„Reifenhändler betrachten Autoservice stiefmütterlich als Mitnahmegeschäft“ – NRZ-Interview

Viele Reifenhändler betrachten den Autoservice „stiefmütterlich als Mitnahmegeschäft“, befindet Helmut Wolk von Wolk After Sales Experts. Anstatt sich kompetent und mit Nachdruck um das margenstarke Wachstumsgeschäft zu kümmern, beschränken sich viele darauf, ihrem Handelsnamen den Zusatz „Autoservice“ beizustellen und vertrauen darauf, damit Kompetenz zu signalisieren und Kunden auf den Hof zu locken. Laut Helmut Wolk, Jörg Meding und Zoran Nikolic, die der NEUE REIFENZEITUNG im Interview zu Werkstattsystemen und Autoservice Rede und Antwort standen, werde damit ein riesiges Potenzial verschenkt. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern dies verzeihlich ist, muss der Reifenhandel sich doch neue Geschäftsfelder erschließen.

button_nrz-schriftzug_12px-jpg Der Beitrag ist in der Januar-Ausgabe der NEUE REIFENZEITUNG erschienen, die Abonnenten hier als E-Paper lesen können.

Neue Reifenzeitung:

Was verstehen Sie generell unter einem Werkstattkonzept bzw. Werkstattsystem?

Wolk After Sales Experts:

Aus der Sicht einer Werkstatt sollten Werkstattsysteme das Ziel haben, einem Mehrmarken-Werkstattbetreiber auf partnerschaftlicher Basis umfassende Hilfe in allen Unternehmenslagen zu leisten, zum Zwecke der Ertragssteigerung, der zukünftigen Existenzsicherung und besseren Etablierung im Wettbewerbsumfeld. Aus der Sicht der Systemanbieter, die größtenteils aus dem Teilegroßhandel stammen, steht die Beschaffungsloyalität bei Autoteilen im Vordergrund.

Neue Reifenzeitung:

Entsprechende Systeme lassen sich nach vielen Kriterien klassifizieren. Wie grenzen Sie etwa sogenannte ‚Full-Service-Werkstattsysteme’ von ‚Reifensystemen’ ab.

Wolk After Sales Experts:

Systeme unterscheiden sich grundsätzlich danach, ob der Werkstattinhaber seine unternehmerische Freiheit behält (wie z.B. bei Partnersytemen wie Autofit, Meisterhaft oder bei Franchchisesystemen wie Automeister, Bosch Car Service) oder angestellter Filialleiter einer Kette ist wie bei ATU oder Carglass. Diese Filialisten zählen landläufig nicht zu den Systemen.

Des Weiteren werden Systeme unterschieden, ob sie allumfassende Unterstützung für den Werkstattinhaber für die gesamte Servicepalette anbieten oder sich nur auf Teilgewerke konzentrieren.

Full-Service-Systeme werden wiederum für unterschiedliche Werkstattzielgruppen angeboten wie z.B. für freie Kfz-Werkstätten, Reifenhändler, Karosserie-/Lackwerkstätten und Autoglasspezialisten. Somit sind Reifensysteme auf Reifen und Reifenservice, also auf das Reifengeschäft spezialisiert, während Full-Service-Werkstattsysteme einen Generalservice rund ums gesamte Auto bieten. Die Masse der Reifenhändler, die Autoservervicedienstleistungen anbieten, konzentrieren sich hierbei auf den ‚Lower Half Autoservice’. Neben einigen Reifenhandelsbetrieben, die einen kompletten Autoservice bereits über Jahrzehnte anbieten, ist im Besonderen die Premio-Kette der GDHS und Automeister von point S zu nennen.

Neue Reifenzeitung:

Wie viele Konzepte/Systeme gibt es denn heute in Deutschland?

Wolk After Sales Experts:

Es gibt rund 30 Full-Service-Konzepte in Deutschland, welche die Zielgruppe der ‚freien Mehrmarken-Kfz-Werkstätten’ im Fokus haben. Von den rund 19.000 Mehrmarkenwerkstätten sind ca. 11.500 einem dieser Full-Service-Mechanikkonzepten angeschlossen.

Neue Reifenzeitung:

Was sind in der Regel die zentralen Angebote, die auch Reifenhändlern im Rahmen eines solchen Konzeptes bzw. Systems gemacht werden? Was erhalten diese konkret für ihr Geld?

Wolk After Sales Experts:

Die meisten Reifenhändler sind einer Reifenkooperation wie point S oder einer vertragsgebundenen Kooperation wie Euromaster oder GDHS angeschlossen. Soweit wir wissen, gibt es keine speziellen Angebote von Werkstattsystemen an Reifenhändler. Allerdings gibt es eine Kooperation zwischen Coparts und Top Service Team. Alle Mitglieder von Top Service Team gehören jetzt auch zur ‚Fachgruppe Reifen’ der Coparts. Es sollen Synergien geschaffen werden. Nicht zu vergessen, dass point S sich mit Automeister ein Full-Service-System schon vor Jahren ‚gekauft’ hat.

Im Fokus der zu nutzenden Angebotspalette der Full-Service-Systeme steht der technische Support – etwa Teile-Identifikation, Reparaturanleitungen, Hotline-Service – und der Just-in-time-Lieferservice. Die Werthaltigkeit der Gegenleistung durch die Systeme ist gegeben. Wenn ein Reifenhändler die Systemleistungen selber erbringen würde, müsste er circa das Fünffache an Kosten und Zeit aufwenden.

Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass der beste technische Support nicht zum Erfolg führt, wenn der Reifenhändler nicht mit all seiner unternehmerischen Kraft den Autoservice als gleichwertiges Geschäftsfeld vorantreibt. Voraussetzungen für ein ertragreiches Autoserviceengagement sind daneben qualifiziertes Personal und Equipment, der Erfahrungsaustausch mit Kollegen und ein permanentes proaktives Autoserviceangebot. In Anbetracht der Fülle von Werkstattsystemen sollten sich die Reifenhändler professioneller Orientierungshilfe bei der Auswahl bedienen, um keine Fehlentscheidungen zu treffen.

Neue Reifenzeitung:

Viele Reifenhändler haben über die Jahre versucht, sich mit dem Autoservice ein zweites, weniger schwankungsstarkes Standbein aufzubauen. Inwieweit machen für solche Unternehmen sogenannte Full-Service-Werkstattsysteme Sinn?

Wolk After Sales Experts:

Im Reifenmarkt sind Autoservicesysteme von Reifenherstellern und Reifenkooperationen etabliert. Zu nennen sind hier das Automeister-System der point S oder Premio der GDHS. Beide Systeme sind über Jahrzehnte entwickelt worden und brauchen keinen Vergleich zu den reinrassigen Autoservicesystemen zu scheuen.

Autoservice macht Sinn, zumal er bei professionellem Einsatz die Profitsituation erheblich stabilisiert und die klassischen Saisontäler ausgleichen kann. Nicht zu verstehen ist, dass trotz vorhandener Tools die Reifensaisonspitzen nicht ausreichend genutzt werden, um im Reifenhandel die frequenzstärkste Zeit in Autoserviceaufträge umzumünzen.

Die Masse der Reifenhändler, die Autoservicedienstleistungen anbieten, sind im Kern Reifenhändler geblieben und schenken dem Autoservice nicht die gebührende Aufmerksamkeit. Für den gezielten Ausbau des Autoservice machen Full-Service-Werkstattsysteme vor allem für die Händler Sinn, die nicht auf vergleichbare Leistungsbausteine ihrer Kette/Kooperation Rückgriff nehmen können. Im Vordergrund stehen hier vor allen Dingen Technik- und Marketingmodule.

Neue Reifenzeitung:

Scheint es Ihnen irgendwie möglich oder sinnvoll, dass sich unabhängige Reifenhändler ohne Hilfe das Standbein Autoservice neu und umfassend aufbauen?

Wolk After Sales Experts:

Es gibt immer wenige Ausnahmen, die sich eigenständig bestens selber helfen können. Aber 99 Prozent der Werkstattinhaber benötigen die Unterstützung in Form von Know-how-Transfer und Tools.

Spezialisten wie Reifenhandel oder Karo-Lack-Betriebe benötigen die Systemunterstützung im Autoservice dringender als die typische freie Kfz-Werkstatt. Bei Autoservice handelt es sich für den klassischen Reifenhandel um ein gänzlich neues Geschäftsfeld. Erfahrungsgemäß treten beim Autoservice Integrationsprobleme auf, die nicht zu unterschätzen sind. Die helfende Hand in Form eines Systemgebers ist in aller Regel wichtig.

Am Markt sind sehr gute Full-Service-Systeme in ausreichender Menge etabliert. Man muss den Stein der Weisen nicht noch einmal erfinden. Der individuelle Aufbau eines wettbewerbsfähigen Autoservicegeschäftes im Reifenhandel wird zu teuer und zeitaufwändig. Die Kernfrage lautet vielmehr: Welches Full-Service-System bietet in meiner Region für meine individuelle Situation die beste Unterstützung? Oder greife ich auf vorhandene Autoservicesysteme des Reifenhandels zurück? Hier bieten wir seitens Wolk After Sales Experts mit dem Beratungsprogramm ‚ProFit’ Hilfestellung an.

Im Gegensatz zu den Gebühren, die Fabrikatsmarken zu entrichten haben, sind die Gebühren der IAM-Systeme (Independent Aftermarket Systems; d.Red.) verschwindend gering.

Neue Reifenzeitung:

Welche Systembausteine lassen sich definitiv nicht allein aufbauen und entwickeln und warum nicht?

Wolk After Sales Experts:

Zuforderst stehen da die technisch orientierten und EDV-unterstützten Systembausteine wie Reparatur-Know-how, eindeutige Teileidentifikation, technische Hotlines und Optimierung der Prozessabläufe im Autoservicegeschäft. Danach rangieren DMS-Systeme inklusive ERP-Systemen. Unterschätzt werden häufig die Marketingbausteine, um in einem immer stärker vom Wettbewerb gekennzeichneten Markt die Werkstattauslastung zu sichern.

Vor dreißig Jahren mussten Reifenhändler noch zur Selbsthilfe greifen, wenn sie die Vision von einem leistungsstarken Autoservice im Reifenfachhandelsbetrieb realisieren wollten. Heute grenzt es an unternehmerische Selbstüberschätzung, wollte man diese oben genannten Primärbausteine selber entwickeln. Der Kosten- und Zeitaufwand würde in keiner Relation zum Return-on-investment stehen.

Was jedoch weiterhin der Individualität bedarf ist der unternehmerische Einsatz des Werkstattinhabers. Es reicht bei Weitem nicht mehr aus, Tools zu besitzen und Voraussetzungen und Standards zu erfüllen. Notwendig ist der permanente Einsatz und die Fokussierung auf den Autoservice, um dieses Geschäftsfeld erfolgreich zu betreiben. Das Autoservicegeschäft darf nicht ‚nebenbei’ betrieben werden.

Neue Reifenzeitung:

Wie beurteilen Sie allgemein das Angebot an Autoservicebausteinen, das heute über etablierte Organisationen des gebundenen und ungebundenen Reifenfachhandels gemacht wird? Wie wird sich dies in den kommenden Jahren Ihrer Meinung nach weiterentwickeln?

Wolk After Sales Experts:

Mit Ausnahme von ein, zwei Ketten wird das Autoserviceangebot dem Autofahrer unzureichend präsentiert. Das liegt dann wiederum an fehlenden Qualitätsstandards bei vielen Partnerbetrieben. Einen professionellen Autoservice baut man in einer Kette nicht ‚mal in zwei bis drei Jahren’ auf. Dafür bedarf es Jahrzehnte.

Im Reifenhandelsnamen den Zusatz ‚Autoservice’ aufzunehmen, reicht nicht, um Kompetenz zu signalisieren. Der Zusatz ‚Autoservice’ ersetzt nicht die aktive Positionierung des neuen Geschäftsfeldes. Die Bezeichnung ‚Fahrwerksspezialist’ würde für den Reifenhandel mit Autoservice zielführender sein. Es ist immer noch so, dass Autofahrer, wenn sie nach Reifenketten mit Autoservice gefragt werden, als erstes an ATU. denken, wie eine Erhebung des BRV in diesem Jahr ergeben hat. Dass die freien oder industriegebundenen Reifenketten Autoservice anbieten, ist den meisten Autofahrern nach wie vor nur unzureichend bewusst. Was wohl auch daran liegt, dass viele Reifenhändler den Autoservice stiefmütterlich als Mitnahmegeschäft betrachten.

Im Durchschnitt realisieren Reifenhändler mit Autoserviceangebot weniger als 20 Prozent des Umsatzes mit Autoservice. Dabei zeigen Best-Practice-Beispiele, dass 60 bis 70 Prozent des Umsatzes mit Auto- und Reifenservice keine Utopie mehr darstellen. Der Autoservice bei diesen Betrieben erweist sich als der Profitgenerator schlechthin. Diese Betriebe nutzen den höheren Rohertrag bei Autoteilen, die höhere Häufigkeit beim Autoservice im Vergleich zum Reifengeschäft. Vor allem aber nutzen sie die Hochfrequenzzeiten im Umrüstgeschäft aktiv für das Autoservicegeschäft.

Bezüglich der Trends werden die Anforderungen hinsichtlich Diagnostik und Elektronik in Zukunft auch bei einem auf den Reifenhandel begrenzten Autoservice (Fahrwerk und Reifen) weiter enorm steigen. Qualifiziertes Personal, Know-how und zeitadäquates Equipment werden enorm an Bedeutung gewinnen.

Hinzu kommt, dass vom wachsenden Autoserviceonlinegeschäft (Webshops und Portale) auch der ‚Fahrwerksspezialist’ durch die automatisierte Einsteuerung von Kunden durchaus profitieren kann.

Neue Reifenzeitung:

Für welchen Reifenhändler macht Autoservice Sinn, für welchen nicht?

Wolk After Sales Experts:

Welche Betriebstypen im Einzelnen dafür geeigneter sind oder nicht, kann nur im Einzelfall geklärt werden. Das A und O bildet der unternehmerische Wille, die Personalqualifikation und die örtliche Wettbewerbssituation.

Neue Reifenzeitung:

Inwiefern deckt sich das Angebot mit dem der Full-Service-Werkstattsysteme; sehen Sie hier eine zunehmende Angleichung der Konzepte und Systeme?

Wolk After Sales Experts:

Ja, auf den unterschiedlichen Qualitätsstufen wird es zu einer Angleichung der Systeme kommen. Wir können aber nicht mehr von ‚einheitlichen Full-Service-Werkstattsystemen’ sprechen. Es gilt zu differenzieren zwischen ‚Premium-, Medium- und Budgetsystemen’.

Neue Reifenzeitung:

Wenn sich Reifenhändler mehr und mehr zu Kfz-Werkstätten entwickeln und Autohäuser immer mehr und mehr mit Reifen handeln, welche Zukunft hat dann der Reifenfachhandel als solcher noch langfristig auf dem Aftermarket?

Wolk After Sales Experts:

Der Reifenfachhandel verlor in den letzten Jahren erhebliche Marktanteile an die Reifen-Onlineshops und an die Kfz-Werkstätten. So haben alleine die freien Werkstätten mit Systemzugehörigkeit dem Reifenhandel rund vier Prozent Marktanteil im Endverbrauchergeschäft abgenommen. Damit beantwortet sich die Frage von selber. Der Reifenhandel muss neue Geschäftsfelder erschließen, um sich zukünftig im intensiver werdenden Aftermarket-Wettbewerb behaupten zu können.

Fakt ist, dass zukünftig die Kfz-Werkstätten – Vertragshandel als auch freie Systemwerkstätten – Marktanteile zurückerobern werden und der Onlinehandel neue Marktanteile gewinnen wird. Fakt ist aber auch, dass der Autoservice hervorragend geeignet ist, saisonale Schwankungen im Reifenhandel auszugleichen und höhere Roherträge ermöglicht.

Wir sehen bei Wolk After Sales Experts zukünftiges Potenzial für den Reifenhandel mit Autoservice in der Positionierung als ‚Fahrwerksexperten’. Mit unserem innovativen ‚MAC-Konzept’ – Mobile Autoservice Center –, das sich an Reifenketten und -kooperationen wendet, sehen wir große Wachstumschancen. Das Konzept zielt darauf ab, den einzelnen Reifenhändler in puncto Autoservice-Know-how technisch, personell und kostenmäßig zu entlasten und macht ihn damit wettbewerbsfähiger.

So betrachtet ist uns um die zukünftige Position des Reifenhandels im Aftermarket nicht bange, wenn er sich den zukünftigen Herausforderungen durch Innovationen stellt und nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit verharrt. ab

 

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