Conti-Werk in Traiskirchen wird endgültig dicht gemacht. Wurden die Ösis ausgehungert?
Wer um seine Existenz kämpft, darf das auch mit ruppigen Mitteln tun, wer ums Überleben kämpft, muss nicht zu wohl geformten Sätzen Zuflucht nehmen. Die Österreicher haben nun mal ihre Sicht der Dinge. Allerdings werden sie dabei von weiten Teilen der Presse unterstützt, die sich nun kaum Gedanken gemacht haben kann, sondern statt dessen Stimmung machend tätig ist.
So heißt es in FORMAT am 10.12.2001, “das unaufhaltsame Ende der Erfolgsstory wurde 1985 eingeläutet, als der damalige CA-Generaldirektor Hannes Androsch die zur Creditanstalt gehörende Semperit-Reifen AG für 440 Millionen Schilling (ca. 32 Millionen Euro) an den deutschen Konkurrenten Continental verkaufte”. Der Semperit-Betriebsratschef Alfred Artmäuer wird im gleichen Blatt dahingehend zitiert, Conti habe Traiskirchen “in den letzten Jahren systematisch ausgeblutet und als brave Tochter mussten 1986, als Preis für den Fortbestand der Produktion, satte sechs Milliarden Schilling (ca. 436 Millionen Euro) von Traiskirchen nach Hannover überwiesen werden. Darunter waren 950 Millionen Schilling (69 Millionen Euro) aus Zuschüssen der Republik und 2,34 Milliarden Schilling (ca. 170 Millionen Euro) an Gewinnen und außerordentlichen Erlösen aus dem Verkauf von Semperit-Tochtergesellschaften.” Und dies kommentiert FORMAT dahingehend: “Die Ösis mussten bluten, obwohl die deutschen Conti-Herren Semperit immer kräftiger zurechtstutzten.” Dass es auch sachlicher geht, beweist FORMAT in einem Beitrag “Die Lehren aus dem Semperit-Debakel” in derselben Ausgabe.
Die NEUE KRONENZEITUNG lässt am 11.12.2001 einen Reifenhändler namens Wittmann unter der großen Überschrift “Conti-Reifen rausschmeißen” zu Wort kommen. Die KLEINE ZEITUNG beklagt mangelndes Engagement der österreichischen Spitzenpolitiker. Noch vor einem halben Jahrzehnt sei alles anders gewesen: “Damals befahl Bundeskanzler Franz Vranitzky die Konzernspitze des deutschen Semperit-Eigentümers Continental zum Rapport und Wirtschaftsminister Fahrleitner ließ an seinem Dienstwagen demonstrativ Reifen aus Traiskirchen aufziehen.” Doch nun sei die Zeit, dass ein Kanzler einem Manager “dreinreden” könne, vorbei. Es gibt keine politischen Arbeitsplätze mehr.
Sowohl in den SALZBURGER NACHRICHTEN als auch in der WIENER ZEITUNG wird Bezug genommen auf den derzeiti-gen Wirtschaftsminister Bartenstein sowie auf eine Fernsehsendung “Betrifft”. In dieser seien sich alle Diskutanten dahinge-hend einig gewesen, dass “der Verkauf an Continental schon den Keim des Untergangs in sich getragen” habe, Continental ein “eigenständiges Unternehmen zu einer verlängerten Werkbank heruntergefahren” habe. In einem Beitrag in den Salzburger Nachrichten wird ein wenig gehöhnt, selbst der ÖVP dämmere es allmählich, dass es eben nicht völlig egal sein könne, wer in namhaften österreichischen Unternehmen das Sagen habe. Und unter Bezug auf den Wirtschaftsminister Bartenstein heißt es, es müsse bei künftigen großen Privatisierungen einen österreichischen Kernaktionär geben, der im Falle mangelnder privater Alternative auch die staatliche ÖLAG sein könnte.
Continental-Vorstandsmitglied Dr. Hans-Joachim Nikolin stellte sich den Fragen des österreichischen Nachrichtmagazins profil. Danach sei die Schließung erforderlich, “weil die nachlassende Konjunktur zu einem Nachfragerückgang geführt hat”. Im Übrigen habe es mit Traiskirchen nicht nur ein westeuropäisches Werk getroffen, zuvor habe man schon Herstal und Bad Nauheim dicht gemacht. Mit Bridgestone sei wohl der Betriebsrat von Traiskirchen in Kontakt getreten. Gespräche oder gar Verkaufsverhandlungen auf Vorstandsebene habe es aber nie gegeben. Nikolin machte auch klar, dass die Marke Semperit nicht zum Verkauf stünde. Die Schließung von Traiskirchen sei wegen hoher Produktions- und Lohnkosten am Standort unumgänglich geworden, die Schließungskosten bezifferte Nikolin mit 70 Millionen Euro.
Was ist richtig an dieser österreichischen Sicht der Dinge?
Es darf wohl nicht unterschlagen werden, dass Semperit in den 80-er Jahren gleich mehrfach das Eigenkapital verspielt hatte und auf Subventionen angewiesen war. Der jetzt noch einmal so heftig angegriffene ehemalige CA-Chef Androsch wies selbst darauf hin, dass die Lampen in Traiskirchen ohne den Verkauf an Continental bereits damals ausgegangen wären. Semperit hatte die Wettbewerbsfähigkeit, die Finanzkraft und damit die Unabhängigkeit bereits verspielt, bevor die Deutschen kamen. Und die sechs Milliarden Schilling-Aufrechnung des Betriebsratsvorsitzenden Artmäuer mag aus seiner Sicht legitim sein, es ist dennoch nur eine Milchmädchenrechnung. Man muss es deutlich sehen und sagen: Continental hatte doch keine Firma übernommen, die man so mal eben nach Strich und Faden hätte melken können, sondern eine, die es allein nicht mehr schaffte.
Was danach kam, interessiert eigentlich nur am Rande. Aber, selbst wenn man es in den Vordergrund schieben wollte, muss man doch auch sehen und aussprechen dürfen, dass auch die positiven Jahre nicht ganz ohne Zutun des Konzerns erlebt werden durften. Da geht es zum Beispiel um Produktionsverlagerung nach Traiskirchen, um Produktion von Reifen, die Semperit allein weder hätte bauen noch vermarkten können, und es geht auch um eine Sichtweise, die sich nur den Finanzstrategen von Konzernen erschließt. Es ist nun mal selbst in einem vereinten Europa eben nicht egal, in welchen Ländern Gewinne anfallen, weil die Steuer unterschiedlich “zugreift”. Mag auch sein, dass der österreichische Staat 69 Millionen Euro an Zuschüssen bezahlt hat, aber er hat ein Mehrfaches dessen in Form direkter und indirekter Steuern, Gebühren, Abgaben etc. zurückbekommen. Die Jahre seit 1985 unter deutscher Führung der Traiskirchen-Fabrik waren kein Zuschussgeschäft für den Staat. Und wenn man Gewinne aus Verkäufen von Tochtergesellschaften erlöst haben sollte, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Alles das verpflichtet einen Eigentümer eben nicht, auf alle Fälle einen Standort aufzuhalten. Und erst recht nicht wider jede kaufmännische Vernunft.
Den Sinn von Übernahmen hat aber nach hier vertretener Ansicht nicht begriffen, wer heute beklagt, Semperit sei “als eigenständiges Unternehmen zur verlängerten Werkbank des Continental-Konzerns heruntergefahren” worden. Es war gerade so, dass Semperit eigenständig eben nicht wettbewerbsfähig geblieben war! Mit der Akquisition war die Integration in einen Produktionsverbund verbunden und auch, dass sich ergebende synergetische Effekte genutzt werden mussten. Welchen Sinn hätte denn Forschung und Entwicklung im Doppelpack für ein und denselben Markt haben sollen? (Die spätere Entscheidung der Continental, auch F&E für General Tire weitestgehend nach Hannover in das F&E-Zentrum des Konzerns zu verlegen, war nach hier vertretener Überzeugung eine der größeren Fehlentscheidungen, die auf die Kappe dessen geht, der diese Entscheidung durchdrückte, weil es zwischen Nordamerika und Europa so gut wie keine Gleichheiten oder auch nur annähernd vergleichbare technische Anforderungen gibt. Das Ergebnis, Sanierungsfall Continental General NA, kann Jedermann sehen).
Dass Bridgestone nicht interessiert ist an Traiskirchen lag für Marktkenner stets auf der Hand. Japaner äußern sich gern dem Sinn nach, das alles sei hoch interessant und man müsse über alles nun noch einmal intensiv nachdenken. Dies aber ist als klare Absage für denjenigen zu erkennen, der mit japanischen Gepflogenheiten vertraut ist. Und was den Bericht der KLEINE ZEITUNG anbelangt, Kanzler Vranitzky habe “die Konzernspitze des Semperit-Eigentümers zum Rapport befohlen” und Wirtschaftsminister Fahrleitner “ließ demonstrativ Reifen aus Traiskirchen an seinem Dienstwagen aufziehen”, so ist das österreichische Erinnerungsvermögen recht schwach. Vranitzky hatte von Grünberg und Aufsichtsratschef Ulrich Weiss in seinen Urlaubsort nahe Salzburg zu einem Gespräch gebeten, damit ggf. zu klären war, ob der österreichische Staat etwas zur Rettung des Standortes beisteuern könnte.
Und das Vorpreschen von Herrn Fahrleitner hatte schon groteske Züge. Er ließ sich zwar “Semperit-Reifen” auf sein Dienstfahrzeug aufziehen, ohne jedoch zur Kenntnis genommen zu haben, dass ausgerechnet diese Reifen eben nicht in Traiskirchen gefertigt worden waren. So kann man heute auch Stimmen zur Kenntnis nehmen, denen nichts einfällt, als “Conti raus!” zu rufen; gewonnen ist damit nichts. Sehr österreichisch ist die Vorstellung, jedes bedeutendere Werk in Österreich müsse letztlich einen österreichischen Kernaktionär haben. Dass ein Betriebsrat so denken kann, lässt sich noch nachvollziehen, dass es aber noch hochrangige Politiker gibt, die in dieser Form schwadronieren, wäre halbwegs erschreckend in einem vereinigten Europa mit freier oder sozialer Marktwirtschaft, wenn es sich nicht als Stammtischgeschwafel erkennen ließe. Die Leute müssen beruhigt werden, am besten mit blinder Aktionitis.
War die Schließung somit unvermeidbar?
Bei allen Ressentiments der Österreicher gegenüber den “Piefkes” werden sie dennoch einsehen müssen, dass es einem Konzern erlaubt bleiben muss, ein Werk zu schließen, sofern es dafür dringende betriebliche Bedürfnisse gibt. Und die Wettbewerbslage ändert sich ja auch. Wer hat 1985 schon an den Fall des “Eisernen Vorhangs” gedacht, der letztlich eine 100%ige Barum-Übernahme sowie ein 75:25-Jointventure im Lkw-Bereich mit Matador ermöglichte? Der Konzern mag heute zu viele Fabriken haben, zudem strategisch noch ungünstig gelegen. Die Gislaved-Fabrik mag zu klein, die Herstal-Fabrik völlig veraltet gewesen sein und die in Traiskirchen Pkw- und Lkw-Reifen produzierende Fabrik vielleicht zu unflexibel. Letztlich muss dann die Kapazität der Nachfrage angepasst werden. Nicht ausreichende Nachfrage ist ein hausgemachtes Continental-Problem. Das Pech für die Österreicher: Hatte das Gespann Werner/Urban noch eine Vision, so haben die Nachfolger nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass Kostensenkungsmaßnahmen keine Strategie sind.
Unter dem Einser-Physiker Dr. Hubertus von Grünberg ist der Konzern mit Fabriken in Billiglohnländer getrieben worden und hat sich so Kostenvorteile erarbeitet, die allerdings nicht genutzt wurden für den Aufbau stabilerer Marktpositionen, weil Marketing und Werbung als Kostenfaktoren betrachtet worden sind. So produziert Continental bereits jetzt die meisten Lkw-Reifen im Billiglohnland Slowakei und ist dennoch in den roten Zahlen. Und abgesehen davon gibt es selbst innerhalb des Continental-Konzerns kaum einen ernst zu nehmenden Manager, der behaupten wolle, die Qualität von Continental-Lkw-Reifen könne mit der von Michelin oder Bridgestone mithalten. Man kann nicht immer nur sparen und gleichzeitig von technologischen Spitzenleistungen schwärmen wollen. Ein Reifenkonzern kann auf Dauer nur erfolgreich sein und vorankommen mit Spitzenleuten, die in ihren Herzen Reifenleute sind und nicht Ausflüge in sonstige Bereiche zur Selbstbestätigung benötigen. Daran hat es wohl jetzt schon viel zu lange gemangelt. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de
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