-Chef Schrempp redete lange Zeit von Speed, Speed, Speed und Shareholder Value als oberster Maxime. Nachdem er mit diesen öffentlich vorgetragenen Ansprüchen gründlich vor die Wand gefahren ist, hat er sich einfach andere Ziele gesucht und der deutschen Belegschaft gar Beschäftigungsgarantien geboten. Man kann, ohne allzu tief in die Diskussion einzusteigen, davon ausgehen, dass sich auch bei Continental bestimmte Aufgeregtheiten bald legen und Sachlichkeit, vielleicht gar in Begleitung von Ernüchterung, einzieht.
Ausblick
Was wird in den USA geschehen? Bisher haben noch alle Conti-CEOs gesagt, man müsse aus strategischen Gründen dort bleiben, nur sind sie nie konkreter geworden. Aus welchen strategischen Gründen? Es gibt keine zwingenden Gründe. Man muss nicht mit Ford in den USA gut können, um im europäischen Geschäft als Partner Akzeptanz zu haben. Continental würde vermutlich von der Börse nicht bestraft, käme Hippe aus den USA mit der Erkenntnis zurück, auch der verbliebene Rest sei dem Erdboden gleich zu machen. So ist der neue Siemens-Chef in einem Wirtschaftsmagazin in diesen Tagen als „Mann der Woche“ dafür gefeiert worden, dass er seine Handysparte zum Nulltarif an Chinesen abgab und diesen noch einen dreistelligen Millionenbetrag extra überwies. Im Übrigen wird so getan, als würden die Chinesen die Arbeitsplätze in Deutschland retten. Es bestehe die große Chance, dass die Sparte profitabel werde, denn die (mit- und ausverkaufte) Siemens-Mannschaft bliebe ja an Bord mit all ihren Erfahrungen. Das klingt in kritischen Ohren hochgradig pervers, beweist aber, dass nicht die richtigen Umsetzungen Belohnung finden, sondern die besten Sprüche. Das mag bejammern wer will, doch in letzter Konsequenz bleiben zu erkennende Realitäten. So besteht aus Sicht des Verfassers eine hohe Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass weiter Produktionskapazitäten gekappt und Produktionsstätten in den USA geschlossen werden. Continental setzt nicht weiter auf einen Produktionsverbund in den USA oder auf einen Verbund in den Americas, nein, die Deutschen wollen das wiederholen, was sie in Europa, jedenfalls einstweilen, erfolgreich machte: Produzieren in Billiglohnländern und verkaufen in den reifen Märkten. In dem Umfang, in dem neue Produktionskapazitäten in Malaysia, Brasilien, Mexiko und Rumänien entstehen, werden Fabriken in den USA entbehrlich.
Blieben andere Möglichkeiten? Vermutlich nicht. Der große Goodyear-Konzern hat sich unter Druck mit den Unions einigen müssen und Bedingungen akzeptiert, die für Continental unannehmbar sind. So haben die Unions festgelegt, was in US-Fabriken von Goodyear zu geschehen hat, was zu investieren ist und dass erst dann aus Billiglohnländern importiert werden darf, wenn die US-Fabriken ausgelastet sind. Ein paar, im Übrigen unzureichende, Zugeständnisse wurden in Bezug auf die ausufernden Gesundheitskosten gemacht, die nicht nur Goodyear schwer belasten, sondern auch ein Unternehmen wie General Motors vom Rand des Ruins nicht wegbringen. Die Unions können mit Rücksicht auf ihre erreichten Verhandlungsergebnisse, insbesondere mit Rücksicht auf den mit Goodyear geschlossenen Vertrag, kaum weitere Zugeständnisse machen und Konzernchef Wennemer beklagt ja deshalb auch, dass man nicht einmal einen ersten Einstieg sehe, um den es ihm hier und heute allein gehe. Deshalb ist zu befürchten, dass der Konzern lieber weitere Fabriken schließt, denn er kann sich das, im Gegensatz zu anderen Konkurrenten im Reifengeschäft, durchaus leisten als sich auf Bedingungen einzulassen, die momentan erträglich sein mögen, morgen aber schon wieder unerträglich.
Man kann den Fehler des Konzerns im Grunde ganz einfach auf den Punkt bringen mit der immer aktuellen Geschichte von Henne und Ei verbunden mit der Frage, was zuerst kommt. Bisher kamen zuerst die Fabriken, denen alles untergeordnet worden ist. Der gesamte Rest ist bekannt. Die Reparaturmöglichkeiten erscheinen ausgereizt. Es wird zu einem Neuanfang kommen. Dabei geht es zunächst um Marketing, dann wieder um Marketing, dann um Markenpflege, dann um den Aufbau einer Distribution und danach kommen die aus Billiglohnländern importierten Reifen. Und irgendwann, wenn die Amerikaner mal wieder Geschichten vom „local content“ erzählen, werden neue Fabriken auf grünen Wiesen in den Südstaaten entstehen, in welchen vorzugsweise Roboter beschäftigt werden.
Continental hat den US-Markt stets wie den europäischen Markt betrachtet und damit den größten Fehler begangen. Hierzulande kann man mit einem sehr guten Produkt und mit einigermaßen guten Produktionsbedingungen immer noch Erfolge feiern. In den USA allerdings geht es nicht allein um die Produktqualität (sofern die Reifen wenigstens halten) oder um exzellente Bedingungen in den Fabriken. Amerika ist das Land, das Marketing erfunden hat. Überfluss und Marketing bedingen sich. Welcher Hahn in den USA kräht nach Conti- oder General-Reifen?
Alles schon mal dagewesen. Man kann immer von anderen lernen. Michelin wurde von dem Augenblick an in den USA erfolgreich, als man die Organisation „verselbstständigte“, als man anerkannte, dass nicht der Glaube in die Überlegenheit des eigenen Produktes ausreicht, als man einen Sinn für Marketing entwickelte. Schließlich legten die in Amerika tätigen Marketingleute des französischen Reifenkonzerns die besten Marketingkonzepte vor und ruderten an den Konkurrenten vorbei. Seit einigen Jahren bereits kommen immer mehr in den USA geprüfte und für gut befundene Marketingkonzeptionen über den Atlantik und erweisen sich hier auch als erfolgreich. Nur bei Continental gehen die Uhren noch anders. Da man in den USA kein Marketing vorweisen kann und auch kein Geld dafür ausgeben will, verlässt man sich auf Blaupausenversand von Hannover nach Charlotte. Das hat 18 Jahre lang nicht geklappt, wurde 18 Jahre lang nicht anerkannt, jedenfalls wurde nichts geändert. Das mag unter der Führung von Alan Hippe vielleicht anders werden, wer weiß! Aber die Verluste schmerzen einstweilen mächtig weiter.
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