Schirra Räder-Technik jetzt bei der Belte AG
Anfang 2007 hatte die renommierte Rädermarke BBS Insolvenz anmelden müssen, im Sommer letzten Jahres die im Erstausrüstungsgeschäft nicht minder renommierte ATS ebenfalls. Nach monatelangem Hin und Her und Abwägen der jeweiligen Insolvenzverwalter landeten die Kernaktivitäten von BBS bei der belgischen Punch International NV, die das Unternehmen aus Schiltach anschließend in BBS International umfirmierte, und die europäischen Aktivitäten von ATS werden aktuell in die UniWheels-Gruppe integriert. Wenn Unternehmen in diesen Größenordnungen ins Konkursverfahren gehen, so sind – mehr oder weniger – auch immer Sublieferanten betroffen. In diesem Falle eher mehr: Denn die Schirra Räder-Technik GmbH aus Fußgönheim hatte am 14.1.2008 ebenfalls Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen stellen müssen. Nach einer abenteuerlichen Episode wird Schirra jetzt in die Belte AG integriert.
Das im Jahre 2001 von Rainer Schirra gegründete Unternehmen war durch eine einmalige Kombination aus klassischer mechanischer Bearbeitung mit innovativer, vom Unternehmen selbst entwickelter Poliertechnik in Kreisen der Hersteller edler Hochleistungs-Aluminiumfelgen und des Motorsports recht bekannt geworden, obwohl doch eigentlich im Wesentlichen „nur“ verlängerte Werkbank von Aluminiumräderherstellern. Und zwar übernahm Schirra als Sublieferant in der Bearbeitung Kleinserien renommierter Erstausrüster, die bei deren Volumenfertigung nur gestört hätten. Obendrein war es Schirra aber in etwa um 2005/2006 auch gelungen, im Bereich der Oberflächentechnologie für Aluminiumräder eine Methode zu entwickeln, die die Vorteile des Kugelpolierens und des Gleitschliffverfahrens kombiniert – und damit war Schirra bei Insidern der Rädertechnologie zu einer ersten Adresse geworden, jedenfalls wenn es um auf Hochglanz zu polierende Aluminiumräder ging. Und diese Kompetenz erreichte schließlich auch die Automobilhersteller, jedenfalls ist von Volvo/Land Rover höchstes Interesse an Schirra herangetragen worden.
Die Voraussetzungen erschienen jedenfalls dem Beobachter glänzend, die Auftragsbücher gut gefüllt, die Mitarbeiterzahl konnte kontinuierlich aufgestockt werden und erreichte schließlich ca. 40 Personen. Investitionen für die vermeintlich goldene Zukunft wurden getätigt, modernstes Equipment in den (angemieteten) Hallen an der Industriestraße von Fußgönheim (in der auch Unternehmen der UniWheels-Gruppe ihren Firmensitz haben) installiert. Dann kam die ATS-Insolvenz, ein Großkunde Schirras, der Subunternehmer geriet ebenfalls in Schieflage, der Firmenkrise folgte die Insolvenz. Die Schirra-Pleite, so wird behauptet, sei eine Folge der ATS-Pleite. Ob das allein der Grund für die Insolvenz war, ist heute kaum noch nachvollziehbar, jedenfalls war ATS ein Großkunde und blieben diese Aufträge erst einmal aus.
Das Engagement der Schirra-Belegschaft, die in den folgenden Wochen durch einen 3-Schicht-Betrieb gefordert wurde, schien belohnt zu werden, die Suche nach einem Investor gelang. Der Insolvenzverwalter, der Mannheimer Rechtsanwalt Peter Depré, konnte als Investor die Punch International NV, also die BBS-Muttergesellschaft, gewinnen, die den bisherigen Betrieb am gleichen Standort weiterführen sollte. Dadurch schienen die 40 Arbeitsplätze gesichert. Wobei BBS-Geschäftsführer Wald Westerlinck auf Nachfrage in einer Hinsicht korrigiert: Das Interesse an der Technologie der Schirra Räder-Technik sei bereits zuvor dagewesen, jetzt habe man das Unternehmen halt vom Insolvenzverwalter übernehmen können.
Die Hoffnung, die 40 Arbeitskräfte könnten in Fußgönheim – jetzt unter BBS-Ägide – gehalten werden, erwies sich als Trugschluss. BBS hatte vollen Einblick in die Schirra-Auftragsbücher, kalkulierte nach, sprach – so Westerlinck – auch mit den Kunden über höhere, also auskömmliche Preise und sah sich nach diesen Gesprächen nicht in der Lage, Schirra in die schwarzen Zahlen zu führen. Und so hat BBS die Entscheidung gefällt, die Produktion von Fußgönheim nach Schiltach zu verlagern und man habe zehn Mitarbeitern angeboten, den Ortswechsel mitzumachen.
Doch die Dinge spitzten sich zu, dass Verhältnis von Schirra und seinem Team einerseits und das von Punch/BBS andererseits verschlechterte sich nach Aussagen gleich mehrerer Informanten zusehends und gipfelte darin, dass Punch schließlich Anfang Mai allen Mitarbeitern kündigte bis auf Rainer Schirra, der allerdings umgehend selbst seine Kündigung aussprach.
Was dann erfolgte, war unter Räderleuten ein Hauptthema während der Reifenmesse in Essen. Berichtet wurde, dass sich Trupps des Investors nicht etwa daran gemacht hätten, die bestehenden Anlagen fein säuberlich zu demontieren, sondern geradezu Abrissarbeiten vorgenommen haben sollen, die soweit gingen, dass der Besitzer der Halle um sein Eigentum fürchtete. Die Polizei musste gerufen werden, mit dem eigentlichen Produktionsprozess gar nicht zusammenhängende Infrastruktur sei beschädigt bis schrottreif. Klar, dass der Mietvertrag zwischen dem Investor und dem Besitzer der Produktionshalle damit aufgelöst war. Die Freude des Schirra-Teams, einen Investor gefunden zu haben, war aufgrund der Vorgänge zu Hoffnungslosigkeit geworden. Westerlinck freilich schildert die Vorgänge aus BBS-Sicht anders: Man habe demontiert, was dem Insolvenzverwalter abgekauft und auch ordentlich bezahlt worden war. Blockaden, das Werksgelände mit diesen Maschinen zu verlassen, habe es gegeben, daher auch der Polizeieinsatz. Inzwischen sei das in Fußgönheim demontierte Equipment (wobei es wohl um die Bearbeitungszentren geht, nicht jedoch um den Bereich Poliertechnik) in feinstem Umfeld in Schiltach aufgebaut. BBS sieht sich darüber hinaus – unabhängig vom „Schirra-Produktionsprozess“ hinsichtlich des Polierverfahrens – in der Lage, sehr exklusiven Rädern in Kleinserien eine einzigartige Oberfläche zukommen zu lassen. Mit anderen Worten: Weil Räder mit dieser Oberflächentechnologie für einen Anbieter wie ATS Kleinserien waren, hatte er sie zur Bearbeitung an Schirra gegeben. Was mit der Technologie von Schirra-Räder-Technik gefertigt werden konnte, ist nach dem aktuellen Stand der Dinge nicht die Seriengröße, weil zu hoch, die BBS jetzt am Standort Schiltach realisiert.
Zurück zu Schirra: Der Silberstreif am Horizont, der sich plötzlich für die Mitarbeiter öffnete, heißt Belte AG (Delbrück). Die hatte ursprünglich auch lediglich die Funktion einer „verlängerten Werkbank“ für Aluminiumräderhersteller, und zwar in dem Bereich Wärmebehandlung. Gleichwohl hat die Branche sehr wohl wahrgenommen, dass Belte sich die Namensrechte an Intra gesichert hatte, geschmiedete Räder produzierte (in Partnerschaft mit Cargraphic) und selbst ins Abstreckverfahren investierte, mithin größere Ambitionen hat. Zumal Belte dann auch Ende letzten Jahres die Huth & Gaddum Metallgießerei (Velbert) übernommen und damit auch den Einstieg ins Gießereimetier absolviert hatte.
Da der Bereich der Poliertechnik mit allen Patenten und Rezepten am Standort Fußgönheim verblieben ist, sieht die Firma Belte AG ganz offensichtlich die unternehmerische Chance, die hauseigene Strategie als Nischenanbieter im Rädergeschäft weiter zu festigen. Die Produktionsstätte in Fußgönheim, war auf Nachfrage in Delbrück zu erfahren, soll unter der Leitung der „neuen“ Schirra Rädertechnologie GmbH weitergeführt werden. Das ist auch der Grund, warum ein Teil der Bearbeitungszentren nun wiederum vom Standort der Belte AG zu Schirra nach Fußgönheim überführt worden ist. Ferner seien weitere hochmoderne Bearbeitungszentren bestellt worden und befänden sich sogar schon im Aufbau am Standort Fußgönheim. Damit kann sich die Firma Schirra zu einem der modernsten Räderbearbeitungszentren in der Branche entwickeln: Räder bis zu 24 Zoll können hier bearbeitet werden – und auch weiterhin poliert. Denn die Belte AG ist in bestehende Leasingverträge der vormaligen Schirra Räder-Technik GmbH eingestiegen.
Die Belte AG ist jetzt dabei, den Bearbeitungsspezialisten in die Firmengruppe zu integrieren bzw. als neue Tochtergesellschaft aufzunehmen. Das heftige Auf und Ab der ersten Monate des Jahres 2008 aber wird Rainer Schirra und all den Mitarbeitern, die von Belte übernommen werden, noch lange in den Knochen stecken.
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