Kraiburg schließt erstes EM-Reifen-Großprojekt in Russland ab
Drei Jahre nach seiner Gründung kann das Gummiwerk Kraiburg Austria für den Geschäftsbereich „Earthmover“ nun den Durchbruch vermelden. Für einen Investor hat Kraiburg im Laufe dieses Sommers in der Nähe der westsibirischen Stadt Kemerowo, also inmitten der größten Kohleabbauregion Russlands, eine Anlage zur Runderneuerung großer EM-Reifen installiert, in der bei voller Produktionsauslastung bis zu 2.000 Tonnen an Material verarbeitet werden sollen. Der Produktionsbeginn ist für diesen Oktober geplant. Wie der Leiter des Geschäftsbereiches Roland Schutte gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG betont, befinden sich bereits weitere Projekte, für die Kraiburg Know-how, Technologie und natürlich das Material liefern würde, in konkreter Planung.
Moderne, runderneuerte Reifen bieten vielfache Vorteile und ein großes Potenzial: Sie sind günstiger als Neureifen, bieten zumeist eine vergleichbare Laufleistung bei hoher Haltbarkeit, schonen die Umwelt und sind auch in Zeiten verfügbar, in denen die weltweite Nachfrage, wie etwa das nach großen EM-Reifen, das Angebot deutlich übertrifft. Zur Reifen-Messe 2006 hin beschloss man bei Kraiburg, künftig auch das Marktsegment EM-Reifen bedienen zu wollen und stellte damals erstmals auch entsprechend runderneuerte Produkte am Stand aus. Dies, so erläutert Roland Schutte, sei eine strategische Entscheidung gewesen, deren Umsetzung nicht von heute auf morgen gehen würde, auch nicht für einen der Marktführer in Europa.
Dennoch kamen gleich zur Messe 2006 bereits die ersten guten Kontakte zu potenziellen Kunden zustande, von denen sich einer als Investor aus Russland offenbarte. Dessen Unternehmen wollte keine Gummimischungen oder Laufstreifen für die Runderneuerung von EM-Reifen kaufen, sondern benötigte eine Komplettlösung für das Reifenproblem, das dessen Kunden wiederum im Kuznezker Kohlenbecken, kurz: Kuzbass genannt, hatten. Das Unternehmen Ekoprom Servis Company Ltd. bietet den drei Minenbetreibern der Region, in denen die größten Kohlevorkommen der Welt lagern, ein komplettes Reifenmanagement, in dem damals allerdings ausschließlich Neureifen der führenden Hersteller Michelin, Bridgestone, Goodyear und auch Belshina als führende lokale Marke in diesem Segment eine Rolle spielten.
Mit der zunehmenden Knappheit großer EM-Neureifen mussten sich die Minenbetreiber und deren Reifendienstleister nach möglichen Alternativen umsehen, um die Mobilität der Fahrzeuge zu garantieren. Die offensichtliche Alternative, für die man sich dann entschied: die EM-Reifenrunderneuerung. Nach mehrmonatigen Verhandlungen unterzeichneten das Gummiwerk Kraiburg Austria und Ekoprom Servis im Juni 2007 einen Vertrag, in dessen Mittelpunkt der Aufbau einer Runderneuerungsanlage in der Nähe der Stadt Kemerowo inmitten des Kuzbass stand. Für diese Anlage, die im Oktober in Betrieb genommen wird, investiert der russische Auftraggeber rund acht Millionen Euro. Zu den Details der Investition unten mehr.
Allerdings ist das Potenzial an Fahrzeugen der drei Minenbetreiber der Region, für die Ekoprom das Reifenmanagement leistet, nicht zu unterschätzen, um die Höhe der Investition perspektivisch einzuordnen. „In der Region sind jeden Tag über 15.000 Reifen im Einsatz“, weiß Projektleiter Roland Schutte nach mehreren Besuchen vor Ort, „und die meisten dieser Reifen sind Giant Tyres“.
Allein die größte Mine der Region, an die die Kraiburg-Runderneuerungsanlage angeschlossen ist, beeindruckt mit ihren Zahlen. Dort sind nämlich allein 63 Muldenkipper der weißrussischen Marke BelAZ mit einem Ladevolumen von 220 Tonnen im Einsatz; zusammen mit den 170 Tonnen Fahrzeuggewicht müssen die sechs 57 Zoll großen EM-Reifen der BelAZ-Kipper bis zu 400 Tonnen tragen. Auch sind dort in der größten Mine der Region drei Muldenkipper mit einer Nutzlast von bis zu 320 Tonnen unterwegs. Diese stehen auf 63 Zoll großen Reifen. Darüber hinaus sind allein hier noch weitere rund 200 Fahrzeuge mit einer Nutzlast von 40 bis 220 Tonnen im Einsatz, für die Reifen zwischen 33 und 57 Zoll gebraucht werden.
Das Kohleabbaugebiet Kuzbass verfügt über insgesamt 64 Tagebauminen und 48 Untertagebauminen. Jedes Jahr werden dort rund 190 Millionen Tonnen Kohle abgebaut, was nach dem Willen der russischen Regierung bis zum Jahr 2020 sogar auf 300 Millionen Tonnen jährlich ausgebaut werden soll. „Im Umkreis von 200 Kilometern um unsere Runderneuerungsanlage herum finden wir ein unglaubliches Potenzial“, so der Leiter des Geschäftsbereiches weiter.
In der Produktionsstätte, deren Anlagen seit August installiert werden, sollen nach Inbetriebnahme jährlich zunächst rund 1.500 EM-Reifen zwischen 33 und 57 Zoll im Kalt- bzw. im sogenannten Smooth-and-Groove-Verfahren runderneuert werden. Sobald die Fabrik dann im übernächsten Jahr unter Volllast fertigt, wird sie jährlich rund 3.000 große und sehr große EM-Reifen runderneuern können, so Roland Schutte, wobei auch für Kraiburg die klassische Kaltrunderneuerung von sogenannten Giant Tyres weitestgehend einem Versuchsfeld gleicht; mit anderen Worten: Die ganz großen Reifen für die Muldenkipper werden zumeist im Schneideverfahren gefertigt. Nach dem Heißverfahren wird nicht gefertigt, und die Mischungen und Laufstreifensegmente für die Produktion runderneuerter Reifen im Kuzbass stammen samt und sonders aus dem österreichischen Geretsberg, dem Sitz des Unternehmens. Allerdings, so Schutte, sei es auch denkbar, dass die Profilsegmente irgendwann einmal direkt vor Ort gefertigt werden – auf Kraiburg-Mischungen.
Ein Investor, der rund acht Millionen Euro in ein solches Projekt steckt, erwartet keine Anlagen „von der Stange“, sondern High-End-Equipment. Das hat Ekoprom Servis auch bekommen, betont der Projektverantwortliche weiter und weist darauf hin, dass die russischen Reifenmanagement-Kunden des Investors auch Entsprechendes verlangt haben. „Für weniger“, so Schutte, „wäre Kraiburg auch nicht der richtige Partner gewesen.“ In der Runderneuerungsstätte wurde ausschließlich Equipment von westlichen Marktführern installiert, etwas von VMI-AZ Extrusion, CIMA Impianti, Matteuzzi oder Maschinenbau Scholz aus Deutschland. Allein die Hardware hat fast die Hälfte der Investitionskosten verschlungen.
Darunter befinden sich im Übrigen auch zwei Prototypen, die nun weltweit erstmals installiert worden sind. Dies ist zunächst ein sogenannter „Base Constructor“, der gemeinsam mit VMI-AZ Extrusion entwickelt worden ist, erklärt Roland Schutte. Seiner grundsätzlichen Funktionalität nach entspricht der Extruder einem herkömmlichen CTC-Extruder des holländischen Marktführers. Allerdings sei der neue Base Constructor, für dessen Entwicklung Kraiburg quasi das Lastenheft vorgegeben hat, in mehrfacher Hinsicht effizienter. Zuallererst werde der hohe manuelle Aufwand durch die Schleifarbeit an den Karkassverletzungen auf ein Minimum reduziert, da der neue Extruder auch die zuvor komplett abgeraute Reifenschulter ohne Mühe wieder aufbauen kann; hier muss also nicht geschliffen und ausgebessert werden. Allein dadurch lasse sich die Handlingzeit von rund vier auf einen Tag verringern, was ein immenses Einsparpotenzial bedeutet. Außerdem sorge der hohe Automatisierungsgrad des Extruders dafür, dass Schleiflöcher komplett mit Bindegummi verfüllt werden und somit Lufteinschlüsse, die später zu Problemen mit einem Reifen führen können, ausgeschlossen sind.
Der zweite Prototyp, der in der neuen von Kraiburg aufgebauten Runderneuerungsanlage im Kuzbass installiert wurde, ist ein sogenannter „Strip Builder“, also ein Extruder für das Laufflächengummi. Der neue Strip Builder leiste einen doppelten Ausstoß, bescheinigt Schutte, und zeige darüber hinaus auch bei den zu verarbeitenden High-Performance-Mischungen aus dem Hause Kraiburg keinerlei Qualitätseinbußen.
Wie der Business Unit Manager OTR Retreading, so Schuttes offizieller Titel, weiter ausführt, wird der Auftraggeber, also Ekoprom, offiziell Betreiber der Runderneuerungsstätte sein. Da der neue Kraiburg-Partner aber bisher ausschließlich in Neureifen gemacht hat, also von der Reifenproduktion nicht viel versteht, bieten die Österreicher wenigstens für die ersten beiden Jahre ein umfangreiches Paket an Schulungen, Trainings, Service- wie auch Montage- und Supportdienstleistungen an. Selbstverständlich ist in dieser ersten Zeit fast immer jemand aus dem Kraiburg-Team vor Ort, zumindest bis die Prozesse auch vom Auftraggeber und dessen Mitarbeitern soweit verinnerlicht wurden, dass Kraiburg mit ruhigem Gewissen und vertrauensvoll den kompletten Produktionsprozess in die Hände des russischen Partners übergeben kann. Selbstverständlich werde der österreichische Anbieter auch in Zukunft Supportaufgaben für die Anlage wahrnehmen, selbst dann, wenn der Betrieb der Anlage nicht nur formal, sondern auch praktisch komplett in russischer Hand liegt. Kraiburg vermarktet dabei im Übrigen keine Lizenz, wie es andere namhafte Marktteilnehmer tun. Der Grund: Die Produktion findet eben nicht nach einem speziellen, geschützten Verfahren statt.
Die Investitionen, die das Gummiwerk Kraiburg Austria am eigenen Standort in Geretsberg vornehmen musste, um mit dem neuen Geschäftsbereich am Markt für die EM-Reifenrunderneueung richtig Fuß fassen zu können, seien Schuttes Aussagen zufolge vergleichsweise gering gewesen. Natürlich hätten Formen für die Herstellung der Profilsegmente angeschafft werden müssen; für das „Grundsortiment“ an Formen seien rund 80.000 Euro investiert worden. Freie Kapazitäten in den Vulkanisationspressen und der Mischerei hingegen seien bereits vorhanden gewesen. Da aber insbesondere für die Kaltrunderneuerung 57 Zoll großer EM-Reifen kaum brauchbare Außenhüllen am Markt verfügbar sind, hat Kraiburg parallel zum Aufbau des Geschäftsbereiches „Earthmover“ eine Hüllenproduktion in Geretsberg eingerichtet und darin investiert; sie läuft seit April dieses Jahres. Diese Hüllen sollen nicht nur in der neuen Runderneuerung im Kuzbass genutzt werden, sondern werden auch als ganz normale Handelsware vertrieben. „Die kann man jetzt bei uns kaufen“, so Roland Schutte, der mittlerweile seit 25 Jahren für Kraiburg arbeitet.
Mit der ersten EM-Reifenrunderneuerung, die von Kraiburg aufgebaut, mit Materialien beliefert und nun in diesem Oktober in Betrieb genommen wird, stellt sich die Frage, was kommt dann? Laut Roland Schutte befinde sich bereits ein weiteres Projekt in Russland in der näheren Planung; dieses Mal geht es allerdings um Goldminen.
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