Totgesagte leben länger: Vertrauen in Bridgestone- und Firestone-Produkte
John Lampe (55) hat sein ganzes Arbeitsleben nur für Firestone und dann für Bridgestone/Firestone gearbeitet. Er war erfolgreich für das Unternehmen in Brasilien und in Portugal und hat auch in den USA bereits viele wichtige Jobs zu erledigen gehabt, bevor er zuerst oberster Verkäufer von Bridgestone/Firestone in USA und seit wenigen Wochen Chef der größten Tochtergesellschaft des Bridgestone-Konzerns wurde. Dazu, ein Novum für Bridgestone und auch eine absolute Seltenheit bei allen anderen japanischen Großkonzernen, sitzt Lampe auch im Konzernvorstand. Das zeigt, über welche Wertschätzung Lampe in schwieriger Mission verfügt. Und doch ist ihm das Pech in mancherlei Hinsicht hold: Kaum zurück von einer Vorstandssitzung aus Tokio, bekommt er per Handy die Nachricht: "Uns steht das Wasser bis zum Hals in Nashville." Und das galt dieses Mal dann wortwörtlich. Wasserrohrbruch im amerikanischen Hauptquartier von Bridgestone/Firestone in Nashville. Wenn sich doch alles so schnell reparieren ließe wie dies. Im hundertsten Jahr der Firmengeschichte war der Konzern in Amerika bestens unterwegs, Kopf an Kopf mit Michelin stritt man sich um Platz zwei auf dem größten Reifenmarkt der Welt. Umsätze, Absatzzahlen, Marktanteile, Erträge. Es stimmte einfach alles. Bis sich das Unheil Bahn brach und das Unternehmen schließlich zu einem Reifenrückruf zwang, der im Endeffekt mehr als eine Milliarde US-Dollar gekostet haben wird. Umsatz- und Marktanteilsverluste noch nicht mitgerechnet. Rückschauend betrachtet ist der Rückruf nicht optimal gemanagt worden, aber es ist auch nicht einfach zu sagen, was besser, schneller und konsequenter hätte gemacht werden können. Es kam zu Ausfällen, die als verschwindend gering angesehen worden waren. Zudem zeigte sich, dass unter diesen – relativ – sehr wenigen Ausfällen wiederum die überwältigende Mehrheit aus der Produktion der Decatur-Fabrik stammten. Aber es gab eben keinen einzigen Fehler, dem Ausfälle hätten zugeordnet werden können, vielmehr war es ein unglückliches Mix aus Design, aus Produktion und das dazu in Verbindung mit einem einzigen Fahrzeug. Der Rückruf soll hier nicht noch einmal beschrieben werden. Fortan geht es nur um die Konsequenzen und die Beantwortung der wirklich spannenden Frage, ob die Marke Firestone von nahezu allen großen Tageszeitungen in USA so gründlich in Grund und Boden geschrieben worden ist, dass ein Wiedergewinnen des Vertrauens durch Verbraucher unmöglich ist. Das ist zum Beispiel die Meinung vieler Analysten, die seit Monaten bereits den Firestone-Marktanteil gedanklich unter Goodyear und Michelin aufgeteilt haben, was den Aktien dieser beiden Konzerne Flügel verleihen soll. Das aber ist nicht geschehen bisher und das Firestone-Fell ist auch noch nicht verteilt worden. Dass es dazu kommen wird, ist auch heute bereits sehr unwahrscheinlich, denn Bridgestone/Firestone kämpft. Nicht allein um das nackte Überleben, sondern um die Gunst der Verbraucher. Wer das Verwaltungsgebäude in Nashville betritt, spürt sofort, dass dieses Unternehmen ungewöhnliche Herausforderungen zu bestehen hat, aber bereits nach nur wenigen Momenten wird klar, dass hier keine weidwund geschlagene Truppe werkelt, sondern eine Mannschaft tätig ist, die zwar Prügel bezog, teils auch sehr unverdient, die aber zugleich deutlich macht, dass diese Prügeleien bei weitem nicht ausreichend sind, Agonie und Untergangsstimmung aufkommen zu lassen. Ganz im Gegenteil. Jedermann weiß, dass der vor dem Unternehmen liegende Weg schwer und steinig sein wird, aber am Erfolg zweifelt niemand. Und auch bei den Wettbewerbern stellt sich allmählich schon Ernüchterung ein. John Lampe gilt als Mann mit großem Rückhalt im amerikanischen Reifenhandel und er gilt zudem als Führer, dem die Bataillone bedingungslos folgen. Wie sieht es also aus, Herr Lampe? Wie viele Händler haben den Absprung vollzogen, wie wollen Sie in USA wieder auf die Beine kommen? Lampe: "Wir haben in diesem Land eine sehr starke Distribution. Neben den etwa 1.600 Mastercare-Betrieben haben wir mit rund 3.500 unabhängigen Reifenhändlern einen Vertrag, der diese Kunden verpflichtet, uns mit 50 Prozent und mehr an deren Neureifengeschäft zu beteiligen. Im Gegenzug stehen wir den Kunden mit guten Produkten, guten Preisen und durchschlagenden Absatzförderungsprogrammen zur Seite." Auf die Frage, wie viele dieser Kunden denn nun abgesprungen seien, erhält man von Lampe eine nahezu unglaubliche Antwort: "Nicht ein einziger Kunde ist abgesprungen. Unsere Kunden gehen den Weg mit uns, sie haben Vertrauen in uns, in Firestone und in Bridgestone, und sie vertrauen darauf, dass wir die richtigen Dinge tun, um das Vertrauen der Verbraucher zurück zu gewinnen. Was diese Händlerbasis für uns wert ist, konnte man bereits auf der Händlerkonferenz in Las Vegas im November letzten Jahres sehen, an der mehr als 4.000 Menschen teilnahmen." Okay, nicht einen Händler verloren, aber dennoch hat Bridgestone/Firestone USA Umsatz und Marktanteile verloren im ersten Quartal diesen Jahres. Wie das? Lampes Erklärung ist so einleuchtend wie einfach: "Zunächst mal haben im ersten Quartal alle anderen Konkurrenten auch verloren. In den ersten beiden Monaten war es für uns alle sehr schlecht, der März aber war schon besser und hat zur Verbesserung der Zahlen beigetragen. Die Industrie ist insgesamt etwa um sechs Prozent rückläufig, unsere Rückgänge bewegen sich in einem erträglichen Maß, sind etwa doppelt so stark. Aber wir sehen dennoch schon wieder Licht am Ende des Tunnels. Firestone hat zunächst mächtig Marktanteile verloren und allmählich geht es auch wieder mit dieser Marke, unserer wichtigen Volumenmarke, aufwärts." Wenn man sich vergewissert, dass die Firestone-Marke über Wochen und Monate im Bewusstsein der Verbraucher als Marke beschrieben worden ist, der nicht zu trauen sei, müssen die im Großen und Ganzen moderaten Verluste überraschen. Aber auch hier sind weitere Erklärungen vonnöten, denn die Verluste der Marke Firestone sind heftiger gewesen, als es in den Zahlen zum Ausdruck kommt. Lampe: "Natürlich mussten wir gegensteuern und wir haben das mit unserer Führungsmarke Bridgestone auf der einen und Dayton auf der anderen Seite des Marktspektrums getan. In USA haben wir, grob gesagt, dieses Bild: 25 Prozent hängt vom Preis ab, 25 Prozent hängt von der Empfehlung des Händlers ab, 25 Prozent vom Markennamen bzw. Preis-Leistungs-Verhältnis und 25 Prozent vom Markenbewusstsein. Wenn man sich dies mal so vergegenwärtigt, dann haben wir das Spektrum für unsere erste Marke Bridgestone so weit wie es aus unserer Sicht vertretbar war, verbreitert, um so die Marke Bridgestone ein bisschen Volumen aufnehmen zu lassen, das wir uns sonst über Firestone gesichert hätten. Das ist auch ein Weg, der unseren Handelskunden gegenüber angemessen ist." Und auch auf die Frage, ob das alles ausreichen wird, um nach dem riesigen Verlust des Vorjahrs im laufenden Jahr einen Verlust vermeiden zu können, antwortet Lampe ziemlich offen: "Wir müssen davon ausgehen, auch in diesem Jahr rote Zahlen zu schreiben, aber vielleicht können wir uns im zweiten Jahr noch stärker verbessern als wir es derzeit sehen. Wenn wir es besser machen können, tun wir das. Aber wir bleiben realistisch. Eine präzise Voraussage gebe ich nicht, aber Sie können davon ausgehen, dass ein Verlust, so er denn eintritt, in einem sehr überschaubaren Umfang bleiben wird. Doch wer immer mit Verantwortlichen von Firestone spricht, kommt zwangsläufig stets zurück auf den Rückruf. Warum um alles in der Welt hat man nicht schneller reagiert? War man nicht doch zu schläfrig, denn inzwischen haben sich Konkurrenten, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, dahingehend geäußert, Bridgestone/Firestone habe einfach schneller das Ausmaß erkennen und reagieren können. Nichts da, meint Lampe. "Wir alle wissen, dass Reifen ausfallen können aus den unterschiedlichsten Gründen. Wir haben zu jeder Zeit sehr sorgfältig und sehr aufmerksam alle Ausfälle verfolgt und keinen Grund sehen können anders zu reagieren als es schließlich geschehen ist. Nicht allein wir haben uns mit Rechtsanwälten wegen Reifenausfällen auseinanderzusetzen, das ist ebenso der Fall mit anderen Konkurrenten und auch Michelin wird derzeit mit einem teuren Fall in Kalifornien konfrontiert." Zur Erinnerung. Lampe war der Mann, der in einem Hearing in Washington auch dem Großkunden Ford gegenüber nach langem Zögern nachdrücklich auftrat und darauf verwies, dass es gerade mit dem Ford Explorer zu Tausenden so genannter Rollovers gekommen war, an denen Reifen vieler Hersteller indirekt beteiligt waren, während die vergleichbaren Fahrzeuge von Chrysler und GM weitaus weniger zu Rollovers neigten. Dieser Auftritt hat den Großkunden Ford nicht entzückt. Wie sind die Verbindungen heute? Lampe: "Keine Frage, unser Verhältnis war in den letzten Monaten des Vorjahrs sehr angespannt und wir begegneten uns mit der gebotenen Zurückhaltung. Aber diese Verbindung geht auf die Gründung beider Unternehmen zurück und wird und muss auch stürmische Zeiten überstehen. Wir sind größter Lieferant bei Ford geblieben, trotz allem. Beide Unternehmen haben ein ehrliches Interesse, die Geschäftsbeziehung weiter zu pflegen und wir wollen nicht weniger Reifen an Ford verkaufen als vorher. Das kann durchaus gelingen. Übrigens treffe ich kommende Woche wieder mit Jack Nasser (CEO von Ford, Redaktion) zusammen und wir werden versuchen, die Verbindungen weiter zu normalisieren und weiter zu verbessern." Was aber, wenn es nicht gelingt und Firestone den Großkunden Ford verliert? Gehen dann in USA die Lampen für den Reifenhersteller aus? Lampe: "Ford ist unser bedeutendster Kunde, darum kämpfen wir. Aber die Umsätze mit Ford bedeuten andererseits auch nicht mehr als fünf Prozent unseres Gesamtumsatzes." Wie den Presseberichten gerade am Tag des Interviews in Nashville zu entnehmen war, hat Bridgestone/Firestone sich zu einer teuren landesweiten Werbekampagne entschlossen unter dem Motto "Making it right." Hierin geht es um die Marke Firestone. John Lampe erscheint im Fernsehen mit einem persönlichen Auftritt und erklärt, was man getan hat und was man tun wird. Eine so bekannte Persönlichkeit wie Mario Andretti tritt ebenfalls auf und wirbt um Vertrauen für Firestone. Lampe hatte der NEUE REIFENZEITUNG im Gespräch gerade zuvor erklärt, dass Andretti von sich aus auf Firestone zugekommen sei. Er sei mit dem Reifen und dem Unternehmen stets bestens bedient gewesen, er finde nicht okay, was nun alles auf Reifen und Unternehmen zugekommen sei und er wolle einfach dem Unternehmen helfen und dafür alles in seinen Kräften stehende tun. Derzeit sind die Pläne jedenfalls klar: Bridgestone kommt etwas stärker in den Vordergrund, gibt preislich auch etwas nach, Firestone wird stark umworben und bleibt als Reifenlieferant in der Indy-Serie, Dayton wird ebenfalls forciert und am preislichen Ende unterhalb von Dayton gibt es weitere Angebote. Die starke Verankerung mit dem Fachhandel wird als der große Vorteil gesehen, den Bridgestone/Firestone hat, und es kommt hinzu, dass kaum ein anderer Spitzenmanager der Reifenindustrie über ein solches Ausmaß an Vertrauen im Reifenfachhandel verfügt wie John Lampe, das er sich über die Jahrzehnte hinweg verdient hat. Und so sieht es auch John Lampe selbst: "Firestone hat eine solch phantastische Tradition und eine ebensolche Händlerbasis. Wir werden uns mit aller Kraft und mit allen Mitteln dafür einsetzen, dass diese Marke wieder dahin kommt, wo sie vor dem Rückruf im Bewusstsein des amerikanischen Verbrauchers war. Das wird uns nicht über Nacht gelingen, aber es wird gelingen. Wir haben Kraft und Stärke gezeigt, einen Rückruf innerhalb von vier Monaten zum Abschluss zu bringen, für den wir ursprünglich 18 Monate eingeplant hatten." Etwas relaxter kann John Lampe sich auf dem Markt für Nutzfahrzeugreifen bewegen. Auch hier ist der Wettbewerb hart und gelegentlich unfreundlich. Es wird mit allen Mitteln gefightet. So bekämpfen sich seit Monaten Michelin und Bandag vor amerikanischen Gerichten und beschuldigen sich gegenseitig unlauterer Wettbewerbsmethoden. Ende offen. Wie ein Gericht letztlich irgendwann mal entscheiden wird, ist nicht abzusehen. Neuerdings ist aber auch Bridgestone direkt involviert und – neben Bandag – auch von Michelin verklagt worden. Darauf angesprochen, meinte Lampe: "Ich habe absolut keine Ahnung und kein Verständnis, was Michelin eigentlich will. Aus unserer Sicht ist dieses Verfahren ohne jede Substanz und wir werden ja sehen wie es letztlich endet. Wir wollen keine eigene Runderneuerung, sondern wir arbeiten mit Bandag bereits seit vielen Jahren zusammen, weil wir natürlich nur mit guten Runderneuerungen den Wert unserer qualitativ herausragenden Karkassen unterstreichen können. Mit anderen Worten: Wir wollen unsere Reifen durch alle Leben hindurch mit dem erforderlichen Service begleiten. Aber für uns ist ebenso wichtig festzustellen, dass wir im Nutzfahrzeugreifenbereich wenig Probleme haben. Die Nachfrage entspricht der Produktion. Was nicht zufriedenstellend ist, sind die derzeitigen Preise. Daran arbeiten wir, aber daran hat auch der gesamte Wettbewerb zu arbeiten." Das Gespräch mit John Lampe liegt bei Erscheinen dieses Beitrages bereits einige Wochen zurück. Zwischenzeitlich laufen die Dinge in Nashville zumindest so wie man das erwartet hatte. Von übertriebenem Optimismus kann keine Rede sein. Während hier und da Wettbewerber erneute Restrukturierungsrunden und Entlassungen ankündigten, ist es Bridgestone/Firestone schneller als erwartet gelungen, ein Versprechen einzulösen, das allen in höchster Not gekündigten Mitarbeitern auf dem Höhepunkt der Krise gegeben worden war: Wiedereinstellung sobald die Marktumstände es erlauben. Früher als erwartet hat Bridgestone/Firestone inzwischen einige hundert Fabrikarbeiter wieder zurückholen können. Der Untergang von Firestone, wie von einigen Bankanalysten vorausgesagt oder auch von dem einen oder anderen Wettbewerber erhofft, findet offenbar nicht statt. Es bleibt Feuer in Firestone.
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