„Ernste“ Situation beflügelt Marktführer
Veränderungen auf dem europäischen EM-Neureifenmarkt beeinflussen konsequenterweise auch direkt das Geschäft der Runderneuerer in diesem speziellen Industriezweig. War früher die Frage des Zugriffs entscheidend, so tritt heute mehr und mehr die Frage nach der Verfügbarkeit runderneuerungsfähiger Karkassen in den Vordergrund. Dies gelte insbesondere dort, wo sich Marktführer wie Marangoni ganz bewusst auf eine Ebene stellen mit den großen Neureifenherstellern aus dem EM-Reifenmarkt. Je mehr neue chinesische EM-Reifen nach Europa kommen und dort bisher etablierte Fabrikate verdrängen, so ist bei Marangoni im norditalienischen Rovereto zu hören, umso stärker müssen Runderneuerer wie Marangoni um die Verfügbarkeit von runderneuerungsfähigen Karkassen und ihre Marktanteile kämpfen. Bei Marangoni versucht man, der aktuellen Situation mit einer Qualitäts- und einer Produktoffensive zu begegnen.
Laut Luca Mai, der in der Geschäftseinheit „Commercial & Industrial Tyres“ bzw. in deren zentraler Unternehmung Marangoni Pneumatici das Geschäft mit EM-Reifen verantwortet, sei die aktuelle Marktsituation in Europa „äußerst ernst“. Seitdem Ende des vergangenen Jahres Strafzölle in den USA wegen angeblicher Dumpingpreise chinesischer Importeure und Hersteller verhängt wurden, leide man in Europa unter einem Überfluss an EM-Reifen. Gerade was die kleineren und mittleren Dimensionen betrifft, werden heutzutage zahlreiche Lieferungen aus dem Reich der Mitte von ihren ursprünglichen Zielhäfen in Nordamerika nach Europa quasi umgeleitet. Hier, so sagt Luca Mai, üben die Importreifen einerseits Druck auf das allgemeine Preisniveau aus; einige Marktbeobachter sprechen von einem Preisverfall bis zu 20 Prozent bei Standard-EM-Größen und -Profilen. Andererseits verändere sich das Verhältnis von runderneuerungsfähigen Premiumkarkassen etablierter Hersteller zu – so Mai weiter – nicht runderneuerungsfähigen Importreifen aus Fernost. Dies wiederum beeinflusst direkt das Geschäft des Runderneuerers von EM-Reifen, also das Geschäft der italienischen Marangoni-Gruppe, die weltweit zu den Marktführern in diesem Segment zählt. Wie Luca Mai betont, der als Spross der Familie aufwuchs, die den ersten Runderneuerungsbetrieb für EM-Reifen in Italien gründete (woraus seit dem die Mai-Gruppe entstand): „Karkassen sind für uns der Rohstoff.“
Der EM-Reifenverantwortliche aus dem Hause Marangoni sieht dabei nicht nur die Qualität günstiger Importreifen aus China kritisch, sondern kritisiert auch das Geschäftsgebaren einiger Agenten, die Containerware aus China „zu verrückten Preisen per Fax und Email“ in Europa anbieten. Solche Geschäftspartner böten vielleicht eine kurzfristige Lösung für ein Reifenproblem, darüber hinausgehende Dienstleistungen und Beratungen jedenfalls seien von ihnen nicht zu erwarten. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG betont Mai immer wieder die große Bedeutung eines Qualitätsfabrikates – ob als Neureifen oder als Runderneuerter – für die Stundenkosten des jeweiligen OTR-Fahrzeugs. Seien die Angebote, die per Fax und Email in alle Welt verschickt werden, vom Preis auch noch so verlockend, langfristig rechne sich nur die Investition in Qualität, zeigt sich der Marangoni-Mitarbeiter überzeugt.
Entsprechende Investitionen hat Marangoni in den vergangenen fünf bis sechs Jahren durchaus getätigt. Seither engagiert sich das Unternehmen mehr und mehr in der Runderneuerung von EM-Reifen; auch Luca Mai selbst begann damals für Marangoni zu arbeiten. Heute gehört das Unternehmen mit einem jährlichen Output von rund 11.000 EM-Reifen verschiedenster Größen und für verschiedenste Anwendungen zu den führenden Anbietern weltweit. Für das laufende Jahr prognostiziert man sogar einen Output von bis zu 12.000 Einheiten, die allesamt in Rovereto am Standort von Marangoni Pneumatici gefertigt werden. Marangoni Pneumatici fertigt darüber hinaus noch rund 200.000 runderneuerte Lkw-Reifen, von denen die meisten (knapp 90 Prozent) im industrienahen Heißrunderneuerungsverfahren produziert werden.
Auch bei der Runderneuerung von EM-Reifen setzt Marangoni folglich auf die hohe Qualität bzw. Qualitätsanmutung einer Heißrunderneuerung und bietet heute ausschließlich heißrunderneuerte EM-Reifen an. Produktionstechnologie ist dabei ein ganz wichtiges Stichwort. Während heißrunderneuerte EM-Reifen bei Marangoni grundsätzlich in Vulkanisationsformen – eben wie ein Neureifen – gefertigt werden, investiert man aktuell in die so genannte „Recaflex“-Technologie, die andernorts auch gelegentlich als „Smooth-and-Groove“-Verfahren bezeichnet wird.
Das Verfahren ist dabei hauptsächlich auf großdimensionierte EM-Reifen ab 49 Zoll wie auch auf kleinere Dimensionen ausgelegt, deren Nachfrage keine eigenen Vollvulkanisationsformen rechtfertigen würde. Bei der „Recaflex“-Technologie wird der EM-Reifen entweder in einer profillosen Vulkanisationsform oder – bei den großen Größen – gleich im Autoklaven vulkanisiert (der im Übrigen nicht von Marangoni Meccanica gebaut wurde). Nachdem der Voll-Slick-Reifen abgekühlt ist, schneidet eine computergesteuerte Anlage, die wiederum von Marangoni selbst entwickelt und gebaut wurde, das Profil mittels Klingen in den Reifen. Das Verfahren lässt sich mit dem „Schneiden von Hand“ vergleichen, das hier und dort zu Entwicklungszwecken noch in der Neureifenindustrie angewandt wird.
Vor zwei Jahren wurde der erste Recaflex-Reifen von Marangoni in 49 Zoll auf den Markt gebracht; nun sind auch runderneuerte Recaflex-EM-Reifen in 36.00R51 verfügbar. Dabei werden alle Recaflex-Reifen oberhalb von 49 Zoll grundsätzlich im Autoklaven vulkanisiert, da dies produktionstechnisch die einfachere und günstigere Alternative zur Runderneuerung in der profilierten Vulkanisationsform darstelle, so Luca Mai bei einem Rundgang durch die EM-Runderneuerung in Rovereto. Auch wenn die Nachfrage nach diesen so genannten „Giant Tyres“ innerhalb Europas nur begrenzt ist, da hier eben die Anzahl großer Minen- und Tagbaubetriebe sehr gering ist, plane man dennoch die Produktion von 57 und sogar 63 Zoll großen EM-Runderneuerten nach dem Recaflex-Verfahren. Die Nachricht, die man damit transportieren möchte, ist relativ einfach, so der Produktverantwortliche: „Wir sind in der Lage, jeden einzelnen Reifen rundzuerneuern.“ Wie viele der 51-Zoll-Recaflex-Reifen bei Marangoni in Rovereto gefertigt werden, will das Unternehmen nicht nennen; es werde allerdings an sechs Tagen die Woche rund um die Uhr produziert. Die ersten Recaflex-Reifen wurden bei Marangoni übrigens schon vor rund 20 Jahren gefertigt, damals allerdings nur kleine Standardgrößen.
Neben diesen Veränderungen bei der Produktionstechnologie, die es Marangoni erlauben, das Produktsortiment weiter auszubauen, hat der italienische Runderneuerer in der jüngsten Vergangenheit deutlich in die Optimierung der verfügbaren Mischungen investiert, die beim Neuaufbau des Profils, der Schulter, der Seitenwand und des Unterbaus genutzt werden und die allesamt am Standort in Rovereto selbst gefertigt werden. „Wir passen den Reifen den individuellen Wünschen unseres Kunden an“, so Luca Mai. So seien heute etwa fünf Standardmischungen für die Lauffläche eines EM-Reifens von Marangoni verfügbar. Während Runderneuerte bis zu 35 Zoll in der Regel mit standardisierten Mischungen aufgebaut werden, stimme man sich bei den größeren Reifen intensiv mit dem Kunden und dessen Wünschen ab und individualisiere die Mischung; 90 Prozent der von Marangoni in Rovereto runderneuerten EM-Reifen sind so genannten „Customer-owned-Casings“, also Kundenkarkassen. Darin kommt einerseits die Erwartungshaltung des Kunden zu Ausdruck, der sein kostbares Gut „Reifen“ weiterhin als wichtigen, teilweise zentralen Produktionsfaktor nutzen will. Andererseits spiegelt die Individualisierung aber auch die Erkenntnis wider, dass Standardreifen für einfache Standardanwendungen wenn nicht heute schon, dann aber doch in naher Zukunft auch adäquat aus Fernost zu beziehen sind. Individualisierung ist folglich auch das Alleinstellungsmerkmal eines – ohnehin schon – führenden Runderneuerers. Konsequenterweise sei dies der Bereich, in den kontinuierlich weiter investiert wird
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