Harald Möller „Herr der weißen Ringe“

Das Geschäft mit Klassik- bzw. Oldtimerfahrzeugen und natürlich den dazu passenden Reifen hat sich in den vergangenen Jahren überaus stark entwickelt. Gegenwärtig, so meldet das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), sind in Deutschland allein 170.000 Fahrzeuge mit einem Historienkennzeichen gemeldet. Während diese Fahrzeuge landläufig als Oldtimer bezeichnet werden, da sie laut Zulassungsverordnung wenigstens 30 Jahre alt sind, machen die so genannten Youngtimer den Markt erst wirklich komplett. Dem KBA zufolge gibt es auf deutschen Straßen rund eine Million Fahrzeuge, die dieses Alterskriterium erfüllen – Tendenz steigend. Davon profitieren auch die beiden wichtigsten Händler für entsprechende Reifen in Deutschland: Oldtimer- und Weißwandreifen (Harald Möller) aus Quickborn und die Münchner Oldtimer Reifen GmbH (MOR; Valentin Schaal).

Es ist überaus schwer, genaue Zahlen über den Stand der in Deutschland noch vorhandenen Klassiker bzw. Oldtimer zu finden. Der Grund liegt darin, dass die entsprechenden Fahrzeuge oftmals in den Garagen ihrer Besitzer ihr Dasein fristen; viele Liebhaber solcher Autos – und auch Motorräder – haben sie aber auch bewusst nicht angemeldet, da sie eh nie bewegt werden. Diese Dunkelziffer sei enorm, so schätzen Marktkenner, obwohl diese Oldtimer und Klassiker nicht zu den Fahrzeugen gehören, die auch am Reifenmarkt eine bedeutende Nachfrage schaffen. Die ganze Branche, so Schätzungen, stellt einen immensen Wirtschaftsfaktor dar mit einem jährlichen Umsatz von bis zu fünf Milliarden Euro. Freilich machen Reifen daran nur einen überaus geringen Anteil aus.

Während man bei beiläufiger Betrachtung den Eindruck gewinnen kann, Oldtimer- und Klassikfans gehörten durch die Bank zu einer betuchten Oberschicht, die sich bei den sonntäglichen Treffen und Ausfahrten ein Stelldichein gibt, so wird dieser Erwartung doch von Marktkennern immer lauter widersprochen. Es sei „keinesfalls ein Hobby für die Elite – im Gegenteil“, heißt es bei der Münchner Oldtimer Reifen GmbH. Diese Erfahrung kann auch Harald Möller bestätigen, der in Quickborn nördlich von Hamburg seit zwei Jahren ein eigenes Unternehmen für die Vermarktung von Oldtimerreifen und die Produktion und Vermarktung von Weißwandreifen betreibt. Möller, der bereits in den 1960er Jahren während seiner Ausbildung zum Vulkaniseur und später zum Vulkaniseurmeister und dann ab 1981 in seinem eigenen Reifenhandelsbetrieb in Hamburg sein Steckenpferd fand, ist heute einziger Hersteller von Weißwandreifen in Deutschland und sieht sich somit als exklusiver Anbieter eines exklusiven Produktes.

Bereits während seiner Ausbildung in Hamburg, erzählt er in einem Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, habe er stets die weißen Ringe der Weißwandreifen nach der Runderneuerung putzen müssen – Lehrjahre sind eben keine Herrenjahre. Durch die Runderneuerung wurden die weißen Wände schmutzig. Damals habe Harald Möller nicht nur das notwendige Know-how in dem Vulkanisierbetrieb, in dem er gelernt hat, mitbekommen, sondern sich auch mit dem „Virus Weißwandreifen“ infiziert. Die Fertigung von Weißwandreifen ist dabei keine Geheimwissenschaft, dennoch weiß sich Möller vor Nacheiferern auf der sicheren Seite, ist das gesamte Verfahren doch überaus zeit- und Know-how-intensiv.

Der gesamte Prozess dauert in der Regel etwa zwei Stunden von der Vorbereitung eines neuen Reifens – in der Regel von Michelin – bis zur Fertigstellung der weißen Wand; die eigentliche Vulkanisation dauert dabei immerhin eine dreiviertel Stunde. Nachdem Harald Möller oder einer der beiden dafür ebenfalls ausgebildeten Mitarbeiter aus Quickborn – insgesamt arbeiten in Quickborn bei der M.A.R.S. GmbH & Co. KG, dem traditionellen Reifenhandel der Familie, neun Leute – einen Reifen mittels eines Schleifsteins aufgeraut hat, wird ein Bindemittel bzw. ein Bindegummi aufgetragen, wie dies auch bei der Runderneuerung üblich ist. Dafür kommen ausnahmslos Eigenentwicklungen zum Einsatz, betont Harald Möller bei einem Rundgang durch seine „Reifenproduktion“, einem Kellerraum unterhalb des Reifenhandelsbetriebes. Anschließend wird ein Streifen weißen Rohkautschuks aufgebracht, dessen Formel natürlich geheim bleiben soll. Nach der Vulkanisation in einer eigens dafür angefertigten Vulkanisationsform wird das überschüssige elastische weiße Reifengummi mit einer ebenfalls eigens dafür hergestellten konzentrischen Vorrichtung entfernt. Nun wird noch die DOT-Nummer von Harald Möller sowie dessen Adresse auf die Seitenwand aufgeprägt – fertig ist der Weißwandreifen.

Während Möller bereits sein gesamtes berufliches Leben mit Weißwandreifen sowie Klassik- und Oldtimerreifen zu tun hatte, kam dieses Geschäft erst kürzlich so richtig in Fahrt. Als Michelin 2001 erneut in die Formel 1 einstieg, erzählt Harald Möller weiter, habe der französische Konzern das Geschäft mit Oldtimerreifen nicht weiter verfolgen wollen. Lange Zeit habe Möller direkt beim Hersteller in Clermont-Ferrand versucht, wieder Interesse an der Fertigung dieser Reifen zu wecken – vergeblich. Erst als bei Michelin in Clermont-Ferrand personelle Veränderungen stattfanden, so Möller, habe sich die Situation zu seinen Gunsten geändert. Auf einmal sollte Möller für den zuständigen Michelin-Direktor Klassik- und Oldtimerreifen vermarkten. Der Konzern wollte die Produktion der entsprechenden Reifen wieder aufnehmen, wollte die Vermarktung und den Vertrieb aber in sachkundige Hände legen. Heute vermarkten das Unternehmen von Harald Möller und die Münchner Oldtimer Reifen GmbH (MOR) von Valentin Schaal als weit und breit wichtigste Händler im Land die Reifen vom französischen Marktführer und von dessen wichtigsten Wettbewerber Vredestein.

Beide Hersteller teilen sich den Markt untereinander auf. Während der Konzern aus Frankreich – traditionell stark in diesem Segment, wenn man von dem kurzzeitigen Aussetzen der Produktion nach dem Formel-1-Wiedereinstieg einmal absieht – etwa zwei Drittel der Reifen für diesen Markt liefert, bleibt für Vredestein – selber erst seit kurzem in der Fertigung von Klassik- und Oldtimerreifen aktiv – immerhin noch das weitere Drittel übrig. Dunlop und Continental stellen zwar auch entsprechende Reifen her, forcieren dieses Geschäft in Deutschland aber nicht sonderlich. Laut Möllers Einschätzung verbleibe für die beiden letztgenannten Marken gerade einmal ein Marktanteil von zusammen etwa einem Prozent. Welche Dimensionen der europäischen Klassik- und Oldtimerreifenmarkt hat, sei nur schwer zu überschauen, so Möller weiter. Ein Drittel dieses Marktes bestehe aus den traditionellen Diagonalreifen, wie sie früher gebaut wurden, die verbleibenden zwei Drittel machen die Gürtelreifen aus. Dabei werden die Mischungen entsprechend moderner Mischungstechnologie produziert; der Unterbau wie auch die Profilgestaltung dieser Reifen bleibt in der Regel so, wie er schon früher war.

Für Harald Möller, der noch diesen Sommer 59 Jahre alt wird, ist der Handel mit diesen Reifen und die Herstellung von Weißwandreifen nicht nur Job, sondern er freut sich regelmäßig darüber, Liebhabern alter Fahrzeuge bei der Lösung eines Problems geholfen zu haben. Während Reifenkäufer in der Regel die Notwendigkeit, einen Reifen kaufen zu müssen, als ihr Problem betrachten, sehen Möllers Kunden eher ein Problem darin, nicht den richtigen und passenden Reifen für das eigene Gefährt zu finden. Harald Möller löst also Probleme, andere Reifenhändler schaffen welche, so jedenfalls die landläufige Auffassung vieler Endverbraucher.

Diese Situation sei durchaus angenehm: „Was Sie im normalen Reifengeschäft nie erleben würden, erleben Sie hier“, betont Möller. Die Glücksgefühle seiner Kunden, wenn sie mit einem wieder richtig mobilen und unter Umständen mit Weißwandreifen verschönerten Klassiker oder Oldtimer in Quickborn vom Hof fahren, seien das „i-Tüpfelchen“ auf einer erfolgreichen Geschäftsidee. Es „komme richtig Freude auf“, so Möller, wenn seine Kunden glücklich vom Hof fahren. Und diese Kunden werden immer jünger. Während er vor rund zehn Jahren noch vorwiegend Kunden im Rentenalter zwischen 50 und 70 Jahren bediente, kommen heute auch viele 20-Jährige nach Quickborn. „Das ändert sich laufend“, so Möller zur kontinuierlichen Vergrößerung seines potenziellen Kundenkreises.

In naher Zukunft, so schätzt Möller, könnte sich ein neuer Trend am Reifenmarkt positiv auf die Umsätze des Unternehmens im Hof-, im Außer-Haus- und im Großhandelsgeschäft auswirken. Offenbar werden Weißwandreifen immer häufiger zur Veredelung und Individualisierung moderner SUVs genutzt. Inwiefern sich dies als marktbedeutender Trend auswirken wird, sei dabei noch nicht abzusehen. So oder so, der Anteil von Weißwandreifen am gesamten Klassik- und Oldtimerreifenmarkt ist durchaus gering. Was dies in Zahlen bedeutet, möchte der Quasi-Monopolist Möller lieber für sich behalten.

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