Das Abenteuer der besonderen Art
Wenn jemand aus der Reifenbranche heute das Wort Rumänien hört, denkt er sicherlich zuerst an das Reifenwerk der Continental AG, das dort seit fünf Jahren in Betrieb ist und bereits jetzt zu den größten Werken der Welt gehört, indem ab dem Ende des Jahres über elf Millionen Reifen jährlich hergestellt werden können. Rumänien gehört mit dem Gebirgszug der Karpaten aber auch zu den unzugänglichsten Offroadgebieten Europas, für das es außerdem nur sehr schwer eine Genehmigung gibt. Die Continental hat jetzt im Rahmen der Conti-Romania-Trophy beides miteinander verbunden und in diesem Jahr schon über 200 Reifenhändler an einem Abenteuer der besonderen Art teilnehmen lassen.
Von all den vielen Abenteuern, die man heutzutage auf der Welt erleben kann, liegen die meisten außerhalb des eigenen Blickwinkels, obwohl doch ganz nah. So ist es auch mit einer Geländewagensafari durch die Karpaten, einem der größten und unwegsamsten Waldgebiete Europas. So wie die Continental es (noch) als Herausforderung betrachtet, mit eigenen Profilen in den internationalen 4×4-Markt vorzudringen, so sahen es die Verantwortlichen der Conti-Romania-Trophy auch als Herausforderung an, einem guten Dutzend Teilnehmern die Gelegenheit zu geben, mit landestypischen Aro-Geländewagen auf eine zweitägige Klettertour in die Karpaten zu fahren.
Dabei stellte sich bereits nach kurzer Zeit die Frage, was die größere Herausforderung war: die Beherrschung der eigenwilligen rumänischen Geländewagen, die in Deutschland aufgrund ihrer Abgaswerte seit längerem nicht mehr zugelassen werden dürfen, oder eben das Fahren selbst durch das bewaldete Gebirge. Ob undefinierbare Geräusche aus dem Getriebe, Qualm aus dem Kühler oder das Herausspringen des Allrads – all das sind übliche Unwägbarkeiten, denen sich Offroader regelmäßig konfrontiert sehen und für die das Team der Continental zu jeder Zeit Lösungen parat hatte und somit die Fahrzeuge am Laufen hielt. Auch die hart zu schaltenden Gänge und die widerspenstige Geländeuntersetzung ließen den einen oder anderen von noblen Luxus-SUVs träumen. Diese aber wären in einem Land wie Rumänien im doppelten Sinne fehl am Platze: Einerseits muss ein rumänischer Arzt seinen Nettolohn von wenigstens 27 Jahren harter Arbeit zusammenlegen, um in Deutschland das Einstiegsmodell des Porsche Cayenne kaufen zu können. Andererseits benötigt man auf dem anspruchsvollen Abenteuerspielplatz der Karpaten anspruchslose Allrounder und keine SUV-Diven.
Es ist gerade das Gelände der Karpaten, das von Mensch und Material die höchste Anspannung verlangt. Die meisten Rumänen, die in den Karpaten ihr karges Auskommen in der Forst- oder Landwirtwirtschaft suchen, schütteln nur den Kopf, wenn sie hören, dass ‚diese Deutschen’ mit Geländewagen den Versuch wagen. Einen Versuch eben, den die Waldarbeiter nur auf überdimensionierten Rückefahrzeuge mit immensen Floatation-Reifen wagen und die Schafhirten bestenfalls auf dem Rücken eines Pferds.
Wie sich allerdings aus Anlass der Conti-Romania-Trophy herausstellte, ist auch der ContiCrossContact AT durchaus in der Lage, auch ein schwieriges Geländes wie die Karpaten zu meistern. Der CrossContact AT wurde bereits im Frühjahr 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt, wird aber erst jetzt intensiv am Markt platziert. Wolfgang Thomale sieht in dem Produkt ein Bindeglied zwischen den 4×4-Reifen, die sich an hochmotorisierte SUVs richten, und den 4×4-Reifen, mit denen sich der Fahrer des Allradfahrzeugs auch wirklich ins Gelände traut. Die Produktstrategie des Konzerns sieht in diesem Marktsegment allerdings die US-Marke General Tire zu Hause, die traditionell abseits asphaltierter Straßen ihre Stärken hat, so Contis 4×4 Sales Development Manager. Wenn General Tire also vom Gelände auf die Straße fährt, dann macht der ContiCrossContact AT Ausflüge von der Straße ins Gelände.
„Wir wollen ein relativ breites Segment zur Verfügung stellen“, erläutert der Produktverantwortliche, der sein Büro im belgischen Herstal hat. Vor etwa 20 Jahren hatte man noch alles, was sich jenseits befestigter Straßen abspielte, der amerikanischen Zweitmarke des deutschen Reifenherstellers überlassen. Dies hat sich seitdem stark verändert. Entsprechend der Markenstrategie des Konzerns wird es auch künftig keine MT-Profile unter dem Namen der Premiumbrand geben. Dieses „sehr spezifische Segment“ werde General Tire überlassen bleiben, das dort unzweifelhaft seine Stärken hat.
Entsprechend der wachsenden Bedeutung des 4×4-Reifenmarktes in Deutschland und Europa (siehe NEUE REIFENZEITUNG Juli 2005) versucht selbstverständlich auch der deutsche Hersteller, seinen Anteil einzufordern und forciert nicht nur seine Produktstrategie, sondern eben auch seine Marketingstrategie. Bereits im vergangenen Jahr hat die Continental drei Veranstaltungen in Rumänien auf die Beine gestellt, um ihren Kunden das Thema 4×4-Reifen etwas näher zu bringen. In diesem Jahr dann war man gleich 15 Mal mit Reifenhändlern nach Rumänien gereist, um ebendiesen Effekt zu erzielen, mit Erfolg, wie Wolfgang Thomale bestätigt.
Der ContiCrossContact AT eignet sich für den Betrieb auf Asphalt, Schotterstrecken, verschlammten Wegen und Sandpisten – all das sind die Bedingungen, die der geneigte Offroad-Anfänger oder -Experte in den Karpaten vorfindet. Hier kann der CrossContact AT seine Stärken ausspielen: Gute Fahreigenschaften in unwegsamen Gelände haben die Reifenentwickler durch die offene Schulter des CrossContact AT erreicht. Damit gelingt nicht nur die gute Verzahnung mit losem Untergrund, sondern auch gute Kurveneigenschaften auf unwegsamen Strecken. Durch eine besonders robuste Laufflächenmischung werden Verletzungen und Einkerbungen bei Geländefahrten vermieden und eine gute Laufleistung erzielt. Dies sind insbesondere Eigenschaften, ohne die bei der Conti-Romania-Trophy gar nichts geht. Aber selbst wenn – irgendwo ist auch für den Allrounder aus Hannover Schluss. Übrigens: Der CrossContact AT wird nicht in Hannover, sondern in Portugal, Frankreich, Mexiko und den USA hergestellt. Es gibt ihn mit Freigaben bis zu 210 Km/h sowie in 15 bis 17 Zoll Größe; insgesamt kommen 20 verschiedene Größen zusammen, die zwar nicht in der Erstausrüstung verbaut wird, wohl aber für populäre Allradfahrzeuge wie Landrover Defender, Mitsubishi Pajero, Mercedes G-Klasse oder Toyota Landcruiser nachrüstbar ist.
Wie bereits seit Jahren, so besteht nach wie vor ein starkes Wachstum auf dem Markt, insbesondere innerhalb Europas. „Wir haben einen Nachholbedarf im europäischen Bereich“, sagt Wolfgang Thomale, und hofft darauf, dass Continental im Zuge des allgemeinen Marktwachstums von um die zehn Prozent (2004: +11 % 4×4-Reifen) seinen Marktanteil wird ausbauen können. Die optimistischen Aussichten sind sicherlich zum Teil berechtigt, obwohl allerdings die ersten Signale einer gewissen Sättigung am Markt zu erkennen sind. Dennoch: Der Markt für „spritschluckende Monsterautos“, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst in einem Kommentar, wird weiterhin stärker steigen als der Rest des Marktes. Somit haben auch die Reifenhersteller gute Gründe, auf den Trend entsprechend zu reagieren. Dennoch bezweifelt es der 4×4 Sales Development Manager, dass es in Europa in naher Zukunft amerikanische Verhältnisse gibt. Dort zählen heutzutage etwa 30 Prozent der zugelassenen Pkw in die 4×4-/SUV-Kategorie. Während es „1985 lediglich 35 Fahrzeugmodelle im europäischen Markt gab, so gibt es heute bereits etwa 90, und bis 2008 werden wohl noch circa 27 Modelle hinzukommen“, so Thomale. Dies ist knapp eine Verdreifachung innerhalb von 20 Jahren.
Obwohl man sich bei Continental wohl auch eingesteht, dass man noch nicht schnell genug wachse, sieht man sich mittlerweile vom Produktkonzept und vom Marketingkonzept her gut aufgestellt für den lukrativen Nischenmarkt. Darüber hinaus arbeite der Konzern intensiv daran, die Verfügbarkeit der Produkte am Markt zu erhöhen: „Die Grundlagen sind gelegt.“
Timisoara: Conti-Werk mit Maßstäben
Zu den Grundlagen für den Markterfolg zählt immer auch die Überzeugung der Reifenhändler, mit einem innovativen und finanzstarken Unternehmen zusammenzuarbeiten. Diesbezügliche Eindrücke liefert das Reifenwerk in Timisoara zur Genüge. Die Conti-Romania-Trophy ist die ideale Gelegenheit, einen kleinen Abstecher ins nahe gelegene Werk zu machen, einem der größten im Conti-Konzern. In Timisoara, das zur Zeit der Habsburger-Monarchie noch Temeschburg hieß, hat der deutsche Reifenhersteller und Automobilzulieferer bisher bereits 150 Millionen Euro investiert, erläutert Ildiko Kovacs, die als PR-Koordinator für das Werk in Rumänien arbeitet. In diesem Jahr kommen weitere 20 Millionen Euro hinzu, so dass die über 1.000 Mitarbeiter dann insgesamt 11,2 Millionen Reifen pro Jahr herstellen werden. Ein Blick in die moderne Reifenherstellung zeigt auf den ersten Blick, dass darüber hinaus noch weiterer Spielraum für Investitionen in die Kapazitätserweiterung besteht. Dies sieht auch der Konzern so: Bis 2008 will man in der Lage sein, knapp 16 Millionen Reifen jährlich in Timisoara herzustellen. Neben den zahlreichen Private Brands, die die Continental AG hier herstellt, sind es hauptsächlich so genannte Brot-und-Butter-Reifen der Größen 13 bis 15 Zoll sowie mit Speedindizes bis einschließlich V, die das Werk derzeit verlassen. Wenn die 16-Millionen-Grenze erreicht ist, habe man das Potenzial des Werkes allerdings voll ausgeschöpft, mehr gibt der verfügbare Platz nicht her, denn einerseits handelt es sich bei dem Bau des Reifenwerkes zwar schon um ein so genanntes „Greenfield“-Projekt, andererseits steht das Werk nicht auf der grünen Wiese, sondern immer noch relativ zentral in der Stadt mit ihren 400.000 Einwohnern.
Erst seit diesem Jahr betreibt die Continental Automotive Products SRL, so der eingetragene Unternehmenstitel, eine eigene Mischerei in Timisoara; bis dahin wurden alle Gummimischungen ausnahmslos aus dem österreichischen Traiskirchen zugeliefert (Semperit), das etwa 600 Kilometer entfernt liegt. Aber auch in der Vormaterialien-Produktion zeigt sich die Ausbaufähigkeit der Anlage.
Auch Klaus Engelhart ist froh, dass ein Abstecher zum Reifenwerk während der Conti-Romania-Trophy gelungen ist. Der Pressereferent aus Hannover, der dort für die Marken Continental, Barum und Semperit zuständig ist, zeigt sich überzeugt von den Möglichkeiten, die dem Konzern durch die Inbetriebnahme des Timisoara-Werkes vor fünf Jahren geboten werden. Ein Besuch des Werkes sei zwar kein zwingender Programmpunkt der Trophy, dennoch zeigt er, was sich bereits bei den ersten Kontakten zu ortsansässigen Rumänen andeutet: „Vieles von dem, was wir so hören, ist Klischee“, und versucht mit überkommenen Vorurteilen gegenüber Rumänien und Rumänen aufzuräumen, die sich nur anhand von Einzelfällen festmachen lassen.
Ob es nun ein Klischee oder die Wirklichkeit ist, dass Reisende, Einheimische und natürlich Schafe in den Karpaten von Wölfen und Bären bedroht werden, ließ sich glücklicherweise aus Anlass der Conti-Romania-Trophy nicht feststellen. Dennoch ist sicherlich nicht jeder mit einem guten Gefühl die rund zwei Meter hoch ins Zelt auf dem Autodach gestiegen, das als Schlafstatt vorgesehen war. Allein eine solche Nacht jedenfalls rückt das Abenteuer, das man heutzutage noch erleben kann, wieder in den eigenen und den nahen Blickwinkel.
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