Die Bedeutung des Reifendrucks in der Rallye-WM
Sie ist für Rallye-Profis so wichtig wie die Luft zum Atmen: Vor dem Start jeder einzelnen Wertungsprüfung checken die Profis der Rallye-Weltmeisterschaft WRC den korrekten Reifendruck. Denn schon eine Stelle hinterm Komma entscheidet im Wettbewerb darüber, ob der gewählte Reifen optimal funktioniert oder ob der Fahrer wertvolle Zeit liegen lässt.
Diese Drucksache sollte sofort erledigt werden: Während selbst die gewissenhaftesten „normalen“ Autofahrer ihren Reifendruck gerade mal im Wochenabstand kontrollieren, gehört diese Prozedur für Rallye-Profis zum Start einer jeden Wertungsprüfung (WP) wie die Aktivierung der „Launch Control“. Dabei geht es nicht bloß um die Lebensdauer der extrem beanspruchten Pneus, sondern um das perfekte Handling und damit um jene Sekunden, die über Sieg und Niederlage entscheiden.
Wie im Rennsport üblich, müssen die Piloten dabei exakt berücksichtigen, welche Beanspruchungen auf den Pneu zukommen und wie sich diese auf den zu Beginn eingestellten Innendruck auswirken. Da der Druck unter Belastung steigt, wird stets ein etwas unter dem gewünschten Wert liegender Druck eingestellt. Ist der Druck jedoch zu gering, wird das stärkere Walken den Reifen übermäßig aufheizen. Dies führt zu Leistungsverlust oder gar Beschädigungen. Im Extremfall kann ein unsachgemäß eingestellter Reifendruck sogar die Sicherheit der Besatzung gefährden.
Im Rallyesport variieren die Reifendrücke während eines Laufs stärker als in jeder anderen Motorsportkategorie. Schwankungen von bis zu 30 Prozent sind keine Ausnahme. In der Formel 1 zum Beispiel unterscheiden sich die Drücke während eines Grand Prix um nicht mehr als zehn Prozent. Die Gründe dafür liegen in den einzigartigen Beanspruchungen der Schotter-, Asphalt- und Schneepneus: Rallye-Reifen sind nahezu pausenlos longitudinalen (Beschleunigen, Bremsen) und lateralen (zentrifugal, zentripetal) Kräften ausgesetzt. Deswegen muss ständig eine erhebliche Energiemenge abgebaut werden. Dass die vom Reglement erlaubten Reifendimensionen dafür eigentlich zu gering ausfallen, hilft nicht bei dieser Aufgabe.
Die so genannten „Mousse“-Einlagen innerhalb des Reifens sind eine wertvolle Hilfe bei Beschädigungen. Im Normalbetrieb aber tragen auch sie zu einem steigenden Reifendruck bei. Ein nicht optimales Set-up und die ständigen Schläge, die die Pneus etwa bei harten Landungen nach Sprungkuppen oder beim Überfahren größerer Steine zu schlucken haben, generieren ebenfalls höhere Drücke.
Wie wirkt sich steigender Luftdruck auf die Performance des Reifens aus?
Mit steigendem Innendruck verkleinert sich der „Fußabdruck“ des Reifens, also die Kontaktfläche mit dem Asphalt. Je kleiner der Fußabdruck, umso mehr müssen die Moleküle der Gummimischung arbeiten, um dies auszugleichen und Haftung zu erzeugen. Mehr Arbeit bringt physikalisch unausweichlich mehr Hitze mit sich, so dass die Kontaktfläche noch kleiner wird. Der Teufelskreis ist geschlossen. Die Reifentechniker streben deshalb immer danach, wirklich jeden Quadratzentimeter der Lauffläche in Kontakt mit der Fahrbahn zu bringen.
Wie werden Druckanstiege kontrolliert?
Damit der unvermeidliche Druckanstieg so gering wie möglich ausfällt, nehmen sich die Ingenieure in der Forschung jede der rund 200 Komponenten eines Rallye-Reifens vor. Da verwundert es nicht, dass die Entwicklung eines Asphalt-Trockenreifens ein ausgesprochen langwieriger und komplexer Prozess ist. Die ideale Lösung bestünde darin, Reifenfüllmittel abzulassen, sobald der Druck ansteigt. Allerdings hat der Automobil-Weltverband FIA Ende der 1990er Jahre automatische Druckregelsysteme verboten – ebenso wie die Nutzung exotischer, druckstabiler Gase. Bei Serienreifen setzt sich Stickstoff als Füllmittel immer mehr durch – in der Rallye-WM kommt dieses Gas nicht zum Einsatz, weil es sich nicht mit dem Gleitmittel der auf die Felge gespannten Mousse-Ringe verträgt.
Wie regeln die Piloten den Reifendruck?
Vor der WP – Bei der Berechnung des optimalen Reifendrucks beziehen die Crews viele Parameter ein: die Zahl der Wertungsprüfungen bis zum Service, die Länge der WP, den Streckentyp (kurvig, schnell, etc.), die Luft- und Fahrbahntemperatur und natürlich die gewählte Laufflächenmischung (soft, medium, hard).
Auf der WP – Selbst ohne ein Anzeige-Instrument im Auto können Profis den Reifendruck während einer WP einschätzen und ihn beeinflussen: Sie spüren, ob ihr Pneu mit zunehmender Fahrleistung heiß wird und der Druck übermäßig steigt. Ist dies der Fall, nehmen sie für die kommenden Kurven etwas Tempo heraus, damit sich der Reifen stabilisieren kann, bevor sie wieder voll angreifen.
Über die Strategie – Fahrer können mit dem Reifendruck auch taktisch umgehen: Wenn sie zum Beispiel gleich zu Beginn eines WP-Pakets attackieren wollen, starten sie mit einem etwas höheren Ausgangsdruck, als es eigentlich ideal wäre. Planen sie dagegen ihren Angriff zu einem späteren Zeitpunkt, gehen sie mit geringerem Luftdruck in die WP. Dieses Vorgehen erklärt häufig die unterschiedlichen Zwischenzeiten von Fahrern, die ansonsten auf gleichem Niveau liegen.
Übrigens – Ein Asphalt-Trockenreifen für die Rallye-WM wie der seit seinem Debüt Anfang 2006 bereits dreimal siegreiche g-Force Profiler von BF Goodrich ist den höchsten Lasten ausgesetzt, die im Rennsport überhaupt vorkommen – einschließlich Formel 1 und Le Mans. Grund: Die Rallye-Pneus müssen gemessen an ihren Dimensionen immense Leistungen übertragen und unterliegen dabei ständig den unterschiedlichsten Kräften und Einflüssen. Dazu kommt, dass auch die neuen passiven Differenziale die Masse der Antriebskräfte niemals gleichmäßig auf alle vier Räder übertragen.
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