Hersteller nehmen russischen Markt ins Visier
Ein stark wachsendes Interesse bei Ausstellern und Besuchern der 8. Tires & Rubber-Messe in Moskau, Vertrauen in die eigene Herangehensweise bei Herstellern, Zulieferern und Importeuren und insgesamt optimistische Marktdaten – all dies deutet darauf hin, dass sich der russische Reifenmarkt weiterhin zu einem der interessantesten und am stärksten wachsenden der Welt entwickelt. Allein im vergangenen Jahr ist etwa der Markt für Pkw-Reifen – das treibende Moment in Russland – um etwa zehn Prozent gestiegen und wird sich bis 2010 vor dem Hintergrund einer ungebrochenen Nachfrage nach Autos noch einmal verdoppeln, so vorsichtige Schätzungen. Grund genug also für Hersteller und andere Marktteilnehmer, sich intensiv auf die sich verändernden Marktbedingungen einzustellen.
Zu den heimischen Herstellern mit den größten Chancen, die kommenden Herausforderungen zu meistern, gehört sicherlich die Amtel-Gruppe. Zu der nicht gelisteten Aktiengesellschaft, die zum Ende des Jahres an die Börse gehen will, gehören derzeit drei Reifenfabriken in Russland sowie eine in der Ukraine. Derzeit investiert Amtel kräftig, hat gerade eine neue Produktionslinie im Werk in Kirov für 50 Millionen US-Dollar in Betrieb genommen, baut derzeit ein neues Werk für Premium-Reifen neben ein bereits bestehendes in Voronezh für rund 60 Millionen US-Dollar und wird darüber hinaus Ende März dieses Jahres – wie bereits berichtet – den holländischen Reifenhersteller Vredestein zu 100 Prozent übernehmen. „Unser Ziel ist die Herstellung von Premiumreifen“, sagt Sudhir Gupta, der die Amtel-Gruppe seit Anfang der 1990er Jahre Stück für Stück aufgebaut hat und ihr als Präsident vorsteht.
In einem Interview mit der NEUE REIFENZEITUNG versichert Sudhir Gupta, das Vredestein-Werk im holländischen Enschede insbesondere als Profit-Center für die Herstellung von High Performance-, Ultra High Performance- und 4×4-Reifen zu nutzen. Das bedeutet, Reifen zwischen 13 und 16 Zoll sollen künftig nur noch in den russischen Werken hergestellt werden, sehr wahrscheinlich auch Pkw-Reifen der Marken Vredestein und Maloya, die Zweitmarke des holländischen Herstellers. Beide Marken sollen also weiterhin auf dem Markt bestehen bleiben. Darüber hinaus will Sudhir Gupta, der gebürtige Inder, der derzeit in Singapur wohnt, Vredesteins Aktivitäten in Thailand und Indonesien fortführen und denkt darüber hinaus sogar noch über weiterführende Aktivitäten in der Region nach, will aber von China nichts wissen. Vredesteins Stärken seien die „sehr gute Forschung und Entwicklung“ sowie vergleichsweise geringe Produktionskosten in Enschede. Dies werde aber keinen Technologietransfer von Enschede nach Russland bedeuten, anders gesagt: Demontage findet nicht statt, versichert Gupta. Wohl aber will der russischen Reifenhersteller von dem Know-how der Holländer profitieren und daraus für die eigene Produktion Profit schlagen.
Die Amtel-Gruppe hat aber noch weitergehende Pläne. Bevor man sich – falls überhaupt – mit der Übernahme weiterer Reifenfabriken oder Hersteller beschäftige, so Gupta, wolle man die Entwicklungen der nahen Zukunft abwarten. „Zunächst wollen wir uns die Synergien ansehen“, so der Eigner des Unternehmens, die sich durch die Vredestein-Übernahme ergeben. Als Plan aber bereits weitestgehend auf den Weg gebracht ist die Börsennotierung des Unternehmens. Durch diesen Schritt, der im November vollzogen werden soll, hofft das Unternehmen auf eine Marktkapitalisierung von rund 750 Millionen US-Dollar. Dieses neue Eigenkapital, so erklärt Präsident Gupta, werde „für zukünftige Pläne in Russland“ verwandt.
Wie diese Pläne allerdings aussehen, bleibt im Detail zunächst verborgen. Fakt ist, Amtel hat bereits rund 200 Millionen US-Dollar in die Modernisierung und Erweiterung seiner Anlagen investiert. Und laut Geschäftsplan bis 2012 werden weitere Großinvestitionen folgen. Dabei wird sich insbesondere zeigen, dass Amtel – trotz aller Zuneigung für holländische Premiumreifen – das in Russland stark wachsende B-Segment zu seinem Markt machen will. So werden in der neuen Produktionslinie im Werk in Kirov vornehmlich 13- bis 16-Zoll-Reifen der Marken Amtel Planet und Amtel NordMaster hergestellt, die für den heimischen Markt bestimmt sind und auch dafür sorgen sollen, die wachsenden Importe westlicher Hersteller für das russische B-Segment zu verringern. „Wir werden uns nicht von diesem Markt verabschieden“, zeigt sich Sudhir Gupta kampfbereit. Gleiches gelte für Premiumreifen (A-Segment), die im neuen Greenfield-Werk in Voronezh gebaut werden sollen.
Im kommenden Jahr, wenn das neue Werk produziert und Vredestein übernommen ist, wird das Unternehmen knapp 25 Millionen Reifen herstellen können, davon 7,5 Millionen Premiumprodukte (Vredestein und Voronezh) und 9,8 Millionen B-Segment-Produkte aus dem Pkw- und Llkw-Bereich. Unter den gut 20 Millionen Reifen, die aus den vier russischen Werken stammen werden, so die Pläne, rund 14,5 Millionen Pkw-Reifen sein, darunter wiederum sechs Millionen Winterreifen. Drei Viertel aller Winterreifen, die Amtel herstellt, sind bespikt. Neben Pkw-Reifen produziert Amtel noch Llkw-, Lkw- und Landwirtschaftsreifen. Dabei zeigt sich insbesondere, dass der russische Reifenkonzern hauptsächlich Kapazitäten im B-Segment des Marktes aufbaut und diese zwischen 2004 und 2006 beinahe verdoppeln wird. Dort, so rechnet man sich aus, sind fünf Mal höhere Bruttomargen zu erzielen als bei der Herstellung und dem Verkauf von Low-Budget-Reifen, deren Herstellungskosten nur geringfügig unter denen von B-Segment-Reifen liegen.
Diese Strategie wird aber auch von Analysten als richtig empfunden. Während Amtel vor 2003 kaum Reifen aus dem B-Segment gebaut hat, werden dies schon bald annähernd zehn Millionen sein. Die Umsätze werden sich somit weiter steigern lassen auf etwa 618 Millionen US-Dollar in 2006. Gleichzeitig wird aber die Profitabilität des Unternehmens stärker als die Umsätze wachsen. Während für das vergangene Jahr eine EBIT-Marge von 5,3 Prozent erwartet wird, soll diese wichtige Betriebskennziffer in 2006 bereits bei 13,1 Prozent liegen, so Analysten von Troika Dialog.
Sibur will mehr Wert auf Nfz-Reifen legen
Ebenfalls auf der Suche nach einer festen Heimat auf dem russischen Reifenmarkt ist die Sibur-Gruppe, die zum Staatskonzern Gazprom gehört. Auch Sibur betreibt wie Wettbewerber Amtel vier Reifenfabriken in Russland. Derzeit scheint noch nicht ganz deutlich zu sein, wohin sich das Unternehmen entwickeln wird. Pläne jedenfalls, so Vadim Gurinov, Generaldirektor der jüngst ausgegliederten Reifensparte des Konzerns Sibur-Russian Tires, sehen das Unternehmen künftig als den Hersteller für Nutzfahrzeug- und Landwirtschaftsreifen in Russland. „Unser Hauptaugenmerk liegt in diesem Segment“, so Gurinov in einem Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, und verweist auf die besonderen Stärken des Unternehmens in eben diesem Segment. „Dieser Markt wird durch Sibur für wenigstens weitere fünf Jahre dominiert“, ist sich der Generaldirektor sicher. Insbesondere bei Landwirtschaftsreifen deckt Sibur nach eigener Aussage etwa drei Viertel des russischen Bedarfs von derzeit gut 1,7 Millionen Einheiten. Darüber hinaus ist Sibur immer noch Marktführer: Etwa 25 Prozent des gesamten Marktumsatzes in Russland (2003) wird mit Sibur-Reifen erzielt, und rund 46 Prozent der gesamten russischen Reifenproduktion stammt aus den vier Fabriken von Sibur-Russian Tires.
Obwohl sich Sibur künftig stärker als Nfz-Reifenhersteller profilieren will, wolle man aber nicht den für russische Hersteller so bedeutenden weil stark wachsenden Pkw-Reifenmarkt vernachlässigen. Dieser Markt allerdings, so Generaldirektor Vadim Gurinov, sei für den Hersteller beinahe ausschließlich ein B- und C-Segment-Markt: „Wir versuchen das mittlere und das untere Marktsegment zu entwickeln.“ Das Premiumsegment hingegen sei für einen russischen Reifenhersteller wie Sibur, der in 2002 durch Unternehmensquerelen mit der Muttergesellschaft beinahe in den Bankrott getrieben wurde, kaum erreichbar, muss Gurinov zugeben. Hier bestünde ein „extrem hoher Wettbewerb“, es seien „außergewöhnlich hohe Investitionskosten“ notwendig, und außerdem seien „die Kunden noch nicht bereit, russische Produktionen zu akzeptieren“, das sei auch durch intensive Marketingmaßnahmen nicht zu ändern.
Sicherlich macht es für den Moment Sinn, die immer noch große Nachfrage nach russischen No-Name-Produkten zu erfüllen, schließlich dürften mittlerweile noch drei von vier in Russland verkauften Reifen in diese Rubrik fallen. Prognosen von Herstellern und Analysten sehen dieses Marktsegment aber im freien Fall. So wird damit gerechnet, dass Budget-Reifen aus dem C-Segment in Russland in zwei bis drei Jahren höchstens noch 40 Prozent des Marktes ausmachen, wobei die absolute Anzahl der abgesetzten Reifen aus diesem mehr oder weniger konstant bleiben wird. Und der Negativtrend beim Anteil durch den wachsenden Gesamtmarkt dürfte sich fortsetzen. Darüber hinaus tut es der Profitabilität eines Unternehmens nicht besonders gut, im Low-Budget-Segment zu investieren, da die Produktionskosten selten wieder hereingeholt werden können. So liegt der Verkaufspreis (sell-in) für einen durchschnittlichen und austauschbaren C-Segment-Reifen (13 bis 15 Zoll) bei rund 20 US-Dollar in Russland, die Produktionskosten aber bestenfalls zehn Prozent darunter.
Dennoch ist sich Vadim Gurinov sicher, auch in diesem Marktsegment weiterhin präsent sein zu müssen. Und gerade mit Blick auf die Entscheidungen anderer Hersteller, sich mehr dem mittleren Marktsegment zu widmen, liegt in Siburs Strategie eine gewisse Logik. So ist der Generaldirektor von Sibur-Russian Tires auch überzeugt davon, dass „unsere Anteile in diesen Segmenten wachsen werden“.
Für die Jahre 2004 bis 2008 will das Unternehmen etwa 350 US-Dollar in die „teilweise Erneuerung der Ausrüstung“ investieren. Durch den Ausbau der Kapazitäten zur Herstellung von Nutzfahrzeug- und Landwirtschaftsreifen sowie andere Projekte hofft der Hersteller, seinen jährlichen Umsatz von derzeit 670 Millionen US-Dollar bis 2008 über die Milliarde Dollar zu bringen. Einen Teil dieser immensen Umsatzsteigerung soll durch einen stärkeren Export erzielt werden. Derzeit stammen etwa 60 bis 70 Millionen Dollar aus dem Außenhandel, vorwiegend mit den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie Osteuropa. Dies entspricht einer Exportquote von etwa zehn bis 15 Prozent. Im Mittelpunkt der Außenhandelsaktivitäten sollen ebenfalls Nutzfahrzeug- und Landwirtschaftsreifen stehen, erklärt Gurinov. Auch Westeuropa sei „für uns wirklich interessant und wir versuchen dort Fuß zu fassen“, jedenfalls auf lange Sicht.
Darüber hinaus kann Sibur-Russian Tires stark von dem seit neun Jahren bestehenden Jointventure mit Matador profitieren. Im Rahmen dieses 50:50-Unternehmens stellen die Partner in Omsk rund 1,75 Millionen Pkw- und Llkw-Reifen der Marke Matador her, die für den russischen Markt bestimmt sind. Gegenwärtig werden in der Anlage von Matador-Omskshina, so die Bezeichnung des Jointventures, die Kapazitäten auf zunächst etwa drei Millionen, bis 2008 sogar auf fünf Millionen Einheiten ausgebaut. Auch sollen künftig 16- und 17-Zoll-Reifen produziert werden. Das russisch-slowakische Gemeinschaftsunternehmen gehört einer Umfrage zufolge zu den 20 profitabelsten Unternehmen in Russland.
Weitere ähnliche Projekte zieht Vadim Gurinov durchaus ins Kalkül. „Wir führen derzeit Gespräche mit westlichen Herstellern über weitere Jointventures“, erklärt er, will aber noch keine Details über die Gesprächspartner oder den Inhalt der Gespräche verraten. Bei solchen Unternehmungen sei die „technologische Entwicklung das Wichtigste“, weswegen sich der Generaldirektor auch Offtake-Agreements kaum vorstellen kann: „Daran sind wir nicht besonders interessiert.“
Nizhnekamskshina expandiert weiter
Als Betreiber der mit Abstand größten Einzelfabrik (Kapazität 11,7 Mio. Einheiten) gehört auch Nizhnekamskshina zu den Kandidaten, die sich laut Analysten berechtigte Hoffnungen auf eine lange Zukunft machen können. Das Unternehmen gehört mehrheitlich dem russischen Mineralölkonzern Tatneft, vom dem erwartet wird, das er seine jetzigen Anteile von 75 Prozent auf etwa 90 Prozent aufstocken wird. Der Hintergrund: Der Reifenhersteller wird Schulden, die er beim Mutterkonzern hat, in neues Eigenkapital sprich: Aktien umwandeln, die Tatneft zur Schuldentilgung übertragen werden.
Im vergangenen Jahr hat Nizhnekamskshina seine Kapazitäten optimal ausgeschöpft und immerhin 11,4 Millionen Pkw-, Lkw-, Llkw- und Landwirtschaftsreifen Reifen hergestellt, erklärt Rinat Biktimerov. Der Executive Director der Vertriebsgesellschaft Kama Trading House, die zum Reifenhersteller gehört, erkennt ebenfalls die Zeichen der Zeit und versucht darauf hinzuwirken, dass Nizhnekamskshina künftig das Image des reinen C-Segment-Herstellers loswerde. Bis zu Beginn des Jahres 2004 verließen lediglich Reifen der entsprechenden Marke Kama das Werk zu den russischen und ausländischen Händlern. Dabei gehen neuerdings immer mehr Reifen in den Export. Wie Rinat Biktimerov betont, waren dies im vergangenen Jahr schon um die 25 Prozent, wobei allerdings ein Großteil der Ausfuhren für die GUS-Staaten bestimmt ist. Allerdings kooperieren man sehr eng mit einem Importeur in Großbritannien, der London International Traders Ltd., der Pkw-Reifen der Marke Kama einführt.
Die Fokussierung auf günstige Massenware hat sich allerdings spätestens seit Anfang 2004 geändert. Seit dann betreibt Nizhnekamskshina nämlich eine vollautomatische Produktionslinie zur Herstellung qualitativ hochwertiger Pkw-Reifen. Die Technologie dazu stammt von einem „italienischen Partner“, wie Biktimerov betont. Dabei handelt es sich, wie bereits seit längerem bekannt, um Pirelli. Die Pirelli-Linie hat Nizhnekamskshina runde 50 Millionen US-Dollar gekostet und dient der Herstellung von jährlich zwei Millionen Reifen der neuen Marke „Kama-Euro“, die ausnahmslos in dieser Anlage hergestellt werden und in den Größen von 13 bis 16 Zoll zu haben sind. „Leistung und Qualität“ der Kama-Euro-Reifen seien „nicht geringer als die ausländischer Produkte“, so der Executive Director im Gespräch mit dieser Zeitschrift. Allerdings darf die neue B-Segment-Reifenmarke nicht – so die Vertragsbedingungen mit Pirelli, die noch zwei Jahre Gültigkeit hat – nach Westeuropa vertrieben werden, wohl aber nach Osteuropa. Im Übrigen werden keine Pirelli-Reifen bei Nizhnekamsk produziert, obwohl man über ein Offtake-Agreement mit dem italienischen Partner spreche, so Biktimerov.
Da sich das Kama Trading House wie auch der Hersteller Nizhnekamskshina viel von der Wettbewerbsfähigkeit der neuen Pkw-Reifen versprechen, überlegt man derzeit sogar, eine weitere Pkw-Reifenmarke ins Leben zu rufen, die dann auf den heilsversprechenden westeuropäischen Märkten verkauft werden kann und darf. Vorerst bleibt dies allerdings nur eine Idee, deren Umsetzung zu allererst eine Technologiefrage ist. Da die Zusammenarbeit mit Pirelli äußerst gut funktioniere, denke man ebenfalls darüber nach, etwas Ähnliches für Lkw-Reifen zu installieren. Hier fänden derzeit „Gespräche mit anderen westlichen Herstellern“ statt.
Es bleibt aber die Kapazitätenfrage. Denkbar und – so Analysten – notwendig ist das Ende der Diagonalreifenfertigung. Nizhnekamskshina hat jährlich etwa 1,2 Millionen solcher Reifen hergestellt, Pkw wie Lkw oder Landwirtschaft. Aktuell liegt die Kapazität allerdings nur noch bei 700.000 Einheiten, wobei eine Nachfrage insbesondere aus den GUS-Staaten immer noch vorhanden sei, so Biktimerov. Sollten die bestehenden veralteten Anlagen durch moderne ersetzt werden, würde sich die Kapazität um ein Mehrfaches dessen vergrößern, was wegfällt. Insgesamt sehen die Pläne des Herstellers eine Erhöhung der jährlichen Reifenkapazitäten von derzeit 11,7 auf 17 Millionen Einheiten in den kommenden fünf Jahren vor. Beim Wettbewerber Amtel ist man allerdings eher der Meinung, so heißt es jedenfalls in einer Pressemitteilung vom Januar, dass Nizhnekamskshina ‚nur‘ etwa neun Millionen Reifen jährlich herstellt, was einer Kapazitätsauslastung von etwa 77 Prozent entspricht – es bestünden somit noch nutzbare Spielräume.
Goodyear bleibt in Lauerstellung
Ein Unternehmen wie Goodyear Tire & Rubber, dem man keine globalen Interessen zu unterstellen braucht, sondern es hat sie einfach, ist natürlich auf dem russischen Reifenmarkt ebenfalls zu Hause. Offizielle Absatzzahlen will Henry Braun, Generaldirektor der Vertriebsgesellschaft LLC Goodyear Russia zwar nicht nennen, einer Marktuntersuchung von Nokian Tyres zufolge dürften sich die Importe des Reifenkonzerns aber auf etwa eine Million Reifen belaufen. Darüber hinaus betreibt Goodyear noch ein Offtake-Agreement mit der Sibur-Fabrik in Yaroslavl‘, in der jährlich etwa 300.000 Pkw-Reifen der Marke Medeo für den russischen Markt produziert werden, so dass Goodyear-Reifen zwischen drei und vier Prozent des russischen 40-Millionen-Marktes abdecken. Bei Medeo-Reifen handelt es sich um eine Volumenmarke aus dem C-Segment in 13 und 14 Zoll, die, so Braun, „äußerst gut vom russischen Markt angenommen wird“.
Dass die dem Weltkonzern Goodyear, der zum internationalen Führungstrio der Branche gehört nicht ausreichen kann, gerade mit Hinblick auf die starken Wachstumsraten, scheint einleuchtend. „Wir erkennen sicherlich die Bedeutung des russischen Marktes“, gibt Henry Braun zu bedenken. Daher soll die „gute Arbeitsbeziehung“ zur Sibur-Gruppe auch fortgesetzt werden. Fragen zu einer eigenen Herstellung vor Ort in Russland drängen sich allerdings auf. Der Generaldirektor der LLC Goodyear Russia will darauf aber nicht mehr sagen, als dass „darüber nachdenkt“, einen solchen Schritt zu wagen. Dass sich Goodyear einen solchen Schritt in der Tat äußerst gut überlegen dürfte, zeigt das Beispiel Continental: Der Hannoveraner Reifenhersteller hat sich gerade einige Blessuren durch das Scheitern eines Jointventures mit der Moscow Tyre Plant geholt und musste 30 Millionen Euro abschreiben.
Goodyear importiert mehrere Konzernmarken nach Russland. Darunter neben der Führungsmarke noch Dunlop, Fulda und Sava; Debica und Falken werden nicht importiert, denn „es gibt keinen Grund alles auf den Markt zu bringen“, wie Marketingmanagerin Inna Selivanova hinzufügt. Neben Pkw-Reifen gelangen auch Lkw-, OTR- und Landwirtschaftsreifen der verschiedenen Konzernmarken auf den russischen Markt. Insbesondere die jüngsten Entwicklungen der Lkw- und Landwirtschaftsreifenmärkte machen lassen die Verantwortlichen bei Goodyear Russia auf höhere Absätze hoffen. Dabei sei der Markt groß genug für alle Segmente, ob Budget- oder Premiumreifen, glaubt Generaldirektor Henry Braun. Dennoch ist er der Meinung, dass der Markt künftig konkurrenzträchtiger wird. Einen großen Vorteil gegenüber den meisten heimischen Herstellern hat Goodyear, und kann davon auch profitieren: „Wir sind ein globales Unternehmen mit einem globalen Markennamen.“ Die ‚Lokalen‘ müssen den unschätzbaren Wert einer Marke erst noch aufbauen.
Interessantes Wachstum bei Pirelli
Auch Pirelli ist seit etwa einem Jahr mit einer Vertriebsorganisation auf dem russischen Markt vertreten, der Pirelli Tyre Russia. Bisher habe man – ausschließlich – Pkw-Reifen durch heimische Importeure auf den russischen Markt gebracht, will aber künftig das Geschäft fest in die eigenen Hände nehmen, so Aimone Di Savoia. Der Generaldirektor von Pirelli Tyre Russia will zwar keine Zahlen nennen, einer Untersuchung von Nokian zufolgen, dürften sich Pirellis Exporte nach Russland in einer Größenordnung von 300.000 bis 400.000 Einheiten bewegen (2002), derzeit eventuell schon über eine halbe Million, wenn man versucht die „sehr interessanten Wachstumsraten“ zu interpretieren, von denen Di Savoia spricht. Jedenfalls würden Pirellis Exporte nach Russland über Marktdurchschnitt von acht bis zehn Prozent jährlich steigen, gibt der Generaldirektor zu. Absatzzahlen in Russland seien den Italiener derzeit aber nicht das Wichtigste: „Zur Zeit geht es uns um die Qualität der importierten Reifen, nicht um die Quantität“, erläutert Di Savoia in einem Gespräch am Rande der Moskauer Reifenmesse Tires & Rubber Anfang Februar; man sei derzeit noch in der Phase der Marktbeobachtung. Pirelli will sich also im Premiumsegment in Russland einen Namen machen, was aber nicht ausschließt, dass sich die Anzahl der aus Europa exportierten Pkw-Reifen in einem Zeitrahmen von zwei bis vier Jahren verdoppeln könnte, so jedenfalls die Vermutung. Lkw-Reifen spielen bei Pirellis Russlandgeschäft derzeit nur eine minimale Rolle.
Matador hat Pläne für die Zukunft
Bereits seit langem auf dem russischen Markt mit einem Jointventure angekommen ist Matador. Gemeinsam mit der Sibur-Gruppe betreibt der Hersteller aus der Slowakei seit 1996 in Omsk eine Reifenfabrik, die – so Umfrageergebnisse – zu den profitabelsten im Land gehört (siehe oben). Für Verkaufsdirektor Dalibor Kalina, der für die Reifensparte zuständig ist, ist es daher auch nur natürlich, dass sich Matador auf der Reifenmesse in Moskau präsentiert. „Es ist wichtig zu zeigen, dass wir hier sind und dass wir Pläne für die Zukunft haben“, so Kalina. Die Entwicklung des russischen Reifenmarktes sei wesentlich stärker als die jedes anderen westlichen Marktes, weswegen gerade Matador mit seiner langjährigen Russlanderfahrung und seiner Marktpräsenz große Hoffnungen auf die Zukunft setzt. Bereits jetzt produziert und verkauft Matador in Russland mit über 1,7 Millionen Einheiten (Pkw und Llkw) beinahe doppelt so viele Reifen wie der Weltkonzern Goodyear.
Konimpex will Beziehungen aufbauen
Wenn der russische Markt für die Reifenhersteller interessanter wird, trifft dies natürlich auch auf die Zulieferer und Ausrüster zu. So hat beispielsweise der polnische Rohstofflieferant Konimpex erst im vergangenen Jahr begonnen, Naturkautschuk für die Reifenherstellung zu verkaufen. So gehört etwa die Reifenfabrik Rosava in Belaya Tserkov (gehört mehrheitlich zur Amtel-Gruppe; 5,2 Mio. Kapazität) zu den Kunden des polnischen Zulieferers. Nun hofft man in Konin am Stammsitz des Unternehmens darauf, dass Verhandlungen mit weiteren Reifenherstellern positiv verlaufen, sagt Michał Czajor. Mit wem Konimpex genau verhandelt, mochte der Projekt Manager allerdings nicht mitteilen. Dennoch ist er zuversichtlich, noch während dieses Jahres weitere russische Hersteller zu seinen Kunden zählen zu dürfen. Dabei komme es dem polnischen Zulieferer nicht darauf an, riesige Umsatzsprünge durch neue Geschäfte in Russland machen zu können, so Michał Czajor im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. „Es geht darum regelmäßige Geschäftsbeziehungen aufzubauen.“ Das Privatunternehmen mit seinen rund 150 Mitarbeitern unterhält seit einiger Zeit auch ein Repräsentanzbüro in Moskau.
Neben den Lieferungen nach Russland hat Konimpex dort bereits seit seiner Gründung im Jahre 1989 umfangreiche Geschäftsbeziehungen unterhalten. Insbesondere Rohstoffe wie Ruß und Synthesekautschuk hat der Zulieferer schon immer von russischen und ukrainischen Herstellern zum Weiterverkauf bezogen (etwa 40.000 Tonnen allein im vergangenen Jahr). Dass man russischen Reifenherstellern keinen Synthesekautschuk für die Produktion verkaufen kann, muss Michał Czajor sich eingestehen, denn einerseits ist der heimische Markt riesig, andererseits gehören – bis auf Amtel – die beiden nennenswerten großen Reifenhersteller Sibur und Nizhnekamskshina zu Konzernen (Gazprom und Tatneft), die selber diesen Rohstoff herstellen. Allerdings kauft Konimpex seit sechs Jahren Synthesekautschuk in Russland.
Im vergangenen Jahr hat der polnische Zulieferer mit seinen Aktivitäten, die weltweit stattfinden, einen Umsatz von rund 80 Millionen Euro erzielt. Für 2005 wird mit einem Umsatz von 100 Millionen Euro gerechnet.
Berstorff immer stärker in Russland
Auch die Anlagenbauer wie etwa Berstorff frohlocken mittlerweile bei dem Gedanken an Russland. Während bis 1999 in Russland „alles tot“ war, sagt Dieter Brunner, „hat’s seit 2000 kräftig angezogen“. Die Berstorff GmbH hat bereits zu Zarens Zeiten Geschäfte in Russland gemacht, in 2004 habe man allerdings „das beste Ergebnis seit 15 Jahren“ in Russland erzielt, so der Geschäftsführer des Berstorff-Büros in Moskau. Mittlerweile zählen alle russischen Reifenhersteller zu den Kunden des Hannoveraner Unternehmens, oder jedenfalls finden aussichtsreiche Gespräche statt. Dabei kommen dem Anlagenbauer Berstorff insbesondere die notwenigen Neuausrüstungen in den Reifenfabriken der ehemaligen Sowjetunion zu pass, die einerseits durch die Umstellung von Diagonal- auf Radialtechnik, andererseits durch die allgemeine Modernisierung der Produktionsstätten notwendig ist. Russland erhalte eine immer größere Bedeutung für Berstorff; derzeit werden dort bereits 20 Prozent des Umsatzes erzielt. Eine eigene Produktionsstätte sei in Russland betriebsbedingt dennoch nicht denkbar.
10.000 besuchen Reifenmesse in Moskau
Von dem sprichwörtlichen „wind of change“, der in der russischen Reifenbranche derzeit zu spüren ist, kann auch Messeveranstalter Maxima profitieren. Auf der diesjährigen 8. Tires & Rubber, die erstmals im renommierten Moskauer Expocentr stattfand, waren erneut mehr Aussteller wie auch Fachbesucher gezählt worden, und das, obwohl die Preise für die Aussteller durch den Umzug deutlich gestiegen sind. Alla Shevchenko, die zuständige Projektleiterin für die Tires & Rubber-Ausstellung in Moskau, zieht folglich auch eine positive Bilanz der diesjährigen Veranstaltung: „Die Messe hat sich sehr verbessert und wir sind absolut zufrieden.“ In diesem Jahr waren etwa 10.000 Fachbesucher aus der ganzen Welt nach Moskau gereist, um im Rahmen der viertägigen Veranstaltung neue Geschäftsverbindungen aufzubauen, alte Kontakte zu pflegen oder sich über die Neuentwicklungen der Aussteller zu informieren.
Kaum ist die diesjährige Veranstaltung beendet, beginnen schon die Planungen für die 9. Tires & Rubber, erklärt Alla Shevchenko. Im kommenden Jahr wird die Messe sehr wahrscheinlich im März stattfinden, parallel zu weiteren branchennahen Messen, die allesamt im Expocentr an der Moskwa stattfinden sollen.
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