Welche Aftersales-Strategien sind die richtigen?

Europa ändert sich, und mit ihm auch die Rahmenbedingungen für ökonomisches Handeln. Dies betrifft nicht zuletzt die Reifen-, Automobil- und Zuliefererbranche, stellen sich doch in einem grenzenlosen Europa neue Herausforderungen, denen mit neuen Strategien begegnet werden muss. Dieser aktuellen Entwicklung trägt die Unternehmensberatung BBE Rechnung, indem sie nun bereits zum 6. Mal ihr „Kölner Aftersales Forum“ anbot, das mit namhaften Referenten der Automotive-Branche sowie zahlreichen Zuhörern aufwartete.

Zunächst einmal stellte Eckhard Brandenburg die allgemeinen Rahmenbedingungen vor und tat dies beispielhaft anhand ausgewählter europäischer Länder. Nach Darlegung der Datenlage aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien – den wichtigsten Staaten für die europäische Automotive-Branche – kommt der Senior Consultant der BBE Unternehmensberatung zu dem Schluss, dass der (Hersteller-)gebundene Markt in allen fünf Ländern weiter unter Druck geraten werde. Langfristig, so Brandenburg, werde der gebundene Markt seine Position allerdings behaupten können und wird zu diesem Zweck alle notwendigen Mittel ergreifen. Der freie Markt andererseits wird in den fünf betrachteten Ländern weiter an Profil gewinnen. Diese Entwicklung werde flankiert durch eine zunehmende Kooperationalisierung freier Werkstätten und Händler. Damit wird eine zunehmende Professionalisierung einhergehen.

Daten wie das Bevölkerungswachstum und die Entwicklung der Fahrzeugbestände sowie – als Ausdruck dieser beiden Variablen – die Veränderung bei der Pkw-Dichte seien allesamt Einflussfaktoren, die den Aftermarket beeinflussen. Hinzu kommen selbstverständlich Trends, die das durchschnittliche Fahrzeugalter betreffen und damit einhergehend das Bedürfnis der Endverbraucher, von der Vertragswerkstatt hin zur – vermeintlich – günstigen freien Werkstatt zu wechseln. Weitere wesentliche Einflussfaktoren für kommende Entwicklungen sind etwa Änderungen beim nationalen Geschmacksmusterrecht, das nach dem Willen der EU-Kommission eine so genannten Reparaturklausel enthalten soll, wonach sichtbare, karosseriebezogene Ersatzteile vom Designschutz des Herstellers ausgenommen werden. Als letzten wenn nicht gar wichtigsten Einflussfaktor auf die Rahmenbedingungen des Aftermarktes ist natürlich die Gruppenfreistellungsverordnung, die GVO.

Neben die strukturellen und rechtlichen Einflussfaktoren treten die technologischen Entwicklungen. Eine qualitative technischen Verbesserung, so Eckhard Brandenburg, führe zu einer Verbesserung der Teilelebensdauer. Die Verschleißhäufigkeit sinke, der Reparaturbedarf gehe zurück und Wartungsintervalle verlängerten sich. Hinzu komme, dass die technischen Herausforderungen, die Reparaturen mit sich bringen, für beide – den Mechaniker wie auch den handwerklich begabten Endverbraucher – stets zunehmen. Dies bedeute einerseits ein höheres Investitionsaufkommen aufseiten des Werkstattbetreibers, andererseits können aber auch immer weniger Reparaturen in Eigenregie durch den Endverbraucher vorgenommen werden. Diese technologischen Entwicklungen berührten alle fünf Länder gleichermaßen, so dass sich Serviceanbieter in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien darauf einstellen müssen.

Ein Teil der Gruppe der Serviceanbieter, die sich einstellen müssen und dies bereits seit Jahren mit Erfolg tun, ist der Fachmarkt. Denkt man in Deutschland an den Distributionsweg Fachmarkt, kommt man am Branchenprimus Auto-Teile-Unger (ATU) nicht vorbei. ATU ist in Deutschland mit Abstand die Nummer 1, „und danach folgt lange Zeit nichts“, weiß Detlef Saemisch. Der Unternehmens- und Personalberater war 18 Jahre lang bei ATU beschäftigt und leitete dort das Marketing und den Vertrieb. Während dieser Zeit hat er das rasante Wachstum von Auto-Teile-Unger hin zu einem der größten Anbieter seiner Art weltweit begleitet, geht aber mittlerweile kritisch mit den weiteren Wachstumsmöglichkeiten der Kette um.

Derzeit gibt es in Deutschland, Österreich und Tschechien über 500 Niederlassungen, doch das nächste Ziel ist bereits formuliert: 800. Laut Detlef Saemisch hätten sich bisher bereits gewisse Probleme durch das Wachstum eingestellt. Das Unternehmen, das 2002 das erste Mal verkauft (an die Investorengruppe Doughty Hanson) wurde, hat etwa einen immensen Personalbedarf. Jährlich werden teilweise bis zu 2.500 Mitarbeiter für die Filialen eingestellt und angelernt. „Dieses Wachstum schafft Probleme“, so Saemisch: „Die Personalqualität wurde teilweise in diesen Jahren ziemlich reduziert.“ Es seien „Zweite zu Ersten“ gemacht worden, die ihrer neuen Verantwortung nicht gerecht würden.

Ein weiteres Problem, unter dem die stark wachsende ATU-Kette laut Detlef Saemisch zu leiden hat, ist die „Kannibalisierung“ der Umsätze. Dies sei insbesondere in Großstädten der Fall. Der Unternehmens- und Personalberater nennt im Rahmen des Aftersales Forums der BBE das Beispiel Dortmund.

Der ursprüngliche Plan von Auto-Teile-Unger aus den 1990er Jahren, das Unternehmen auf 400 Filialen auszubauen, sah für den Standort Dortmund drei Filialen mit acht bis zehn Boxen vor. Bei etwa 250.000 Fahrzeugen in Dortmund, für die ein durchschnittliches Reparaturaufkommen von je Euro, ergibt sich ein Marktvolumen von 125 Millionen Euro. Wenn man nun das „ehrgeizige aber nicht unrealistische“ Ziel von zehn Prozent Marktanteil in Dortmund ansetzt, ergibt sich ein Umsatz von 4,17 Millionen Euro pro Filiale. Das Problem: Es gebe keine Verdoppelung beim Umsatz, wenn doppelt so viele Filialen sich auf einem gegebenen Markt abmühen. Dennoch habe der „Plan 800“, so Saemisch, „zwischenzeitlich in Dortmund sechs Filialen“ vorgesehen (derzeit existieren fünf am Standort). Selbst unter idealen Bedingungen wie einer Vergrößerung des Marktanteils auf 15 Prozent würde sich der Umsatz pro Filiale von 4,17 auf 3,125 Millionen Euro pro Jahr verringern – „Kannibalisierung und Verdichtung der Umsätze“.

In Kleinstädten seien diese Marktanteilskämpfe noch viel schwieriger; in einer Stadt mit etwa 30.000 Einwohnern würde ein selbst 15-prozentiger Marktanteil ‚nur’ einen Umsatz von einer Million Euro bedeuten. Etablierte lokale Werkstätten und Handelsbetriebe hätten zumeist Platzhirschcharakter: „man kennt sich halt, ist in jedem Verein“, so dass die Bindung zum angestammten Betrieb nicht leicht durch eine ATU-Niederlassung aufgebrochen werden könne. Insgesamt führe ein „weiteres Wachstum über 800 hinaus nur über das Ausland“.

Darüber hinaus ist Berater Saemisch der Ansicht, dass die wirtschaftliche Situation die Verbraucher heute dazu zwinge, nach „alternativen, zeitwertgerechten Reparaturmöglichkeiten“ zu suchen. Dies bevorzuge insbesondere die inhabergeführten Fachmärkte mit einem lokalen Marketing, deren Anteil am Gesamtmarkt seit Jahren kontinuierlich wachse. Freie haben insbesondere ein gutes „Preis- und Qualitätsimage“ und hätten folglich „eine gute Zukunft in Deutschland“. Entscheidender Erfolgsfaktor für einen Fachmarkt sei aber die Werkstatt. So betreibe die Nummer zwei unter den deutschen Fachmarktketten Auto plus, die zu Carat gehört, heute etwa 100 Fachmärkte, die allerdings teilweise ohne angeschlossene Werkstätten seien. Nach Ansicht des Branchenexperten müsse ein Fachmarkt, der ohne Teile am Tresen und nicht über die Werkstatt (inklusive Einbau) etwa 30 bis 35 Prozent Abschläge beim Verkauf tolerieren, je nachdem, wie die Marktsituation vor Ort ist. Saemischs Fazit: „Ohne Werkstatt geht nichts.“

Auch müsse natürlich das Sortiment eines Fachmarktes stimmen. Diesbezüglich kann Auto-Teile-Unger natürlich niemand das Wasser reichen. Derzeit, so der ehemalige Marketing- und Vertriebsleiter der Kette, halte das Unternehmen etwa 130.000 Artikel in seinem Zentrallager in Weiden vor, „und es werden täglich mehr“. Vor 20 Jahren fing ATU mit gerade einmal 3.000 Artikeln an. Ein solches Lager sei zwar nützlich im Sinner einer Lieferbarkeit und Vorrätigkeit von bestellten Artikeln, verursache allerdings auch „enorme Kosten“, weiß der Unternehmens- und Personalberater. Und der Kunde vergleiche heute mehr denn je die Preise.

Wie erwähnt, spielt das Preis- und Qualitätsimage den Freien in die Hände. Den größeren Vertrauensvorschuss gewähren Endverbraucher allerdings den herstellergebundenen Vertragswerkstätten. Folglich müsse ein Fachmarkt mit angeschlossener Werkstatt in der Lage sein, „mindestens 20 Prozent unter der Vertragswerkstatt zu bleiben, besser 25 Prozent“. Sollte die Differenz geringer ausfallen, glaubt Saemisch, werde kaum jemand von der Vertragswerkstatt zum freien Anbieter wechseln.

Insgesamt seien die Marktchancen für weitere Fachmärkte in Deutschland aber gut. Man dürfe nur keinen falschen Stolz entwickeln, man dürfe ruhig von den Erfolgreichen lernen, sagt der Berater mit Blick auf ATU: „Die Kopie ist die ehrlichste Form des Kompliments.“

Den Part, über Erfolgsstrategien aus Sicht eines Reifenhändlers bzw. eines Reifenherstellers zu referieren, hatte Goran Zubanovic übernommen. Der Geschäftsführer der Goodyear Dunlop Handelssysteme tat dies unter besonderer Berücksichtigung des „Reifengeschäfts der Zukunft in Europa“.

Eins der wesentlichen Merkmale sei die zunehmende Konzentration auf vielen Gebieten. So hätten bereits in den vergangenen 25 Jahren etliche Reifenhersteller fusioniert und neue Reifenkonzerne gebildet, die über mehrere starke Marken verfügen. Gleiches gelte auch für die Netzabdeckung (siehe Grafik). Während die fünf größten Reifenhersteller der Welt Bridgestone, Michelin, Goodyear, Continental und Pirelli im Jahre 2000 ‚nur’ 6.089 Reifenhandelsbetriebe (Filialen und Franchise) in der Europäischen Union unter ihrer Kontrolle hatten, sind dies gegenwärtig bereits 8.244. Dies entspricht einer Steigerung von über 35 Prozent unter den herstellergebundenen Handelsbetrieben der fünf marktbestimmenden Hersteller (etwa 70 Prozent Weltmarktanteil).

Goran Zubanovic ist der Ansicht, dass sich ein entsprechender Trend auch in Zukunft fortsetzen wird und untermauert dies durch Beispiele aus seinem eigenen Haus. Zur Organisation der Goodyear Dunlop Handelssysteme gehören derzeit etwa 140 Premio-, 40 Quick- sowie 460 HMI-Betriebe; Holert Konz ging vor einem Jahr in Premio auf. Auch diese Fusion ist im Übrigen Ausdruck einer „Fusion auf wenige starke Marken“, wie GDHS-Geschäftsführer im Mai vergangenen Jahres auf einem Handelskongress sagte. Das Premio-Konzept, das bei der deutschen Handelstochter des amerikanischen Goodyear-Konzerns an oberster Stelle steht, soll das Konzept der Zukunft sein, so Zubanovic auf dem BBE-Aftersales-Forum in Köln: „Wir brauchen einen starken Handelsnamen.“ Vor dem Hintergrund stets internationaler werdender Kunden (Flottenbetreiber, etc.) müsse auch dieses Goodyear-Konzept internationalisiert werden. Osteuropa sei zwar derzeit noch „nicht stabil genug“, erfordere also eine besondere Herangehensweise. Dennoch ist sich Zubanovic sicher, dass das Premio-Konzept mit all seinen Leistungsbausteinen für die „heterogenen und fragmentierten Märkte“ Osteuropas das richtige Mittel sein wird, um entsprechend voranzukommen und die eigene Marktposition auszubauen, ließ Details über die Vorgehensweise des Konzerns allerdings unerwähnt.

Entsprechend der wachsenden geografischen und organisatorischen Ausdehnung der Goodyear-Handelsbetriebe spricht sich Zubanovic gerade für das Franchise-System und gegen herstellergebundene Systeme. Das Problem der letzteren sei es schlicht und ergreifend: „Sie dürfen nicht wie ein Händler denken.“ Dezentrale Entscheidungszentren in unternehmergeführten Betrieben erlaubten ein schnelles Reagieren; allmächtige Zentrale wirkten wie ein Hemmschuh. Die Vorteile eines dezentralen Franchise-Systems überwiegten sogar die Nachteile, die es mit sich bringt, so etwa das Problem der vielen verschiedenen Meinungen, die sprichtwörtlich an einem Tisch sitzen.

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