Strukturelle Änderungen bevorzugen Großhändler
Für Siegfried Schlacks ist der Großhandel mit Reifen seit über 30 Jahren ein pragmatisches Geschäft. Der Deutsche betreibt im holländischen Grenzort Venlo seit 1984 das Unternehmen Euro-Tyre B.V. Import-Export und hat dies seither zu einer namhaften Größe im internationalen aber hauptsächlich im deutschen Reifengroßhandel ausgebaut. Dabei empfindet er es nach wie vor als großen Vorteil für sich und gegenüber seinen Kunden, dass Euro-Tyre, wie er sagt, wohl ganz ohne direkte Lieferungen aus der Reifenindustrie auskommt. Somit sei er niemandem auf Herstellerseite Rechenschaft schuldig und folglich Regisseur des eigenen Handelsbetriebes. „Wir sind ein real independent“, formuliert Siegfried Schlacks die vermeintliche Stärke seines Unternehmens. Dass Euro-Tyre mit dieser Herangehensweise offenbar richtig liegt, zeigt sich bei einem Besuch in Venlo.
Großhandelsbetrieben in Europa spielt deutlich ein allgemeiner Markttrend in die Hände. Während die Absatzzahlen auf den Ersatzmärkten im Durchschnitt im unteren einstelligen Bereich wachsen, können sich Großhändler in der Regel über zweistellige jährliche Zuwachsraten freuen. Dies trifft auch auf das im holländischen Venlo beheimatete Unternehmen Euro-Tyre B.V. zu, das wenigstens die Hälfte seiner Geschäfte mit deutschen Kunden macht. Wie Michael Istel im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG betont, erwarte man im laufenden Geschäftsjahr einen Umsatz- sowie einen Absatzzuwachs in Höhe von knapp 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wie bereits früher berichtet, hatte Euro-Tyre im vergangenen Geschäftsjahr rund 1,2 Millionen Reifen verkaufen können. Wie der designierte Nachfolger von Firmengründer und Geschäftsführer Siegfried Schlacks sagt, habe man bereits Ende Juli den Umsatz des vorherigen Geschäftsjahres eingestellt. Bei Euro-Tyre läuft das Geschäftsjahr vom 1. Oktober bis zum 30. September.
Dieses Wachstum spiegele sich auch in den Veränderungen im Zentrallager wider, so Istel bei einer Führung. Derzeit werde das Gebäude mit der Spedition Intrapex geteilt; Euro-Tyre nutzt vier Lagerhallen, die Spedition eine fünfte. Beide Unternehmen haben 1999 das Gebäude gemeinsam in einem Industriegebiet direkt an der Autobahn gelegen errichtet (A 40 diesseits der deutsch-holländischen Grenze), nachdem sie bereits vorher an einem anderen Standort in Venlo zusammen untergebracht waren. Später hat Euro-Tyre die Immobilien dann gänzlich übernommen. In den Jahren seit der Inbetriebnahme des neuen Zentrallagers hat sich der Anteil der 15.000 m² großen Grundfläche, den der Reifengroßhandel nutzt, erweitert, so dass man heute auf einer Lagerfläche von rund 20.000 m² in vier Hallen bis zu 350.000 Reifen lagert. Der durchschnittliche Lagerbestand pro Halle, so Michael Istel, liege bei 65.000 bis 70.000 Reifen, die auf drei Etagen in den direkt aneinander grenzenden Lagerhallen verteilt sind.
Die Reifen werden im Übrigen durch ein spezielles Liftsystem der Firma Keiper in den zweiten und dritten Stock des Lagers transportiert, das man 2002 installiert hat. Dies bringe eine Erleichterung für die Lagerarbeiter und straffe gleichzeitig die Abläufe bei der Einlagerung neu angelieferter Reifen, ergänzt Siegfried Schlacks. Auf dem Hof des Unternehmens in der Nähe der fünf Ladestationen stehen auch aus eben diesem Grund auffällig wenig Reifen herum, die auf Einlagerung warten.
Da sich die benachbarte Spedition Intrapex demnächst nach einem neuen Standort umsehen wird, kann Euro-Tyre auch die fünfte Lagerhalle künftig mitnutzen, wodurch die maximalen Kapazitäten sowie die Verfügbarkeiten von Reifen weiter steigen werden. Auch könne der logistische Ablauf dann noch weiter optimiert werden, so Istel weiter, denn die fünfte Halle biete nicht nur zusätzliche Kapazitäten, sondern auch sieben zusätzliche Ladestationen, so dass künftig an zwölf Stationen gleichzeitig gearbeitet werden kann. Mit der fünften Halle, die sich unter dem selben Dach befindet wie die vier bereits bestehenden Euro-Tyre-Hallen, kommen darüber hinaus noch 450 m² Bürofläche hinzu – die Verwaltungsräume der Spedition. Siegfried Schlacks ist durchaus zuversichtlich, dass auch die Spielräume im erweiterten Lager bald optimal genutzt werden.
Dass Euro-Tyre diese zusätzlichen Lagerkapazitäten nicht nur wegen seines strukturellen Wachstums gut gebrauchen können wird, sondern auch durch die Erweiterung des eigenen Produktsortiments, wird von Siegfried Schlacks und Michael Istel im Gespräch zwar nur angedeutet. Dennoch scheint Euro-Tyre kurz davor zu stehen, weitere Exklusiv- und/oder Eigenmarken ins Portfolio aufzunehmen. Demnächst – eventuell ab dem kommenden Sommer – wird Euro-Tyre neben Silverstone (Malaysia und neuerdings China), Fate (Argentinien) und Westlake (China) ein weiteres Fabrikat exklusiv für den hiesigen Markt ins Sortiment nehmen können. Es handele sich dabei um Pkw-Reifen einer „asiatischen Marke“, lässt sich Istel entlocken, die Euro-Tyre sehr wahrscheinlich exklusiv in ganz Europa (außer Russland) vertreiben wird. Winterreifen stünden auch auf dem Programm. Daneben sei man mit einem anderen Hersteller über die exklusive Vermarktung eines weiteren Fabrikats im Gespräch. Dies sollen Pkw- und Nutzfahrzeugreifen sein. Da die Verhandlungen über diese beiden Exklusivmarken derzeit aber noch nicht abgeschlossen sind, wolle man keine weiteren Details veröffentlicht sehen. Dies werde zu gegebener Zeit geschehen. Für die drei oben genannten Marken Silverstone, Fate und Westlake besitzt der holländische Großhändler im Übrigen nur die Vertriebsrechte für Deutschland und die Beneluxstaaten.
Euro-Tyre ist derzeit noch einer der wenigen Reifengroßhändler, der ohne Private Brands bzw. Eigen- oder Handelsmarken (je nachdem, welchen Begriff man bevorzugt) gut über die Runden kommt. Dies könnte sich aber in naher Zukunft ebenfalls ändern. Man verhandele derzeit mit einem – wie es heißt – chinesischen Hersteller über die Fertigung einer „Hausmarke“, wie Michael Istel es nennt. Es gehe dabei zunächst um Lkw-Reifen, noch nicht um Pkw-Reifen, ergänzt Siegfried Schlacks. Aber auch hier sind noch keine Unterschriften geleistet worden.
Der Vorteil von Private Brands wie auch von Exklusivmarken liege dabei auf der Hand, weiß der Geschäftsführer. Während ein Großhändler immer im Wettbewerb mit zahllosen anderen steht, wenn er Michelin-Reifen etc. vertreiben will und hier die Preise im Zweifel nur geringe Margen zulassen, kann er bei Eigen- und Exklusivmarken „eine hauseigene Preispolitik“ betreiben – es gebe „keine Störfaktoren“ und „ohne Abhängigkeiten“ könnten „marktgerechte Preise“ erzielt werden, ist man in Venlo überzeugt. Diese unternehmerische Unabhängigkeit sei für Schlacks sogar „das größte Pfund, mit dem ich wuchern kann“.
Außerdem sei die Aufnahme einer Private Brand ins Portfolio „die logische Konsequenz der eigenen Größe“. Und diese habe Euro-Tyre insbesondere aufgrund logistischer Rahmenbedingungen erreicht.
So liegt der Standort Venlo nur wenige Kilometer von Deutschland entfernt, dem größten Markt für den Reifengroßhändler, und biete somit – auch traditionell – eine gute Ausgangsbasis für Handelsaktivitäten. Venlo sei die „logistische Drehscheibe“ in Westeuropa, von wo aus auch das Ruhrgebiet in einer knappen halben Stunde erreicht werden kann; Duisburg liegt lediglich 45 Kilometer entfernt. Kunden innerhalb des regionalen Umfelds könnten, wenn sie bis 11 Uhr bestellen, sogar noch am selben Abend beliefert werden, sagt Michael Istel. In diesem Umfeld ist der Versand für Euro-Tyre-Kunden ab 20 Stück kostenfrei; bundesweit gilt dies ab einer Bestellmenge von 60 Reifen. Dabei wird der Versand von einzelnen Reifen komplett vom Paketdienst GLS übernommen, dessen regionales Zentraldepot in Neuss liegt, ebenfalls nur gut 50 Kilometer von Venlo entfernt. Dabei sei man mit GLS als Logistiker äußerst zufrieden, lasse sich durch die Zusammenarbeit die Reklamationsquote doch auf ein Minimum reduzieren. Größere Chargen werden hingegen mit einer Spedition versandt. Der Betrieb eines eigenen Fuhrparks stehe für Euro-Tyre nicht zur Debatte, erläutert Michael Istel, dieser sei „einfach zu kostenintensiv“, auch bei hoher Auslastung.
Aber nicht nur logistische, sondern auch strukturelle Rahmenbedingungen veränderten die „eigene Größe“. So ermögliche der allgemeine Markttrend hin zu Budget- und Low-Budget-Reifen es den in Europa beheimateten Großhändlern, als Handelspartner der Hersteller dieser Reifen zu fungieren. Diese Hersteller sind zumeist im Fernen Osten oder anderen entlegenen Ländern beheimatet, wie auch die Hersteller von Silverstone, Westlake oder Fate, und diese benötigen eben einen Distributionspartner, über den der Vertrieb abgewickelt werden kann. Das weitere Wachstum in diesem Marktsegment werde nach Einschätzung von Siegfried Schlacks stark sein. Aber auch das „geänderte Vertriebsmodell der Reifenindustrie“ spiele dem internationalen Reifengroßhandel und somit auch Euro-Tyre in die Hände. Es sind zumeist die westlichen Hersteller, die unter extremen Kostensituationen zu leiden haben und sich folglich darum bemühen, Apparate und Abläufe zu verschlanken. Von dieser Situation kann ein Großhändler als spezialisierter Logistiker ganz offenbar profitieren.
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