Runflats/TPMS ein, aber nicht ausschließliches Thema
Wie bereits vor zwei Jahren ist es dem TÜV Süd Automotive auch mit der „tire.wheel.tech 2006“ wieder gelungen, Anfang Dezember vergangenen Jahres gut 170 Teilnehmer anzuziehen. Diesmal fand die Fachtagung zwar nicht in der Münchner Zentrale des TÜV Süd statt, sondern im Kempinski Airporthotel der bayrischen Landeshauptstadt, aber das zweitägige Tagungsprogramm umfasste nichtsdestoweniger erneut zahlreiche, abwechslungsreiche und spannende Themenbereiche aus der Reifen- und Räderwelt. Denn – so auch TÜV-Süd-Geschäftsführer Frank Erath bei der Begrüßung der Gäste – der Fortschritt mache vor dem System Rad/Reifen schließlich nicht Halt. „Das Rad-Reifen-System ist eine wichtige Komponente des Gesamtfahrzeugs“, sagte Erath und hob dessen Bedeutung unter anderem für die Fahrsicherheit (Stichworte: Notlaufreifen oder TMPS – Tyre Pressure Monitoring Systems bzw. Druckkontrollsysteme), aber auch in Sachen Umweltschutz bzw. Ressourcenschonung besonders hervor.
In diesem Zusammenhang sieht er noch viel Potenzial im Reifen. „Dieses wird derzeit noch nicht optimal genutzt. Man braucht nur daran zu denken, dass bei Pkw etwa 20 Prozent und bei Lkw etwa 30 Prozent des zu überwindenden Fahrwiderstandes auf den Reifeneinfluss zurückzuführen sind. Durch rollwiderstandsoptimierte Reifen lassen sich daher Kraftstoffeinsparungen von um die fünf Prozent realisieren“, ging der Gastgeber speziell auf die Umweltthematik ein und lieferte damit Bernard Delmas, Direktor des Michelin Technology Center in Ladoux (Frankreich), gewissermaßen eine Steilvorlage. Denn bei seinen Ausführungen zu den „Zukunftsperspektiven für die Reifenentwicklung“ spielte insbesondere der Reifenrollwiderstand eine zentrale Rolle.
Als Motivation für die Entwicklung energieeffizienterer Reifen bei dem französischen Unternehmen – der Hersteller hat sich als Ziel gesetzt, den Reifenverschleiß und -rollwiderstand bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zu senken (die NEUE REIFENZEITUNG berichtete) –führte Delmas das erwartete weitere Anwachsen des weltweiten Straßenverkehrs und die daraus abzuleitenden Umweltbelastungen an. „Im Jahr 2030 wird der Fahrzeugbestand auf weltweit 1,6 Milliarden Fahrzeuge angewachsen sein, was einer Verdoppelung gegenüber dem Bezugswert für 2000 entspricht. Und bereits heute sind zwölf Prozent der Kohlendioxidemissionen auf den Straßenverkehr zurückzuführen. Machen wir so weiter wie bisher, wird zudem bis 2020 der Unfalltod im Straßenverkehr von derzeit Platz neun aller weltweiten Todesfälle bis auf Platz drei der Liste vorrücken“, so Delmas.
„Eine von fünf Tankfüllungen bei Pkw, und eine von dreien bei Lkw geht auf das Konto des Reifenrollwiderstandes“, veranschaulichte Delmas den Zusammenhang zwischen Rollwiderstand und Kraftstoffverbrauch. Aber nicht nur ein niedriger Rollwiderstand führe zur Schonung von Ressourcen, über eine längere Lebensdauer bzw. Kilometerleistung der Reifen lasse sich zusätzlich einiges erreichen – zumal man sich vor Augen führen müsse, wie die Kosten für die im Reifenbau verwendeten Rohstoffe in jüngerer Vergangenheit nach oben geklettert seien. „Und bezogen auf den Anhalteweg beim Abbremsen eines Autos spielt die Bereifung über den Grip eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Auf nassen Fahrbahnen kann man über das Grippotenzial der Pneus 53 Prozent des Anhalteweges beeinflussen und im Trockenen immerhin noch 44 Prozent“, ging er darüber hinaus auch auf den Sicherheitsaspekt ein.
Bis zum Jahr 2012 will Michelin daher in einem ersten Zwischenschritt versuchen, das Gewicht seiner Reifen um drei Prozent zu verringern und gleichzeitig deren Lebensdauer um 25 Prozent zu erhöhen. Aufseiten der Fahrsicherheit sprach Delmas von einem Plus im Bereich zwischen drei und sechs Prozent, wobei dem Hersteller offenbar vor allem an mehr Grip auf nassen Fahrbahnen gelegen ist. Als ob dies der Herausforderungen noch nicht genug wären, schnitt Delmas außerdem noch die Aufgabenstellungen in Sachen Notlaufreifen oder die für zunehmend schwereren Fahrzeuge nötigen Bereifungen mit höheren Lastindizes bei sonst vergleichbaren Reifengrößen an. „All dies wirft die Frage – die ich allerdings nicht beantworten werde – auf, ob das nicht letztendlich zu einem ganz neuen Rad-Reifen-Standard führt“, stellte Delmas in den Raum und hatte dabei sicherlich das PAX-System des Herstellers im Hinterkopf.
Dabei scheinen sich die Geister an der Frage, ob Notlaufreifen und Reifendruckkontrollsysteme tatsächlich irgendwann einmal ein Marktdurchbruch auf breiter Front beschieden ist, durchaus zu scheiden. Und das unabhängig davon, ob bei den so genannten Runflats stützringbasierte Systeme oder solche mit verstärkten Seitenwänden die Rede ist oder ob denn ein den Reifenfülldruck direkt (mit Sensor im Reifen) oder indirekt (über die Nutzung der ABS-Infrastruktur) bestimmendes Druckkontrollsystem zum Einsatz kommt. Diese Thematik wurde anders als bei der kurz zuvor stattgefundenen IQPC-Tagung „Intelligent Tire Technology“ zwar nicht weiter diskutiert, doch schlugen sich die Zweifel bzw. Verunsicherung über die weitere Marschrichtung des Marktes in dieser Angelegenheit recht deutlich in den Ergebnissen einer Onlineumfrage der NEUE REIFENZEITUNG unter www.reifenpresse.de/umfrage nieder.
Denn dem dort abgegebenen Votum zufolge glauben zwar gut zwei Drittel (67,4 Prozent) der Umfragteilnehmer daran, dass sich Reifendruckkontrollsysteme zum Standard entwickeln, von Notlaufreifen glauben dies allerdings nur knapp zwei Fünftel (39,5 Prozent). „Jeder, der diese Sicherheitsaspekte jemals gebraucht und erfahren hat, wird sie nicht mehr missen wollen“, wird von der einen Fraktion argumentiert. „Bei der jetzigen Umrüstung verlangen viele Fahrer von Notlaufreifen aus Kosten- und Komfortgründen ‚normale’ Reifen“, hat demgegenüber offensichtlich ein Reifenhändler seine Erfahrungen im Rahmen der Umfrage zu Protokoll gegeben, weshalb er auch überzeugt ist, dass Notlaufreifen und Reifendruckkontrollsysteme ein Nischenmarkt bleiben werden. Die gleiche Meinung vertrat etwa ein Drittel der Teilnehmer an der Erhebung (32,6 Prozent) – einen großen Verbreitungsgrad beider Technologien erwarten sie nicht.
„So wie ABS und Airbag sich durchsetzen konnten, glaube ich, dass das auch mit Runflat-Reifen passiert. Allerdings müssen die Autohersteller einiges mehr tun, um dieses Sicherheitsplus mehr zu vermarkten. Fast alle bieten Runflat-Reifen optional an, weisen aber nicht auf deren Vorteile hin. Ich denke, die Reifenindustrie zusammen mit der Autoindustrie sollte hier enger zusammenarbeiten damit dieses fantastische Sicherheitsplus besser angenommen wird“, so demgegenüber die Äußerung eines offensichtlichen Befürworters beider Sicherheitstechnologien. „Runflat-Reifen haben meiner Meinung nach nicht die hohe Priorität, da Reifenpannen ein eher seltener Pannengrund sind“, glaubt ein anderer, der nichtsdestotrotz überzeugt ist, dass die Autoindustrie schon dafür sorgen werde, dass sich wirklich sicherheitserhöhende Maßnahmen wie Standheizung, Klima, Navigation oder Radarsysteme, um weiter als nur bis zum nächsten Fahrzeug sehen zu können, in den Fahrzeugen etablieren und „relativ billige Dinge wie Airbag, Runflats usw.“ als Standards in die Autos einfließen werden.
„Alles was die Sicherheit aktiv oder/und passiv erhöht wird sich früher oder später durchsetzen. Vor zehn Jahren wurde ich belächelt, als ich nach einer Klimaanlage fürs Auto gefragt habe – heute ist es ein Standard. Heute gelte ich als Sonderling, wenn ich sage, dass eine Standheizung im Winter ungemein praktisch ist und die Sicherheit um viele 100 Prozent erhöht, da deren Nutzer nicht mit einem Guckloch im Blindflug durch den Morgen fallen“, wird argumentiert. Zudem wurde von dem einen oder anderen Umfrageteilnehmer auf die Rolle des Gesetzgebers verwiesen. „Was der Gesetzgeber durch sein Eingreifen im Markt beeinflussen kann, zeigt die momentane ‚Winterreifenverordnung’. Sollte die Kennzeichnung von Notlaufreifen in den Fahrzeugpapieren tatsächlich umgesetzt werden, hat der Verbraucher keine andere Möglichkeit als sich daran zu halten“, so stellvertretend die Ansicht eines Antwortenden, der allerdings im selben Atemzug Zweifel anmeldet, ob der Reifenhandel in der Lage sein wird, die entsprechenden Produkte qualifiziert zu vermarkten.
Denn was da unter Umständen auf die Branche zukommt, ließ sich sehr gut an dem Vortrag von Philippe Fournet-Fayat (Siemens VDO Automotive) im Rahmen der TÜV-Süd-Fachtagung ablesen. Unter dem Titel „Reifeninformationssysteme für bessere Verkehrssicherheit“ stellte er nämlich das Projekt „TireIQ“ vor, bei dem man mit dem Reifenhersteller Goodyear zusammenarbeitet und über das die NEUE REIFENZEITUNG bereits mehrfach berichtet hat. Ein Sensor im Reifen misst bei diesem System nicht nur wie üblich Druck und Temperatur, sondern speichert zudem Daten (Reifengröße, Seriennummer etc.) und soll – so die Vision der Entwickler – später einmal (etwa 2015) sogar den Reibbeiwert der Fahrbahn erkennen oder die gesammelten Informationen (ab etwa 2020) an andere Fahrzeuge übermitteln können. Insofern werden sich auch Reifenservicebetriebe in der Zukunft verstärkt Kompetenz in Sachen Fahrzeugelektronik aneignen müssen – zumal der Fahrzeugausrüstungsgrad mit elektrischen oder elektronischen Komponenten jüngsten Prognosen zufolge ohnehin weiter zunehmen wird.
Dass seitenwandverstärkte Notlaufreifen Aluminiumräder zudem stärker belasten als konventionelle Reifen, darüber referierte in München Rüdiger Heim vom Fraunhofer Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF). Seinen Worten zufolge würden die Räder heutzutage isoliert, also ohne Einbeziehung des Reifens, getestet. Er plädiert aufgrund der bei Messungen zusammen mit Runflats gesammelten Erkenntnisse dafür, immer die komplette Rad-Reifen-Einheit zu untersuchen. Zumal in den vom Fraunhofer Institut vorgenommenen Messungen mit seitenverstärkten Notlaufreifen, welche die Radstrukturen aufgrund ihrer steiferen Seitenwände um rund 15 Prozent höher belasteten als konventionelle Reifen, zwei von drei untersuchten Rädern nach den Belastungstests eine Rissbildung im Felgenbett gezeigt haben sollen. „Diese ersten Ergebnisse legen ein kritisches Hinterfragen nahe, ob Runflats tatsächlich auf Standardfelgen verwendbar sind“, lautete Heims vorläufiges Fazit. Damit zeigte er, dass er sich für den von Bernard Delmas erwähnten Vorschlag in Sachen eines neuen Rad-Reifen-Standards durchaus erwärmen könnte.
Fehler in Aluminiumrädern treten allerdings mitunter auch ganz ohne Einwirken eines Reifens auf bzw. wenn das Rad noch nicht einmal am Fahrzeug montiert ist – nämlich bereits bei der Produktion. Solche Herstellungsfehler lassen sich heutzutage jedoch mittels Röntgenanalyse detektieren und die entsprechenden Räder kommen so gar nicht erst in den Handel. Auf solche Röntgeninspektionsanlagen für die Automobilindustrie hat sich die Hamburger Firma Yxlon International X-Ray GmbH spezialisiert. Das Unternehmen zeigte im Rahmen des TÜV-Süd-Fachkongresses seine neueste Weiterentwicklung auf diesem Gebiet. Während die bisherigen Messsysteme sich auf ein zweidimensionales Bild des jeweiligen Prüfkörpers beschränkten, hat das Unternehmen nunmehr das von der Medizin her bekannte System der Computertomografie (CT) auf die zerstörungsfreie Materialprüfung ausgedehnt. Im Gegensatz zu den konventionellen Röntgenaufnahmen, die immer nur ein zweidimensionales Schnittbild des Aluminiumrades, Zylinderkopfes oder Ähnlichem liefert das CT-Verfahren ein dreidimensionales Bild.
Dazu wird der Prüfkörper mittels eines Manipulators um 360° gedreht, zusätzlich der Länge nach abgefahren und die dabei jeweils gewonnenen Schichtbilder in einem Computersystem zu einem Volumenabbild zusammengesetzt. Die Informationen über die Materialstärken an den einzelnen Positionen des Werkstückes werden dabei – so Thorsten Schillinger von der Yxlon International X-Ray GmbH – aus den von einem Detektor registrierten Intensitäten gewonnen. „Prinzipiell gibt es dabei zwei verschiedene Möglichkeiten. Entweder arbeitet man mit einem kegelförmigen Röntgenstrahl und einem Flächendetektor für die den Prüfkörper durchdringende Röntgenstrahlung oder mit einem eher fächerartigen Röntgenstrahl und einem Zeilendetektor. Im ersten Fall sind die Scanzeiten geringer. Wenn aber die höchste Abbildungsgenauigkeit gefragt ist, sollte die zweite Variante gewählt werden“, erklärte Schilliger. Seinen Worten werden entsprechende Anlagen für die Inspektion von Reifen, aber auch Rädern bereits von Yxlon angeboten.
Neben solchen praxisorientierten Vorträgen oder der Vorstellung interessanter Ansätze wie beispielsweise dem von Bridgestone ersonnenen so genannten „Multi-Air-Chamber“-Rad, bei dem zusätzliche Luftvolumina im Radinneren helfen sollen, bestimmte unerwünschte Frequenzen beim Reifen-Fahrbahn-Geräusch zu unterdrücken, wurden in München auch zahlreiche Simulations- oder Rechenmodelle bzw. Validierungsverfahren rund um die Entwicklung von Rad und Reifen vorgestellt. Ohne darauf im Einzelnen eingehen zu wollen, wurde dem interessierten Zuhörer dabei vor allem eines mehr als deutlich: Angesichts des Entwicklungsaufwandes, den Reifen- wie Fahrzeughersteller rund um die das Rad-Reifen-System von Fahrzeugen mittlerweile leisten, kann man Fahrzeugbereifungen und -räder getrost als Hightech-Produkte bezeichnen, die es eigentlich nicht verdienen, einfach nur möglichst billig verramscht zu werden. Viele Leser werden jetzt sagen, dass sie das auch vorher schon wussten. Wenn das aber so ist, warum wird dann so wenig gemäß dieser Erkenntnis gehandelt?
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