REACH erreicht Reifenindustrie indirekt
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, den Handel mit chemischen Substanzen möglichst sicher zu gestalten. Selbst für so genannte Großchemikalien, von denen jährlich tausende Tonnen produziert und in Verkehr gebracht werden, stehen kaum verlässliche Informationen über deren Gefährlichkeit zur Verfügung. Um diesem vermeintlichen Missstand ein Ende zu setzten, hat die EU-Kommission einen Entwurf zur Neuordnung der Chemikalienpolitik vorgestellt: REACH. Die Kosten für die Registrierung der einzelnen Stoffe, die – so heißt es – bis zu 250.000 Euro betragen könne, wird aber wohl nicht die Reifenindustrie zu tragen haben, jedenfalls nicht direkt…
Die neue Verordnung, über die Mitte Oktober in erster Lesung im Europäischen Parlament in Straßburg abgestimmt wurde, wird das Anmelden (Registrieren), Bewerten (Evaluieren) und Zulassen (Autorisieren) von Chemikalien regeln, daher auch REACH. Nach dem Motto „No Data, No Market“ dürfen künftig nur noch Stoffe in Verkehr gebracht werden, so das Umweltbundesamt, zu denen ein ausreichender Datensatz vorliegt, der sich in Art und Umfang in erster Linie nach dem jeweiligen Produktionsvolumen richtet. Gefordert werden Daten für alle Stoffe, die in einer Menge von einer Tonne pro Jahr in der EU produziert oder in die EU importiert werden.
Nach dem Prinzip der Beweislastumkehr überträgt REACH die Verantwortung für die Überprüfung der Chemikaliensicherheit von den nationalen Behörden auf die Hersteller und Importeure. Sie müssen künftig überzeugend darstellen, dass ihre Produkte sicher zu handhaben sind und weder die Gesundheit der Weiterverarbeiter oder Verbraucher, noch die Umwelt über Gebühr belasten. Hersteller in diesem Zusammenhang sind allerdings nicht die Reifenhersteller, denn diese kaufen die chemischen Substanzen, die für die Reifenproduktion genutzt werden, in der Regel nur zu. Sondern direkt von den Registrierungskosten betroffen werden die Unternehmen der chemischen Industrie sein. Beim Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (WdK) geht man davon aus, dass rund 400 chemische Stoffe aus der Reifenproduktion registriert, evaluiert und analysiert werden müssen. Dazu wird in Helsinki (Finnland) eigens eine neue EU-Behörde eingerichtet, die Europäische Agentur für chemische Stoffe.
Die in der Reifenindustrie genutzten Chemikalien wie Beschleuniger, Alterungsschutzmittel, Weichmacher, etc., dürften allesamt die Menge von einer Tonne pro Jahr übertreffen, so dass REACH also generell in der Reifenbranche greift. „Bei der Registrierungspflicht ist von Stoffen, nicht von Zubereitungen die Rede“, sagt Johann Hattinger. Und: „Wir stellen ja keine chemischen Stoffe, sondern Zubereitungen her“, so Kraiburgs Umweltmanager im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. In Österreich mache man sich folglich keine großen Sorgen um die vermeintlich hohen Registrierungskosten, da man eben kein Rohstoffhersteller gemäß REACH sei, sondern diese lediglich weiterverarbeite. „Ich bin zuversichtlich, dass wir außen vor sind“, so Hattinger weiter.
Dennoch wird dies nicht bedeuten, dass der finanzielle Mehraufwand für die Registrierungspflicht an der Reifenindustrie vorüber geht. Dass diese Kosten weitergegeben werden, „davon kann man ausgehen“, so der Kraiburg-Umweltmanager. Diesem zusätzlichen Kostenfaktor könne man insofern gelassen gegenüberstehen, meint Hattinger, da sie auf einen Laufstreifen bzw. auf einen Neureifen umgerechnet kaum mehr ins Gewicht fallen – die betroffenen chemischen Stoffe werden schließlich zu hunderten Tonnen von der Reifenindustrie abgenommen, da sei eine einmalige REACH-Gebühr beinahe unerheblich. Daneben erschienen die explodierenden Rohstoffkosten viel mehr als Problem, kommentiert Kraiburgs Umweltmanager.
Über 40 zurzeit gültige Richtlinien und Verordnungen, die EU-weit den Umgang mit Chemikalien regeln, sollen von REACH integriert bzw. abgelöst werden. Dabei findet die wesentliche Struktur von REACH – die 117 Artikel, die sich der Regulierung widmen – auf etwa 70 Druckseiten Platz, der Rest sind im Wesentlichen auch jetzt schon existierende Anhänge und Ausführungsbestimmungen für Labore.
Insgesamt wird REACH etwa 30.000 im Handel erhältliche Stoffe erfassen, bis zu 1.500 besonders besorgniserregende Stoffe werden zulassungspflichtig. REACH erreiche bedeutende Verbesserungen, darunter eine größere Transparenz über die gesamte Produktkette und ein Ende der innovationsfeindlichen Bevorzugung der Altstoffe, heißt es vonseiten des Umweltbundesamtes. Dieser Aspekt könnte dann allerdings doch direkte Auswirkungen auf die Reifenindustrie haben. Sollten beispielsweise für das Eigenschaftsbild eines Reifens wichtige chemische Stoffe nicht nach REACH registriert werden, da sie zulässige Grenzwerte übertreffen, müsste die Reifen- und die Zuliefererindustrie nach Alternativstoffen suchen, die unter Umständen die Leistungsfähigkeit und den Preis eines Reifens negativ aber auch positiv beeinflussen können – eine gesetzlich verordnete Innovationspflicht. Dies wirkt sich natürlich auch kostenseitig aus.
Die neue Verordnung wird voraussichtlich 2007 in Kraft treten.
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!